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ORGANISATION/176: Prostitution - ein Thema für pro familia? (pro familia)


pro familia magazin 4/2008
Deutsche Gesellschaft für Familienplanung, Sexualpädagogik + Sexualberatung e.V.

Prostitution - ein Thema für pro familia?
Zwischen radikaler Ablehnung und Unterstützung

Von Christiane Howe


Gehört Prostitution zu einer der vielfältigen Spielarten von Sexualität? Gehört sie damit in den Kanon einer selbstbestimmten gelebten Form von Sexualität? Und schließen die sexuellen und reproduktiven Rechte, die Grundlage der Arbeit von pro familia sind, somit diese Art von Sexualität ein? Die Autorin, Mitglied im Bundesvorstand der pro familia, nähert sich den Antworten an.


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Ist Prostitution nur eine Arbeit von Frauen und Männern, die sich dafür entschieden haben und selbstbewusst ihre sexuellen Dienstleistungen anbieten und verkaufen? Oder stellt sie grundsätzlich einen Angriff auf die Würde und Integrität der Frau, eine Macht- und Gewaltdemonsrration der Männer dar? Welche Frau macht das schon freiwillig? Wer soll die Antworten auf diese Fragen geben? Die LobbyistInnen und VertreterInnen der Hurenbewegung, die seit Jahren für die Anerkennung als Beruf eintreten, der ihnen keinesfalls ihre Würde nimmt oder die, die sich mangels Alternative keinen besseren oder anderen Job aussuchen konnten und unglücklich mit dieser Tätigkeit sind, oder gar diejenigen, die mehr oder weniger dazu gezwungen sind? Wie stellt sich der Verband pro familia hierzu?

Das Themenfeld ist komplex. Im Folgenden werde ich versuchen die zwei Positionen, die den Prostitutionsdiskurs bis heute hauptsächlich bestimmen, skizzenhaft zu umreißen, um dann zu einer abschließenden Empfehlung zu gelangen.


A. Die radikal ablehnenden Positionen

Der radikal ablehnenden Position liegen dem Verständnis von Prostitution und daraus resultierend den Prostitutionskunden zwei Annahmen zugrunde: zum einen das der männlichen Kontrolle und Herrschaft über den weiblichen Körper und die weibliche Sexualität, so dass die Bedürfnisse und Interessen der Männer bedient werden, nicht aber die der Frauen und zum anderen, dass männliche Bedürfnisse nach Prostitution und Prostituierten Ausdruck von männlichem Frauenhass sowie männlicher Lust an (totaler) Machtausübung über Frauen seien.

Diese Grundannahmen sind eingebettet in eine allgemeine Theorie des Patriarchats, die versucht moderne Geschlechterverhältnisse zu beschreiben und zu erklären. Diese Theorie ist aus dem Kontext der 60er/70er Jahre und vor dem Hintergrund der damaligen Frauenbewegung entstanden. "Die einfachste, gewissermaßen auch umfassendste Definition fasst Patriarchat als System sozialer Strukturen und Praktiken, in denen Männer Frauen dominieren, unterdrücken und ausbeuten. ... Das Patriarchat wird als eine Institution begriffen, mit der der Mann Kontrolle über die reproduktive Kraft der Frau gewinnt, gewissermaßen eine Kompensation für nicht vorhandene eigene reproduktive Fähigkeiten" (Meuser 1998, Seiten 79, 80).

Anmerken möchte ich an dieser Stelle, dass diese (ersten) Theorie(n) des Patriarchats und mit ihm die Vorkämpferinnen der Frauenbewegung ohne Frage eine Menge in Bewegung gebracht und positive Veränderungen durchgesetzt haben. Ihre Arbeit und ihre Erfolge sind dabei nicht hoch genug einzuschätzen, daraus sind die ersten Frauenberatungsstellen, Frauennotrufe, Frauenbeauftragte, Gesetzesänderungen etc. entstanden.

Die Institution der Prostitution wird von den meisten Feministinnen, die diesen ersten Patriarchatstheorien zugeneigt sind und vor allem aus dieser Zeit sind, allerdings bis heute ausschließlich als unmittelbarer Ausdruck patriarchaler Herrschaft und männlicher Gewaltausübung gegenüber Frauen aufgefasst.

