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GEWERKSCHAFT/1025: Wovor hat ver.di Angst? - über Methoden der Bekämpfung der Konkurrenz (Rolf Geffken)


Wovor hat ver.di Angst? -
Über merkwürdige Methoden der Bekämpfung anderer Gewerkschaften

von Dr. Rolf Geffken - Hamburg, 2.8.2014



Die größte Dienstleistungsgewerkschaft der Welt mag keine "Konkurrenten". Das ist bekannt. Doch wie bekämpft ver.di ihre "Konkurrenz"?

Eine interessante Antwort darauf gab eine soeben durchgeführte Verhandlung beim Arbeitsgericht München. Ver.di hatte die Wahlen zum Aufsichtsrat eines in München ansässigen Versicherungskonzerns angefochten. Grund: Der Wahlvorstand hatte die Liste der "Neuen Assekuranz Gewerkschaft" (NAG) zugelassen und eine Vertreterin dieser neuen Arbeitnehmervereinigung in der Versicherungswirtschaft wurde prompt gewählt. Laut ver.di war dies aber unzulässig, denn die NAG sei "gar keine Gewerkschaft".

Nun ist der Weg für die Klärung einer solchen Rechtsfrage in Deutschland klar vorgezeichnet: Eine Gewerkschaft wird nicht von Staats wegen zugelassen. Sie wird auch nicht von Staats wegen wieder aufgelöst. Allerdings: Wenn sie sich gründet, läuft sie Gefahr, in einem nicht vom Staat aber von den DGB-Gewerkschaften eingeleiteten Statusverfahren auf ihre "Tariffähigkeit" überprüft zu werden. Auf diese Weise werden die DGB-Dinosaurier faktisch zu Wächtern über die deutsche Gewerkschaftslandschaft. Denn vor allem  s i e  sind es, die solche Verfahren einleiten. Betroffen sind davon insbesondere junge Organisationen. Und genau bei denen besteht eine gewisse Chance, dass dieses "junge Wild" erledigt wird. Das Bundesarbeitsgericht verlangt von Gewerkschaften nämlich, dass sie eine empirisch nachweisbare "Mächtigkeit" besitzen. Was aber, wenn eine Organisation kurze Zeit nach ihrer Gründung noch nicht jene Stärke besitzt, für die die DGB-Gewerkschaften gut 100 Jahre benötigt haben? Gilt dann das Grundrecht der Koalitionsfreiheit für diese "Anfänger" nicht mehr? Fast hat es den Anschein. Und nicht ohne Grund bezweifeln Experten, dass diese Rechtsprechung noch mit international anerkannten Menschenrechtsstandards vereinbar ist.

Doch die deutsche Rechtsprechung hat eine Grenze gezogen: Es darf jungen Gewerkschaften nicht das Koalitionsgrundrecht entzogen werden, solange für diese wenigstens für die nähere Zukunft eine "Mächtigkeit" attestiert werden kann.

Genau dafür spricht im Falle der NAG sehr viel. Zwar verfügt sie noch nicht über so viele Mitglieder wie ver.di (die aber ihre Mitgliederzahl auch nicht offenlegt), sie hat auch noch keine Tarifverträge abschließen können. Aber ihre betrieblichen Aktivitäten nehmen deutlich zu. Viele Betriebsräte wechselten bereits zu ihr hinüber. Der vormalige Fachgebietsleiter von ver.di wechselte ebenfalls zu NAG und die kleine Gewerkschaft verfügt schon jetzt über mehr hauptamtliche Funktionäre als die Abteilung Versicherungswirtschaft bei ver.di.

Unter diesen Umständen erscheint es für ver.di wenig opportun, ein Statusverfahren gegen die NAG einzuleiten. Dennoch droht man damit. Man behält sich das Recht vor und versucht durch andere Verfahren innerhalb der Justiz, unter den Beschäftigten und bei den Arbeitgebern "Stimmung" gegen die NAG zu machen. Auf diese Weise entsteht in der Branche das Gerücht, die neue Gewerkschaft sei ja vielleicht doch gar keine. Und je länger all diese Verfahren dauern, umso mehr verfestigt sich das Gerücht. So die mutmaßliche Kalkulation von ver.di.

Nun verlangt aber das Gesetz von einem Gericht, dass es ein Verfahren aussetzt, in dem es auf die Tariffähigkeit einer Organisation ankommt und zwar  d a m i t  dieses in dem schon erwähnten Statusverfahren selbständig geklärt werden kann. Der Gesetzgeber wollte nämlich, dass eine so grundsätzliche Frage in einem speziellen Verfahren umfassend geklärt und nicht in anderen Verfahren quasi "nebenbei" abgehandelt wird. Anderenfalls könnte die Existenz einer jungen Gewerkschaft in beliebigen Arbeitsgerichtsverfahren in Frage gestellt werden.

Doch wie kann ein Gericht sein Verfahren zugunsten eines Statusverfahrens bei einem anderen Gericht aussetzen, wenn es ein solches Statusverfahren noch gar nicht gibt?

Mit dieser Frage muss sich nun das Arbeitsgericht München Anfang September 2014 befassen. In der aktuellen Verhandlung fragte der Vorsitzende Richter Waldenfels die Justitiarin von ver.di mehrfach vergeblich, wann denn nun ver.di ein Statusverfahren gegen die NAG einleiten wolle. Der Richter erhielt darauf nur ausweichende Antworten. Im Wesentlichen lautete die Antwort: "Irgendwann" werde man darüber entscheiden. Nun kann es sein, dass das Gericht aussetzt, aber ein Statusverfahren immer noch nicht eingeleitet wurde. Ergebnis: Das Gerücht kann weiter wabern. Rechtsicherheit wird nicht entstehen. Rechtunsicherheit verbleibt.

Unterdessen häufen sich die Fälle, in denen ver.di auf Betriebsversammlungen in der Versicherungswirtschaft gar nicht mehr auftritt, ja sogar Einladungen nicht mehr beantwortet. Es scheint, dass ver.di seine Aktivitäten jetzt auf Gerichtsverfahren verlagert hat.

"Das Ziel scheint zu sein, Beschäftigte und Unternehmer zu verunsichern und eingeleitete Verfahren möglichst hinauszuzögern", erklärt Jürgen Stachan, einer der hauptamtlichen Mitarbeiter der NAG und auch ehemaliger ver.di-Funktionär. Er bezweifelt im Übrigen, dass diese Strategie die Zustimmung der ver.di-Mitglieder habe. Deshalb vermeide ver.di offenbar auch eine öffentliche Rechtfertigung ihres Vorgehens. Tatsächlich wurde in der Angelegenheit selbst sogar parallel ein unternehmenseigenes Schiedsgericht eingeschaltet, ohne die Entscheidung des zuständigen Arbeitsgerichts abzuwarten. Mitglied des Schiedsgerichts: ein ver.di-Funktionär. Vor dem Hintergrund der Ablehnung des TTIP-Abkommens und der dort geplanten Ausdehnung der Zuständigkeit privater Schiedsgerichte ein erstaunlicher Vorgang.

Unterdessen bleibt das Verfahren beim Arbeitsgericht München weiter anhängig. Die nächste Verhandlung wird wieder in München stattfinden und nicht etwa in Gießen, wo der Sitz der NAG ist und wo das Statusverfahren eigentlich anhängig zu machen wäre..

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Quelle:
© 2014 by Dr. Rolf Geffken
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. August 2014