Schattenblick →INFOPOOL →RECHT → FAKTEN

INTERNATIONAL/074: Argentinien - Opfer von Agrargift Glyphosat wollen Präzedenzfall schaffen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 16. August 2012

Argentinien: Opfer von Agrargift Glyphosat wollen Präzedenzfall schaffen

von Marcela Valente



Buenos Aires, 16. August (IPS) - In Argentinien sind Angehörige von Opfern der Agrarchemikalie Glyphosat fest entschlossen, mit ihrem Prozess gegen zwei Agrarproduzenten und den Piloten eines Sprühflugzeugs Geschichte zu schreiben. Das Urteil wird für den 20. August erwartet.

"Zum ersten Mal wird die Verseuchung von Mensch und Natur durch solche Herbizide vor Gericht verhandelt", sagte María Godoy, eine der Klägerinnen. "Die Menschen sind umweltbewusster geworden, und ich bin zuversichtlich, dass wir einen Präzedenzfall schaffen werden."

Die Kläger stammen aus Itizaingó, einer Gemeinde in der zentralargentinischen Provinz Córdoba. Dort hatten die Menschen bereits 2001 über Gesundheitsprobleme geklagt, die sie mit dem Sprühnebel in Verbindung brachten, der aus Flugzeugen auf die nahe gelegenen Sojafelder niederging. Anfang des Monats forderte die Staatsanwaltschaft für zwei der Angeklagten Haftstrafen.

Wie Damián Verzeñassi von der Nationalen Universität in Rosario erklärte, ist das Verfahren "sehr wichtig" für die Feststellung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit in solchen Fällen. Er kritisierte, dass die Ermittlungen erst auf massiven Druck einer Gruppe von Frauen aus Itizaingó in Gang gekommen seien. Das öffentliche Gesundheitswesen sei seiner Pflicht dagegen nicht nachgekommen.


Umgang mit Agrochemikalien nicht rechtlich geregelt

Trotz aller Forderungen gibt es in Argentinien bisher kein Gesetz, das den Umgang mit Agrochemikalien regelt. Nur auf Provinzebene und in einigen Gemeinden gibt es Vorschriften, über deren Einhaltung allerdings nicht ausreichend gewacht wird.

Eine Untersuchung der Nationalen Universität von Rio Cuarto in Córdoba ergab, dass das im Sojaanbau verwendete Glyphosat das Erbgut von Mäusen und Fröschen schädigt. 2009 hatte Andrés Carrasco, Professor am Labor für molekulare Embryologie an der Universität von Buenos Aires, Schäden durch Glyphosat bei Amphibien nachgewiesen.

Genetisch veränderte Sojasaaten waren in Argentinien nach heftigen Kontroversen in den neunziger Jahren zugelassen worden. Der US-Biotechnikkonzern 'Monsanto' entwickelte eine Gensoja-Variante, die Glyphosat leicht absorbieren kann.

Nach der Einführung von Gen-Soja nahmen der Anbau in dem südamerikanischen Land und der Einsatz des Herbizids rapide zu. Das unter dem Markennamen 'Roundup' gehandelte Herbizid enthält neben Glyphosat auch Substanzen, die die Aufnahme des Wirkstoffs durch die Pflanzen erleichtern. In den neunziger Jahren wurde in Argentinien jährlich etwa eine Million Liter des Produkts verkauft. Offiziellen Angaben zufolge ist die Menge inzwischen um fast das 300-Fache gestiegen.


Vielzahl von Erkrankungen

Die Biologin Delia Aiassa von der Universität in Rio Cuarto hat eine Studie über die Auswirkungen von Glyphosat auf die Gesundheit geleitet. Wie die Expertin berichtete, kann die Substanz Asthma, chronische Bronchitis, Reizungen von Haut und Augen, Schäden an Nieren, Leber und Nervensystem, Krebs sowie Entwicklungsstörungen bei Kinder und Missbildungen bei Föten hervorrufen. Zudem steigen außerdem die Risiken für Fehlgeburten. Männer, die mit der Chemikalie in Berührung kämen, können unfruchtbar werden, so Aiassa.

Auf Anfrage mehrerer kleiner Gemeinden in Córdoba, in deren Nähe sich Soja-Plantagen befinden, beobachtete das Forscherteam die Auswirkungen von Pestiziden und Herbiziden auf Menschen. In der Stadt Rincón de los Sauces leben 34 Familien in unmittelbarer Nähe zu Sojafeldern. 34 Prozent der Befragten gaben an, dass die Plantagen häufig mit Chemikalien besprüht werden.

Mehr als die Hälfte der Interviewten kritisierten, niemals über die Risiken durch den unsachgemäßen Gebrauch von Herbiziden informiert worden zu sein. 35 Prozent der Anwohner wiesen bereits Vergiftungssymptome auf. Die meisten von ihnen hatten die Chemikalien selbst auf ihren eigenen Feldern ausgebracht.

Auch in anderen Städten kamen die Wissenschaftler zu ähnlichen Erkenntnissen. Sie stellten außerdem fest, dass Ärzte am Ort die durch Agrochemikalien verursachten Beschwerden nicht genau dokumentieren. Dies sei allerdings notwendig, um die längerfristigen Folgen zu analysieren.

Aiassa und ihr Kollege Verzeñassi hatten über ihre Studien im Dezember 2011 in einem Krankenhaus in Buenos Aires gesprochen, in dem schwerkranke Kinder aus allen Landesteilen behandelt werden. Die menschliche Gesundheit müsse im Zusammenhang mit dem Zustand der Ökosysteme betrachtet werden. (Ende/IPS/kb/ck/2012)


Links:

http://www.ipsnews.de/news/news.php?key1=2011-12-1311:54:02&key2=1
http://www.tierramerica.info/nota.php?lang=esp&idnews=4339&olt=590

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 16. August 2012
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. August 2012