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AGRAR/1639: Argentinien - In Guanaco Sombriana sind Mesquitenbäume mehr wert als Gold (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 6. Januar 2014

Argentinien: In Guanaco Sombriana sind Mesquitenbäume mehr wert als Gold

von Fabiana Frayssinet


Bild: © Fabiana Frayssinet/IPS

Teolinda Coronel sammelt mit ihrer Nichte Meskitenbaumschoten in San Gerónimo im nordargentinischen Santiago del Estero
Bild: © Fabiana Frayssinet/IPS

Guanaco Sombriana, Argentinien, 3. Januar (IPS) - Die Frauen von Guanaco Sombriana, einem Dorf im Norden Argentiniens, sind es leid, tatenlos zuzusehen, wie die Dürre ihr Vieh tötet und ihre Männer zu Wanderarbeitern macht. Sie machen sich einen Baum zunutze, der nicht einmal genügend Schatten spendet.

Der Anblick des örtlichen Fußballplatzes zeigt die gesamte Dramatik, mit der sich die Frauen in der semiariden Region im Departement Atamisqui konfrontiert sehen. Hier, 120 Kilometer südlich von Santiago del Estero, der Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, erheben sich zwei Torbögen aus totem Geäst über Kakteen und Büsche, die in der weißen, salzhaltigen Erde wachsen.

Der Fußballplatz ist verwaist, weil die Spieler - Väter, Ehemänner, Brüder und Söhne - zu einem Leben als Wanderarbeiter gezwungen sind. Derzeit helfen sie im Süden des Landes bei der Mais- und Heidelbeerernte aus. "Jedes Jahr bin ich bis zu acht Monate allein hier", berichtet Graciela Sauco.

Bis vor zwei Jahren konnte die siebenfache Mutter von ihren Kühen, Ziegen, Schweinen und Hühnern leben. Doch viele Tiere sind der anhaltenden Dürre zum Opfer gefallen. Die kleinbäuerlichen Farmen, die höchstens 50 Hektar groß sind, leiden unter der schlimmsten Dürre der letzten zehn Jahre. Saucos Kinder arbeiten derzeit fernab der Heimat in anderen Landesteilen. "Ich vermisse sie sehr", sagt sie.

Auch Eleuteria Ledesma hat die Dürre um ihre Angehörigen gebracht. Ihr jüngster Sohn hilft derzeit in Buenos Aires bei der Maisernte aus, berichtet die Mutter. "Er schläft auf einer umbequemen Pritsche in einem stickigen Container. Noch nicht einmal zu Weihnachten und Sylvester haben sie ihm freigegeben", klagt sie.

Doch inzwischen zeigt sich in Gestalt der Vereinigung der kleinen Produzenten der Salzstöcke von Atama (APPSA Guanaco) ein Hoffnungsstrahl am tristen Horizont. Vor einem Jahrzehnt gegründet, besteht die Gruppe inzwischen aus 80 Familien, die in der 566 Einwohner zählenden Ortschaft Guanaco Sombriana zu Hause sind.

"Der Anfang war schwer", erinnert sich Lastenio Castaño, technischer Berater der Abteilung für Familienlandwirtschaft im argentinischen Agrarministerium. "Manchmal fehlt sowohl für die Menschen als auch für die Tiere und die Felder Wasser. Viele Ziegen, die unter solchen Bedingungen noch am ehesten überleben, sind verendet."


Besonderes Mehl aus einem herkömmlichen Baum

Doch inzwischen verfügen die Menschen über ein Backsteingebäude, in dem sie Beeren und Heu für ihre Tiere trocknen. APPSA hat zudem mit der Hilfe der Unterabteilung des Agrarministeriums und der Einheit für den ländlichen Wandel (UCAR) eine kleine Mühle aufgebaut, die Mehl aus den Schoten des schon in alten Volksliedern besungenen Meskitenbaumes der lokalen Arten Prosopis alba und Prosopis nigra herstellt.

Die Schoten waren in Guanaco Sombriana ausschließlich in Notzeiten an das Vieh verfüttert worden. Doch die Mitglieder der Vereinigung bildeten sich weiter und erlernten die Produktion von Mehl, das in Bio- und Feinkostläden sowie auf Messen aufgrund seines aromatischen, süßlichen kakaoähnlichen Geschmacks gefragt ist. Es ist zudem reich an Ballaststoffen, Proteinen, Eisen, Kalium, Kalzium, Schwefel, Pektin und vielen Vitaminen und Gerbstoffen.

