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ARBEIT/2164: Indien - Müllsammler ohne Job, Neu-Delhi lässt Abfälle durch Firmen entsorgen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 6. Mai 2013

Indien: Müllsammler ohne Job - Neu-Delhi lässt Abfälle durch Firmen entsorgen

von Ranjit Devraj


Bild: © Dharmendra Yadav/IPS

Lumpensammlerinnen in Neu-Delhi
Bild: © Dharmendra Yadav/IPS

Neu-Delhi, 6. Mai (IPS) - Die Zukunft der Müllsammler in Neu-Delhi gilt vielen als gutes Beispiel dafür, wie in Indien Wachstum ohne Beschäftigung entsteht. Denn die Hauptstadt überlässt seit vergangenem Jahr großen Privatunternehmen die Abfallentsorgung. Dadurch haben etwa 50.000 Menschen ihr Auskommen verloren.

Jahrzehntelang durchsuchten die kleinen Müllsammler die Abfälle der Stadt nach wiederverwertbarem Plastik, Aluminium und anderen Materialien. Sie verdienten sich ihren Lebensunterhalt damit, ihre Fundstücke an Geschäftsleute zu verkaufen, die daraus beispielsweise Baumaterialien herstellten.

"An einem guten Tag verdienten wir auf diese Weise leicht 300 Rupien (5,5 US-Dollar)", sagt Nafeesa, die mit ihren drei Kindern in einem Slum am Rande der Mülldeponie Tughlaqabad lebt. Nach Einführung der neuen Regelungen hat Nafeesa keine andere Wahl, als in ihr armes Heimatdorf in Uttar Pradesh zurückzukehren.

Im vergangenen Jahr hatte die Stadtverwaltung von Neu-Delhi ein Urteil des Obersten Gerichtshofs gegen Müllverbrennungstechnologien missachtet und eine erste 'Waste to Energy'-Anlage in Okhla eröffnet. Die Fabrik wird im Rahmen einer öffentlich-privaten Partnerschaft betrieben, zwei weitere Werke sollen in Kürze in Betrieb genommen werden.

"In Okhla ist eine WTE-Anlage mit einer Leistung von 16 MW in Auftrag gegeben worden, die täglich etwa 1.950 Tonnen fester Abfälle verfeuert. In Ghazipur wird an einer anderen Zehn-MW-Anlage gearbeitet, die 1.300 Tonnen Müll verwertet. Ein drittes Werk mit einer Kapazität von 24 MW, das 3.000 Tonnen Abfall pro Tag verwertet, wurde in Narela gebilligt", erklärte im März Sheila Dikshit, die 'Chief Minister' in Delhi ist.

Die Okhla-Anlage wurde als ein im Kyoto-Protokoll festgelegter Mechanismus für saubere Entwicklung (CDM) registriert, denn bei der Energieerzeugung fällt weniger CO2 an als in Anlagen, die mit fossilen Brennstoffen betrieben werden.


Umweltbelastungen befürchtet

Umweltaktivisten werfen der Stadt jedoch vor, nicht mit offenen Karten zu spielen. Die Anlage sei nämlich nicht nach dem ursprünglichen Plan gebaut worden und nutze eine Technologie, die in Wohnvierteln und ökologisch sensiblen Gebieten bisher noch nicht genehmigt worden sei.

Nach Angaben von Gopal Krishna von der Organisation 'Toxics Watch' verstößt die Anlage gegen das Urteil des Obersten Gerichts, das Müllverbrennungsanlagen verbietet. "Die Fabrik befindet sich außerdem mitten im sensiblen Vogelschutzgebiet von Okhla und dem Wildpark von Asola, die durch Gerichtsbeschlüsse geschützt sind", erklärt er.

Die Bewohner von Okhla machen sich Sorgen darüber, ob die Anlage Substanzen wie krebserregendes Dioxin, Furane oder Schwermetalle freisetzt, die nicht in CDM berücksichtigt werden. Durch eine Petition, über die zurzeit das Nationale Grüne Tribunal (NGT) berät, wollen sie die Schließung der Anlage erreichen.

Nafeesa hofft dann wieder als Müllsammlerin arbeiten zu können. "Müllsammeln ist Knochenarbeit, erfordert aber keine Spezialkenntnisse", erklärt sie. Durch die Müllverbrennungsanlage in Okhla sind bereits Hunderte Menschen arbeitslos geworden, wie die Chintan-Umweltforschungs- und Aktionsgruppe (CERAG) berichtet. Die Organisation setzt sich für eine Verbesserung der Lebensbedingungen von Abfallsammlern ein, die bisher effizient den größten Teil des Mülls in der 17-Millionen-Einwohner-Metropole beseitigt haben.

"Während die Sammler bis zu 60 Prozent des Mülls für die Wiederverwertung aussortiert haben, sind die großen Unternehmen, die die Konzession für die Müllverwertung erhalten haben, nur zum Recycling von 20 Prozent der gesammelten Abfälle verpflichtet", sagt Bharati Chaturvedi von CERAG.


Kaum Job-Alternativen

Untersuchungen der Organisation in Ghazipur und Tughlaqabad haben ergeben, dass die meisten der dort lebenden Menschen mit dem Müll Geld verdienen können. "In der Mehrheit der Familien arbeitet zumindest ein Mitglied als Abfallsammler oder -sortierer", heißt es in einer 2011 veröffentlichten Studie. "Für gewöhnlich verbringen bereits Schulkinder abends ein oder zwei Stunden mit dem Sortieren von Metallabfällen. Dies verschafft den Familien ein wichtiges Zusatzeinkommen."

Da die Anlage in Ghazipur beinahe fertiggestellt ist, ziehen viele Müllsammler aus den nahegelegenen Slums in Teile von Neu-Delhi, in denen die privaten Unternehmen noch nicht Fuß gefasst haben. "Die Tatsache, dass sich Firmen um die Müllentsorgung kümmern, hat nicht nur einen hohen ökologischen, sondern auch einen hohen sozialen Preis", sagt Dharmendra Yadav, Generalsekretär der Organisation 'Lok Adhikar' (Menschenrechte). (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://www.greentribunal.in/
http://www.ipsnews.net/2013/05/from-rags-to-penury/

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IPS-Tagesdienst vom 6. Mai 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Mai 2013