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ARBEIT/2356: Coworking Spaces - Gärtner der urbanen Arbeitswelt (WZB)


WZB Mitteilungen - Nr. 145, September 2014
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Gärtner der urbanen Arbeitswelt
Wie Coworking Spaces kuratiert werden

von Janet Merkel



Kurz gefasst: Für Freelancer weltweit ist Coworking zu einer populären sozialen Praxis geworden. Mit ihrer Offenheit, Flexibilität und der kollaborativen Arbeitsatmosphäre können Coworking Spaces und insbesondere die kuratorischen Praktiken ihrer Betreiber interessante Einblicke in die Entstehung neuer Ideen und die Soziologie der Innovation bieten.


Seit der Finanz- und Wirtschaftskrise etablieren sich weltweit Coworking Spaces - flexibel mietbare Gemeinschaftsbüros, die bevorzugt von Freiberuflern, Kreativen, jungen Start-up-Unternehmern oder digitalen Nomaden genutzt werden. Über 2.500 Coworking Spaces gibt es weltweit, allein in Berlin knapp 80. Dass Coworking Spaces die Produktivität von Coworkern fördern, ist inzwischen vielfach empirisch belegt. Weniger Beachtung findet ihre Rolle als Lern- und Innovationsorte. Doch bereits mit ihren Namen - Agora, Citizen Space, CoLab, WeWork Labs - signalisieren viele Coworking Spaces, dass sie eine kollaborative Arbeitsweise mit dem Raum und der Entstehung neuer Ideen und neuen Wissens verknüpfen und darüber versuchen, neue Praktiken, Orientierungen und Prozesse in der Wissensgenerierung und der Entstehung von Innovation zu schaffen. Durch das Zusammentreffen verschiedener Arbeits-, Praxis- und Wissenskulturen könnten Coworking Spaces als ein neues Modell für inter- und transdisziplinäre Praktiken stehen. Sie könnten Orte sein, an denen radikale Innovationen dadurch entstehen, dass bislang nicht miteinander verknüpfte Wissensbereiche kombiniert werden.

Doch von Coworking Hosts wird immer wieder bestätigt, dass das nebeneinander Arbeiten im Gemeinschaftsbüro nicht automatisch einen Austausch nach sich zieht. Es braucht soziale Animationsformate und materielle Aufforderungen, also Situationen, um die Coworker miteinander ins Gespräch zu bringen. Erst darüber können Coworking Spaces zu einem shared context werden, der Distanzen zwischen den unterschiedlichen Arbeits-, Praxis- und Wissenskulturen der Coworker überbrückt und dadurch den Austausch von Erfahrungen, Fertigkeiten und Wissen wahrscheinlicher macht. So können letztlich Innovationen entstehen.

Eine zentrale Rolle spielen dabei die Betreiber, Gastgeber oder Hosts dieser kollaborativen Bürostrukturen: Durch die räumliche Gestaltung schaffen sie eine angenehme Arbeitsatmosphäre und fördern Bewegung und Begegnung im Gemeinschaftsbüro - ob durch ein gemeinsames Frühstück, die Organisation von Workshops, Themenabenden oder Gemeinschaftsprojekten. Kurz, sie kuratieren den Coworking Space.

In der Kunstwelt hat ein Kurator zwei Funktionen: die Pflege und die Vermittlung von Kunstwerken. Es ist diese Doppelfunktion, die die Hosts oder Manager von Coworking Spaces für die Innovationssoziologie so interessant erscheinen lassen. Denn sie schaffen einen sozialen und kulturellen Raum, in dem Begegnung und Austausch sowie "the altering of perception" möglich wird, wie der Kunsthistoriker Terry Smith eine der wichtigsten Eigenschaften des Kuratierens bezeichnet.

Die kuratorische Praxis erlebt gegenwärtig eine Bedeutungsverschiebung in der Kunstwelt: Es ist nicht mehr nur die Aufgabe eines Kurators, den Bestand eines Museums zu pflegen, sondern die Kunstwerke für eine Ausstellung in einen neuen Zusammenhang zu stellen und den Besuchern darüber neue Interpretationsangebote anzubieten, die über das einzelne Kunstwerk hinaus gehen. Die schwedische Kuratorin Maria Lind beschreibt die kuratorische Praxis als das Herstellen von Querverbindungen: "Today I imagine curating as a way of thinking in terms of interconnections: linking objects, images, processes, people, locations, histories, and discourses in physical space like an active catalyst, generating twists, turns, and tensions.". Damit produzieren Kuratoren neue Bedeutungen, sie fügen dem einzelnen Kunstwerk etwas hinzu. Obwohl umstritten ist, inwiefern Kuratoren darüber auch als Autoren zu bezeichnen sind und eine eigene schöpferische Leistung erbringen, haben sie in den letzten Jahren eine Art Celebrity-Status in der Kunstwelt erlangt, mit dem sich Biennalen und Museen gern schmücken.

