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GENDER/049: Costa Rica und Lateinamerika - Meilenstein für Ehe für Alle und Trans*Personen (poonal)


poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen

Costa Rica / Lateinamerika
Meilenstein für Ehe für Alle und Trans*Personen

Von Markus Plate


(Mexiko-Stadt, 17. Januar 2018, npl) - Gleichgeschlechtlich heiraten ist nicht in Costa Rica. Adoption ohnehin nicht. Als Trans*Person den Namen oder gar das Geschlecht im Personalausweis ändern schon mal gar nicht! Costa Rica ist der Verfassung nach katholisch und gesellschaftlich äußerst konservativ. Sowohl katholische wie auch evangelikale Kirchen haben über ihren Einfluss auf politische Entscheidungsträger bislang jeden Fortschritt in der Anerkennung von Rechten der sexuellen Vielfalt erfolgreich blockiert, Homo- und Transphobie sind so verbreitet wie der gewalttätige Machismo. Daran etwas auf parlamentarischem Weg zu ändern, das war und ist in Costa Rica einigermaßen aussichtslos. Aber vor zwei Jahren hatte die derzeitige und recht weltoffene Regierung Costa Ricas eine smarte Idee ...

Im Mai 2016 fragte Costa Ricas Vizepräsidentin Ana Helena Chacón beim Interamerikanischen Menschenrechtshof(*) offiziell an, ob das mittelamerikanische Land eigentlich genug tue, um die Menschenrechte von Lesben, Schwulen, Trans*Personen, sprich der Sexuellen Vielfalt zu garantieren. Nun, am vergangenen 9. Januar veröffentlichte der Menschenrechtshof mit sechs zu eins Stimmen ein Rechtsgutachten, das es nicht nur für Costa Rica in sich hat.


Alle Rechte auch für homosexuelle Paare

Der Interamerikanische Menschenrechtshof hatte sich die Menschenrechtscharta der Organisation Amerikanischer Staaten angeschaut und die Mitgliedsstaaten von Mexiko bis Argentinien um ihre Meinung gebeten. Und heraus kam: Homosexuelle Paare sind mit heterosexuellen gleichzustellen mit sämtlichen Rechten und Pflichten. Das Gerichtsgutachten betont das Wort "alle Rechte", die auch heterosexuelle Paare genießen, damit dürfte ein gesondertes Lebenspartnerschaftsgesetz nicht mehr ausreichen. In der Praxis bedeutet das also die Ehe für Alle.

Und damit nicht genug: Der Staat hat laut Gericht Menschen nicht vorzuschreiben, mit welchem Namen und Geschlecht sie zu leben haben. Trans*Personen haben das Recht, Ihren Namen und Ihr Geschlecht selbst zu bestimmen. Und der costa-ricanische Staat habe die Pflicht, offizielle Dokumente entsprechend und kostenfrei zu ändern - ohne von den Betroffenen Behandlungen und medizinische, psychologische oder sonstige Gutachten zu fordern. Das Rechtsgutachten des Gerichts ist nach Einschätzung von Verfassungsrechtlern für Costa Rica bindend. Und mehr noch: Da sich das Gericht auf die von 25 Staaten unterzeichnete Menschenrechtskonvention beruft, können auch Menschen in den anderen Unterzeichnerstaaten die Öffnung der Ehe und Rechte für Trans*Personen einfordern.

In der Avispa wurde Tags darauf gefeiert. Der Club im Zentrum San Josés war lange Jahre lesbische Party-Referenz in Costa Rica, mittlerweile ist er LGBTI gemischt und eher "popular", also eine Location vor allem für Menschen mit kleinerem Geldbeutel, mit Migrationshintergrund oder einfach mit Spaß an Salsa, Cumbia oder Reggaeton. Heute sind Pärchen aller denkbarer Kombinationen am Start. Zur Feier des Tages heute ohne Eintritt und mit Ehrengast: Ana Helena Chacón, Costa Ricas Vizepräsidentin, die den Gerichtshof vor knapp zwei Jahren angerufen hatte.


