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GEWERKSCHAFT/180: El Salvador - Maquila-Betriebe setzen Verbrecherbanden auf Gewerkschaftsaktivisten an (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 25. März 2015

El Salvador: Maquila-Betriebe setzen Verbrecherbanden auf Gewerkschaftsaktivisten an

von Edgardo Ayala



Bild: © Edgar Romero/IPS

Näherinnen in einem Maquila-Fertigungsbetrieb in der Freihandelszone San Bartolo in der Stadt Ilopango im Osten El Salvadors
Bild: © Edgar Romero/IPS

San Salvador, 25. März (IPS) - Maquila-Fertigungsbetriebe, die in El Salvador für multinationale Konzerne Kleidungsstücke produzieren, werden beschuldigt, kriminelle Banden auf gewerkschaftlich organisierte Mitarbeiter anzusetzen.

Wie Näherinnen, die anonym bleiben wollen, gegenüber IPS und internationalen Organisationen berichteten, haben die Drohungen und das allgemeine Klima der Gewalt in dem Sektor seit 2012 drastisch zugenommen.

"Ich wurde telefonisch aufgefordert, aus der Gewerkschaft auszutreten und keinen Ärger mehr zu machen", sagte eine Beschäftigte der koreanischen Firma 'LD El Salvador', die in der Freihandelszone San Marcos südlich der Hauptstadt San Salvador angesiedelt ist. Der Anrufer drohte der Arbeiterin damit, dass sie ermordet und ihre Leiche an einem Baum vor der Fabrik aufgehängt werde, sollte sie die Warnung in den Wind schlagen.

Die Näherin, Mitglied der Textilarbeitergewerkschaft SITS, gehört zu den 780 Beschäftigten des 'Maquila'-Unternehmens, das für die Firmen 'Náutica' und 'Walmart' arbeitet. "LD-Manager haben Bandenmitglieder angeworben, um sicherzustellen, dass die Drohungen die gewerkschaftlich organisierten Mitglieder direkt auf dem Firmengelände erreichen", erzählte die Beschäftigte. Die Einschüchterungstaktik hat sich als erfolgreich herausgestellt. "Nur noch 60 meiner 155 Kolleginnen sind in der Gewerkschaft geblieben."

Die Gangs, die sogenannten Mara, werden für einen Großteil der Morde in dem verarmten Land verantwortlich gemacht. "Ich erhalte Anrufe, in denen man mir sagt, dass ich tot in einem schwarzen Sack enden werde, sollte ich die Gewerkschaft nicht verlassen", erklärte eine Kollegin, die sich ebenfalls Anonymität ausbat. Sie gehört zu den wenigen, die sich bisher noch nicht einschüchtern ließen.


Unter den Staaten mit der höchsten Gewaltrate

Das 6,3 Millionen Menschen zählende Land gehört zu den Staaten mit der weltweit höchsten Gewaltrate. 2014 wurden 3.912 Morde in El Salvador registriert. Das entspricht 63 Morden pro 100.000 Einwohnern. In Lateinamerika liegt der Durchschnitt bei 29 und weltweit bei 6,2 pro 100.000.

In allen 17 Freihandelszonen des Landes gibt es solche Maquila-Textilfertigungsfabriken, die aus zollfrei eingeführten Materialien Kleidungsstücke für den Export fabrizieren. Die Hersteller profitieren vor Ort zudem von Steuervorteilen. Die Kunden sind international bekannte Marken wie 'Nike', 'Puma' und 'Adidas'.

Im vergangenen Jahr waren in der Branche etwa 74.000 Menschen tätig, die meisten von ihnen Frauen. Sie stellen etwa zwölf Prozent der insgesamt 636.000 im Privatsektor Beschäftigten. Die Exporte belaufen sich auf jährlich 2,4 Milliarden US-Dollar. Das entspricht nach Branchenangaben etwa der Hälfte aller Ausfuhren El Salvadors.

