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AGRAR/1408: Die Verhinderung bäuerlicher Strukturen - der Umgang mit der DDR-Landwirtschaft (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 328 - Dezember 2009,
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Die Verhinderung bäuerlicher Strukturen
Wie der Umgang mit der DDR-Landwirtschaft nach der Wende bis heute die ostdeutschen Agrarstrukturen prägt

Von Jörg Gerke


Anlässlich des zwanzigjährigen Jubiläums des Mauerfalls überbieten sich die Medien mit Berichten aus der DDR und den Wendezeiten. Staatssicherheit, wirtschaftlicher Zusammenbruch und SED-Politbüro werden bis ins Detail beleuchtet. Um die Landwirtschaft in der DDR und der Wende bleibt es merkwürdig still. Das hat seine Gründe.

Für die Agrarstrukturen in der DDR, aber auch für die heutigen Agrarstrukturen in Ostdeutschland ist die "Boden- und Industriereform" von 1945 bis 1948 von zentraler Bedeutung. Diese ist bis heute eher positiv besetzt, weil ja die ostelbischen Junker enteignet wurden und Neusiedlerbauern 5 bis 11 ha für ihre eigene Wirtschaft erhielten. Tatsächlich wurden mehr als 11.000 Betriebe entschädigungslos vollständig enteignet, davon ca. 7.000 mit mehr als 100 ha, dazu über 4.000 bäuerliche Betriebe. Schon weniger bekannt ist, dass in der DDR bis 1989 bis zu 100.000 dieser Neusiedler wieder enteignet wurden, und das Land dem Staat zufiel. Daraus wurde nach der Wende der land- und forstwirtschaftliche Flächenpool, erst der Treuhand und ab 1992 der BVVG. Die Alteigentümer, ob von unter oder über 100 ha, erhielten keinen einzigen Hektar zurück. Wenn Ende 2009 nach den vagen Plänen der neuen CDU/CSU/FDP-Bundesregierung die noch verbliebenen ca. 500.000 ha BVVG-Flächen im Rahmen eines verbilligten Kaufs an die Erben der Alteigentümer zurückfielen, so würde das im Mittel zwischen 40 und 50 ha je Erbe bedeuten. Es wäre ein Beitrag zu einer breiten Streuung von Eigentum auf dem Lande, sollte also von jeder bäuerlichen Organisation begrüßt werden. Tatsächlich hat der Bauernverband in den Medien, z.B. Der Spiegel, aber auch in der Ostseezeitung schon im Vorfeld der Umsetzung eine Kampagne begonnen unter dem Motto: "Keine Rückkehr der Junker".


Politisch dominiert

Der ehemalige Direktor des Instituts für Wirtschaftspolitik der Universität Köln, Hans Willgerodt, hat schon 1996 die Nichtrückgabe folgendermaßen kritisiert: "Die Rückgabe hätte die Unternehmerauswahl privatisiert und aus den Händen einer politisch dominierten Bürokratie in die Hände von miteinander im Wettbewerb stehenden Eigentümern übertragen. Politische Beziehungen alter und neuer Art wären weniger wichtig gewesen als wirtschaftliche Kriterien. Tüchtige Landwirte hätten damit unabhängig von ihrer politischen Vergangenheit und Gegenwart eine Chance erhalten." Tatsächlich hat die Enteignung 1945-48 und deren vollständige Beibehaltung nach 1990 dazu geführt, dass 85 Prozent der Betriebe im Osten von der BVVG-Flächenverteilung ausgeschlossen sind und dass die mit der Verteilung zusammenhängenden Subventionen in bemerkenswert rechtsfreier Weise bis heute organisiert werden.


