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FRAUEN/750: Historische Großdemonstration der Frauen gegen Faschismus in Brasilien (Pressenza)


Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin

Historische Großdemonstration der Frauen gegen Faschismus in Brasilien

Von Pressenza IPA - Brasilien, 6. Oktober 2018



Massenhafte Mobilisierungen gegen den rechtsextremen Kandidaten Jair Bolsonaro - Bild: Mídia Ninja, Cobertura Mulheres Contra Bolsonaro #EleNão [(CC BY-NC-SA 2.0) https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/]

#EleNão! (Er nicht!)
Bild: Mídia Ninja, Cobertura Mulheres Contra Bolsonaro #EleNão
[(CC BY-NC-SA 2.0) https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/]

Am 29. September fanden in fast zweihundert brasilianischen Städten Mobilisierungen gegen den rechtsextremen Kandidaten Jair Bolsonaro statt. Der Slogan der Aktionen und Märsche, die von Frauen organisiert und durchgeführt wurden, war einstimmig: #EleNão! (Er nicht!)

In jeder Ecke Brasiliens, in den Metropolen aber auch in kleineren Städten und sogar in weit entfernten ländlichen Gegenden haben Hunderttausende von Menschen entschieden gegen die rassistische, frauenfeindliche, homophobe und volksfeindliche Agenda des stellvertretenden und ehemaligen Armeekapitäns demonstriert.

Laut und deutlich war die entschiedene Ablehnung von Hassreden und Militarisierung des Landes zu hören. Gleichzeitig haben die enormen Massen an Demonstranten ihre Verurteilung eines Wirtschaftsprogramms zum Ausdruck gebracht, das die durch den Staatsstreich sich bereits abzeichnende Richtung konsolidieren würde: Blockierung von Investitionen in Gesundheit, Bildung und Sozialhilfe, Wiederauflage der neoliberalen Politik und eine Reform zur Einschränkung der Rentenansprüche.

Im Bewusstsein dieser drohenden Gefahr hat sich die Gesellschaft im Zeichen einer weiblichen Sensibilität mobilisiert, wohl wissend, dass ein Triumph des Faschismus das Ende der Demokratie im Land und die Rückkehr zu einer Zeit der Gewalt und Militärdiktatur bedeuten würde. Nur acht Tage vor der anstehenden historischen Wahl scheint die friedliche und ausgesprochen gewaltfreie Mobilisierung einen entscheidenden Einfluss auf das Ergebnis der ersten Runde zu haben, was die Möglichkeit eines Sieges des Fundamentalismus schwächen und den Weg für die Aussicht auf eine Rückkehr der demokratischen Kräfte in die Regierung ebnen könnte.

Das Manifest der Gruppe "Frauen vereint gegen Bolsonaro" und die Bilder sprechen für sich.


"Manifest der vereinten Frauen gegen Bolsonaro"

Wer sind wir?

Wir sind Frauen, wir sind Millionen und wir sind vielfältig. Wir sind Brasilianer und Einwanderer. Jung und mit grauen Haarem. Schwarz, weiß, indigen. Trans und Transvestiten. Wir sind LGBT, wir lieben Männer, wir lieben Frauen oder beide. Verheiratet und ledig. Mütter, Töchter, Großmütter. Wir sind ArbeiterInnen, Hausfrauen, StudentInnen, KünstlerInnen, BeamtInnen, KleinunternehmerInnen, StraßenverkäuferInnen, Obdachlose, ohne Land. ArbeitnehmerInnen und Arbeitslose. Frauen verschiedener Religionen und ohne Religion.

Heute sind wir mit erhobenem Haupt zusammen auf den Straßen ganz Brasiliens, denn ein Kandidat für die Präsidentschaft des Landes bedroht unsere Errungenschaften und unser ohnehin schon schwieriges Dasein mit einer Rhetorik, die auf Hass, Intoleranz, Autoritarismus und Rückständigkeit basiert. Wir sind auf den Straßen, weil sein politisch-ökonomisches Programm ein Rückschlag, eine noch schlimmere Wiederauflage der schrecklichen Politik von Temer ist.

Wer ist Jair Bolsonaro?

Jair Bolsonaro, derzeit Mitglied der PSL (sozial-liberale Partei), seit 27 Jahren Bundesabgeordneter, war Mitglied in neun Parteien. Im Laufe seines gesamten politischen Lebens wurden nur zwei seiner Gesetzesentwürfe angenommen. Er präsentiert sich als etwas "Neues", aber in Wirklichkeit ist er nur ein weiterer "Karrierepolitiker", der danach trachtet, seine Kinder gewählt zu sehen, und der unmoralische Privilegien wie Wohnbauförderung genießt, während Tausende von Familien kein Zuhause haben und um einen angemessenen Lebensraum kämpfen.

Warum sind wir gegen Bolsonaro?

1. Jair Bolsonaro verachtet Schwarze, Indigene, Homosexuelle und alle, die für die Rechte der Frauen kämpfen. Er betrachtet die Quilombolas (Nachkommen der entflohenen Sklaven) als "Vagabunden". Er unterstützt eine Kultur der Vergewaltigung und bezeichnet die Geburt seiner einzigen Tochter als "Schwäche". Er ist überzeugt davon, dass es nichts gegen das Lohngefälle zwischen Männern und Frauen zu tun gibt. Für ihn verhindert das Verprügeln von Kindern, dass sie schwul werden. Sein Stellvertreter, General Mourão, sagte, dass Familien, die von Müttern und Großmüttern aufgezogen werden, Außenseiter produzieren.

