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ARBEIT/1993: Wachstum muss auch Jobs schaffen - Finanzinstitute sorgen sich um Jugendliche (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 4. Oktober 2011

Arbeit: Wachstum muss auch Jobs schaffen - Finanzinstitute sorgen sich um Jugendliche

Von Kanya D'Almeida


Washington, 4. Oktober (IPS) - Auf einem Treffen in Karthago nahe der tunesischen Hauptstadt Tunis im November 2008 lobte Dominique Strauss-Kahn, damals Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF), die Wirtschaftspolitik des inzwischen gestürzten Diktators Abidine Ben Ali. Seine Strategie sei "vernünftig und das beste Modell für Schwellenländer".

Zwei Jahre später verbrannte sich der in Armut geratene Obsthändler Mohammed Bouazizi bei lebendigem Leib in der wirtschaftlich daniederliegenden Stadt Sidi Bouzid. Dieser Opferungsakt löste die tunesische Revolution aus, die als 'Arabischer Frühling' die gesamte Region erfasste.

Experten zufolge wird die Kluft zwischen einer "erfolgreichen" Wirtschaftspolitik nach Maßgabe der Bretton-Woods-Institutionen und ihren Auswirkungen auf die Bevölkerung nach wie vor von den Politikern übersehen, die die wirtschaftliche Zukunft planen.

Mit Blick auf den anstehenden Weltentwicklungsbericht 2013 der Weltbank, der sich auf die Schaffung von Arbeitsplätzen konzentrieren soll, sagte Bankpräsident Robert Zoellick kürzlich in Washington: "Da die Erwerbslosigkeit in Industrieländern steigt, ein Jugendüberschuss besteht, Jobs fehlen und Arbeit nichts mit mehr mit Würde zu tun hat, könnte dieses Projekt nicht zu einer besseren Zeit kommen."


Mehr als 200 Millionen Menschen weltweit arbeitslos gemeldet

Ähnliche Töne wurden bei dem jährlichen Treffen von Weltbank und Internationalem Währungsfonds angeschlagen. Die Finanzminister einigten sich rasch auf Maßnahmen gegen die vielfältigen Krisen in der Welt, die von anhaltenden Demonstrationen und verfallenden Währungen in Westeuropa bis zu der todbringenden Hungersnot am Horn von Afrika reichen.

Nach einer konservativen Schätzung des Weltbank-Ökonomen Derek Chen sind etwa 205 Millionen Menschen weltweit offiziell als arbeitslos registriert. Andere Experten gehen allerdings davon aus, dass die Dunkelziffer vor allem in den Entwicklungsländern weit höher ist.

Der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zufolge erhöhte sich die globale Arbeitslosenrate von 5,6 Prozent 2007 auf 6,3 Prozent 2010. Selbst die wirtschaftlich am weitesten entwickelten Staaten wurden von diesem Trend nicht verschont. In den USA liegt die Erwerbslosenrate bei neun Prozent, während 40 Prozent der Jugendlichen in Spanien vergeblich Stellen suchen.

Laut dem in diesem Jahr verbreiteten Weltbankbericht "More and Better Jobs in South Asia" müssen in Indien, Pakistan, Afghanistan, Sri Lanka, Bangladesch, Nepal, Bhutan und auf den Malediven jeden Monat zwischen einer Million und 1,2 Millionen zusätzlicher Jobs entstehen, damit in den nächsten 20 Jahren Arbeitslosigkeit und extreme Armut verhindert werden können. Diese Zahlen entsprechen einem 40prozentigen Anstieg des weltweiten Beschäftigungsheeres.

Ahmad Mohamed Ali, der Vorsitzende der Islamischen Entwicklungsbank (IDB), der 56 Länder angehören, sagte in Washington, dass die Jugendarbeitslosigkeit in der arabischen Welt erschreckende epidemische Ausmaße angenommen habe. Zwei Drittel der regionalen Bevölkerung sind jünger als 30 Jahre.

