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FRAUEN/640: Menschenhandel - die unmenschliche Variante der Migration (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 136, 2/16

Kollateralschäden

Menschenhandel - die unmenschliche Variante der Migration

von Gundi Dick


Die Erfolge im weltweiten Kampf gegen Menschenhandel halten sich in Grenzen. Ein Grund könnten falsche Grundannahmen sein. Denn weder landen gehandelte Frauen zwangsläufig und ausschließlich in der Prostitution, noch sind die Betroffenen des Menschenhandels einzig (junge) Frauen. Der folgende Beitrag wirft einen Blick auf blinde Flecken im Kampf gegen Menschenhandel und plädiert dafür, die Ursachen von Migration und Arbeitsausbeutung in die Debatte einzubeziehen.


Frauenhandel - Migration und Arbeit

Warum migrieren Frauen? Warum geraten manche in ausbeuterische Verhältnisse? Welche Art von Arbeit verrichten sie an ihrem Zielort? Welche Menschenrechte werden davor, während und nach ihrer Migration verletzt? Wie wehren sie sich gegen Misshandlungen, und wie verfolgen sie trotz Hindernissen ihre Ziele?

Diese Fragen wirft die "Global Alliance Against Traffic in Women" (GAATW) [1] auf und argumentiert, dass Migration von Wirtschaft und Handel sowie politischen Verhältnissen ausgelöst und bestimmt wird. Die Globalisierung hat in Teilen der Welt die Lebensbedingungen vieler Menschen dramatisch prekarisiert und Millionen Menschen auf der Suche nach Arbeit anderswohin getrieben. Diesem Migrationsdruck stehen im globalen Norden wie im Süden die Diskurse um nationale Sicherheit und die faktische Politik der Abschottung und der dichten Grenzen entgegen, zusätzlich legitimiert durch Antiterrormaßnahmen.

Viele Länder versuchen die sogenannte irreguläre Migration zu verhindern. Migration geschieht trotzdem, aber sie ist vielschichtiger und gefährlicher. Für viele Menschen ist es nicht möglich, ohne Hilfestellung die immer höher werdenden Grenzen - in physischer, legaler und diskursiver Hinsicht - zu überwinden. "Hilfe" wird bei Vermittler_innen oder Arbeitsagenturen gesucht, die sich in der Folge als Schmuggler_innen und Menschenhändler_innen entpuppen können.


Mainstream: Kampf gegen Menschenhandel mit eingeschränktem Fokus

Seit zwei Jahrzehnten, insbesondere seitdem das UN-Menschenhandelsprotokoll (Palermo-Protokoll) [2] verabschiedet wurde, ist Menschenhandel, insbesondere Frauenhandel, in den politischen und medialen Fokus gerückt, und es wurden und werden, allen voran von den USA, enorme Summen in den Kampf gegen Menschen- und Frauenhandel gesteckt.

Im UN-Menschenhandelsprotokoll wurde im Jahr 2000 eine globale Definition von Menschenhandel veröffentlicht, worin Staaten aufgefordert werden, Gegenmaßnahmen zu treffen. Innerhalb dieses Anti-Trafficking Frameworks finden sich grob drei Kategorien von Maßnahmen: Strafverfolgung von Menschenhändler_innen; Präventivmaßnahmen, die das Aufkommen von Menschenhandel reduzieren; und Schutzmaßnahmen wie die Unterstützung von Opfern.

Nicht ganz im Einklang mit der UN-Intention stellen viele Staaten die Begriffe "grenzüberschreitendes organisiertes Verbrechen" und "Zwangsprostitution" in den Mittelpunkt ihrer Maßnahmen. Sie konzentrieren sich auf die Strafverfolgung der Täter_innen - mit geringem Erfolg. Die Europäische Kommission bedauert, dass die Fälle von Verurteilungen niedrig sind und im Vergleichszeitraum von 2008 bis 2010 sogar rückläufig waren. Die Zahlen der Verurteilungen [3] sanken von 1.534 auf 1.144.


Kollateralschäden im Kampf gegen Menschenhandel

Der Law and Order-Ansatz erreicht in der öffentlichen Meinung offenbar gewünschte Effekte: In sämtlichen westlichen Ländern gibt es eine große gesellschaftliche Akzeptanz dahingehend, dass die Grenzen vor den wohlorganisierten Netzen der Menschenhändler_innen geschlossen werden müssen. Da aber Menschenhändler_innen nicht so leicht zu identifizieren sind, geht dieses Argument mit einer generell restriktiveren Migrationspolitik einher - die ebenso auf Akzeptanz stößt -, zumal es noch weitere Gruppen (z. B. Schutzsuchende, undokumentierte Migrant_innen) gibt, die genauso wenig ins Land kommen sollen.