2. Er stimmte dafür, die Ausgaben für Gesundheit, Bildung und Soziales für die nächsten 20 Jahre einzufrieren. Er verspricht, die Steuern für die Armen zu erhöhen und die für die Reichen zu senken. Er hat bereits eine Welle von Privatisierungen angekündigt, die den Verkauf von staatlichen Unternehmen und des gesamten Vermögens des brasilianischen Volkes vorsieht. Er ist einer der Macher des Gesetzes, wonach der SUS (öffentliche Gesundheitsversorgung) nicht dazu verpflichtet ist, Frauen zu helfen, die Opfer von sexuellem Missbrauch geworden sind. Er unterstützt das Projekt "Schule ohne Partei", das der pädagogischen Freiheit und der Entwicklung des kritischen Denkens gegenüber der chaotischen Gesellschaft, in der wir leben, ein Ende setzen will.

3. Er stimmte für die Arbeitsreform und das Outsourcing-Gesetz, das schwangeren Frauen Arbeit unter ungesunden Bedingungen ermöglicht und das Arbeitslosigkeit und prekäre Beschäftigungsverhältnisse, insbesondere für schwarze Frauen, fördert. Er hat bereits gesagt, dass "Arbeitnehmer zwischen Rechten und Arbeit wählen müssen". Er war der einzige Abgeordnete, der gegen den Vorschlag zur Verfassungsänderung des Arbeitsrechts für Hausangestellte stimmte, die den ArbeitnehmerInnen Grundrechte wie Überstundenlöhne und die Eintreibung des FGTS (Fundo de Garantia do Tempo de Serviço) garantiert hätte. Er hat bereits erklärt, die Rentenreform billigen zu wollen, die sowohl das Rentenalter als auch die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen erhöht.

4. Er verteidigt das Vorantreiben eines gescheiterten Sicherheitsprojekts, das auf Gewalt mit noch mehr Gewalt und Militarisierung reagiert. Dieses Projekt wird seit vielen Jahren in Brasilien durchgeführt, insbesondere in Rio de Janeiro, der Stadt, in der die meisten Zivilisten und Polizisten bei Zusammenstößen ums Leben kommen, und in der Marielle Franco und Anderson vor mehr als sechs Monaten hingerichtet wurden, ein noch unaufgearbeitetes Verbrechen. Er verteidigt die Liberalisierung des Waffengesetzes nach dem Vorbild der Vereinigten Staaten, dem Land mit der höchsten Rate an Morden und Selbstmorden, insbesondere unter jungen Menschen.

5. Sein Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten ist ein General, der die Machtergreifung durch die Streitkräfte und die Ausarbeitung einer neuen Verfassung ohne Beteiligung der Bevölkerung verteidigt. Das ist eine Formel, die die Demokratie offen in Gefahr bringt!

Jair Bolsonaro ist ein Verteidiger der Militärdiktatur, der sagt, dass der Fehler des Militärs damals darin bestand, zu foltern anstatt zu töten, und der seine Bewunderung für den berühmtesten aller Folterer des Militärregimes von 1964, General Ustra, nicht verheimlicht.

Wir wollen keine Diktatur, keinen Faschismus oder die Ausweitung des polizeilich-militärischen Massakers auf den Straßen, das für den Völkermord an der schwarzen Jugend verantwortlich ist. Wir wollen Freiheit, Gleichheit, soziale Gerechtigkeit und Rechte! Bolsonaro ist all das, was Brasilien nicht braucht, um die Krise zu überwinden und voranzukommen.

Wir als unterschiedliche und doch geeinte Frauen verteidigen das Gegenteil von dem, was er sagt: Wir verteidigen die Achtung der Unterschiede und der Vielfalt; das Recht der Frauen, in Sicherheit zu leben und über ihren eigenen Körper selbst zu entscheiden; wir verteidigen die gleiche und gerechte Bezahlung für Männer und Frauen, für Schwarze und Weiße; wir verteidigen Quoten für diejenigen, die in der Vergangenheit Unrecht erleiden mussten und bestraft wurden; wir verteidigen qualitativ hochwertige öffentliche Dienstleistungen für finanziell schwache Frauen und ihre Kinder.

Wir verteidigen die größtmögliche Freiheit zu lehren und zu lernen, ohne ein Knebelgesetz, sowohl in den Schulen als auch an den Universitäten.

Wir unterstützen die Freiheit zu lieben und dafür respektiert zu werden. Wir verteidigen die Debatte über freie Ideen und Demokratie.

Bolsonaro verkündet Hass, wir verkünden Respekt. Er verteidigt Tod und Folter, wir verteidigen das Leben.

Deshalb sagen wir: "Weder er noch seine Kinder! Niemals Bolsonaro! Nein zum Faschismus!"


Übersetzung aus dem Italienischen von Evelyn Rottengatter


Videolinks zu Demonstrationen in verschiedenen Städten:

SÃo Paulo, Largo da Batata:
https://www.facebook.com/MidiaNINJA/videos/2096939070556392/

Rio de Janeiro, Cinelândia:
https://www.facebook.com/MidiaNINJA/videos/243897226292812/

Belo Horizonte:
https://www.facebook.com/MidiaNINJA/videos/1992306360834324/

Brasilia:
https://www.facebook.com/MidiaNINJA/videos/182323266001374/


Der Text steht unter der Lizenz Creative Commons 4.0
http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/

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Quelle:
Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin
Reto Thumiger
E-Mail: redaktion.berlin@pressenza.com
Internet: www.pressenza.com/de


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Oktober 2018

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