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FRAUEN/543: Indien - Der schwierige Kampf gegen die Tempelprostitution (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 24. Juni 2014

Indien: Der schwierige Kampf gegen die Tempelprostitution

von Stella Paul


Bild: © Stella Paul/IPS

Joginis tanzen vor einem Tempel
Bild: © Stella Paul/IPS

Nizamabad, Indien, 24. Juni (IPS) - Mit 32 Jahren sieht Nalluri Poshani aus wie eine alte Frau. Sie hockt zwischen auf dem Boden aufgetürmten Tabak- und Tendublättern, die sie geschickt zu Bidis dreht, den in Indien verbreiteten Zigaretten. Gesundheitlich geht es ihr nicht gut. "Mir ist schwindlig", klagt sie. "Vom Tabak wird mir übel und ich bekomme Kopfschmerzen."

An jeweils 1.000 gedrehten Zigaretten verdient Poshani umgerechnet etwa zwei US-Dollar. Damit kommt sie auf ein Monatseinkommen von 36 Dollar. "Ich wünschte, ich hätte einen anderen Job", sagt sie. Doch im Dorf Vellpoor in der Region Nizamabad im südindischen Bundesstaat Telangana gibt es für sie keine Alternativen.

Poshani ist eine ehemalige 'Jogini', was so viel wie 'Tempelsklavin' bedeutet. Wie Tausende anderer Mädchen, die als Dalit, Unberührbare, aus dem indischen Kastensystem ausgeschlossen sind, wurde sie der Gottheit Yellamma geweiht, um die bösen Geister aus den Dörfern fernzuhalten und diesen zu Wohlstand zu verhelfen.

Im Alter von nur fünf Jahren sei sie geweiht worden, erzählt sie. Erst wurde sie gewaschen und wie eine Braut gekleidet, bevor sie zum Tempel gebracht wurde, wo ihr ein Priester ein 'thali', ein heiliges Band, das Heirat symbolisiert, um den Hals legte. Draußen wurde sie von zahlreichen Dorfbewohnern gemustert und dann zur neuen Jogini ernannt.


Ab der Pubertät Sexsklavinnen

Jahrelang lebte und arbeitete Poshani unbehelligt im Tempel. Doch als sie in die Pubertät kam, musste sie den Männern aus dem Dorf - gewöhnlich aus den höheren Kasten, die normalerweise keinen Kontakt mit Unberührbaren pflegen - nachts sexuell gefügig sein. Eine Prostituierte sei sie niemals gewesen, weil sie nie angemessen bezahlt worden sei, sagt sie.

Durch die Weihe und die Überzeugung der Dorfbewohner, dass sie übernatürliche Kräfte besaß, war sie an den Tempelbezirk gebunden. Nur während der religiösen Feiern wurde sie nicht als Hure betrachtet, sondern als Medium der Gottheit geachtet, die sich in den Trance-Tänzen der Jogini offenbart.

In den fast 30 Jahren ihres Tempeldienstes musste Poshani Gewalt und Verachtung über sich ergehen lassen. Auch wenn in Vellpoor, wo etwa 30 Jogini leben, bereits Kampagnen für die Abschaffung der jahrhundertealten Praxis durchgeführt werden, gibt es für die Betroffenen keinen Grund zu Freude. Poshani selbst ist zwar keine Sexsklavin mehr, kommt aber kaum über die Runden. Sie hat kein Heim, kein Land, dafür aber umgerechnet 3.300 Dollar Schulden. Den Betrag hatte sie sich von einem lokalen Geldverleiher geborgt.

Die sichtlich unterernährte Frau teilt das Schicksal vieler Jogini, die nicht mehr ganz jung sind. Sie steckt in der Armutsfalle, ist krank und gesellschaftlich isoliert. Offiziellen Schätzungen zufolge leben in Telangana etwa 30.000 Joginis, die auch 'Devdasi' oder 'Matamma' genannt werden. Weitere 20.000 sind im Nachbarstaat Andhra Pradesh anzutreffen. In beiden Bundesstaaten stammen etwa 90 Prozent der Joginis aus den Reihen der Dalit, den Nachfahren der indischen Ureinwohner.


