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ARBEIT/1759: Beschäftigungsaufbau durch soziale Dienstleistungen (spw)


spw - Ausgabe 5/2009 - Heft 173
Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft

Beschäftigungsaufbau durch soziale Dienstleistungen

Von Martin Beckmann


Einleitung

In modernen Volkswirtschaften hat sich in den letzten Jahrzehnten ein wirtschaftlicher Strukturwandel vollzogen. Während noch in den 50er und 60er Jahren in Deutschland eine Mehrheit in der Industrie erwerbstätig war, arbeiten seit Mitte der 1970er Jahre mehr als 50 Prozent der Beschäftigten im Dienstleistungssektor. Mittlerweile liegt der Beschäftigtenanteil in ihm bei über 70 Prozent und auch sein Beitrag zur Wertschöpfung befindet sich auf einem vergleichbaren Niveau. Beim Dienstleistungssektor handelt es sich um einen sehr heterogenen Sektor, der so unterschiedliche Bereiche wie u.a. Finanzdienstleistungen, Gesundheitswesen, Logistik oder Einzelhandel umfasst. Nach ihrer gesellschaftlichen Funktion können distributive (z.B. Handel), konsumorientierte (z.B. Tourismus), soziale (z.B. Gesundheitswesen) und unternehmensnahe Dienstleistungen (z.B. IKT-Dienste) voneinander unterschieden werden (Bosch/Wagner 2002: 54).

So unterschiedlich wie die Bereiche, so unterschiedlich sind auch die Qualifikationsprofile der Beschäftigten sowie ihre Arbeits- und Entlohnungsbedingungen: Viele gut verdienende Angestellte etwa in der Finanzwirtschaft oder bei Beratungsgesellschaften stehen einem ausgedehnten Niedriglohnsektor und atypischen Beschäftigungsverhältnissen etwa in Handel, Call-Centern oder Wachgewerbe gegenüber. In Deutschland wurde in den letzten Jahren häufig der Ausbau von Dienstleistungsbeschäftigung mit der angeblichen Notwendigkeit von Niedriglohnbeschäftigung und flexibilisierten Arbeitsverhältnissen gleichgesetzt. Der Erfolg dieser Politik ist unübersehbar: In Deutschland lag der Anteil der Niedriglohnbeschäftigten 2007 bei 21,5 Prozent aller abhängig Beschäftigten (Kalina/Weinkopf 2009: 1). Damit verfügt Deutschland über einen der größten Niedriglohnsektoren in Europa.

Der Prekarisierung von Dienstleistungsbeschäftigung muss gewerkschaftliche Dienstleistungspolitik entgegentreten und Wege aufzeigen, wie gute Arbeit und gute Leistungsqualität miteinander zu kombinieren sind. Kern gewerkschaftlicher Dienstleistungspolitik ist es, den Dienstleistungssektor qualitativ weiterzuentwickeln, um damit die Grundlage für gute Arbeit zu schaffen. Der Beitrag gibt folglich zunächst einen Überblick über quantitative Entwicklungspotenziale und beschreibt anschließend die qualitativen Aspekte der Beschäftigung im Dienstleistungssektor. Ausgehend von einer kurzen Analyse der derzeitigen Arbeitsbedingungen im Dienstleistungssektor werden anschließend notwendige staatliche Interventionen beschrieben, um Quantität und Qualität gleichermaßen zu steigern.


Entwicklungspotenziale bei sozialen Dienstleistungen

Besonderes Augenmerk sollte dabei auf den Ausbau sozialer Dienstleistungen in den Bereichen Bildung, Kinderbetreuung, Gesundheit und Pflege gelegt werden. Wenn in Deutschland im europäischen Vergleich von einer Dienstleistungslücke gesprochen werden kann, dann zeigt sie sich insbesondere dort, wie am Dienstleistungsarbeitsvolumen pro Kopf der Erwerbsbevölkerung verdeutlicht werden kann. Vom Gesamtvolumen der geleisteten Dienstleistungsarbeit befindet sich Deutschland im europäischen Mittelfeld, während zu den Spitzenreitern die skandinavischen Länder Dänemark und Schweden sowie Großbritannien zählen. Während bei Großbritannien die große Bedeutung der Finanzdienstleistungen zu dieser Position beiträgt, sind es bei den skandinavischen Ländern die sozialen Dienstleistungen. In Deutschland werden bei sozialen Dienstleistungen pro Kopf der Erwerbsbevölkerung ca. 30 Prozent weniger Arbeitsstunden geleistet als in Dänemark oder Schweden (Lehndorff 2008: 6).

