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GENDER/037: Bolivien - Regenbogengemeinde feiert neues Gesetz der Vielfalt (poonal)


poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen

Bolivien
"Für uns ist es eine Wiedergeburt!" - Regenbogengemeinde feiert neues Gesetz der Vielfalt

Von Thomas Guthmann, Bolivien


(Berlin, 24. Juli 2016, npl) - Ende Juni fanden auch in Bolivien zahlreiche Paraden für sexuelle Vielfalt statt. Wie überall auf der Welt wird Ende Juni an die Ereignisse in der Christopher Street in New York erinnert. 1969 wehrten sich Schwule in Manhattan gegen Schikanen der Polizei. In Bolivien war die LGBTI Gemeinde dieses Jahr lauter als in den vergangenen Jahren. Der Grund liegt in einem Gesetz, dem Ley de Identidad, das im Mai mit überwältigender Mehrheit verabschiedet wurde. Es ermöglicht jedem Bolivianer und jeder Bolivianerin, die sexuelle Identität selbst zu bestimmen.


Selbst bestimmte sexuelle Identität

Die Freude war groß, als am 21. Mai 2016 Vizepräsident Álvaro Garcia Linera in einem feierlichen Akt verkündete, dass das Gesetz zur Identität in Kraft tritt. Es ermöglicht jedem Bolivianer und jeder Bolivianerin, ihre sexuelle Identität selbst zu bestimmen. Sie können von nun an die Änderung von Namen oder Geschlecht beantragen. Eine operative Veränderung des Körpers wird für die zivilrechtliche Änderung von Namen und Geschlecht vom Gesetz nicht verlangt. Es obliegt der eigenen Entscheidung.

Manuel Cortéz, Vorsitzender des LGBTI-Kollektivs in El Alto, sieht in dem Gesetz einen Riesenschritt für Transpersonen: "Sie werden nun Zugang zum Sozialsystem haben. Es wird für sie leichter sein, eine gute Arbeit oder eine gute Wohnung zu finden. Das Gesetz hat Trans*personen Türen geöffnet, die ihnen vorher verschlossen waren. Viele weibliche Transgender wurden in die Prostitution gedrängt, weil es ihnen nur selten gelang, einen anderen Job zu bekommen."


Acht Jahre wurde über das Gesetz verhandelt

Bisher hatten Transsexuelle und Transgender das Problem, dass das angegebene Geschlecht in den offiziellen Dokumenten, wie Pass oder Personalausweis, nicht dem Geschlecht entsprach, mit dem sie sich identifizierten. Das führte dazu, dass sie mit ihren Anliegen oftmals im Behördendschungel stecken blieben.

Die Anerkennung des Schulabschlusses, die Einschreibung in die Universität, die Inanspruchnahme sozialer Leistungen, wie die Krankenkasse, aber auch die Anmietung einer Wohnung, blieb ihnen oftmals verwehrt. Behörden bearbeiteten die Fälle einfach nicht und Vermieter verweigerten die Wohnung mit dem Hinweis, dass Geschlecht und Name in den Dokumenten nicht mit der Erscheinung übereinstimmen.

Diese Diskriminierung soll nun enden. Dementsprechend skandierten Vertreterinnen der Trans-Community euphorisch "Wir sind wiedergeboren worden!", als das Gesetz verabschiedet wurde. Über acht Jahre wurde für das Gesetz gestritten. Tamara Nuñez del Prado, bekannte Vertreterin der Trans-Gemeinde, zeigte sich erfreut, obwohl es vom ursprünglichen Gesetzentwurf einige Abweichungen gab: "Das Gesetz wurde mehrere Monate im Parlament debattiert. Dabei wurden einige Themen, die wir ursprünglich im Gesetz haben wollten, wie etwa das Thema Gesundheit, gestrichen. Das Gesetz regelt ausschließlich die Frage der Identität in den offiziellen Dokumenten. Dennoch ist es ein wichtiger Schritt."


Santa Cruz: 200.000 Menschen bei Protestdemo gegen das Gesetz

Shade Mamani, jugendliche Aktivistin der LGBTI-Gemeinde aus El Alto hat an der Entstehung des Gesetzes mitgewirkt. Wie Tamara Nuñez ist auch sie erfreut über das positive Resultat der langjährigen Lobbyarbeit. Denn in Bolivien regiert mit der MAS, der Bewegung zum Sozialismus, zwar eine linksorientierte Regierung, die Basis der MAS besteht jedoch aus Kleinbauerngewerkschaften und indigenen Organisationen, die dem Thema sexuelle Identität nicht unbedingt aufgeschlossen gegenüber stehen. "Wir sind schneller ans Ziel gelangt, als wir geglaubt haben, denn wir haben nicht mit der Unterstützung der Fraktion der MAS gerechnet." Ohne die MAS, die mit einer Zweidrittel-Mehrheit regiert, wäre es nicht gegangen. Aber auch andere Fraktionen im Parlament stimmten für das Gesetz.

Shade Mamani sieht daher einen Stimmungswandel im Land, neue Zeiten, so die jugendliche Aktivistin euphorisch, würden für Bolivien anbrechen. Das kurz nach der Verabschiedung des Gesetzes in Santa Cruz, im östlichen Tiefland in Bolivien 200.000 Menschen gegen das Gesetz auf die Straße gingen, scheint Mamani nicht zu beeindrucken. Vor allem Kirchen liefen Sturm gegen das Gesetz. Es würde sich gegen die Familie richten, gab Victor Palma, Präsident der evangelischen Kirchen in Santa Cruz an. Man solle das "Wort Gottes" respektieren. Dem stimmten Vertreter der katholischen Kirche zu: das Gesetz greife die Würde des Mannes und der Frau an, "Das Gesetz wurde nicht im gesellschaftlichen Konsens verabschiedet" beklagte sich Aurelio Pesoa, Sprecher der katholischen Kirche.


Aktivistin Shade Mamani wurde zum Beispiel für andere

Patriarchales Denken ist in Bolivien weit verbreitet. Und immer wieder kommt es zu gewalttätigen Übergriffen gegen Transgender und Transsexuelle, aber auch gegen Lesben und Schwule. Shade Mamani hat diese Gewalt ebenfalls erlebt. Dabei ist es nicht nur körperliche Gewalt, sondern es sind auch gesellschaftliche Konventionen, die der LGBTI-Gemeinde das Leben schwermachen.

Als sich Shade Mamani in der Öffentlichkeit outete, hatte sie jede Menge Konflikte mit ihrer Mutter, die Angst vor den Nachbarn hatte. Es war der Aktivismus, der ihr half, die Blicke, das Getuschel zu ertragen. Heute geht sie mit ihrer Partnerin offen durch El Alto. Bis dahin war es ein langer Weg, meint Mamani: "Ich habe viel Diskriminierung in der Schule und bei der Arbeit erlebt. Früher konnte ich mich nicht wehren, weil ich meine Rechte nicht kannte. Aber als ich mich emanzipiert habe und meine Rechte kennenlernte, habe ich das geändert. Ich begann mich zu engagieren, und wurde zu einem Beispiel für andere."


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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Juli 2016

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