Die männlichen Motive für die Nachfrage nach Prostitution werden dementsprechend beschrieben. Ausgegangen wird von einer durch patriarchale Sozialisationsprozesse und männliche Identitätsmuster (Kampf, Konkurrenz, Leistung, Gefühlskälte, Rationalitätszwang etc.) fundamental gestörten und deformierten psychosexuellen Struktur von Männern. Zwei Aspekte, die Männer mit Prostitutionsbesuchen zu kompensieren bzw. auszuagieren versuchen, erscheinen hierbei relevant: die männlichen Bedürfnisse nach Kontrolle und Macht über Frauen, ihre Kürper und ihre Sexualität sowie die von Männern verdrängten und verleugneten Bedürfnisse nach Wärme, Liebe, Zuneigung und Verständnis. Sie agieren diese auf einem für sie ungefährlichen Weg aus, da der (sexuelle) Kontakt mit einer Prostituierten mit keinerlei sozialen, emotionalen oder institutionellen Verpflichtungen verbunden ist.


Prostituierte müssen "befreit" werden

Diese als höchste Form des Frauenhasses beschriebenen Prostitutionsbesuche sollen (neben Vergewaltigung und anderen Formen sexueller, physischer und emotionaler Gewalt von Männern gegenüber Frauen) demnach gewährleisten, dass Männern ein ungehinderter Zugriff auf den weiblichen Körper zwecks ökonomischer und psychosexueller Ausbeutung und auf die weibliche Sexualität ermöglicht wird.

Die Struktur prostitutiver Interaktionen wird mit diesem Erklärungsansatz so gelesen, dass die Prostituierte über den Tauschakt für einen vereinbarten Zeitraum das Selbstbestimmungsrecht über ihren Körper und ihre Sexualität an den Freier abtritt. Sie unterliegt somit seiner Verfügungsgewalt nach Abschluss des Kontraktes, ohne eine Möglichkeit, auf diesen Prozess weiterhin Einfluss nehmen zu können. Dadurch ist es keiner der Frauen innerhalb der Prostitution mehr möglich, als selbstverantwortlich tätig und als Subjekt zu agieren. Der prostitutive Akt wird ausschließlich als demütigend, entfremdet und frauenverachtend wahrgenommen und beschrieben. Damit eng verbunden ist grundsätzlich die Definition der in diesem Bereich arbeitenden Frauen als Opfer.

Vor diesem Hintergrund wird dann bei der Prostitution, Pornographie und Vergewaltigung ausschließlich von "sexueller Versklavung", "Geschlechterkolonisation" und der "Ideologie des kulturellen Sadismus" gesprochen. Folgerichtig können dadurch die Kunden der Prostituierten nur noch macht- und sexgierige oder gestörte, gehemmte, in jedem Fall beziehungsunfähige Männer sein. Sie sind generell und ohne Ausnahme qua Definitinn Gewalt-(Sexualstraf-)täter.

Für die politische Praxis dieses mit als radikal feministisch beschriebenen Ansatzes ergibt sich die Konsequenz, dass der Kampf gegen die Prostitution als Institution geführt wird und diese zukunfrsperspektivisch abgeschafft werden soll und muss. Prostituierte müssen folgerichtig aus diesen Gewaltzuständen "befreit", dann unterstützt und betreut werden, um "den Weg zurück ins Leben finden zu können". Freier sind und können in diesem Rahmen qua Definition nur (Gewalt-)Täter sein, die es zu bestrafen oder zu therapieren gilt. Dieser Ansatz wird insbesondere in den skandinavischen Ländern präferiert und wurde in Schweden bereits umgesetzt.


B. Die anerkennende, unterstützende Position

Die politischen Selbsthilfeorganisationen von Prostituierten (u. a. HWG, Hydra, Nitribitt[1]) entstanden in Westdeutschland Ende der 70er Jahre im Kontext der Frauenbewegung. Sie verstehen sich als Vertretung der politischen, beruflichen und sozialen Interessen von Prostituierten. Das Selbstverständnis der VertreterInnen dieser Position ist ebenfalls feministisch.

Prostitution wird hier als ein kompliziertes System beschrieben, das durch eine Vielzahl von Verhaltensregeln und Denkmustern gekennzeichnet sei. Ein spezifisches Wissen und umfangreiche Kontakte seien notwendig. Motivation und Legitimation für die Arbeit in der Prostitution sei der finanzielle Gewinn. Die Kunden seien Quelle des Gelderwerbes und keine Sexualobjekte für die Prostituierten. Prostituierte böten ausschließlich die Ware Sexualität an - und nicht sich selbst zum Verkauf. Aufgrund des finanziellen Anreizes würden und könnten die Frauen über bestehende gesellschaftliche Tabus hinweggehen.

Die VertreterInnen fordern die staatliche und gesellschaftliche Anerkennung und vollständige Legalisierung der Prostitution und gehen grundsätzlich davon aus, dass die meisten Ftauen und Männer der Prostitution fteiwillig nachgehen. Sie stehen damit den Einschätzungen der radikal ablehnend feministischen Position konträr gegenüber.