Kollektivierungszwang

Ab 1952 wurde in der DDR die Kollektivierung in der Landwirtschaft propagiert und in den Folgejahren systematisch betrieben. Trotz der Repressionen gegen die Bauern wurden im Sommer 1959 noch rund 55 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche privat bewirtschaftet. Im März 1960 dann war die Landwirtschaft vollkollektiviert! Daran kann abgelesen werden, welch einem Ausmaß an politischem, wirtschaftlichen und psychischen Druck die nicht-kollektivierungswilligen Bauern ausgesetzt wurden. Ein Mittel eher noch minderer Intensität war es, wenn die SED, Demokratische Bauernpartei Deutschlands (DBD) oder die Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB) Lautsprecherwagen vor den Gehöften aufstellten und diese Tag und Nacht beschauten. Es gibt Schätzungen, dass sich in dieser Zeit 5.000 Bauern das Leben nahmen, ein bis heute fast vergessener Sachverhalt. Die sich an die Kollektivierung anschließende Flüchtlingswelle der Bauern war ein wichtiger Grund für die Schließung der innerdeutschen Grenze im August 1961.


Illegale Anschubfinanzierung

In den folgenden Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) waren die Bauern nicht gleichberechtigt, sondern Lohnempfänger. Dies war in den SED-Bezirksleitungen bekannt und führte dazu, dass diese in der Wendezeit den LPGen empfahlen, sich entsprechend dem westdeutschen Genossenschaftsrecht umzuwandeln. Der fast rechtlose Status der einfachen LPG-Mitglieder machte es nach der Wende möglich, diese ohne angemessene und auch gesetzlich vorgeschriebene Abfindung aus den Nachfolgebetrieben zu entfernen. Schätzungen gehen davon aus, dass im Durchschnitt jedem Mitglied eine Abfindung von mehr als 12.000 Euro vorenthalten wurde. Dieses Vermögen verwendeten die Nachfolgebetriebe für ihre finanzielle Konsolidierung. Eigentlich musste entsprechend den Gesetzen den ausgeschiedenen LPG-Mitgliedern auch für jedes Arbeitsjahr in der LPG eine Abfindung gezahlt werden. Dabei wurde im Mittel über ganz Ostdeutschland ein Wert von etwa 40 EUR/Jahr Arbeit angesetzt, von denen allenfalls 25 Prozent, also rund 100 EUR/Jahr, ausgezahlt wurden. Bei einigen LPG-Nachfolgern wurden Abfindungswerte unter SO Cent/Jahr festgesetzt. Ostpolitiker wie Lothar de Maizière, Wolfgang Thierse oder die besonders "sozial bewegte" Garde der Linken betonen immer, dass die Lebensleistung der DDR-Bevölkerung gewürdigt werden müsse. Diese Politiker hätten nach ihren eigenen Ansprüchen eine angemessene Vergütung der Arbeitsjahre in der LPG verlangen müssen. So etwas wurde bis heute nicht vernommen.

Warum das Stillschweigen über die Geschichte der DDR-Landwirtschaft? Weil davon die Subventionierung der ostdeutschen Großagrarier auch noch heute abhängt. Wenn die Mechanismen des Aufbaus der Ostlandwirtschaft nach 1990 im Kontext mit der DDR-Geschichte öffentlich diskutiert würden, wäre der bis heute fortbestehende Exzess an Subventionen für wenige nicht mehr durchzuhalten.

Die enteigneten Flächen dienten nach der Wende und dienen noch heute der öffentlichen Hand, also Bund, Ländern und Kommunen, dazu, DDR-Agrarkader, DBV-Funktionäre und Agrarindustrielle zu subventionieren. Sie dienen dazu, in weiten Regionen Ostdeutschlands mittelständische, bäuerliche Strukturen zu verhindern.

Die Instrumente der SED zur Kollektivierung auf dem Lande gingen in Nachwendeorganisationen auf, DBD in der CDU, die VdgB bildete die ostdeutschen Landesbauernverbände.


Jörg Gerke, Bauer in Mecklenburg-Vorpommern, Autor des Buches "Nehmt und Euch wird gegeben", erschienen im AbL-Verlag


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 328 - Dezember 2009, S. 17
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft -
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(verbilligt auf Antrag 26,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Februar 2010