Der Ausbau von Beschäftigung in pädagogischen, Gesundheits- und Pflegeberufen geschieht in den nordischen Ländern vornehmlich über eine Expansion des öffentlichen Dienstes. Pro 1000 Einwohner arbeiten in Skandinavien 23mal so viele Menschen im öffentlichen Sektor wie in der Bundesrepublik (Heintze 2009: 271f).

Innerhalb der Dienstleistungsbranche sind die sozialen Dienstleistungen der Bereich mit dem höchsten Potenzial für Beschäftigungswachstum. Die Entwicklung von Beschäftigung bei sozialen Dienstleistungen unterliegt in Deutschland aber verschiedenen Hemmnissen.

Hier ist erstens die Struktur des deutschen Wohlfahrtsstaats zu nennen, der kaum in soziale Infrastruktur investiert. Stattdessen haben gemeinhin an Erwerbstätigkeit geknüpfte Transferzahlungen Vorrang oder es werden gar gemäß dem Subsidiaritätsprinzip sozialstaatliche Leistungen gegenüber familiären Hilfeleistungen als nachgeordnet behandelt.

Mit diesem auf das Modell eines männlichen Ernährers ausgerichteten Wohlfahrtsstaat und ergänzt durch steuerliche Regelungen wurde zweitens die Frauenerwerbstätigkeit beschränkt. Die Ausdehnung der Frauenerwerbstätigkeit aber ist in doppelter Hinsicht ein Schlüssel zum Ausbau sozialer Dienstleistungen. Durch (Voll-)Erwerbstätigkeit von Frauen wächst die Nachfrage nach professioneller Kinderbetreuung oder Altenpflege sowohl wegen der fehlenden zeitlichen Ressourcen als auch aufgrund höherer Haushaltseinkommen.

Drittens hat der Rückzug des Staates im Zeichen von Privatisierungs- und Haushaltskonsolidierungspolitik den Aufbau von Beschäftigung gehemmt. So ist etwa der Bildungssektor in Deutschland seit Jahren chronisch unterfinanziert. Nach OECD-Angaben hat die Bundesrepublik 2005 5,1 Prozent ihres BIP für Bildungsausgaben verwandt und lag damit um 1 Prozent unterhalb des OECD-Durchschnitts (OECD 2008). Auch im EU-Vergleich wird das Zurückbleiben Deutschlands deutlich: Bei den öffentlichen Bildungsausgaben lag Deutschland 2004 auf dem viertletzten Platz unter den EU-27-Ländern (Bofinger 2008: 353).

Diese Hemmnisse verhindern den schnelleren Ausbau sozialer Dienstleistungen. Doch trotz der im Vergleich zu Skandinavien ungünstigen Bedingungen ist in den letzten Jahren auch in Deutschland die Nachfrage nach sozialen Dienstleistungen gewachsen. Dies liegt erstens an einer auch in Deutschland steigenden Erwerbsbeteiligung von Frauen.

Zweitens vollziehen sich innerhalb des deutschen Wohlfahrtsstaats Verschiebungen. Die Bedeutung des Ausbaus einer professionellen Kinderbetreuung wird prinzipiell parteiübergreifend anerkannt. Mit dem Kinderförderungsgesetz besteht ab 2013 ein Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz. Der dafür notwendige massive Ausbau des Betreuungsangebots schafft Bedarf für 70.000 zusätzliche Erzieher und Erzieherinnen.

Drittens entsteht mit dem demografischen Wandel eine wachsende Nachfrage nach Gesundheits- und Pflegediensten. Die Gesundheitswirtschaft, zu der neben Arztpraxen, Krankenhäuser und Altenheimen auch zuliefernde Branchen wie Medizintechnik oder Pharmaindustrie, sowie benachbarte Wirtschaftsbereiche (Ernährungs- und Fitness/Wellnesswirtschaft) gehören, ist in den letzten Jahren expandiert. Allein in den letzten zwei Jahrzehnten sind hier ca. 1 Million neue Arbeitsplätze entstanden. Mittlerweile arbeiten 4,5 Millionen Menschen in ihr. Eine weiter wachsende Nachfrage nach Gesunderhaltung, Heilung und Pflege kann in den nächsten 15-20 Jahren zur Entstehung von bis zu 1 Million weiteren Arbeitsplätzen führen (Friedrich-Ebert-Stiftung/ver.di 2009: 5). Unter den Bedingungen der in der Krise einbrechenden Beschäftigtenzahlen in der Exportindustrie bietet Beschäftigung im Dienstleistungssektor eine wichtige Alternative. Mit ca. 100.000 zu besetzenden Stellen waren nach Erhebung des IAB im vierten Quartal 2008 in sozialen Berufen 37 Prozent mehr Stellen zu besetzen als im Vorjahreszeitraum (IAB 2009: 3).


