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MEINUNG/009: Russische Abrüstung atomarer Altlasten und der deutsche Steuerzahler (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 158 - Oktober/November 2010
Die Berliner Umweltzeitung

Russische Abrüstung atomarer Altlasten
Was hat der deutsche Steuerzahler damit zu tun?

Von Felix Eick


Als am 12. August 2000 das russische Atom-U-Boot "Kursk" aus bis heute ungeklärten Gründen sank, wurde der Welt wieder einmal bewusst, wie gefährlich die einst sowjetischen Atom-U-Boote mit ihren zumeist zwei Reaktoren an Bord immer noch sind. Die russische Nordmeerflotte aus Atom-U-Booten liegt unweit von Murmansk, in Severodvinsk und Bolshoy Kamen. Diese Überbleibsel aus dem Kalten Krieg stellen eine ungeheure Bedrohung für die Biodiversität des russischen Nordmeers dar.

Seit Anfang der neunziger Jahre arbeiten nun auch einige deutsche Unternehmen im Zuge der "Globalen Partnerschaft" (eine G8-Initiative) insbesondere in Russland an der atomaren und chemischen Abrüstung. Die deutsche Beteiligung ist umfangreich. Die Abwrackung von 112 Atom-U-Booten ist weit vorangeschritten und Vorrichtungen für Langzeitlagerungen werden geschaffen. Die Bergung von Schiffswracks wäre ohne deutsche Technologien und Anweisungen nicht möglich und die Bereitstellung von Infrastruktur zur Zerlegung von Booten und Atommeilern wird ebenfalls vielerorts von den deutschen Unternehmen ermöglicht. Für die nahe Zukunft befindet sich eine Atommüllentsorgungsanlage im Bau. Russland wäre selbst überhaupt nicht in der Lage, seine ursprünglich 192 Atom-U-Boote abzurüsten und die Reaktoren zu sichern. Daher ist internationale Hilfe dringend notwendig. Die russische Arbeits-, Lager- und Transportkapazität ist zu gering. Russland schafft es nicht alleine, die Schiffe zu zerlegen und die nuklearen Abfälle langfristig zu lagern. Jahrelang lagerte schwach, aber auch hoch radioaktiver Abfall in Blechtonnen und offenen Behältern. Dem konnte entgegengewirkt werden, sodass sich nach und nach sogar die ersten Ökosysteme an den betroffenen russischen Küsten erholen.

Neue Wirtschaftsbranche für deutsche Unternehmen

Mittlerweile hat sich schon eine eigene Wirtschaftsbranche für deutsche Unternehmen aufgebaut. Sie profitieren von den Aufträgen in der Barentssee: Jedoch dürfen sie nur zuliefern, da die Arbeiten vor Ort nach russischem Gesetz nur von Russen verrichtet werden dürfen, was der Geheimhaltung dienen soll. So gibt es auch heute noch Häfen, wo angeblich Dutzende noch aktiver russischer Atom-U-Boote liegen sollen, die wahrscheinlich sogar nach russischen Sicherheitsstandards nicht mehr fahren dürften.

Konkret erzielen folgende deutsche Unternehmen durch die atomare Abrüstung in Russland Gewinne: Hochtief und MAN bauen für die Schiffe eine moderne Reparaturhalle für 20 Millionen Euro, die Schwerlasttransportsysteme kommen aus Rostock, ein computerbasiertes Reststoffverfolgungssystem - beispielsweise elektronische Kennzeichnungssysteme, die zeigen, wo ein Reststoff geblieben ist - stammt aus München (beides bringt Gewinne in Millionenhöhe). Die Gesellschaft für Nuklear-Service (GNS) aus Essen und viele kleinere Unternehmen stellen für rund 30 Millionen Euro schweres Baugerät wie Hochleistungskräne sowie Elektroanlagen bereit. Durch deutsche Gründlichkeit werden bisher sogar die Zeitpläne eingehalten, sodass man in Russland einen guten Eindruck hinterlässt. Auf diese Weise werden selbstverständlich die Wirtschaftsbeziehungen zu Russland gepfl egt, was sich auch in anderen Bereichen bemerkbar macht. Siemens verkaufte 240 Züge an die Russische Föderation und erhielt den Auftrag, etwa 60 Rangierbahnhöfe zu erneuern. Dabei verdient der deutsche Konzern Milliarden Euro. Im Zusammenhang mit Russland gilt es natürlich auch die Energiepolitik nicht aus den Augen zu verlieren. Gute Handels- und Wirtschaftsbeziehungen können die Sicherung der Energielieferungen vor allem mit Gas bedeuten.