Der Mindestlohn für täglich bis zu zwölf Stunden harter Arbeit liegt bei umgerechnet 210 US-Dollar im Monat. Eine Arbeiterin berichtete, dass sie in zehn Stunden 1.110 Paar Hemdenärmel zusammennäht.

Seit Beginn des 'Maquila'-Booms in den 1990er Jahren werden den Fabriken ein unmenschlicher Umgang mit ihren Beschäftigten und Verletzungen des Arbeitsrechts vorgeworfen. "Mit am häufigsten wird gegen das Recht, sich gewerkschaftlich zu organisieren, verstoßen", erklärte der Sekretär der salvadorianischen Gewerkschaftsdachverbands, Reynaldo Ortiz.


Gewerkschaftsmitglieder treten aus Angst aus

Ein Bericht des 'Center for Global Workers' Rights' an der PennState University und des 'Worker Rights Consortium' (WRC) - beide sind in den USA angesiedelt - dokumentiert die gezielte Einschüchterung von Maquila-Beschäftigten durch bezahlte Gangster. Von den Morddrohungen gehe eine starke abschreckende Wirkung aus, zumal immer wieder Gewerkschaftsaktivisten ermordet werden und die salvadorianische Gesellschaft unter der hohen Bandenkriminalität leide, so der Report 'Unholy Alliances'.

In einer Maquila-Fabrik von 'F&D', einem ebenfalls in der Freihandelszone von San Marcos tätigen Unternehmen aus Taiwan, sollen zwei F&D-Manager in Begleitung von Bandenmitgliedern gezielt auf gewerkschaftlich organisierte Arbeiter gezeigt haben. Bei einem Gewerkschaftstreffen im November 2013 seien Gang-Mitglieder zusammen mit Firmenmanagern erschienen, berichtete eine Beschäftigte. Ein Teilnehmer, Carlos Sánchez, sei im Januar vergangenen Jahres unter ungeklärten Umständen getötet worden. Der Fall sei von der Generalstaatsanwalt nicht weiterverfolgt worden.

Sprecher der Unternehmen F&D und LD sowie Vertreter des Arbeitsministeriums waren für Stellungnahmen bisher nicht erreichbar.


Bewaffnete Männer vor der Fabrik

Bedroht wurden außerdem Mitglieder der Textilarbeitergewerkschaft 'Sitrasacosi', die unter anderem in der Fabrik 'Nemtex' im Westen von El Salvador gewerkschaftlich aktiv sind. "Bewaffnete in Autos warten nach Schichtende vor der Fabrik. Auch wenn sie niemanden ansprechen, stellt ihre bloße Anwesenheit eine große psychische Belastung dar", betonte eine Näherin. Nach Todesdrohungen sei ein führendes Mitglied der Gewerkschaft, in der Beschäftigte von Nemtex organisiert sind, Ende Februar in die USA geflohen. Sowohl das Fabrikmanagement als die Firmeneigner versuchten, Tarifverhandlungen zu verhindern.

Kurz bevor eine andere Gewerkschaft in der Textilfabrik 'Gama' den ersten Tarifabschluss in der Maquila-Industrie erreichen konnte, wurde das Unternehmen plötzlich im Juni 2011 geschlossen. Mehr als 270 Arbeiterinnen standen ohne Job da.

"Eher wird eine Fabrik dichtgemacht, als dass eine Tarifregelung in Kraft tritt", kritisierte das Sitrasacosi-Mitglied. Auf Druck der 'International Union League for Brand Responsability' habe Gama schließlich im Dezember 2012 Abfindungen an die Entlassenen gezahlt. Der global agierenden Organisation gehören Beschäftigte multinationaler Textil-, Bekleidungs- und Schuhhersteller an. (Ende/IPS/ck/2015)


Links:

http://www.ipsnews.net/2015/03/salvadoran-maquila-plants-use-gang-members-to-break-unions/
http://www.ipsnoticias.net/2015/03/maquilas-salvadorenas-usan-pandilleros-contra-sindicalistas/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 25. März 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. März 2015

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