Arbeitsbedingungen in den sozialen Diensten

Die Beschäftigungspotenziale sozialer Dienstleistungen sind enorm. Allerdings besteht neben den Hemmnissen bei ihrem Ausbau das Problem, dass die Arbeits- und Entlohnungsbedingungen in ihnen häufig prekär sind. Personenbezogene soziale Dienstleistungen sind sehr arbeitsintensiv und nur begrenzt rationalisierbar. Damit bleiben diese Dienstleistungen relativ teuer. Unter den Bedingungen marktorientierter Steuerung erfolgt der Wettbewerb zwischen den Anbietern auf dem Rücken der Beschäftigten. Möglichst geringe Arbeitskosten machen die Inanspruchnahme der Dienstleistungen bezahlbar. Deshalb sind insbesondere bei dieser Form der Dienstleistungsbeschäftigung Niedriglohnbeschäftigung und prekäre Arbeitsverhältnisse weit verbreitet.

Eine Gewerkschaftspolitik, die auf den Ausbau sozialer Dienstleistungen setzt, die von guter Arbeit geprägt sind, muss sich für tarifliche und gesetzliche Regelungen einsetzen, die für eine Entprekarisierung von Beschäftigungsverhältnissen in sozialen Dienstleistungsberufen sorgen. Von der Einführung eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns von 7,50 Euro pro Stunde, der schnell auf 9 Euro ansteigen müsste, würden gerade Beschäftigte sozialer Berufe profitieren. Mit dem für die Sozial- und Erziehungsdienste in einer intensiv geführten Tarifrunde erreichten Ergebnis ist ein wichtiges Etappenziel auf dem Weg zu einer besseren gesellschaftlichen Anerkennung sozialer Berufe erreicht worden. Neben der tarifvertraglichen Absicherung des Gesundheitsschutzes konnte auch die Einkommenssituation der Beschäftigten verbessert werden. Eine neueingestellte Erzieherin erhielt bislang 2.130 Euro brutto, jetzt bekommt sie 2.240 Euro, das heißt 110 Euro mehr. Eine Erzieherin mit 18 Jahren Berufserfahrung erhält nun 2.864 Euro, dies sind 390 Euro mehr, als sie früher nach 20 Jahren erhielt. Ein Sozialarbeiter im Allgemeinen Sozialen Dienst verdiente bisher als Berufsanfänger 2.237 Euro, künftig sind es 2.500 Euro (ver.di 2009a).

Für den Bereich der Altenpflege soll die im April 2009 beschlossene Aufnahme der Branche in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz die Grundlage für eine höhere Entlohnung bilden, indem ein Branchenmindestlohn festgelegt wird. Über die Höhe des Mindestlohns verhandeln in der Kommission zur Erarbeitung von Arbeitsbedingungen Gewerkschaften und Arbeitgebervertreter. Eine Einigung steht bisher aus, da insbesondere der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) und der aus ihm heraus gegründete Arbeitgeberverband Pflege versuchen, die Mindestlohnhöhe mit Verweis auf angebliche Arbeitsplatzverluste zu drücken.


Zukunftsinvestitionsprogramm für den Ausbau sozialer Dienstleistungen nutzen

Tarifliche Regelungen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in sozialen Dienstleistungen sind zwar wichtig, aber nicht ausreichend. Darüberhinaus ist der Staat als Regulationsinstanz gefragt. Dies betrifft nicht nur die Frage nach der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns. Er muss auch die Rahmenbedingungen für verbesserte Aus- und Weiterbildungsbedingungen herstellen. Im Bereich der Ausbildung von Altenpflegekräften etwa muss die Landesfinanzierung der Altenpflegeschulen ausgebaut werden, um vom anachronistischen Prinzip der Zahlung von Schulgeld durch die Auszubildenden wegzukommen.

