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FRAGEN/011: Der Fall Oury Jalloh - Entscheidende Fragen immer noch nicht geklärt (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. Nr. 37 vom 12. September 2014
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

"Entscheidende Fragen sind immer noch nicht geklärt"

Gespräch mit Kristina Tieck über den Fall Oury Jalloh von Markus Bernhardt



UZ: Der Bundesgerichtshof (BGH) hat Anfang dieses Monats entschieden, die verschiedenen Revisionsanträge gegen das Urteil des Landgerichts Magdeburg zum Feuertod von Oury Jalloh vom Dezember 2012 zu verwerfen. Jalloh war im Januar 2005 im Polizeirevier Dessau (Sachsen-Anhalt) verbrannt. Was genau war damals überhaupt passiert?

Kristina Tieck: Oury Jalloh ist als Asylsuchender nach Deutschland gekommen. Am Morgen des 7. Januar 2005 wurde er in Dessau von der Polizei aufgegriffen und zur Personalienfeststellung in Gewahrsam genommen. Zwar konnte sich Jalloh ausweisen, aber auf seinen Papieren waren einzelne Buchstaben nicht oder schlecht zu erkennen, was den Polizisten ausreichte, Jalloh mitzunehmen. Im Polizeirevier angekommen, wurde Oury Jalloh in Zelle Nr. 5 an Händen und Füßen auf einer Matratze fixiert. Als Gründe für die Ingewahrsamnahme und Fixierung wurden später die scheinbar unklaren Personalien und die hohe Alkoholisierung genannt. Oury Jalloh selbst wurde zu keiner Zeit ein Grund für die Maßnahmen genannt. In diesem Zustand musste er über mehre Stunden verharren. Zirka gegen 12 Uhr sind dann die Signale der Feuer- und Rauchmelder im Zimmer des Dienstgruppenleiters angegangen. Nach mehrmaligen Wegdrücken der Alarmsignale, entschloss sich der Dienstgruppenleiter dann doch mal, einen Blick in den Zellentrakt zu werfen, doch zu diesem Zeitpunkt war der immer noch gefesselte Oury Jalloh auf der feuerfesten Matratze bereits durch das Feuer zu Tode gekommen. Laut Zeugenaussagen vor Gericht, hatten zwei Polizeibeamte kurz vor Ausbruch des Feuers Zugang zur Zelle Nr. 5. Dabei handelt es sich um die Polizisten, welche Jalloh zum Revier brachten und in der Zelle fesselten. Und eben diese beiden Beamten wurden bereits im ersten Prozess durch das Landgericht Dessau freigesprochen. Im zweiten Prozess vor dem LG Magdeburg sollte nur noch der Dienstgruppenleiter auf der Anklagebank sitzen.

UZ: Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund die nun ergangene Entscheidung der Richter am BGH?

Kristina Tieck: Die BGH-Entscheidung kommt aus rein juristischer Sicht nicht völlig überraschend. Zu fragen hatte der Strafsenat nur nach Rechtsfehlern, die das LG Magdeburg bei der Würdigung der Beweise gemacht haben könnte. Einen Fehler hat der BGH zwar darin gesehen, dass das LG dem Angeklagten einen unvermeidbaren Verbotsirrtum zugute hielt, indem der Dienstgruppenleiter nichts davon wissen könne, nach einer Ingewahrsamnahme einen Haftrichter über die weitere Haftdauer entscheiden zu lassen. Doch diesen Fehler sollte der BGH als unbeachtlich ansehen, da es davon ausgeht, dass ein Haftrichter die weitere Haftdauer angeordnet hätte. Damit billigt der BGH, dass hier ein Mensch mit fast 3 Promille und unter Einfluss berauschender Substanzen auf dem Rücken liegend an allen vier Gliedmaßen gefesselt über mehrere Stunden in einer Zelle ohne dauerhafte Beobachtung war. Und das in derselben Zelle, in der bereits zuvor ein Mensch unter der Aufsicht desselben Dienstgruppenleiters gestorben war. Auch hier wurde kein Haftrichter informiert. Durch die Revision sollte jedoch eine neue Beweisaufnahme nicht stattfinden, weshalb auch der von Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichten konstruierte Geschehensablauf keiner weiteren Prüfung unterlag. So wurde auch die Tatsachenfeststellung des LG Magdeburg übernommen, dass sich Oury Jalloh mit einem Feuerzeug angezündet habe, welches ein Polizist nur möglicherweise in der Zelle verloren haben könnte. Hier hätte der BGH sehr wohl auch einen Fehler des Landgerichts feststellen können. Aber dies hätte schließlich neue Fragen aufgeworfen und damit auch die seit dem 7. Januar 2005 von allen Verfahrensbeteiligten außer der Nebenklage vertretene Selbstmordthese in Frage gestellt. Und wie sämtliche Verfahren bisher zeigten, besteht dazu bei den deutschen Behörden kein Interesse.

UZ: Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Nebenkläger wollten ursprünglich Revisionsverfahren gegen den 2012 ergangenen Urteilsspruch der Magdeburger Richter erreichen. Das Magdeburger Landgericht hatte den Polizeibeamten Andreas S. damals der fahrlässigen Tötung für schuldig befunden und zu einer Geldstrafe von 10.800 Euro verurteilt. Was bemängeln Sie an dem damaligen Urteilsspruch?

