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INTERNATIONAL/146: Foltervorwürfe gegen Aserbaidschan - UN-Delegation untersucht Zustände in Gefängnissen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 27. April 2015

Menschenrechte: Foltervorwürfe gegen Aserbaidschan - UN-Delegation untersucht Zustände in Gefängnissen

von Kanya D'Almeida



Bild: © ResoluteSupportMedia/CC-BY-2.0

Aserbaidschan will in diesem Jahr die ersten Europaspiele ausrichten
Bild: © ResoluteSupportMedia/CC-BY-2.0

New York, 27. April (IPS) - Nach monatelangem Tauziehen haben Vertreter der Vereinten Nationen in diesem Monat Zugang zu Haftanstalten in Aserbaidschan erhalten. Wie die Vorsitzende des UN-Unterausschusses zur Verhütung von Folter (SPT), Aisha Shujune Muhammad, mitteilte, konnte eine vierköpfige Delegation mehrere Gefängnisse, Polizeiwachen und Isolationstrakte besuchen.

"Die Regierung von Aserbaidschan hat dieses Mal den ungehinderten Zugang zu Orten gestattet, an denen Freiheitsstrafen verbüßt werden", erklärte Mohammad, Leiterin der SPT-Delegation, in einer vom UN-Menschenrechtshochkommissariat (OHCHR) verbreiteten Stellungnahme.

Als Vertragsstaat des Fakultativprotokolls zum Übereinkommen gegen Folter (OPCAT) ist Aserbaidschan dazu verpflichtet, unabhängigen Experten den vollständigen Zutritt zu seinen Haftanstalten zu gewähren. Im vergangenen September hatte der SPT allerdings seinen Besuch in dem Land abgebrochen, nachdem ihm der Zugang zu mehreren Orten verwehrt worden war.

An verschiedenen Orten konnte das Team seine Arbeit nicht zu Ende führen, worauf das OHCHR dem Land vorwarf, seinen Verpflichtungen als Vertragsstaat des Übereinkommens nicht nachzukommen.


Mehr Schutz für Häftlinge gefordert

Vom 16. bis 24. April dieses Jahres nahmen SPT-Vertreter eine Reihe von Einrichtungen in Augenschein, darunter ein Untersuchungsgefängnis, psychiatrische Kliniken und Sozialinstitutionen. Am letzten Tag legte die Delegation den Behörden Aserbaidschans erste vertrauliche Informationen vor, darunter Empfehlungen für einen verstärkten Schutz von Häftlingen vor Misshandlungen und vor anderen inhumanen Behandlungen.

Muhammad lobte die Kooperationsbereitschaft der Regierung, wies aber zugleich darauf hin, dass der "Vertragsstaat Personen, denen die Freiheit entzogen wurde, noch die grundlegenden rechtlichen und prozessualen Garantien geben muss. Dazu zählen der Zugang zu einem Rechtsanwalt und einem Arzt sowie der Kontakt zur Familie."

International tätige Menschenrechtsorganisationen prangern seit einigen Jahren die Misshandlung von Gefangenen und Straffreiheit für Folterer in dem Land mit etwa 9,4 Millionen Einwohnern an. Vor allem politische Aktivisten und Journalisten sind betroffen.

"Wir sind anhaltend beunruhigt über die Zustände in Polizeiwachen, Haftanstalten und anderen Einrichtungen", sagte Jane Buchanan von 'Human Rights Watch' (HRW) und mahnte gerechte Prozesse und rechtstaatliche Verfahren an.

Allein im Jahr 2014 verzeichnete HRW mehr als 35 Festnahmen und Inhaftierungen von Aktivisten und Journalisten aus politischen Gründen. Möglicherweise sei die Zahl aber weitaus höher, da viele Aktivisten, die Menschenrechtsverstöße dokumentiert hätten, selbst hinter Gittern säßen oder aus Aserbaidschan geflohen seien, so Buchanan. "Die Regierung verhindert Transparenz und Überprüfbarkeit, auch in Fällen von Folter und Misshandlung."

Der jüngste Bericht von 'Amnesty International' über Aserbaidschan bestätigt viele dieser Vorwürfe. In dem Report wird unter anderem die Festnahme von Kemale Benenyarli, einem Mitglied der Oppositionspartei APFP, am 6. Mai 2014 geschildert. Sie gab später an, "geschlagen, geboxt, über den Boden gezerrt und in eine Zelle gesperrt" worden zu sein. Dort musste sie bis zu ihrem Gerichtsverfahren am darauffolgenden Morgen ohne Nahrung und Wasser ausharren.