Für sie ist weder die Tätigkeit von Prostituierten noch das Bedürfnis von Männern nach käuflichem Sex unter dem Blickwinkel eines Gewalt- und Machtverhältnisses adäquat zu erfassen. Die ablehnende Position der erstgenannten Feministinnen-Gruppe verdeutlicht aus ihrer Sicht deren unreflektierte, mittelschichtsgeprägte, maternalistisch-bevormundende Haltung gegenüber Prostituierten und ihrer Arbeit.


Prostitution als normales Gewerbe

Prostitution wird in diesem Kontext als ein gewinnbringendes Gewerbe definiert, die Arbeit innerhalb dieses Gcschäfrsbereiches als eine (berufliche) Erwerbstätigkeit. Die warenförmige Veräußerung der Arbeitskraft der Prostituierten unterscheide sie somit nicht von anderen im Dienstleistungsgewerbe tätigen Menschen wie z. B. KellnerInnen, VerkäuferInnen, MasseurInncn etc. Es wird keine qualitative oder strukturelle Differenz zwischen dem Verkauf sexueller Dienstleistungen und der Arbeit in anderen Dienstleistungssektoren hergestellt. Darauf basierend ergeben sich für die Prostituierten folgende Schlussfolgerungen:

1. Die Arbeit von Prostituierten ist eine Erwerbstätigkeit und berufliches Betätigungsfeld.

2. Die Nachfrage nach käuflichem Sex entspringt weder männlichen Macht- und Gewaltphantasien, noch ist sie ein Indikator für ein destruktives, patriarchal strukturiertes Geschlechterverhältnis.

3. Sexarbeit bietet vielen Frauen eine gute Möglichkeit, auf bequeme, angenehme und interessante Art viel Geld zu verdienen - manchmal weitaus mehr als in anderen typisch weiblich kodierten Berufsfeldern (wie z. B. als Friseurin, Verkäuferin, Sekretärin).


Im Gegensatz zur anfangs beschriebenen Opfer-Perspektive werden hier besonders die progressiven und emanzipatorischen Elemente der Prostitutionsaktivitäten von Frauen betont und herausgehoben. Zudem sei die Prostitution aus dieser Perspektive einer der wenigen Bereiche, in denen Frauen, ohne die Konkurrenz von Männern fürchten zu müssen, überdurchschnittlich viel Geld verdienen können.

Auch das Verhältnis zu den Freiern wird dem entsprechend anders beschrieben: Männer sind Kunden oder Gäste, die ein spezifisches Produkt nachfragen - nämlich sexuelle Dienstleistungen - und die in keiner Weise als generell verurteilens-, verachtens- oder bekämpfenswert angesehen werden. Zu den Kunden werden, je nach spezifischer Situation und individueller Beurteilung, gute oder schlechte (Geschäfts-)Beziehungen aufgebaut. Es können sich darüber auch mehr oder weniger private Kontakte herstellen oder sich Freundschaften und Liebesbeziehungen entwickeln.


Ausbeutung und Gewalt werden nicht geleugnet

Dabei wird von Seiten der Prostitutionsverbände die Existenz von struktureller (männlicher) Gewalt, Ausbeutung und Unterdrückung innerhalb des Prostitutionsgefüges nicht geleugnet. Darunter fallen z. B. jede Form von erzwungener Prostitution, Drogenprostitution oder Kinder- und Jugendprostitution. Kritischer Ansatzpunkt der Prostituiertenverbände ist jedoch die staatliche Gesetzgebung mit ihren (bis heute) reichhaltigen Sonderregelungen. Gesetze und Verordnungen haben maßgebliche Auswirkungen auf die Arbeits- und Lebensbedingungen von Prostituierten und ihre Handlungsspielräume. Diese gesetzlichen Regelungen sind nach Auffassung der Verbände für die vielfältigsten Probleme (ökonomische Ausbeutung, sexualisierte Gewalt, Kriminalisierung, Stigmatisierung von Prostituierten und Freiern) verantwortlich. Prostitution wird somit erst aufgrund dieser spezifischen staatlichen Ausgrenzungsmechanismen zu einem (kriminalisierten) gesellschaftlichen Randbereich mit seinen enormen negativen Konsequenzen.

