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MELDUNG/085: Erneute Durchsuchungswelle in linken Berliner Buch- und Infoläden (Rote Hilfe)


Bundesvorstand Rote Hilfe e.V. - Pressemitteilung vom 27.10.2010

Pressemitteilung zur erneuten Durchsuchungswelle in linken Berliner Buch- und Infoläden


Seit dem 17. September 2010 sind nicht einmal sechs Wochen vergangen, da hat es in Berlin am gestrigen Dienstag wieder eine Durchsuchungswelle in linken Läden und Einrichtungen gegeben - davon betroffen waren erneut die Buchläden "oh21" und "Schwarze Risse" sowie der "Infoladen M99".

Koordiniert wurden die Überfälle durch BeamtInnen der Berliner Staatsschutzbehörde, die nun schon zum sechsten Mal in diesem Jahr an diesen wichtigen Orten linker Gegenöffentlichkeit auftauchten. Als Begründung für die Razzia diente den Staatsbütteln der § 130a des Strafgesetzbuches ("Anleitung zu Straftaten"). Danach können Menschen mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft werden, wenn sie eine Schrift verbreiten oder sonst zugänglich machen, die geeignet ist, als Anleitung zu einer in § 126 Abs. 1 ("Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten") genannten rechtswidrigen Tat zu dienen, und nach ihrem Inhalt bestimmt ist, die Bereitschaft anderer zu fördern oder zu wecken, eine solche Tat zu begehen.

In diesem Falle ging es mal wieder um das seit 1988 in Berlin erscheinende Polit-Info "Interim", das in seiner 718. Ausgabe zu Straftaten und - in Verbindung damit - zur "Herstellung verbotener Waffen" aufgerufen haben soll (§ 40 WaffG).

Außerdem sollte ein weiteres Verfahren wegen der Verbreitung von Plakaten eröffnet werden, mit denen - im Rahmen der Kampagne "Castor schottern" -zur Beteiligung am Protest gegen den kommenden Castortransport aufgerufen wird.

Hier sollen mit möglichst einschüchternden staatlichen Maßnahmen Präzedenzfälle im Bereich der massiven Einschränkung radikaler linker Opposition geschaffen werden, indem in den Durchsuchungsbeschlüssen die "geschäftsführenden Personen" der jeweiligen Buch- beziehungsweise Infoläden als "Beschuldigte" aufgeführt werden. Damit werden sie für den Inhalt der von ihnen vertriebenen Schriftstücke oder Plakate verantwortlich gemacht, obwohl ihnen genau das im Einzelnen gar nicht nachgewiesen werden kann. Die bisherige Rechtsprechung geht davon aus, dass BuchhändlerInnen zu wenig Kontrollmöglichkeiten haben, um die Rechtmäßigkeit der Inhalte der von ihnen angebotenen Bücher und Zeitschriften zu beurteilen.

Mit der bloßen Existenz bestimmter Schriftstücke soll auf deren inhaltliche Befürwortung durch die LadenbetreiberInnen geschlossen und sie so kriminalisiert werden. In der Praxis bedeutet dies eine gezielte Verunsicherung und Einschüchterung und letztendlich staatlich exekutierte Selbstzensur.

Hinzu kommt der nicht unerheblich ins Gewicht fallende Abschreckungsaspekt, den solche mit hohen Kosten und Arbeit verbundenen Maßnahmen stets beinhalten, auch wenn es perspektivisch nicht zu einer gerichtlichen Verurteilung kommen sollte: In ihrer Funktion als Schnittstellen zwischen breiter Öffentlichkeit und linken Strömungen werden diese Buch- und Infoläden von staatlichen Repressionsorganen angegriffen, um Berührungsängste zu schüren und sie in vorgelagerte Zensurbehörden für Szeneveröffentlichungen zu verwandeln, in denen radikale Veränderungen der Gesellschaftsordnung diskutiert, analysiert und propagiert werden.

Die Rote Hilfe wird auch weiterhin allen den Rücken stärken, die sich im kollektiven Verteidigen unabhängiger und unkontrollierter Medien nicht einschüchtern lassen wollen und erfolgreich vorgehen bei der wahrnehmbaren Schaffung linker Gegenöffentlichkeit!

Die Rote Hilfe wird es nicht zulassen, dass bereits das Zugänglichmachen von Zeitschriften und Flugblättern, die zu Widerstandsformen der außerparlamentarischen Opposition aufrufen, staatlicherseits zum Verbrechen erklärt wird.

Mathias Krause für den Bundesvorstand der Roten Hilfe e.V.


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Quelle:
Pressemitteilung vom 27.10.2010
Bundesvorstand Rote Hilfe e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Oktober 2010