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AGRAR/1832: Menschenrechte und Freihandelsabkommen - Europa muss Verantwortung übernehmen (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 417 - Januar 2018
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Europa muss Verantwortung übernehmen
Menschenrechte schützen und geplante Freihandelsabkommen abbrechen

von Berit Thomsen


Es mutet an, wie eine Filmszene aus "Früchte des Zorns", in der in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts unzählige Farmer in Oklahoma und Arkansas von Großgrundbesitzern vertrieben werden. Bulldozer rollen an. Kurze Zeit später sind Farmhäuser dem Erdboden gleich. Die tragische Odyssee der vertriebenen Menschen beginnt. Youtube im Jahr 2017, drei Wochen vor Weihnachten. Ein Bulldozer fährt auf ein Haus zu, reißt mit der Baggerschaufel die Veranda ein, das Dach, die Wände. Wand um Wand. Haus um Haus. Unweit davon laden Menschen Kühlschränke, Matratzen, Kommoden, Spülen, Decken, Bettgestelle auf ihre Autodächer und Anhänger. Diese Szenen sind Wirklichkeit und auf Youtube unter: "Menschenrechtsverletzung in Paraná" zu sehen. In Brasilien haben Anfang Dezember zwei Zwangsräumungen stattgefunden, die international bekannt wurden. Mit Polizeigewalt ist in St. Catharina ein Zeltdorf geräumt worden. In Paraná wurde ein ganzes Dorf abgerissen. Dort haben 20 Jahre Menschen gelebt, das Dorf und eine Kirche gebaut, Lebensmittel angebaut. Sie gehören der Landlosenbewegung Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra (MST) an, die für eine gerechte Landverteilung kämpft (Bauernstimme 5-2017). Das geräumte Land sollen Großgrundbesitzer bekommen. Der brasilianische Professor Antonio Andrioli, bekannt durch seine wiederholten Vortragsreisen in Deutschland zum Thema Sojaanbau in Südamerika, hat diese Nachrichten nach Deutschland gebracht.

Sklaverei in der Viehwirtschaft

Die brasilianische Regierung unter Michel Temer und Landwirtschaftsminister Maggi unterstützen die Großgrundbesitzer. Blairo Maggi ist der größte Sojaanbauer der Welt. Ihm gehören etwa 400.000 Hektar Land. Regierungschef Temer der rechtskonservativen Partei PMDB hat im Oktober eine neue Direktive veröffentlichen lassen, mit der die Sklavenarbeit künftig erheblich schwieriger bekämpft werden kann. Die amerikanische Organisation IATP (International Agriculture and Trade Policy) hat in einer Studie vom November diesen Jahres veröffentlicht, dass in Brasilien im Zeitraum von 2003 bis 2010 fast 60 Prozent der Fälle von Sklaverei in der Viehwirtschaft aufgedeckt wurden. Ungeachtet dessen, will die EU-Kommission auf die Tube drücken und das Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay abschließen. Möglichst schnell und möglichst auch mit der aktuellen Regierung. Die EU-Kommission hat definitiv die Neuwahlen in Brasilien im Oktober 2018 im Blick, lässt sich aus dem landwirtschaftlichen Nachrichtenblatt AgraFacts entnehmen. Die aktuelle Regierung ist nur bis April 2018 handlungsfähig, danach wäre mit zeitlichen Verzögerungen zu rechnen. Die Parteien der geschäftsführenden deutschen Bundesregierung signalisieren ebenfalls ein großes Interesse an einem zügigen Abschluss des Freihandelsabkommens zwischen der EU und Mercosur.

Zollfreie Importquoten

Brasilien ist weltweit der größte Exporteur von Sojabohnen und Rindfleisch, mit einem Anteil von 20 Prozent am weltweit gehandelten Rindfleisch. Auch bei den Experten von Hühnerfleisch ist Brasilien an den USA vorbeigezogen und Nummer Eins auf dem Weltmarkt, mit einem Weltmarktanteil von 39 Prozent. Auch der Export von Zellulose steigt. Die EU-Importe von Soja aus Brasilien sind schon Alltag. Der europäische Fleischmarkt ist zurzeit noch vor Importen weitestgehend geschützt. Der aktuelle Verhandlungsstand sieht vor, dass Europa für jährlich 70.000 Tonnen Rindfleisch, 17.000 Tonnen Schweinefleisch, 90.000 Tonnen Geflügelfleisch eine zollfreie Importquote aus den Mercosur-Ländern einräumen will. Auch sollen für jährlich 15.000 Tonnen Milchpulver und 5.000 Tonnen Butter die EU-Märkte geöffnet werden. "Es ist skandalös, dass die EU mit Ländern Handelsabkommen vereinbaren will, in denen die Menschenrechte offensichtlich mit Füßen getreten werden", sagt Martin Schulz, Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL).

Ein weiteres Freihandelsabkommen: Am 8. Dezember haben die EU und Japan die Verhandlungen für ein gemeinsames Freihandelsabkommen offiziell beendet. Damit wurden weitere Details auch zum Freihandel mit landwirtschaftlichen Produkten verabredet. Die Ratifizierung über JEFTA steht in Europa noch aus. Das Thema Landwirtschaft war bis zum Schluss ein strittiges und hart umkämpftes Thema. Während die Agrarindustrie und ihre Vertreter in Europa eine möglichst starke Öffnung der Märkte für ihre Exporte erwartet, haben sich Bäuerinnen und Bauern in Japan gegen solch ein Freihandelsabkommen ausgesprochen. Tritt JEFTA in Kraft, dann erhält die EU einen ungehinderten Zugang zum japanischen Markt für unverarbeitetes und verarbeitetes Schweinefleisch. Der japanische Importzoll für Rindfleisch aus der EU wird über einen Zeitraum vom 15 Jahren progressiv reduziert, von 38,5 auf 9 Prozent. 50.500 Tonnen Rindfleisch soll die EU zollfrei exportieren dürfen. Für Mozarella und Feta fallen die japanischen Zölle gleich nach Inkrafttreten auf Null. Für Parmasan, Gouda und Cheddar werden die japanischen Zölle innerhalb von 15 Jahren abgeschafft. "Dieses Freihandelsabkommen ist destruktiv für bäuerliche Strukturen in beiden Ländern. Durch die steigenden EU-Exporte können die nationalen und lokalen Agrarmärkte in Japan massiv gestört werden. Im Welthandel findet eine Preisschlacht statt. Wer billiger produzieren kann, exportiert auch", sagt Schulz. "Auch die Bäuerinnen und Bauern in Europa zahlen dafür die Zeche. Die agrarpolitisch forcierte Exportorientierung führt hier zu einer Überschussproduktion, die im Milch- und Fleischsektor immer wieder Krisen auf den Höfen auslöst."

Menschenrechte schützen

Die AbL fordert die kommende deutsche Bundesregierung auf, sich dafür einzusetzen, dass diese aggressive Handelsagenda abgelöst wird durch eine zukunftsfähige europäische Handelspolitik, die demokratisch zu entwickeln ist und im Agrarsektor die bäuerlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen nach vorne stellt. Dafür muss die agrarpolitisch forcierte Weltmarktorientierung einer konsequenten Qualitätsstrategie in der Landwirtschaft weichen. Europa muss Verantwortung gegenüber den Auswirkungen von Handel hinsichtlich Verletzungen von Menschenrechten und hinsichtlich der Zerstörung kleinbäuerlicher Strukturen übernehmen.

Berit Thomsen, AbL-Referentin für Internationale Agrarpolitik

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 417 - Januar 2018, S. 23
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Februar 2018

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