Aufgrund dessen stand und steht hier der Kampf um die gesellschaftliche Anerkennung und vollständige Legalisierung der Prostitution im Vordergrund. Dieser jahrelange Kampf mit seinen Forderungen hatte zur Folge, dass die Politik dieses Anliegen aufgriff und teilweise mit dem neuen Prostitutionsgesetz umgesetzt hat. Dieses neue Prostitutionsgesetz trat zum Januar 2002 in Kraft. Damit sind in einem ersten Schritt Verbesserungen erwirkt worden, von einer Gleichstellung mit anderen Erwerbstätigkeiten kann aber immer noch nicht gesprochen werden. (siehe Seite 17 der Print-Ausgabe.)

Das (politische) Zusammentreffen von Feministinnen der radikal ablehnenden Position und Prostituierten sowie Vertreterinnen der Prostituiertenverbände war von harten Kontroversen und ist bis heute von starken Spannungen gekennzeichnet. Es ist ein Ringen um die vorherrschende Lesart in der Diskussion, aber vor allem auch ein Ringen von Prostituierten in und mit ihrer Tätigkeit, sprich in ihrem Selbstbestimmungsrecht akzeptiert und anerkannt und nicht bloß viktimisiert und kriminalisiert zu werden.


Diskussion im Verband erforderlich

Hier kann eine ernst nehmende Unterstützung, auch von pro familia, ansetzen, insbesondere vor dem Hintergrund der sexuellen und reproduktiven Menschenrechte.

Sicherlich bestimmen der Kontext der eigenen Politisierung und Entwicklung im Rahmen der Frauenbewegung als auch die eigenen Erfahrungen mit und Vorstellungen von Sexualität und Geschlechter-Beziehungen sowie der Kontakt mit Prostituierten - ob sie nun selbstbewusst arbeiten oder Unterstützung und Hilfe in Beratungsstellen suchen - weitgehend die eigene Positionierung zur Prostitution und zur Prostituierten. Sie bilden den wichtigen Hintergrund und werden meist viel zu wenig thematisiert. Parernalistische / maternalistische Haltungen, auch im Sinne eigener Rertungsphantasien sind gerade in diesem Feld vielfältig vorhanden. Fast überflüssig darauf hinzuweisen, dass die eigene Haltung und Einstellung sich auch in der Betrachtung und Wahrnehmung der Freier widerspiegelt. Vielleicht sollten wir hier mit dem Austausch und den Diskussionen im Verband beginnen?

Das Themenfeld Prostitution bietet sich, durch seine intimen Heimlichkeiten und seine relative Unsichtbarkeit, offensichtlich als sehr gute Projekrionsfläche für teilweise monströse Gewalt-Vorstellungen an. Diese Projektionen wie Mythen finden sich auch in den Köpfen aller Beteiligten und insbesondere in den Bildern der Köpfe der Mehrheitskulrur, sprich der Dominanzkultur wieder. Umso wichtiger ist es den Frauen und Männern, die in der Prostitution arbeiten, genau zu zuhören und sie für ihre Belange sprechen zu lassen - jenseits unserer gemachten Vorstellungen. Ihren Kampf um Selbstbestimmung und Anerkennung gilt es zu unterstützen.

Der alltägliche, wie auch wissenschaftliche Diskurs über Prostitution und Freier sind ohne Zweifel voll mit affektgeladenen Impulsen und Phantasien. Dies gilt es zu berücksichtigen und dem gilt es insgesamt und bewusst Rechnung zu tragen.


[1] Die vollständige Auflistung aller bundesrepublikanischen Prostitutionsverbände, inklusive Anschriften, befindet sich in: Schriftenreihe des Bundesministeriums für Frauen und Jugend 1993, Dokumentation zur rechtlichen und sozialen Situation von Prostituierten in der Bundesrepublik Deutschland, S. 384-385.

Eine Literaturliste zum Thema kann bei der Bundesgeschäftsstelle der pro familia angefordert werden.


Christiane Howe ist Diplom Soziologin und Gesprächsberaterin und an der Technischen Universität Berlin (TUB) in einem EU-Forschungsprojekt über die Umsetzung des AGG hinsichtlich geschlechtsspezifischer und ethnischer Diskriminierungen beschäftigt. Sie ist bei context e.V., einem Netzwerk zu Migration, Prostitution und Menschen-/ Frauenrechte, tätig und hat in mehreren Forschungsprojekten, unter anderem zu Kunden von Prostituierten, gearbeitet. Zu den Themen Migration, Geschlechterverhältnis, Prostitution, Hausarbeit und Menschenhandel sowie Menschenrechte hat sie vielfach publiziert. Christiane Howe ist Mitglied des Bundesvorstandes von pro familia.
Kontakt: ch.howe@context-cps.de


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Quelle:
pro familia magazin Nr. 04/2008, Seite 4-8
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. August 2009