Zum Zeitpunkt ihrer Festnahme hatte sich Benenyarli gemeinsam mit anderen friedlichen Demonstranten vor einem Gerichtsgebäude in Baku aufgehalten, in dem über Schwerverbrechen gerichtet wird. Die Menschenmenge forderte die Freilassung inhaftierter Jugendaktivisten, die mit der Bürgerbewegung NIDA in Verbindung gebracht werden.

Amnesty berichtete zudem von der Festnahme des Demonstranten Orkhan Eyyubzade am selben Tag. Eyyubzade erklärte, nackt ausgezogen, an den Haaren gezerrt, geboxt, getreten und mit Vergewaltigung bedroht worden zu sein, nachdem er während der Haft am 15. Mai mit Polizisten in Streit geraten war.


Ärztliche Hilfe verweigert

Den Strafvollzugsbehörden wird außerdem vorgeworfen, Gefangenen medizinische Behandlungen oder spezielle Nahrungsmittel zu verweigern, das sie aus Gesundheitsgründen zu sich nehmen müssen. Buchanan berichtete zudem von körperlicher Gewalt, die von Aufsehern oder Zellennachbarn ausgehe. "Mir ist unter den von uns betreuten Gefangenen kein einziger Fall bekannt, in denen Foltervorwürfe eingehend untersucht worden sind", erklärte sie.

Menschenrechtsgruppen gehen davon aus, dass zurzeit mehr als 50 politische Häftlinge in den landesweiten Gefängnissen festgehalten werden.

Vor dem Hintergrund der gravierenden Menschenrechtsvorwürfe, die seit 2012 erheblich zugenommen haben, bereitet sich Aserbaidschan auf die Ausrichtung der ersten Europaspiele vom 12. bis 28. Juni 2015 vor. Unter dem Patronat der Olympischen Bewegung werden mehr als 6.000 Athleten aus 50 Staaten an den Wettkämpfen teilnehmen. Laut Berichten der in London ansässigen Agentur 'Business News Europe' soll das Budget für die Spiele etwa acht Milliarden US-Dollar betragen.


Aserbaidschan will sich durch Europaspiele profilieren

Die Regierung von Präsident Ilham Alijew möchte die Spiele dazu nutzen, auf die wirtschaftliche Entwicklung des Landes hinzuweisen. Menschenrechtsorganisationen drängen das Europäische Olympische Komitee und die Olympischen Komitees einflussreicher Staaten dazu, den Fokus auf die Themen Menschenrechtsverletzungen und politische Gefangene zu richten.

Die 'Sports and Rights Alliance', der unter anderem 'Amnesty International', 'Human Rights Watch', 'Football Supporters Europe' und 'Transparency International Deutschland' angehören, reichte kürzlich ein Schreiben bei dem Vorsitzenden des Europäischen Olympischen Komitees, Patrick Hickey, ein. Darin wird hervorgehoben, dass das harte Durchgreifen der aserbaidschanischen Behörden gegen Kritiker und Dissidenten "den Grundprinzipien der Olympischen Charta widerspricht, die die Europaspiele hochhalten sollen". Das Bündnis verlangte zudem, dass das Olympische Komitee auf die unverzügliche und bedingungslose Freilassung mehrerer bekannter Menschenrechtsaktivisten wie Khajida Ismayilova, Leyla Yunus, Arif Yunus, Intigam Aliyev, Rasul Jafarov, Rauf Mirgadirov, Anar Mammadli, Ilgar Mammadov und Tofig Yagulblu dringen müsse.

Auch westliche Staaten sind im Zusammenhang mit den Europaspielen ins Zwielicht geraten. Wie die Zeitung 'The Guardian' im Februar berichtete, zahlt Aserbaidschan der britischen Mannschaft Geld für die Teilnahme. Die 'British Olympic Association' (BOA) habe bereits eingeräumt, dass das Gastland den Großteil der Kosten für die Reise nach Baku übernehmen werde. (Ende/IPS/ck/2015)


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http://www.ipsnews.net/2015/04/u-n-committee-gets-unhindered-access-to-azerbaijans-detention-centres-but-is-it-enough/

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IPS-Tagesdienst vom 27. April 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. April 2015

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