Der Staat ist zur Förderung sozialer Dienstleistungen aber nicht nur als Regulationsinstanz auf dem Arbeitsmarkt gefragt. Er muss im Sinne eines aktiven Sozialstaats, der neben den sozialen Sicherungssystemen auch öffentliche Dienstleistungen anbietet, vermehrt investieren und Beschäftigung im öffentlichen Dienst in Bereichen wie Bildung, Kinderbetreuung und dem Gesundheitswesen ausbauen. Die Gewerkschaft ver.di fordert im Rahmen eines Konjunkturpakets III ein Zukunftsinvestitionsprogramm, das jährlich zunächst bis 2011 75 Mrd. Euro für öffentliche Investitionen in Sachausgaben und Personal zur Verfügung stellt. Danach sollen jährlich 50 Milliarden Euro dauerhaft für Arbeit, Bildung und Umwelt investiert werden. Damit können 2 Millionen tariflich geschützte Arbeitsplätze gesichert und geschaffen werden (ver.di 2009b).

Ein wesentlicher Baustein des Zukunftsinvestitionsprogramms sind Investitionen in Bildung, von der Kinderbetreuung über Schulen bis zu den Hochschulen und Universitäten. Vermehrte private und öffentliche Investitionen in Aus- und Weiterbildung bilden neben erhöhten Ausgaben für Forschung und Entwicklung die Grundlage für einen volkswirtschaftlichen Entwicklungspfad, der von wissensintensiver Produktion von Gütern und der Bereitstellung hochwertiger Dienstleistungen geprägt ist. Grundlage eines solchen Pfades und wesentliche Träger von Innovationen sind gut qualifizierte und entlohnte Beschäftigte. Von staatlicher Seite müssen daher die im EU- und OECD-Durchschnitt weit unterdurchschnittlichen deutschen Bildungsausgaben angehoben werden.

Im Konjunkturpaket II wurden von Seiten des Bundes rund 6,5 Mrd. Euro für Investitionen in Kindergärten, Schulinfrastruktur, Hochschulen und Forschung bereit gestellt. Diese Mittel werden durch Mittel der Länder aufgestockt. ver.di fordert über diese Investitionsmittel hinaus zusätzliche Investitionen von Bund, Ländern und Kommunen. Diese sollen insgesamt rund 30 Mrd. Euro in diesem Jahr erreichen und in dieser Höhe dauerhaft zur Verfügung stehen. Unser Ziel ist es, für alle Kinder bis zum Schulbeginn einen Rechtsanspruch auf einen kostenlosen Platz in der Kinderbetreuung zu sichern und dafür das notwendige Personal einzustellen und seiner Qualifikation gemäß zu bezahlen. Außerdem sind alle Schulen zu Ganztagsschulen auszubauen und dafür ausreichend Personal und Sachmittel bereit zu stellen. Angesichts des schnellen Anstiegs der Studentenzahlen sind die Hochschulen chronisch unterfinanziert. Die Zahl der Studienplätze muss verdoppelt werden. Neben Investitionen in Gebäude und der Bereitstellung von Sachkosten muss insbesondere Lehrpersonal eingestellt werden. Die vor allem mit der Lehre betrauten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des sogenannten Mittelbaus brauchen sichere Beschäftigungsverhältnisse.

Neben Investitionen ins Bildungswesen sind auch Investitionen im Gesundheitswesen, insbesondere in Krankenhäuser und die Altenpflege zu stärken. Angesichts der Deckelung der Ausgaben schieben die Krankenhäuser einen massiven Investitionsstau vor sich her. Ver.di fordert für die Krankenhäuser ein weiteres Konjunkturprogramm zum wirksamen Abbau dieses Investitionsstaus. Die Mittel dafür sind von Bund und Ländern gemeinsam aufzubringen. Noch 2009 könnten die Krankenhäuser 8 Mrd. Euro sinnvoll investieren. Die Mittel sind auf der Ebene der Länder bereitzustellen, die bereits jetzt im Rahmen der Krankenhausplanung die Häuser mit ausreichenden Investitionsmitteln auszustatten haben. Die von Bund und Ländern bereit gestellten Mittel dienen der kurzfristigen Milderung des Investitionsstaus. Sie sind kein Ersatz für die dauerhafte Verbesserung der Krankenhausinvestitionen in den Ländern.

Das Konjunkturprogramm darf kein Strohfeuer bleiben. Der unterschiedliche Nachholbedarf in den Bundesländern bei der Bereitstellung der Fördermittel für Krankenhäuser muss behoben werden. Der von Experten bezifferte Bedarf an Investitionen von derzeit 5 Mrd. Euro jährlich (entspricht einer Investitionsquote von 8,6 Prozent des Umsatzes der Krankenhäuser) muss - unabhängig vom Konjunkturprogramm - in den nächsten Jahren kontinuierlich zur Verfügung gestellt werden. Dadurch werden die Mittel der Krankenhausfinanzierung in Höhe von 1 Mrd. Euro, die bisher für Investitionen abgezweigt wurden, wieder ihrer eigentlichen Bestimmung zugeführt werden. Dann steht wieder mehr Geld für Personal zur Verfügung.