"Zuvor mussten wir die Schoten in Mörsern zerkleinern. Doch mit der neuen Mühle können wir viel mehr Mehl in kurzer Zeit produzieren. Auch aus Mais machen wir Mehl", berichtet Lili Farías.

Inzwischen kauft APPSA die Schoten auch in anderen Dörfern. Die Säcke werden zunächst von den APPSA-Frauen gewogen, die das jeweilige Gewicht in ein kleines Büchlein eintragen. Die anderen mahlen die Schoten. Die Arbeit ist ein Wettlauf gegen die Zeit, wie eine der Frauen berichtet. Denn die Schoten können wurmstichig werden.

Im letzten Monat stießen die Mitglieder der Vereinigung mit Matetee auf die Produktion von 2.000 Kilogramm Mehl an. "Das war für APPSA ein wichtiger Schritt nach vorn", meint Claudia Rojas. "Denn an dem Verkauf des Mehles werden wir nun ganz gut verdienen." Castaño zufolge ist es jetzt wichtig, die kommerziellen Verteilungswege, den Transport, die Wasser- und die Stromversorgung zu verbessern.

APPSA hat sich inzwischen zu einem lautstarken Sprachrohr seiner Mitglieder gegenüber den Behörden entwickelt. Mit einem revolvierenden Fonds in Höhe von 21.000 US-Dollar für diese und andere Dörfer kann die Vereinigung nun Viehfutter einkaufen und Mikrokredite etwa für den Bau von Viehzäunen und Zisternen bereitstellen. Der revolvierende Fonds wird mit Hilfe des UCAR-Programms zur Entwicklung der ländlichen Gebiete finanziert, das landesweit zugänglich ist und den sozialen Zusammenhalt unter den Bauern und die Produktivität stärken soll.

Allmählich verzeichnen die APPSA-Mitglieder eine deutlich erkennbare Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage. Die Einkünfte investieren sie in Nahrung, Kleidung und Motorräder, den in der teilweise unwegsamen Region bevorzugten Transportmitteln. "Inzwischen gibt es bereits junge Menschen, die hierbleiben, um im Gebirge Beeren zu sammeln. Warum weggehen, wenn sie von dem profitieren können, was es hier gibt?", meint Farías.


Trockene Böden

Allgemein geht man davon aus, dass drei Viertel der argentinischen Böden trocken sind und 40 Prozent dieser Flächen bereits Anzeichen von Verödung aufweisen. Die Regierung möchte das Projekt mit den äußerst genügsamen Meskitenbäumen nun auch in anderen Landesteilen einführen. In San Gerónimo im benachbarten Departement Loreto ist dies bereits erfolgt.

Dort machen sich Teolinda Coronel, ihre Tochter, ihre Nichte und eine Enkelin frühmorgens um 6.30 Uhr in die Berge auf, um die Schoten zu sammeln. "Wir nehmen Tee in einer Thermoskanne mit und kehren mittags heim. Jede von uns hat mindestens 35 Kilo Schoten gesammelt", berichtet sie. Um 17.00 Uhr, wenn es kühler wird, nehmen die Frauen ihre Arbeit wieder auf.

Auch Coronel wünscht sich nichts sehnlicher, als dass ihre Kinder aus der Ferne zurückkehren. "Was sie als Wanderarbeiter dazuverdienen, reicht hinten und vorne nicht", meint sie.

"Einst saß ich zu Hause herum und plagte mich mit dem Gedanken herum, wie ich ein bisschen Geld verdienen kann", berichtet auch Graciela Ardiles aius der Ortschaft Arraga, die in anderen Landesteilen als Putzfrau gearbeitet hatte. "Heute bin ich eine selbstständige Unternehmerin. Und meine Kinder tun, was ich nie tun konnte: die Schule besuchen." (Ende/IPS/kb/2014)


Links:

https://www.facebook.com/appsa.guanaco
http://www.ucar.gob.ar/
http://www.ipsnoticias.net/2014/01/donde-el-algarrobo-es-mejor-que-el-oro/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 3. Januar 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Januar 2014