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INTERNATIONAL/057: Argentinien - Folter durch Vorgesetzte, Falkland-Kriegsveteranen ziehen vor Gericht (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 5. April 2012

Argentinien: Falkland-Kriegsveteranen ziehen ins letzte Gefecht - Folter durch Vorgesetzte vor Oberstem Gerichtshof

von Marcela Valente



Buenos Aires, 5. April (IPS) - Ehemalige argentinische Soldaten, die im Falklandkrieg gegen Großbritannien kämpften, sind vor den Obersten Gerichtshof des südamerikanischen Landes gezogen. Sie fordern die Bestrafung ehemaliger Vorgesetzter, die sie während des Krieges 1982 misshandelt und gefoltert hatten.

"Wir sind die letzten kollektiven Opfer der Militärdiktatur", sagte der Kriegsveteran Ernesto Alonso vom 'Zentrum ehemaliger Kämpfer auf den Malwinen' in La Plata, der Hauptstadt der östlichen Provinz Buenos Aires. Die Täter entstammten den Reihen derjenigen, die während der Gewaltherrschaft von 1976 bis 1983 30.000 Menschen entführt, gefoltert und ermordet hätten.

Der Krieg um die Malwinen, wie Argentinien die Inselgruppe im Südatlantik vor der Küste seiner südlichen Provinz Santa Cruz nennt, begann am 2. April 1982 und endete am 14. Juni des gleichen Jahres mit dem Sieg der militärisch überlegenen Briten, die das Archipel bereits seit 1833 besetzen. Die Bilanz dieses unsinnigen Abenteuers der argentinischen Diktatur waren 900 Tote, unter ihnen rund 650 argentinische Soldaten.

Augenzeugen zufolge starben viele argentinische Militärs an den Folgen von Hunger und Kälte sowie den brutalen Misshandlungen und Menschenrechtsverletzungen, die ihnen von ihren Vorgesetzen zugefügt wurden. Zu den Foltermethoden gehörten erzwungene Eisbäder, simulierte Hinrichtungen und sexuelle Übergriffe.

"Viele Jahre lang war es unmöglich, über das Thema zu sprechen. Doch heute eröffnen sich endlich Möglichkeiten", meinte Alonso. Die Chancen, dass der Oberste Gerichtshof die jahrelange Straffreiheit beendet, stehen seiner Meinung gut, zumal das Tribunal angekündigt hat, dem Vorstoß der Kriegsveteranen eine Sonderbehandlung zukommen zu lassen.


Langer Weg durch die Instanzen

Etwa zwei Dutzend Ex-Soldaten hatten 2007 erstmals Klage erhoben. Das zuständige Gericht urteilte damals, dass es sich bei den Verbrechen um Menschenrechtsverletzungen handelt, die nie verjähren. Das Urteil wurde zwar angefochten aber auch in zweiter Instanz bestätigt. Daraufhin wandten sich die Angeklagten an das Nationale Kassationsgericht, das 2009 erklärte, dass für die Verbrechen, wären sie nicht verjährt, die Militärgerichtsbarkeit zuständig gewesen wäre.

Kurz vor dem 30. Jahrestag der argentinischen Militärinvasion am 2. April gingen rund 120 Kriegsveteranen in die nächste Instanz. Sie haben das Urteil des Kassationsgerichts vor dem Obersten Gerichtshof Argentiniens angefochten. Unterstützt werden sie vom Menschenrechtsaktivisten und Friedensnobelpreisträger von 1980, Adolfo Pérez Esquivel, in seiner Funktion als Vorsitzender der Provinzkommission für die Erinnerung (Comisión Provincial por la Memoria). Das Gremium war 1999 auf Beschluss des Parlaments der Provinz Buenos Aires eingerichtet worden, arbeitet aber autonom und autark.

Etwa 80 Militärs sehen sich mit Folter- und anderen Vorwürfen konfrontiert. Ihre Opfer waren meist junge Rekruten, die ihren Militärdienst ableisten mussten. Einige der mutmaßlichen Täter sitzen bereits wegen Menschenrechtsverletzungen während der Diktatur im Gefängnis. Doch bei der Mehrheit handelt es sich um weiterhin aktive oder pensionierte Militärs.

Die Diktatur habe auch auf den Malwinen Opfer gefordert, sagte der Ex-Soldat Pablo de Benedetti, einer der Kläger. Er war als 19-Jähriger nach nur zweimonatiger Grundausbildung als Minenleger an die Falklandfront geschickt worden. Trotz der in diesen Breitengraden vorherrschenden extremen Kälte, einem gravierenden Mangel an Nahrungsmitteln und Menschenrechtsverletzungen hat er überlebt.

Sein Vorgesetzter, ein Feldwebel mit Nachnamen Romero, zwang ihn dazu, angezogen in eiskaltes Wasser zu steigen und seine durchnässte Uniform bei Temperaturen von bis zu minus zehn Grad Celsius am Körper zu tragen. Bei einer anderen Gelegenheit hielt ihm Romero ein Gewehr an den Kopf und drückte ab. Die Waffe war nicht geladen. Ferner wurde der Wehrdienstleistende zu Sprüngen auf vermintem Areal gezwungen.

"Mit der Zeit wurden meine Beine dick und ich konnte nicht mehr laufen. Man brachte mich zum Arzt, der in Anwesenheit Romeros erklärte, dass ich bestimmte Medikamente einnehmen müsse, mich nicht mehr in kaltem Wasser aufhalten und auch keine nasse Kleidung tragen dürfe", berichtete das Opfer. Doch gleich nach der Rückkehr ging das Martyrium weiter. Im Juni 1982 wurde de Benedetti schließlich aufs Festland gebracht. Seine Beine waren so sehr geschwollen, dass sich die Ärzte gezwungen sahen, seine Stiefel aufzuschneiden. Zum Glück mussten seine Beine nicht, wie zunächst befürchtet, amputiert werden.

Während seines Krankenhausaufenthaltes wurde dem schwer traumatisierten Soldaten jeder Kontakt zu seiner Familie untersagt, "weil wir uns noch im Krieg befinden", wie es hieß. Dennoch gelang es dem jungen Mann, heimlich die Eltern zu benachrichtigen, die sich am darauf folgenden Tag in der Klinik einfanden.


Eltern zahlten die Zeche

20‍ ‍Tage lang war de Benedetti interniert. Für die Behandlung der erlittenen körperlichen und seelischen Gesundheitsschäden musste die Familie aufkommen. Bis heute nimmt er aufgrund der erlittenen Schäden an Füßen und Beinen Medikamente ein. Jetzt hofft er, dass der Oberste Gerichtshof die Schuldigen bestraft. "Ich will, dass diese Militärs degradiert werden, dass sie alle ihre Vergünstigungen, Ehren und Pensionen verlieren und vor allem, dass sie hinter Gittern landen", sagte er.

Auch für andere Kameraden war der Aufenthalt auf den Falklandinseln die Hölle. Silvio Katz hatte vor einigen Jahren gegenüber den Medien beschrieben, wie er von Vorgesetzten gequält worden war. Als Jude musste länger als andere im Eiswasser ausharren, wurde mit dem Kopf unter Wasser gedrückt, in Unterhosen und T-Shirt an Pfählen aufgehängt und angepinkelt. Man zwang ihn sogar, Exkremente essen. Sein damals schlimmster Feind war der Unteroffizier Eduardo Flores Ardoino. Auch diesem Sadisten droht nun ein Ende der Straffreiheit. (Ende/IPS/kb/2012)

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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. April 2012