Vizepräsidentin als Verfechterin für sexuelle Vielfalt

Chacón ist eine Politikerin, die sich über viele Jahre für die Rechte von Kindern und Jugendlichen, von Menschen mit Behinderungen, für medizinisch begründete Abtreibungen und Künstliche Befruchtung und eben für Rechte der sexuellen Vielfalt in Costa Rica eingesetzt hat. Die Vizepräsidentin nimmt das Thema persönlich: "Mir ist es in meiner Ehe nicht allzu gut gegangen. Ich bin also keine Heilige, die will, dass alle Welt heiratet. Aber an dem Tag, als ich heiraten wollte habe ich geheiratet! Und nun dürfen wir alle heiraten." Der Gerichtshof habe dem Vertrag von San José, der Gründungsakte des Menschenrechtshofes, Ehre gemacht und es erfülle sie mit Stolz, dass eine Costa Ricanerin nun sagen kann, dass Menschen in 25 Ländern der Region ab jetzt würdevoller leben können. Und dass endlich, in den Ausweisen der Trans*Personen, ab jetzt die Namen und das Geschlecht stehen werden, mit denen sie sich selbst identifizierten.

Auch Marco Castillo ist da, jahrzehntelanger LGBTI-Aktivist. So viele Jahrzehnte, dass er sich an diesem Abend ein gefühltes halbes Jahrhundert über dem Altersschnitt bewegt. Schon am Tag der Gerichtsentscheidung hatte Castillo zu Protokoll gegeben: "Wir sind sehr glücklich über diese historische Entscheidung. Costa Rica muss diese Entscheidung umsetzen und sowohl Vizepräsidentin Chacón wie auch Präsident Luis Guillermo Solís koordinieren bereits mit allen Institutionen Costa Ricas, diese Entscheidung in die Praxis umzusetzen. Diese Entscheidung gilt für alle 25 Mitgliedsstaaten und so werden Aktivisten in ganz Lateinamerika auf ihre Regierungen Druck ausüben, damit diese Entscheidung zur Praxis wird".


"Historische Entscheidung"

Der Spruch des Gerichts kommt einem Präzedenzfall gleich. Sämtliche Mitgliedsstaaten könnten also in zukünftigen Verfahren vor dem Interamerikanischen Menschenrechtshof dazu verdonnert werden, die Ehe für alle zu öffnen, sollten sie es nicht schon vorher freiwillig tun oder getan haben. Im weit entfernten Chile hat die Bewegung der homosexuellen Integration und Befreiung (Movilh) die Entscheidung gefeiert und den designierten Präsidenten Sebastián Piñera aufgefordert, sie schnellstmöglich in nationales Recht zu überführen. Auch Bolivien und Peru, El Salvador und Guatemala, Honduras und Nicaragua, Panamá und Paraguay könnten nun dazu gezwungen werden, endlich die Rechte von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften und Trans*Personen anzuerkennen.

Bis nun gleichgeschlechtliche Ehen in Costa Rica praktisch und faktisch gleichgestellt sind und Trans*Personen tatsächlich neue Personalausweise in der Hand halten, wird noch Zeit vergehen. Die Institutionen des Landes, Standesämter, Familiengerichte oder das Wahlregister, müssen jetzt erst einmal Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften ändern. Aber der Menschenrechtshof hat Costa Rica dazu verpflichtet, ab sofort und bis zu einer entsprechenden Anpassung aller Rechtsvorschriften Übergangslösungen einzuführen. Organisationen der sexuellen Vielfalt und Menschenrechtsorganisationen haben gleichgeschlechtliche Paare bereits dazu aufgefordert, vor solidarischen Notaren ihre Ehe zu schließen.

Auch wenn der Aufschrei unter der Rechtgläubigen groß ist und auch wenn verschiedene Politiker*innen und Kirchen nun fordern, den Spruch des Interamerikanischen Menschenrechtshofes NICHT umzusetzen: Es sieht so aus, als sei Costa Ricas Regierung entschlossen, noch vor den Wahlen Anfang Februar Fakten zu schaffen. Und den Erfolg der sexuellen Vielfalt in Costa Rica unumkehrbar zu machen.

(*) Der Interamerikanischer Menschenrechtshof ist ein Organ der Organisation Amerikanischer Staaten mit der Aufgabe, Recht zu sprechen auf Basis der Menschenrechtscharta derselben Organisation. Der Interamerikanische Menschenrechtshof wurde im Jahr 1969 bezeichnenderweise in Costa Ricas Hauptstadt San José ins Leben gerufen. 25 Staaten verpflichteten sich im sogenannten Abkommen von San José, die Rechtsprechung des Menschenrechtshofes anzuerkennen.


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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Januar 2018

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