Im Verhältnis zu der Entwicklung in anderen Teilen der Welt seien die Jugendlichen in den islamischen Staaten am stärksten von Arbeitslosigkeit betroffen, meinte Ali, der darin auch eine der Ursachen für die jüngsten Revolten im Nahen Osten und Nordafrika sieht. Millionen gebildeter, energiegeladener junger Arbeitsloser seien vor allem deshalb auf die Straße gegangen, weil sie keine einträglichen Jobs hätten.


Islamische Entwicklungsbank will Jobs in arabischer Welt schaffen

Die IDB plant nun eine Initiative gegen Erwerbslosigkeit, die in Zusammenarbeit mit der Internationalen Finanzkorporation (IFC) vorangetrieben werden soll. Ziel ist, mehr Arbeitsstellen für junge Menschen in der arabischen Welt zu schaffen. Laut Ali wird das Projekt in den nächsten zwei Jahren mit fast zwei Milliarden US-Dollar finanziert und richtet sich vor allem an den privaten Sektor.

Ökonomen sind allerdings zunehmend davon überzeugt, dass neoliberales Wachstum allein die tieferen Ursachen des Jobproblems nicht beheben kann. "Wie in Tunesien werden die Leute gegen Ungleichheit rebellieren, wenn ihre Länder offenbar ein ordentliches Wirtschaftswachstum erleben", erklärte Omar Dahi, der Wirtschaftswissenschaften am Hampshire College im US-Bundesstaat Massachusetts lehrt.

"Neoliberale Globalisierung, die sich in Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung äußert, hat den schutzlosesten Teil der Bevölkerung den Unwägbarkeiten der internationalen Märkte und steigenden Rohstoffpreisen ausgesetzt. Die Länder bemühen sich mit wachsender Verzweiflung darum, ausländische Investoren anzuziehen", sagte Dahi. "Selbst wenn Wachstum im privaten Sektor erreicht werden kann, bleibt es ohne soziale Inklusion wirkungslos."


Bildung reicht allein nicht aus

Ähnlich äußerte sich Jeffrey Sachs, der Gründer und Direktor des 'Earth Institute' an der Columbia Universität in New York. "Der technologische Fortschritt lässt die Vorstellung, dass harte Arbeit einen angemessenen Lebensstandard garantiert, obsolet erscheinen", erklärte er. "Bildung allein genügt nicht. In den USA ist ein High-School-Diplom keine Garantie für einen Arbeitsplatz."

Wenn die Mehrheit der Weltbevölkerung aus den Vorteilen des technischen Fortschritts keinen Nutzen ziehen könne, werde es kein nachhaltiges Wachstum geben, betonte der Experte. "Wir können uns nicht länger darauf verlassen, dass der freie Markt die Menschen rettet. Nur staatliche Planung und Mittelvergabe kann das schaffen."

Sachs verwies auf Deutschland und die Türkei, wo die Regierungen eingesehen hätten, dass jungen Leuten außer Bildung auch praktische Kenntnisse vermittelt werden müssten. Nur so könnten sie Teil der sich rasch verändernden globalen Arbeiterschaft werden und die Schaffung von Jobs anstoßen.

"2002 mussten drei Prozent der türkischen Bevölkerung mit höchstens zwei Dollar pro Tag auskommen", sagte der stellvertretende Regierungschef der Türkei, Ali Babacan. In diesem Jahr seien nur noch 0,2 Prozent in dieser bedauerlichen Lage. Der Gini-Koeffizient, der die Kluft zwischen den ärmsten und reichsten Einwohnern eines Landes misst, ist in der Türkei stetig gesunken.

Das türkische System der staatlich finanzierten Ausbildungszeiten nach dem Schul- oder Universitätsabschluss entlaste Arbeitgeber finanziell und bilde ein Sicherheitsnetz für junge Leute, die sich vor der Jobsuche theoretische Kenntnisse und Praxis aneignen wollten. (Ende/IPS/ck/2011)


Links:
http://siteresources.worldbank.org/SOUTHASIAEXT/Resources/223546-1296680097256/7707437-1316565221185/Jobsoverview.pdf
http://www.imf.org/external/index.htm
http://www.isdb.org/irj/portal/anonymous
http://www.earth.columbia.edu/sections/view/9
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=105248

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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Oktober 2011