"Staatliche Maßnahmen, die bloß auf Kontrolle und sogenannten Selbstschutz im Gegensatz zu einem umfassenderen Ansatz setzen, sind kontraproduktiv und deshalb Teil des Problems. Das wahrzunehmen ist insofern wichtig, als die aktuelle Anti-Menschenhandelspolitik und deren Maßnahmen, die ausnahmslos auf Strafverfolgung anstatt auf die Einhaltung von Menschenrechten achtet, erwiesenermaßen 'Kollateralschäden' angerichtet hat," so Helga Konrad, Vorsitzende des EU-Stabilitätspakts gegen Menschenhandel für Südosteuropa und von 2000 bis 2006 Sonderbeauftragte der OSZE im Kampf gegen Menschenhandel, in einem Interview.

Der zweite Fokus staatlicher Anti-Menschenhandelspolitik ist auf das Phänomen der Zwangsprostitution gerichtet. Unleugbar und vor allem in den westlichen Ländern findet sich ein großer Teil gehandelter Frauen in der Zwangsprostitution wieder. In anderen Weltregionen wie den Golfstaaten sind es in erster Linie Hausangestellte, die Opfer von Frauenhandel werden. Organisationen wie GAATW kritisieren, dass staatliche Politiken und zivilgesellschaftliche Initiativen wie "Stop Sexkauf/End Demand" das Problem der Zwangsprostitution überbetonen.

Es stellt sich also die Frage, ob der Versuch, die Prostitution abzuschaffen, einen Beitrag im Kampf gegen Menschen-/Frauenhandel leistet. Die Meinungen dazu gehen auseinander. Für die Abolitionist_innen ist die Beendigung der Prostitution der zentrale Hebel, denn die meisten Opfer seien Frauen, die sexuell ausgebeutet würden. Dem setzen Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch entgegen, dass es neben sexueller Ausbeutung andere Formen von schwerer Ausbeutung und Zwangsarbeit gibt. Laut Internationaler Arbeitsorganisation (ILO) [4] wird ein Fünftel der Opfer von Menschenhandel sexuell ausgebeutet. Die anderen 80 % sind Frauen und Mädchen, Männer und Buben, die Zwangsarbeit in den Bereichen private Haushalte, Landwirtschaft, Bauwirtschaft und Produktion verrichten müssen.

Die Organisationen, die Arbeits- und Menschenrechte für Sexarbeiter_innen fordern, argumentieren, dass Sexarbeiter_innen ihrer Arbeit freiwillig nachgehen (können) und dass Sexarbeit nicht mit Frauenhandel gleichzusetzen sei. Sie fordern Rechte und Formalisierung ihrer Arbeit. Das würde sie vor Übergriffen und Ausbeutung schützen. 2015 wurde diese Position durch die Amnesty-International-Resolution zur Entkriminalisierung von Sexarbeiter_innen unterstützt.


Kriminalisierte Opfer

Um Opfer von Menschenhandel zu identifizieren, sind meist aufwändige Recherchen und der Nachweis von Beweisen nötig. Doch von Behörden wie der Polizei wird häufig und in erster Annäherung angenommen, dass (undokumentierte) Migrant_innen oder migrierte Sexarbeiter_innen Opfer von Menschenhandel sind. Dieser Pauschalverdacht verletzt die Integrität der einzelnen Personen und leistet dem Bemühen von Staaten Vorschub, sie außer Landes zu schaffen, wenn sich später herausstellt, dass sie keine Opfer nach dem Gesetz sind, sondern "nur" undokumentierte Migrant_innen oder Sexarbeiter_innen.

Eine gängige staatliche Praxis ist - mit der Rechtfertigung (potenzielle) Opfer zu schützen,- Migration zu verhindern. In einer Reihe von Staaten wird Menschen Migration je nach Geschlecht, Alter, Familienstand oder beruflicher Qualifikation entweder bereits im jeweiligen Herkunftsland oder später im Zielland verboten: ein klarer Verstoß gegen das Menschenrecht auf freie Bewegung.

Häufig werden Betroffene des Menschenhandels festgenommen, in "Schutzzentren" festgehalten bzw. gegen ihren Willen repatriiert. Diese Maßnahmen verletzen ebenso das Menschenrecht auf freie Bewegung. In vielen Ländern dürfen Opfer von Menschenhandel nur dann im Land bleiben, wenn sie bei Gericht als Zeug_innen gegen den/die Menschenhändler_innen aussagen (anderenfalls werden sie aufgrund ihres illegalen Status abgeschoben). Die Konditionalisierung von Aussage zur Gewährung von Aufenthalt und Schutz widerspricht eindeutig dem Menschenrecht auf Opferschutz.

Auch wenn von "opferzentriertem, menschenrechtsbasiertem" Ansatz die Rede ist, bleiben Staaten in ihren kriminalistischen Ansätzen verhaftet. [5] Aufgrund der "opferfeindlichen" Praxis vieler Staaten fordert die UNO, die Verhältnismäßigkeit zwischen Täterverfolgung und Opferschutz zu beachten.

