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ENERGIE/1845: Aus Plastik wird Sprit - Einwohner des Gazastreifens suchen Ausweg aus Treibstoffkrise (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 12. Mai 2014

Nahost: Aus Plastik wird Sprit - Einwohner des Gazastreifens suchen Ausweg aus Treibstoffkrise

von Khaled Alashqar


Bild: © Khaled Alashqar/IPS

Ibrahim Sobeh und sein Sohn Mahmud produzieren ihren eigenen Sprit
Bild: © Khaled Alashqar/IPS

Gaza-Stadt, 12. Mai (IPS) - Auf dem Dach eines Hauses im Flüchtlingslager Nusseirat im Gazastreifen produzieren Ibrahim Sobeh und seine Söhne seit mehr als einem halben Jahr mit Hilfe einer einfachen Vorrichtung Treibstoff aus Plastikmüll.

"Die Idee kam mir bei der Beobachtung, dass unsere Feuerstelle sehr viel Rauch produziert", berichtet der Palästinenser. "Da dachte ich mir, dass es doch eine Möglichkeit geben muss, diese Emissionen zu nutzen. Als ich dann im Internet auf Versuche in den USA stieß, durch die Verbrennung von Heu Benzin herzustellen, war der Anfang gemacht."

Der 56-Jährige, der ein Elektrikerdiplom des UN-Hilfswerks für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) vorweisen kann, hatte zunächst Schwierigkeiten, an die Komponenten für sein Konstrukt heranzukommen. Außerdem musste er sich Geld von einem Freund leihen.

Treibstoff ist im Gazastreifen nicht nur extrem teuer, sondern aufgrund der israelischen Blockade auch nicht immer verfügbar. "Das war meine eigentliche Motivation, den Sprit selbst herzustellen. Schließlich ist mir das auch gelungen", sagt Sobeh. Doch um sein Projekt weiterentwickeln zu können, braucht er finanzielle Unterstützung.

Das Verfahren ist schnell erklärt: Der Plastikmüll, der aus Ölmolekülen besteht, wird in einem hermetisch verschlossenen und sauerstofffreien Behälter hohen Temperaturen ausgesetzt. Dadurch entsteht Rauch, der in Metallrohre eingeleitet und gekühlt wird. Heraus kommt ein flüssiger Treibstoff, der eine Art Zwischending aus Benzin, Diesel und Kerosin ist.

"Aus jeweils 1,5 Kilo Plastik produzieren wir einen Liter Sprit", berichtet Sobehs Sohn Mahmud. "Wir haben Proben unseres Treibstoffs an ein Labor der Islamischen Universität in Gaza geschickt, um sie wissenschaftlich untersuchen zu lassen."


Not macht erfinderisch

Die Bevölkerung im Gazastreifen ist in einer solch verzweifelten Lage, dass sie keine Mühen scheut, um an Treibstoff heranzukommen. Seit acht Jahren ist Sprit im Gazastreifen knapp, da Israel die Importmenge kontrolliert, die über den Grenzposten Abu Salim in das Gebiet gelangt. Das einzige Elektrizitätskraftwerk im Gazastreifen wird mit spärlichen Dieselreserven betrieben. Stundenlange Stromausfälle sind an der Tagesordnung.

Ein Liter israelisches Benzin kostet umgerechnet zwei US-Dollar. Der Treibstoff, der früher aus Ägypten eingeschmuggelt wurde, war nur halb so teuer. Die ägyptische Armee hat jedoch nach dem Sturz von Staatspräsident Mohammed Mursi die Tunnel zwischen dem nördlichen Sinai und der Stadt Rafah am Südrand des Gazastreifens zerstört, durch die einst die in dem abgeriegelten Gebiet dringend benötigten Waren gelangten. Die Strom- und Spritknappheit in dem Palästinensergebiet spitzte sich daraufhin zu.

Sameer Afifi, Direktor des Zentrums für Umweltstudien und Wissenschaftslaboratorien an der Islamischen Universität in Gaza-Stadt, geht davon aus, dass die Qualität des von Sobeh produzierten Treibstoffs nicht besonders gut ist. Dennoch hält er das Projekt für vielversprechend.


Umwelt- und Gesundheitsbedenken

Fest steht, dass von solchen Methoden der Treibstoffherstellung Gefahren für Mensch und Umwelt ausgehen. Der ehemalige Umweltminister Yusef Abu Safieh hält es für unbedingt notwendig, dass die Risiken durch gründliche wissenschaftliche Studien überprüft werden. Da die Plastikteile nicht restlos verbrennen, werden bei dem Vorgang gefährliche und zum Teil krebserregende Kohlenwasserstoffe freigesetzt.

Für die Menschen im Gazastreifen sind solche Initiativen zunächst jedoch eine Chance, aus der Versorgungsnotlage zu kommen. "Normaler Treibstoff ist viel zu teuer. Deshalb halten wir Ausschau nach lokal produziertem Treibstoff, der uns hilft, die Energieengpässe zu kompensieren", erklärt der 35-jährige Shadi Abu Samra, der in dem Flüchtlingslager Al-Shati lebt.

Viele Palästinenser im Gazastreifen eifern Sobeh nach und wollen nun ebenfalls ihren eigenen Sprit herstellen. Angesichts der schwierigen Lage tritt die Sorge um die Umwelt und um die eigene Gesundheit in den Hintergrund. (Ende/IPS/ck/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/05/desperate-gazans-turn-plastic-fuel/

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IPS-Tagesdienst vom 12. Mai 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Mai 2014