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INTERNATIONAL/110: Guatemala - Sondergerichte für Frauenmörder (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 5. August 2013

Guatemala: Sondergerichte für Frauenmörder

von Louisa Reynolds


Bild: © Danilo Valladares/IPS

In Guatemala-Stadt steht Frauen ein eigener Busservice zur Verfügung, um sie vor sexuellen Übergriffen zu schützen
Bild: © Danilo Valladares/IPS

Guatemala-Stadt, 5. August (IPS) - Douglas Cuc Cruz arbeitete in San Miguel Petapa nahe der guatemaltekischen Hauptstadt als Clown. Doch seinen bislang letzten großen Auftritt hatte er nicht auf der Straße, sondern vor einem Sondergericht für Frauenmörder.

Eineinhalb Jahre ist es her, dass der 32-Jährige seine geschiedene Frau unter dem Vorwand besuchte, etwas für die gemeinsame Tochter vorbeizubringen. Seither ist Evelin Pacheco García tot. Die Version ihres Ex-Mannes, ihr Tod sei ein Unfall gewesen, hielt den Obduktionsergebnissen nicht stand. Die Leiche wies Würgemale und Quetschungen auf.

Auf der Grundlage forensischer Untersuchungsergebnisse und von Zeugenaussagen über eine lange Geschichte häuslicher Gewalt war Cuc Cruz wegen Mordes vor einem der neuartigen Gerichte angeklagt worden, mit denen Guatemala der geschlechtsspezifischen Gewalt gegen Frauen den Kampf angesagt hat.

Cuc Cruz, der tagsüber Passanten zum Lachen brachte, mutierte abends und nachts zum Tyrannen, der seine Frau regelmäßig misshandelte. Auch nach der Scheidung gingen die Übergriffe weiter. Wie die Mutter des Opfers den Richterinnen unter Tränen berichtete, konnten Anzeigen und ein drei Mal in Anspruch genommener Personenschutz das Leben der Tochter nicht retten.


Höchste Fraumordrate Zentralamerikas

Pacheco García ist eine von 708 Frauen, die nach Angaben des Nationalen Instituts für forensische Wissenschaften (INACIF) im letzten Jahr in Guatemala gewaltsam ums Leben kamen. In der ersten Hälfte des laufenden Jahres wurden bereits 403 Frauenmorde begangen, 66 mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Das Zentralamerikanische Integrationssystem und der Rat der Frauenministerinnen Zentralamerikas listen Guatemala als das Land mit den meisten dieser Verbrechen der Region.

Mit einer Mordrate von 48 pro 100.000 Einwohner gehört Guatemala zudem zu den gewalttätigsten Ländern der Welt, wie aus dem Zentralamerikanischen Bericht über die menschliche Entwicklung von 2009 bis 2010 des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) hervorgeht. Der lateinamerikanische und der weltweite Durchschnittswert solcher Verbrechen liegt bei 25 beziehungsweise neun pro 100.000 Einwohner.


Justiz mit Geschlechterperspektive

Die erste Anhörung im Verfahren gegen Cuc Cruz vor dem sogenannten Strafgericht für Frauenmorddelikte und andere Formen der Gewalt gegen Frauen fand am 15. Juli im Departement Guatemala statt, in dem sich auch die Hauptstadt befindet. Das Tribunal aus drei Richterinnen ist eine von mehreren Errungenschaften, die Guatemala im Kampf um Geschlechtergerechtigkeit seit 2010 vorweisen kann. Das zentralamerikanische Land ist das erste weltweit, das Sondergerichte für Frauenmorde und andere Formen der Gewalt gegen Frauen geschaffen hat.

Wegbereiter war das 2008 erlassene Gesetz gegen Frauenmorde und andere geschlechtsspezifische Formen der Gewalt, das auf eine Welle von Frauenmorden reagierte. Die darin festgelegten Präventionsmaßnahmen, Straftatbestände und Mechanismen zielen darauf ab, Frauen das Recht auf ein Leben ohne physische, seelische, sexuelle, moralische oder männliche Gewalt zu gewährleisten.

Diese Sondergerichte gibt es inzwischen in den Departements mit den meisten Frauenmorden: in Guatemala, Chiquimula, Quetzaltenango, Huehuetenango und Alta Verapaz. Sie sind mit einer Verurteilungsrate von mehr als 30 Prozent deutlich effektiver als die herkömmlichen Gerichte, die nur in 7,5 Prozent der Fälle eine rechtskräftige Verurteilung zustande bringen, wie Zahlen des Nationalen Zentrums für juristische Analyse und Dokumentation belegen.

Den Erfolg der Sondergerichte führt die im Fall Pacheco García vorsitzende Richterin Ana María Rodríguez darauf zurück, dass die Verbrechen aus einer geschlechtsspezifischen Perspektive heraus analysiert werden, also Ungleichheit, Diskriminierung und Frauenhass besonders berücksichtigt werden.

Im Fall Pacheco García geht es der Staatsanwaltschaft und der Stiftung der Überlebenden, die im Namen der Opferfamilien als Klägerin auftritt, auch darum zu beweisen, dass Cucs Gewalttätigkeiten die machistische Haltung zugrunde liegt, seine ehemalige Frau sei sein Eigentum.


Richter vornehmlich Frauen

Mit Ausnahme von zwei männlichen Richtern in Quetzaltenango sind ausschließlich Richterinnen für die Sondertribunale zuständig. Sie alle sind auf ihre besondere Aufgabe vorbereitet worden. Darüber hinaus arbeiten die Sondergerichte mit jeweils einer Psychologin, einer Sozialarbeiterin und Kinderbetreuungseinrichtungen zusammen, die sicherstellen sollen, dass Mütter, die keine Unterbringungsmöglichkeiten für ihre Kinder finden, ungehindert an den Gerichtsverfahren teilnehmen können.

Angélica Valenzuela, Leiterin des Zentrums zur Erforschung, Schulung und Unterstützung der Frau, betrachtet die Sondergerichte als einen wirklichen Fortschritt. Allerdings müssten sie Frauen im ganzen Land zugänglich gemacht werden, meint sie. Das größte Problem sieht sie darin, dass in der Regel Zeugenaussagen für den Ausgang der Verfahren ausschlaggebend sind. Andere Beweismittel könnten aufgrund fehlender forensischer Einrichtungen und Fachkräfte nur selten erbracht werden. "Das Ziel der Null-Morde und Null-Straffreiheit", fügt Norma Cruz von der Stiftung der Überlebenden hinzu, "liegt somit noch in weiter Ferne". (Ende/IPS/kb/2013)


Links:

http://www.inacif.gob.gt/docs/estadisticas/anual/AnualM2012.pdf
http://www.oas.org/dil/esp/Ley_contra_el_Femicidio_y_otras_Formas_de_Violencia_Contra_la_Mujer_Guatemala.pdf
http://www.oj.gob.gt/solar2/solar2/index.php?option=com_content&view=article&id=274&Itemid=92
http://sobrevivientes.org/
http://www.ipsnoticias.net/2013/08/tribunales-de-femicidio-buscan-desterrar-la-impunidad-en-guatemala/
http://www.ipsnews.net/2013/08/guatemalas-femicide-courts-hold-out-new-hope-for-justice/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 5. August 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. August 2013