Gerade die USA überlegten auch oft, ob man sich nicht um die Aufbereitung der verbrauchten nuklearen Brennstoffe der U-Boote bemühen solle. Das wurde auch mit 15 Atom-U-Booten im Rahmen des "Expanded Cooperative Threat Program" (ECTR) der US-Regierung durchgeführt. Seit dem Amtsantritt von US-Präsident Obama wird diese Strategie allerdings nicht mehr verfolgt, da sie das Problem auch nicht wirklich bekämpft, sondern die Endlagerung nur hinausschiebt.

Die Abrüstung und die mit ihr verbundenen Maßnahmen und ersten Erfolge klingen soweit alle sehr sinnvoll und ein Handeln ist unabdingbar! Doch muss der deutsche Steuerzahler mit dreistelligen Millionenbeträgen dafür aufkommen, dass eine ehemalige Supermacht mit ihren atomaren Restlasten alleine in keiner Art und Weise fertig wird? Eigentlich nicht, aber es sind hier wohl der globale Gedanke und auch wieder wirtschaftliches Lobbyinteresse und sicherheitspolitische Aspekte, welche die G8, Australien, Norwegen und Schweden zu Investitionen bewegen.

Zudem würde Russland selbst kaum handeln und es auch nicht können. Die Abfälle und Wracks würden weiterhin in der Andreeva Bucht oder anderswo verrotten und Ökosysteme, Artenvielfalt sowie die genetische Vielfalt zerstören. Ein ökologisches Bewusstsein fehlt in Russland fast völlig; sowohl in der Bevölkerung als auch in der Politik. Russische Ziele sind Machterhalt und -ausbau sowie wirtschaftlicher Erfolg. Ersteres scheint auch dem Nachfolger Putins, Medwedew, mit Gesetzen zur Stärkung des russischen Geheimdienstes zu gelingen, doch die Wirtschaft stützt sich zu sehr auf Rohstoffexporte. Die Wirtschaftskrise erschütterte das Land stark und die Inflation des Rubels erscheint bodenlos. Das sind große Probleme für ein Riesenland, das sich da nicht auch noch mit dem Erhalt von Biodiversität und atomarer Abrüstung beschäftigen will.

Hier muss also von wirtschaftlich potenteren Staaten in die Bresche gesprungen werden, denn es geht um das globale Ökosystem Planet Erde und um die Beseitigung des atomaren Erbes für unsere nächsten Generationen. Außerdem profitiert die deutsche Wirtschaft und die Aufträge wirken wie ein riesiges Konjunkturpaket, sodass Deutschland die Finanzkrise besser überstehen kann.

Es handelt sich somit um ein recht gelungenes Zusammenspiel von internationalem Zusammenhalt, wirtschaftlichen Einzelinteressen, Umweltschutz, atomarer Abrüstung und Sicherheits- und Friedenspolitik. Die Frage, ob es nun gerecht ist, dass die Pflege der deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen auch den Handel mit Waffen im Wert von etwa acht Milliarden Euro stark begünstigt, sollte hier Erwähnung finden.

Der deutsche Steuerzahler kann aber davon ausgehen, dass seine Abgaben in Russland im Großen und Ganzen sinnvoll eingesetzt werden.

www.3sat.de/page/?source=/specials/46866/index.html
www.contratom.de/2.0/index.php?mod=standort&id=702


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Quelle:
DER RABE RALF - 21. Jahrgang, Nr. 158, Oktober/November 2010, S. 15
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Dezember 2010