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AGRAR/1830: Notwendige Maxime für Agrarpolitik - Grenzen des Wachstums beachten (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 3/2017
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Notwendige Maxime für Agrarpolitik: Grenzen des Wachstums beachten

von Sievert Lorenzen


Seit Jahrzehnten werfen die Agrarindustrie und Agrarpolitik gern die Frage auf, wie sich der Hunger in der Welt am besten besiegen lasse. Die Antwort folgt meist prompt: Wir müssen mehr Nahrungsmittel für die Welt produzieren und die Landwirtschaft armer Länder effizienter machen. Über diese Antwort freuen sich regelmäßig die Investoren, die am Hunger in der Welt verdienen wollen. Doch durch ihr Tun besiegen sie den Hunger in der Welt nicht, sondern verschärfen ihn nur, schon seit Jahrzehnten. Diese Dramatik haben Joseph Collins und Frances Moore Lappé schon 1978 in ihrem Buch "Vom Mythos des Hungers - Die Entlarvung einer Legende: Niemand muss hungern" anhand vieler Beispiele eingehend untersucht und kamen zum Schluss: Wenn Investoren verfügbare Agrarressourcen vor allem zur Steigerung privaten Reichtums nutzen, produzieren sie hauptsächlich das, was sich an reiche Länder gut verkaufen lässt. Mit wachsendem Reichtum weiten sie ihre Macht über die Agrarressourcen aus und drängen die Kleinbauern in die Grenzertragsregionen, auf denen nicht genug Nahrung für die heimische Bevölkerung angebaut werden kann. Reichtum und Macht wachsen auf der einen, Armut und Machtlosigkeit auf der anderen Seite. Als billige Arbeitskräfte sind die Machtlosen dann geschätzt. Das geschieht gleichermaßen innerhalb armer und reicher Länder.

Im Gefälle von reich und mächtig zu arm und machtlos wachsen soziale Spannungen, die sich im Extremfall in Kriegen entladen und das Hungerproblem zusätzlich verschärfen. So erklärte jüngst auch unser Entwicklungshilfeminister Gerd Müller in einem Interview: "Am meisten wird dort gehungert, wo Kriege toben." Bei diesen Kriegen spielen auch Vorrangkämpfe unter Großmächtigen eine wichtige Rolle.


Brauchen wir mehr Geflügelfleisch für die Welt?

Zu denen, die am Kampf gegen den Hunger in der Welt verdienen wollen, gehören auch die Geflügelfleischerzeuger in Deutschland. Sie sind im Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG) organisiert. Dieser hat eine Expertise in Auftrag gegeben mit dem Titel "Der gesamtgesellschaftliche Nutzen moderner Geflügelfleischerzeugung in Deutschland und der Europäischen Union. Eine Analyse ökonomischer und ökologischer Effekte". Die Expertise ist als HFFA Research Paper 04/2017 erschienen und im Internet zugänglich. Die Autoren sehen im Wachstum der Weltbevölkerung eine große Chance für die Geflügelwirtschaft in Deutschland, an der weltweit steigenden Nachfrage nach Geflügelfleisch zu verdienen. Die dafür nötige nachhaltige und hocheffiziente Produktionsform durch effektive Nutzung knapper natürlicher Ressourcen gäbe es hierzulande schon.

Die Expertise liest sich wie ein Hohelied auf die industrielle Geflügelhaltung. Deren Investoren werden glauben gemacht, mit ihrem Gewinnstreben einen wichtigen Beitrag zur Sicherung der Welternährung leisten zu können, und das auf eine Weise, die viel umwelt- und klimafreundlicher sei und mehr zur Wahrung natürlicher Lebensräume und weltweiter Biodiversität beitrage als die extensive und die ökologische Geflügelfleischerzeugung. Untermalt werden die Aussagen durch viele Abbildungen mit quantitativen Angaben, zum Beispiel zur Geflügelfleischproduktion in den letzten Jahren mit Prognosen für das Jahr 2030. Aus zwei Gründen täuscht die Expertise:

1) Schon Collins und Moore Lappé zeigten, dass auf die Ausbeutung von Agrar-Ressourcen schnell auch die Ausbeutung von Mensch und Vieh folgt. Ja, auch heute noch heuern Konzerne gern Vertragsmäster mit eigenem Bauernhof an, liefern ihnen Eintagsküken und Futtermittel und nehmen ihnen schließlich das schlachtreife Geflügel ab, alles zu Preisen, die der jeweilige Konzern diktiert. Gerät der Konzern in eine Krise, lässt er den Vertragsmäster gern im Stich, auch wenn er ihn in die Überschuldung getrieben hat.

2) Die Autoren der Expertise lassen auch die notwendigen Bedingungen außer Acht, die für eine hochproduktive Geflügelfleischerzeugung unbedingt erfüllt sein müssen. Zu ihnen gehört, dass der Nachschub von massenhaftem Kraftfutter für das Geflügel auch weiterhin reibungslos von Übersee hier her stattfindet. Riesige Naturräume werden unwiederbringlich zerstört, um riesig viel Kraftfutter für unser Vieh anzubauen.

Doch riesig viel ist nicht gleich unendlich viel. Auf diesen entscheidenden Unterschied haben schon Dennis Meadows und Koautoren in ihrem Buch "Die Grenzen des Wachstums" hingewiesen, das sie im Auftrag des "Club of Rome" erarbeitet und 1972 der Öffentlichkeit vorgestellt hatten. Ihr Fazit ist seit dem Altertum aktuell geblieben und lautet: In einer begrenzten Welt kann es kein unbegrenztes Wachstum geben. Das ist ein unumstößliches Naturprinzip, das wie der Tod durch nichts in der Welt zu besiegen ist. Wer sich diesem Naturprinzip nicht beugen will, wird untergehen. Diese Lektion müssen auch die Betreiber der industriellen Geflügelhaltung lernen. Die Betreiber der extensiven und der ökologischen Geflügelhaltung haben das schon lange gemacht und sind in dieser Hinsicht den Betreibern der industriellen Geflügelhaltung weit überlegen. Kollabieren deren Betriebe in Zeiten der Knappheit, werden uns fast nur noch die ökologischen und die extensiven Geflügelhaltung mit ihren Produkten versorgen können, maßvoll nur, aber immerhin mit einem Minimum. Deshalb verdienen diese beiden Formen der Geflügelhaltung schon jetzt politische Förderung zur bestmöglichen Sicherung unserer Zukunft. Massenproduktion wie zurzeit hat keine Chance für die Zukunft. Das unbeugsame Prinzip von der Unmöglichkeit grenzenlosen Wachstums in einer begrenzten Welt muss endlich auch eine leitende Maxime der Politik werden. Nur so kann sie ihrer Aufgabe nachkommen, für eine nachhaltige Wirtschaft zu sorgen und steuernd in Wachstumsprozesse einzugreifen, die der Kontrolle zu entgleiten drohen.

PROVIEH setzt sich schon seit seiner Gründung im Jahr 1973 für eine derartige Politik der Nachhaltigkeit ein. Das sind wir nicht nur unseren Mitmenschen schuldig, sondern auch den Tieren, die wir uns zum Nutzen halten und denen wir mit Respekt begegnen.

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Quelle:
PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 4/2017, Seite 12-14
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen
tierquälerische Massentierhaltung e.V.
Küterstraße 7-9, 24103 Kiel
Telefon: 0431/248 28-0, Telefax: 0431/248 28-29
E-Mail: info@provieh.de
Internet: www.provieh.de
 
PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Februar 2018

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