Als eine kulturelle Quelle von Neuheit steht Kuration für eine Praxis, mit der sozial-räumliche Situationen und Umgebungen geschaffen werden, die kollaboratives Handeln wahrscheinlicher machen. Kuration als ein Mechanismus beschreibt in Coworking Spaces verschiedene Strategien des sozialen und materiellen In-Beziehung-Setzen-und-Verbindungen-Schaffens, um Menschen, Dinge und Ideen an einem konkreten Ort zusammenzubringen, um zufällige Begegnungen zu ermöglichen, Austausch anzuregen und Gelegenheit zu Engagement und Partizipation zu geben. So bezeichnen sich die Betreiber des Berliner Betahauses als Community-Gärtner und nennen als ihre zentrale Aufgabe die Betreuung und Inspiration der Community. Im CUBE in London hingegen wird über ein Bewerbungsverfahren versucht, die professionellen Hintergründe der Coworker zu matchen. Andere Spaces geben einen thematischen Zusammenhang vor, um ihre Coworker mit Gleichgesinnten zusammenzubringen und mit Weiterbildungsprogrammen und Events zu unterstützen. Das weltweit aufgespannte Netzwerk der Impact Hubs akzeptiert nur soziale Unternehmer, co.up in Berlin favorisiert Softwareprogrammierer und die WeWork Labs in New York junge Start-up-Unternehmer, die noch keine Finanzierungsrunde mit Risikokapital hinter sich haben.

Die meisten Coworking Spaces setzen jedoch auf die bunte Mischung, sind offen für alle Freiberufler und konzentrieren sich darauf, eine Atmosphäre zu kreieren, in der das Teilen und gegenseitige Helfen im Vordergrund stehen und sich ein gemeinschaftlich orientierter Arbeitsstil entwickeln kann. Die Hosts von Coworking Spaces sind damit mehr als nur Gastgeber einer flexibel nutzbaren Büroinfrastruktur. Durch ihre kuratorische Praxis vermitteln sie tagtäglich die Werte der weltweiten Coworking-Bewegung: Kollaboration, Offenheit, Gemeinschaft, Zugänglichkeit und Nachhaltigkeit.

Kuration in der Auseinandersetzung mit der kulturellen Entstehung von Neuem signalisiert, dass räumliche Nähe oder das einfache being there nicht ausreicht, um Austausch, wechselseitiges Lernen und Kollaboration herzustellen, sondern Anregung sowie eine förderliche soziale und kulturelle Umwelt benötigt. Die physische Infrastruktur eines Coworking Space allein schafft noch keinen sozialen Lernraum. Sozialwissenschaftliche Untersuchungen zeigen immer wieder, dass soziale Ähnlichkeit, Nähe und Praxis für die Entstehung von neuem Wissen oder von praxisbasierten Wissensgemeinschaften wichtiger sind als die bloße räumliche Nähe. Man denke nur an ein Mietshaus - nur weil man nebeneinander wohnt, bedeutet es noch lange nicht, dass man auch Kontakt miteinander hat.

Eine Auseinandersetzung mit Coworking Spaces lenkt deshalb den Blick auf soziale Mikrostrukturen in Innovationsprozessen, die Herausbildung sozialer und kultureller Praktiken und nicht zuletzt auf die Rolle der materiell-räumlichen Dimension für die Entstehung von Neuem. Coworking Spaces sind sozial und räumlich immer in Bewegung - sozial, weil sich die Zusammensetzung der Coworker durch die flexible Anmietung jeden Tag verändern kann, und räumlich, weil sie von den Betreibern häufig verändert werden, um darüber zufällige Begegnungen und produktive Störungen im Coworking Space zu erzeugen. Dank der kuratorischen Arbeit ihrer Betreiber können Coworking Spaces zu einem soziomateriellen "open-source-framework" werden, in dem neue Ideen entstehen.


Janet Merkel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung Kulturelle Quellen von Neuheit und Research Fellow am Center for Cultural Policy der Hertie School of Governance Berlin. Sie promovierte 2012 mit einer Arbeit über neue Governanceformen in der "kreativen Stadt".
janet.merkel@wzb.eu


Literatur

Amin, Ash/Roberts, Joanne: "Knowing in Action: Beyond Communities of Practice". In: Research Policy, 2008, Vol. 37, No. 2, pp. 353-369.

Lind, Maria: Active Cultures: Maria Lind on the Curatorial. Artforum International 2009.

Nooteboom, Bart: "Learning by Interaction: Absorptive Capacity, Cognitive Distance and Governance". In: Journal of Management and Governance, 2000, Vol. 4, No., pp. 69-92.

Smith, Terry: Thinking Contemporary Curating. New York: Independent Curators International 2012.

Welter, Tonia/Olma, Sebastian: Das Beta-Prinzip. Coworking und die Zukunft der Arbeit. Berlin: Blumenbar Verlag und betahaus 2011.

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Quelle:
WZB Mitteilungen Nr. 145, September 2014, Seite 21-22
Herausgeberin:
Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung
Professorin Jutta Allmendinger Ph. D.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Oktober 2014