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MEINUNG/048: Solikon 2015 - Ökonomie geht auch anders (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 187 - August/September 2015
Die Berliner Umweltzeitung

Solikon 2015
Ökonomie geht auch anders!

von Dana Jestel


Durch menschliche Aktivitäten wurde die Oberfläche der Erde in den letzten 150 Jahren so stark verändert, dass Geologen von einem Anthropozän sprechen, dem Erdzeitalter des Menschen.

In nur zwanzig Jahren wurde in Amazonien 600.000 Quadratkilometer Regenwald abgeholzt. Das ist eine Fläche mehr als eineinhalb Mal so groß wie Deutschland. Die Staudämme für die Abwässer aus dem Ölsandabbau in Kanada sind die größten der Welt. Mit jedem Barrel Öl, das dort gewonnen wird, entstehen vier Barrel giftiges Abwasser. Der Abbau metallischer Erze und seltener Erden ist in den letzten 15 Jahren sprunghaft gestiegen. Für jede Tonne Erz wird ein Vielfaches an Erde und Gestein beräumt und weggesprengt. Ganze Berge verschwinden und Landschaften verändern sich für immer. Viele Strände bestehen zum Teil aus Kunststoff: Eine Studie der UN schätzt, dass auf jedem Quadratkilometer Meeresoberfläche durchschnittlich 13.000 Teile Kunststoff-Müll schwimmen. Laut dem Living Planet Index des WWF ist die Artenvielfalt des Planeten zwischen 1970 und 2010 um die Hälfte gesunken.

Es ist eine gigantische Macht, die sich da entfaltet hat. Aber wem dient diese Macht. In wessen Interesse weitet sie sich aus? Im Interesse der Menschen, deren Zahl sich seit den 50er Jahren nahezu verdreifacht hat?

Wohl eher nicht. Die meisten Menschen haben keinen Vorteil davon, dass Regenwälder verschwinden, Landstriche für immer unfruchtbar und unbewohnbar gemacht werden, die Biodiversität dramatisch abnimmt, es keinen Ort auf diesem Planeten gibt ohne Müll, die Luft verschmutzt ist und die Ozeane (eine so gewaltige Wassermenge, dass sie den Planeten vom All aus gesehen blau leuchten lässt) überfischt.

Gigantische Naturzerstörung und soziales Elend

Die gigantische Naturzerstörung und das überall vorhandene soziale Elend sind auch keine vorübergehenden Begleiterscheinungen auf dem Weg zu einem besseren Leben für alle. Vielmehr ist es die Fortsetzung und gewaltige Steigerung einer Ausbeutungsmaschinerie, die einigen Menschen großen und - außer der damit verbundenen Macht über andere Menschen - völlig sinnlosen Reichtum ermöglicht.

Es gehört nicht zur offiziellen Erfolgsgeschichte des Kapitalismus, dass dieser von Beginn an mit gewaltsamer Aneignung und Zerstörung verbunden ist. Der Mythos von freien Märkten, mutigen Investoren und erfindungsreichen Händlern verdeckt die Geschichten, die von politischer Durchsetzung ungerechter Gesetze, gewaltsamer Eroberung und brutaler Unterdrückung berichten. Die Sicherung von Profiten ist in der Regel kein friedlicher Vorgang. Auch in der Gegenwart nicht.

Damit es wachsende Profite überhaupt immer wieder geben kann, müssen immer wieder bisher besitzlose Räume eingezäunt und mehr oder weniger gewaltsam angeeignet werden. Damit sind Räume im buchstäblichen Sinn gemeint wie Böden, Ressourcen, Wasser und Luft, die keine Dinge sind, sondern Gemeingüter, welche die Erde allen Menschen zur Verfügung stellt. Aber auch Räume im übertragenen Sinn wie das Internet oder demokratische Zusammenschlüsse von Menschen.

Freiheit und Eigentum

Von Rousseau stammt der Satz, dass die Unfreiheit da beginnt, wo jemand einen Zaun zieht, das somit Begrenzte zu seinem Eigentum erklärt und das Recht darauf gegenüber den anderen durchsetzt.

Es ist nicht ohne Ironie, dass ausgerechnet der Begriff Freiheit für die neoliberale Ideologie so zentral ist. Einer Ideologie, die alles einem Zwang unterwirft, nämlich dem des Marktes. Dabei wird die Freiheit, ein Begriff mit einer langen philosophischen Tradition, darauf herabgemindert, eine vorteilhafte Auswahl treffen zu können, eine Fähigkeit, die jedem mitgegeben ist, bei der es aber nicht jedem gelingt, sie zu verwirklichen. Ähnlich wie die marxistische Ideologie unterwirft die neoliberale komplexe Zusammenhänge einem starren Schema.

Die neoliberale Ideologie mag deshalb so erfolgreich sein, weil sie griffig ist und die Komplexität der Wirklichkeit so wunderbar reduziert: Alles ist eine Frage von Kosten und Nutzen, Angebot und Nachfrage. Selbst die schwierige Frage nach der Wahrheit lässt sich damit erledigen: Wahr ist, was am häufigsten nachgefragt wird. In ihrem Kern aber dient die Ideologie der Durchsetzung privater Profitinteressen. Unablässig werden Konkurrenz und die Durchsetzung persönlicher Interessen als positive Handlungsmotivationen dargestellt. In dieser Ideologie gibt es keinen positiven Gesellschaftsbegriff und keine Utopie außer der, mehr zu besitzen. Exemplarisch dazu ist die Äußerung Thatchers, die eine Diskussion um den Sozialstaat mit den Worten abtat, es gäbe keine Gesellschaft, es gäbe nur Individuen und deren Familien.

Begriffe wie Solidarische Ökonomie und Gemeinwohlökonomie müssen mit dieser Brille aussehen wie ein Widerspruch in sich, beziehungsweise wie eine minder effiziente Form der Wirtschaft oder eine Form der Selbstorganisation armer Leute. Die neoliberale Ideologie hat nicht nur keinen positiven Gesellschaftsbegriff. Sie reduziert auch den Menschen auf ein hässliches Subjekt, das angetrieben ist von Vorteilssuche, das seine Positionierung in der Gesellschaft ständig bedroht sieht, das für jedes Nichtgelingen einen Schuldigen sucht und das Angst hat vor allem, was nicht der eigenen Weltwahrnehmung entspricht.

Alternativen

Letztlich wird auch diese Ideologie an den Widersprüchen zur Wirklichkeit scheitern. Vielleicht lässt sich die Macht der großen Konzerne nicht so leicht beenden. Ein Konzern wie Shell hat immerhin zirka eine Million Anleger. Das sind eine Million Menschen mit Gewinnerwartungen.

Aber es gibt überall Widerstand und Beispiele für andere Wirtschaftsformen, die sich am Wohl der Menschen orientieren und nicht an der Akkumulation von Profiten. Je mehr Menschen sich aus der freiwilligen oder unfreiwilligen Komplizenschaft mit den großen Konzernen befreien, desto mehr Vielfalt und desto mehr Investitionen in soziale Gerechtigkeit, Bildung und Umweltschutz wird es geben.

Es gab und es gibt Alternativen:
Vom 10. bis 13. September findet in Berlin eine große Konferenz zum Thema Solidarische Ökonomie statt, die sich diesen Alternativen mit all ihren Aspekten widmet.

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Quelle:
DER RABE RALF
26. Jahrgang, Nr. 187, Seite 16
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
Tel.: 030/44 33 91-47/-0, Fax: 030/44 33 91-33
E-mail: raberalf@grueneliga.de
Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. September 2015

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