Zusätzlich müssen dauerhafte Investitionen in den Bereich der Altenpflege erfolgen. Die Modernisierung der Einrichtungen und mehr Personal sind angesichts des demografischen Wandels unumgänglich. Allein über die systematische Professionalisierung der Pflege könnten 3 Millionen Arbeitsplätze entstehen (Friedrich-Ebert-Stiftung 2009: 33).


Ausblick

Auch in Deutschland mit seiner weiterhin vergleichsweise starken Industrie hat sich die Wirtschaftstruktur zu Gunsten des Dienstleistungssektors verschoben. Trotzdem besteht doch eine große Dienstleistungslücke, die vornehmlich auf fehlender Beschäftigung in den sozialen Dienstleistungen zurückzuführen ist.

Ob Deutschland sich ein Beispiel an Ländern wie Schweden oder Dänemark nimmt und die bestehende Lücke im Bereich der sozialen Dienstleistungen schließt, ist abhängig von politischen Entscheidungen. Erforderlich ist dafür eine Abkehr von der Politik der Entstaatlichung, die von Liberalisierung und Privatisierung geprägt ist und dem Staat über Steuerreformen zugunsten von Unternehmen und den Beziehern hoher Einkommen und Vermögen systematisch Ressourcen entzogen hat. Ein Anstieg der Beschäftigung im Bildungs- und Gesundheitswesen in Deutschland erfordert einen Ausbau des Staatssektors und eine Steigerung der öffentlichen Beschäftigung. Voraussetzung dafür wäre wiederum eine sozial ausgewogene Steuerpolitik, die große Unternehmen, Vermögende und Bezieher hoher Einkommen endlich wieder in angemessener Höhe besteuert. Schließlich müssen Lohnsteigerungen, die den verteilungspolitisch neutralen Spielraum aus Inflations- und Produktivitätsentwicklung ausschöpfen, erzielt und eine gerechtere Einkommensverteilung erreicht werden. Die auf dieser Basis zunehmende Massenkaufkraft bildet die Grundlage für eine erhöhte Nachfrage nach sozialen Dienstleistungen.


Dr. Martin Beckmann ist Gewerkschaftssekretär im Bereich Politik und Planung der ver.di-Bundesverwaltung in Berlin.


Literatur

Bofinger, Peter (2008): Das Jahrzehnt der Entstaatlichung. In: WSI-Mitteilungen, H. 7, S. 351-357

Bosch, Gerhard/Wagner, Alexandra (2002): Dienstleistungsbeschäftigung in Europa. Ein Ländervergleich. In: Bosch, Gerhard u.a. (Hrsg.), Die Zukunft von Dienstleistungen. Ihre Auswirkungen auf Arbeit, Umwelt und Lebensqualität, Frankfurt/New York, S. 41-62

Friedrich-Ebert-Stiftung (2009): Deutschland 2020. Aus der Krise in eine soziale Zukunft, Bonn

Friedrich-Ebert-Stiftung/ver.di (2009): Mehr Gesundheit wagen! Gesundheits- und Pflegedienste innovativ gestalten, Bonn.

Heintze, Cornelia (2009): Der öffentliche Sektor im skandinavischen Modell; in: WSI-Mitteilungen, H. 5, 268-274

IAB (2009): Einbruch in der Industrie soziale Berufe legen zu. In: IAB-Kurzbericht, 11/2009.

Kalina, Thorsten/Weinkopf, Claudia (2009): Niedriglohnbeschäftigung 2007 weiter gestiegen - zunehmende Bedeutung von Niedrigstlöhnen, IAQ-Report, Nr. 5

Lehndorff, Steffen (2008): Motor der Entwicklung oder fünftes Rad am Wagen? Soziale Dienstleistungen als gesellschaftliche Investitionen, www.memo.uni-bremen.de/docs/m3308.pdf.

OECD (2008): Deutschland verliert bei der Ausbildung
von Hochqualifizierten international weiter an Boden,
Pressemitteilung vom 9. September.

ver.di (2009a): Sozial- und Erziehungsdienst-Tarifeinigung, Pressemitteilung vom 27. Juli.

ver.di (2009b): Sozialökologisch umsteuern - solidarisch finanzieren. Vorschläge der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) für ein drittes Konjunkturpaket, Berlin.


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Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 5/2009, Heft 173, Seite 28-33
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Oktober 2009