Lasche Gesetze selten umgesetzt

Die Tempelprostitution ist in Andhra Pradesh seit 1988 gesetzlich verboten. Nach dem so genannten 'Gesetz zur Abschaffung der Jogini' muss jeder, der eine Frau in dieses System einführt, mit bis zu drei Jahren Haft und einer Geldstrafe von umgerechnet 33 Dollar rechnen.

"Das ist eine viel zu milde Strafe für ein so abscheuliches Verbrechen", kritisiert die Frauenrechtlerin Grace Nirmala, die in Hyderabad, der Hauptstadt des Unionstaates, lebt. Als Leiterin der Organisation 'Ashray' ('Obdach') setzt sie sich seit mehr als zwei Jahrzehnten für die Rettung und Rehabilitierung der Jogini ein. "Sie leben weit entfernt von ihren Familien und haben keine Rechte", erklärt Nirmala."Ihr Leben ist völlig ruiniert."

Wie die Aktivistin berichtet, haben die meisten Polizisten in dem Bundesstaat noch nie etwas von dem Gesetz gehört. Am Leben gehalten werde die Tempelprostitution auch durch den Aberglauben vieler Männer in den Dörfern, dass ihnen der Beischlaf mit einer Jogini zu übernatürlichen Kräften und der Gunst der Gottheit Yellamma verhilft, erklärt Nirmala. "Oft sind es die eigenen Frauen, die ihre Männer zum Sex mit einer Jogini ermuntern, in dem Glauben, dadurch ein großes Problem in der Familie lösen zu können."

Andere Beobachter machen das in der indischen Gesellschaft tief verwurzelte Kastenwesen für den fortgesetzten Missbrauch der Frauen verantwortlich. Für Jyoti Neelaiah, die sich in Hyderabad für die Rechte der Dalit engagiert, verstößt das Jogini-System gegen die Frauen- und Menschenrechte. "Denn die Dalit-Frauen, die Jogini werden, dienen immer Männern aus höheren Kasten." Das gesamte System sei ein Machtspiel, betont sie. Dominante gesellschaftliche Gruppen unterdrückten die Schwächeren.

In Telangana gehören einige der größten Befürworter des Jogini-Systems der reichen Reddy-Kaste an, deren Mitglieder Land besitzen, oder der obersten Kaste der Brahmanen, der Priester. In dem seit 1. Juni bestehenden neuen Bundesstaat Telangana, dessen Gebiet vorher zu Andhra Pradesh gehörte, sind fast 17 Prozent der Bevölkerung Dalit. Aktivisten sehen Dörfer wie Vellpoor deshalb als Speerspitze im Kampf gegen die Tempelprostitution.


Frauen in Dörfern werden aktiv

Über die Untätigkeit der Behörden empört, bilden Frauen in dem Dorf bereits Bürgerwehren, um die Weihen zu verhindern. "In der Regel werden diese Riten zwischen Februar und Mai durchgeführt, wenn in der Region das Fest zu Ehren der Göttin Yellamma gefeiert wird", sagt Subbiriyala Sharada, die eine Jogini-Gruppe in Vellpoor leitet. "Wenn wir erfahren, dass ein Mädchen der Göttin geweiht werden soll, rufen wir sofort die Polizei."

Erst allmählich beginnen die Ordnungshüter auf Druck sozialer Gruppen zu handeln. Meist sind es Aktivisten, die Gesetzesverstöße melden und die Festnahme der Täter durchsetzen. Die Menschenrechtsgruppen drängen die indische Regierung, zur Rettung der Jogini Geld aus einem Fonds bereitzustellen, der zur Unterstützung gesellschaftlicher Randgruppen bestimmt ist. (Ende/IPS/ck/2014)


Links:

http://www.ipsnews.net/2014/06/indias-temple-slaves-struggle-to-break-free/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juni 2014