Kristina Tieck: An dem Urteilsspruch könnte man bemängeln, dass es "nur" zu einer Geldstrafe gereicht hat. Das Gesetz sieht für fahrlässige Tötung bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe vor. Klar wirkt da eine Geldstrafe ungenügend. Vor allem wenn nach dem Urteil eine sogenannte Gewerkschaft für Polizeibeamte einen Soli-Topf aufmacht, womit dem verurteilten Polizisten die Geldstrafe abgenommen wird. Aber das soll nicht Kern der Kritik sein. Denn das Gericht hatte nicht den Willen gezeigt, den Fall umfassend aufzuklären. So fand es keine Beachtung, wenn die Nebenklage ausführte, dass Oury Jalloh rechtswidrig in Gewahrsam genommen wurde, was schließlich u. a. zum Revisionsgrund von Nebenklage und Staatsanwaltschaft gemacht wurde und zu einer Anklage wegen Freiheitsberaubung mit Todesfolge führen sollte, welche ein höheres Strafmaß vorsieht. Auch wurden die Sachverständigen nur dahingehend beauftragt, die These von der Selbstentzündung durch ein Gutachten zu bestätigen. Erst die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh musste durch eigene Mittel ein unabhängiges Brandgutachten in Auftrag geben, welches im November 2013 auch veröffentlicht wurde. Darin zeigte sich, dass ein Brand, wie er am 7. Januar 2005 in Zelle Nr. 5 des Polizeireviers Dessau auftrat, nicht ohne Brandbeschleuniger stattfinden könnte.

UZ: Täuscht der Eindruck, dass die Aufklärung des Falles Jalloh kontinuierlich zu verschleppen versucht wird?

Kristina Tieck: Dieser Eindruck drängt sich natürlich auf. Juristische Verfahren wie dieses, nehmen stets einen großen zeitlichen Rahmen ein. Dass hier das öffentliche Interesse mit der Zeit abnimmt, ist kein neues Phänomen und wird von staatlicher Seite auch genutzt, um etwas aus dem Fokus der Öffentlichkeit zu kommen. Tatsächlich fiel während der Prozessbeobachtung auf, dass sich die Verhandlung immer mehr in die Länge zog, jedoch keine neuen Erkenntnisse lieferte. Auch abseits des Gerichtssaals war der Unterstützerkreis, welcher eine lückenlose Aufklärung forderte, immer wieder den Schikanen der Polizei und Justizangestellten ausgeliefert. Dadurch wurde natürlich versucht zu erschweren, dass auch die Öffentlichkeit vor Ort angemessen über den Prozess informiert wird.

UZ: Welche Rolle spielen der bei der Polizei vorhandene Korpsgeist bzw. rassistische Denkmuster und Vorurteile?

Kristina Tieck: Der Korpsgeist innerhalb der Polizei ist sicherlich der elementare Bestandteil für das Gerüst von Aussagen, Erinnerungslücken etc. der Polizisten, welches einer endgültigen Aufklärung der Todesumstände des Oury Jalloh entgegenstehen. Es wurde schon in anderen Strafprozessen aufgedeckt, wie sich Polizeibeamte gegenseitig decken, um Kolleginnen bzw. Kollegen vor Strafe zu schützen. Auch der Richter des ersten Prozesses vor dem LG Dessau stellte fest, dass die sich zum Teil widersprechenden Aussagen der Polizisten eine juristische Aufklärung unmöglich machen würden. Daneben spielt der Rassismus bei der Polizei eine ebenso tragende Rolle. Dies zeigte sich beim Vorgehen der Beamten in Dessau, sowie den Aussagen vor Gericht. Allerdings berufen sich die Polizisten bei ihren rassistischen Taten auf Gesetze, die von Weißen gemacht wurden, weshalb es zu kurz greifen würde, allein auf den Rassismus der Polizei abzustellen. Eine grundlegende Untersuchung des gesamten Rechtssystems auf rassistische Auswüchse lohnt daher.

UZ: Die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau hat im Frühjahr ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen des Verdachts auf Mord eingeleitet. Setzen Sie Hoffnungen in dieses Verfahren?

Kristina Tieck: Im Grunde sind in die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Dessau keine Hoffnungen mehr zu setzen. Zwei Verfahren haben gezeigt, wie wenig daran gelegen ist, den Fall gründlich aufzuarbeiten. Dass noch ein Verfahren wegen Mordverdacht eröffnet wurde, ist offensichtlich der Veröffentlichung des unabhängigen Brandgutachtens und der damit einhergehenden Berichterstattung geschuldet. Ob dieses Verfahren fortgeführt wird, hängt daher wohl auch davon ab, wieviel öffentliches Interesse auch weiterhin an der staatsanwaltschaftlichen Arbeit bestehen wird.

UZ: Also gehen Sie nicht davon aus, dass der Fall Jalloh noch aufgeklärt werden wird und die Schuldigen bestraft werden?

Kristina Tieck: Dass einer juristischen Aufklärung Grenzen gesetzt sind, haben die vergangen Prozesse gezeigt. Allerdings sind entscheidende Fragen immer noch nicht geklärt und so wurde von Seiten der Nebenklage auch nicht ausgeschlossen, noch den Weg zum Bundesverfassungsgericht oder zum Europäischen Gerichtshof zu suchen. Mit dem letzten BGH-Urteil ist der Fall Oury Jalloh damit noch nicht an sein Ende gelangt.


Kristina Tieck ist Sprecherin der "Kritischen Juristinnen und Juristen" an der Freien Universität (FU) Berlin.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 46. Jahrgang, Nr. 37 vom 12. September 2014, Seite 1 + 8
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. September 2014