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ORGANISATION/294: Wohlfahrtsverbände in der Kritik (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 46 vom 15. November 2013
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Wohlfahrtsverbände in der Kritik
Caritas & Co. sind ein gigantisches Imperium geworden

von Manfred Dietenberger



Im Gefolge der jüngsten Affäre um den Limburger Lebemann und Bischof Franz-Peter Tebartz entfachte notwendige Debatte um das Verhältnis von Kirche und Staat kommt nun auch das System der "christlichen" Wohlfahrtsverbände in die Schusslinie der Kritik. Mit reißerischen Überschriften wie "Monopolkommission knöpft sich Caritas und Diakonie vor" berichten die bundesdeutschen Zeitungen, dass die kirchennahen Sozialkonzerne ins Visier der Marktwächter geraten.

Den Zeitungsmeldungen zu Folge erwägt die Monopolkommission die Wohlfahrtspflege, insbesondere der kirchlichen Verbände wie Caritas, Diakonie, Malteser, aber auch das Rote Kreuz in einem neuen Hauptgutachten einer Prüfung zu unterziehen. Deren nur schwer überschaubare Mischfinanzierung werfe Fragen nach Transparenz auf und führe zu Fehlentwicklungen. Diese Verbände erbrächten Leistungen, über deren Bedarf und Preise sie zugleich in staatlichen Gremien mitentscheiden, begründete Daniel Zimmer, der Vorsitzende der Monopolkommission, dieses Vorhaben.

Doch so neu sind die angeblichen Sorgen der regierungsnahen Marktwächter allerdings nicht. Schon 1998 sprach die Monopolkommission in ihrem Gutachten von einem "kartellartigen Erscheinungsbild" der Sozialkonzerne.

Auch hätten sie kein Interesse daran, effizient zu arbeiten. Die ihnen zugestandene Gemeinnützigkeit würde benutzt, um Marktmacht und Einfluss permanent auszudehnen. Dies führe zu einem "Überangebot" an sozialen Beratungs- und Betreuungsangeboten. Aus wirtschaftlicher Sicht seien das überflüssige Einrichtungen und würden quer subventioniert. So würden die Bürger durch einen überzogenen Einsatz von Steuergeldern und Mitteln der Sozialversicherung belastet; auch entstünden erhebliche volkswirtschaftliche Mehrkosten, wenn etwa Teilnehmer an subventionierten Programmen, wie dem freiwilligen sozialen Jahr, dem Arbeitsmarkt nicht oder erst später zur Verfügung stünden. Die sozialen Verbände erbrächten Leistungen, über deren Notwendigkeit und Preise sie zugleich als Mitglieder in Gremien mitentscheiden dürften.

Das für Sommer 2014 geplante Gutachten dürfte die gleiche Stoßrichtung haben. Caritas & Co. haben sich zu einem gigantischen Wohlfahrtsimperium entwickelt. Unter vielerlei Namen betreiben sie eine Art Franchising der Nächstenliebe. Die ganz Großen der Branche heißen Caritas (katholisch) und Diakonisches Werk (evangelisch), die zusammen fast eine Million Mitarbeiter auf ihren Gehaltslisten führen.

Allein die Zahl der Arbeitsplätze bei den großen fünf der Mildtätigkeit hat sich seit 1970 mehr als verdreifacht. Marktführer Caritas ist mit rund 560 000 Beschäftigten der größte private Arbeitgeber in Deutschland. Mit rund 80 000 hauptamtlich Beschäftigten ist das Rote Kreuz eher ein kleiner Player. Der Umsatz der Gesamtbranche liegt bei ca. 60 Milliarden Euro. Insgesamt wird z. B. allein das mögliche Outsourcingpotential in der Wohlfahrtspflege auf rund 270 Millionen Euro geschätzt. Daher gehören in der Tat die Finanzen und Praktiken bei der Vergabe staatlicher Gelder an die Sozialkonzerne und die unheilige Verquickung von Kirche und Staat endlich einer demokratischen Kontrolle unterzogen.

In den vergangenen Jahren wurden schon viel zu viele soziale Einrichtungen privatisiert. Doch aufgepasst: Der jetzt vorgetragene Angriff auf Caritas, Diakonie & CoKG greift Kritikwürdiges nur auf, um einen Beitrag zur Sturmreifschießung von gemeinnützigen, nicht ausschließlich am Profit orientierten Organisationen im Sozialbereich zu leisten.

Das hat zu einem gnadenlosen, allein am Profit orientierten Wettbewerb im sozialen Sektor geführt. Auf der Strecke geblieben sind die zu betreuenden Menschen.

Immer weniger Personal steht für immer mehr Arbeit bei den sozialen Dienstleistungen zur Verfügung. Damit verschlechtert sich die Qualität der Dienstleistung und die Arbeitsbedingungen der in diesem Sektor Beschäftigten.

Betriebliche Mitbestimmung, gewerkschaftlich ausgehandelte Tarifverträge oder gar das Streikrecht sind in diesen Unternehmen Fremdwörter Das Soziale soll weiter zu Gunsten des Profits zurückgedrängt werden. Doch gerade da braucht es mehr statt weniger Gemeinnützigkeit. Druck kommt auch immer wieder aus Brüssel. Für die Brüsseler Wettbewerbshüter sind Caritas, Diakonie etc. normale Unternehmen im Sinn des EU-Wettbewerbsrechts. Und auch schon die wissenschaftlichen Berater von Finanzminister Peer Steinbrück empfahlen, das Gemeinnützigkeitsrecht radikal zu beschneiden, denn "Die althergebrachte Privilegierung von Wohlfahrtsorganisationen verhindert die Entwicklung eines effizienten Marktes für Pflegedienstleistungen". Steinbrück war anfangs geneigt, den Rat auch zu beherzigen. Doch es kam nicht dazu, die Zeit dazu war noch nicht reif. In und mit der drohenden Großen Koalition ist das anders.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 45. Jahrgang, Nr. 46 vom 15. November 2013, Seite 2
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. November 2013