Wie würde, statt eines Law and Order-Ansatzes, ein Menschenrechtsansatz aussehen? Dieser Ansatz stellt Menschen, die gehandelt wurden oder die gefährdet sind, ins Zentrum und bewertet Strategien nach den Auswirkungen auf genau diese Personen. Ebenso versucht dieser Ansatz vorsorglich herauszufinden, welche Personen oder Gruppen besonders gefährdet sind, und er analysiert, wer für den Schutz dieser Personen verantwortlich ist, und empfiehlt Maßnahmen, um deren Menschenrechte zu wahren.


Eine instrumentalisierte Debatte

Wichtig wäre, Armut und globale Ungleichheit zu thematisieren. Es müsste genauso gefragt werden, ob Zwangsarbeit in neoliberalen kapitalistischen Systemen unvermeidbar ist wie ob geschlossene Grenzen unvermeidlich zu Menschenhandel führen.

In den Mainstreamdebatten werden die Ursachen von Menschenhandel weitgehend ausgeklammert. Unterstützt wird diese Ausklammerung durch die Betonung von Themen, die wie beschrieben zu Nebenschauplätzen führen. Staatliche Politiken sehen Menschenhandel als ein Nebenprodukt irregulärer Migration. Auch wenn das nicht von der Hand zu weisen ist, müsste dennoch gefragt werden, wer oder was Migration irregulär macht.

Stattdessen führt eine weitere Schlussfolgerung zielsicher auf den falschen Pfad: Staaten erkennen in der irregulären Migration ein Problem ihrer nationalen Sicherheit, dem mit der Schließung von Grenzen begegnet werden muss. Für sie steht somit ein Konglomerat von Bekämpfung der illegalen Migration und des Menschenschmuggels, von Kontrolle der Migration und des sogenannten Asylmissbrauchs, von Bekämpfung der Prostitution, des Terrorismus und des organisierten Verbrechens usw. hoch oben auf der Agenda. Die so geführte Debatte trägt dazu bei, Menschen in "Legale" und "Illegale" einzuteilen. Zweitere sind jene Menschen, die keine Rechte haben.

Über all dem sollte nicht vergessen werden: Menschenhandel richtet Schaden an Frauen, Männern und Kindern an - das ist der vorrangige Grund, warum er bekämpft werden muss.


Zur Autorin: Gundi Dick studierte Politikwissenschaft, Internationale Genderforschung & feministische Politik in Wien. Sie ist seit vielen Jahren entwicklungs- und frauenpolitisch tätig und lebt und arbeitet derzeit in Bangkok, Thailand.


Anmerkungen:

[1] Das internationale Netzwerk, mit weltweit mehr als 100 Mitgliedsorganisationen, wurde 1994 in Thailand gegründet. GAATW zeigt kritisch die Zusammenhänge zwischen Frauenhandel, Migration und Arbeitsrechten auf und fordert Menschenrechte, sichere Migration und menschenwürdige Arbeitsbedingungen.

[2] UN-Menschenrechtsprotokoll (Palermo-Protokoll): "Zusatzprotokoll zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels, insbesondere des Frauen- und Kinderhandels" (2000)
http://www.un.org/depts/german/uebereinkommen/ar55025anlage2-oebgbl.pdf;
http://www.fight-human-trafficking.org/rechtlicher-rahmen/

[3] The EU Strategy towards the Eradication of Trafficking in Human Beings 2012-2016:
http://ec.europa.eu/dgs/home-affairs/e-library/docs/thb_strategy/thb_strategy_en.pdf

[4] ILO Forced labour, human trafficking and slavery, Facts and Figures:
http://www.ilo.org/global/topics/forced-labour/lang--en/index.htm

[5] European Commission 2016: Study on gender dimension of trafficking in human beings
http://ec.europa.eu/antitraffcking/sites/antitrafficking/files/study_on_the_gender_dimension_of_trafficking_in_human_beings._final_report.pdf


Webtipps:

GAATW 2007: Collateral Damage. The Impact of Anti-Trafficking Measures on Human Rights around the World.
http://www.gaatw.org/Collateral%20Damage_Final/singlefile_CollateralDamagefinal.pdf

open Democracy: Beyond Trafficking and Slavery
https://www.opendemocracy.net/beyondslavery/neil-howard/possible-futures-beyond-trafficking-and-slavery

Definition von Frauenhandel:
http://www.fiz-info.ch/de/Themen/Frauenhandel

United States of America, State Department: Trafficking in Persons Report, July 2015
http://www.state.gov/documents/organization/245365.pdf

Amnesty International, Menschenrechte von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern schützen:
https://www.amnesty.de/2015/8/12/menschenrechte-von-sexarbeiterinnen-und-sexarbeitern-schuetzen

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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 136, 2/2016, S. 31-33
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
Sensengasse 3, A-1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. September 2016

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