Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → SOZIALES

FRAUEN/475: Interview mit Aktivistinnen aus Bangladesch (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 122, 4/12

Ein Leiberl haben im Kampf um Arbeitsrechte
Interview mit Aktivistinnen aus Bangladesch

Von Petra Pint



Die Textilindustrie ist der größte Exportsektor in Bangladesch. Die meisten ArbeiterInnen sind Frauen. Lovely Yesmin, die Präsidentin der Textilarbeiterinnengewerkschaft (Textile Garments Workers Unions' Federation), und Kalpana Rani(1), eine langjährige Aktivistin in der Frauenbewegung in Bangladesch und in Südasien, waren im Rahmen der WearFair-Messe in Österreich und erzählten über ihre Arbeit für mehr Rechte der Textilarbeiterinnen.


Petra Pint: Lovely Yesmin, wie ist die Situation für Textilarbeiterinnen in Bangladesch?

Lovely Yesmin: Ich arbeite seit 1983, also seit ich elf bin, in der Textilindustrie. Seither hat sich einiges verändert. Damals gab es ungefähr 20 bis 25 Textilfabriken, und heute sind es mehr als 5000. Es ist der wichtigste Wirtschaftssektor im Land. Vier Millionen Menschen arbeiten in der Textilindustrie, und etwa 80 Prozent der ArbeiterInnen, also mehr als drei Millionen, sind Frauen. In Bangladesch ist das der einzige Sektor, in dem so viele Frauen die Möglichkeit haben, Geld zu verdienen. Die meisten kommen aus den ländlichen Gebieten und haben wenig oder gar keine Schulbildung. Diese Arbeiterinnen erhalten die Textilindustrie und erwirtschaften ca. 80 Prozent der Deviseneinnahmen. Wir sind stolz darauf und denken, dass dieser Sektor erhalten werden soll, mit besseren Bedingungen. Es gibt ein Gesetz, das die Rechte der TextilarbeiterInnen schützen soll, es gibt einen Mindestlohn, und viele ArbeiterInnen wissen mittlerweile auch darüber Bescheid. Aber es gibt noch viele Probleme. Unser Ziel ist es, dass es einen Dialog zwischen den EigentümerInnenvereinigungen und den Gewerkschaften gibt. Dieser findet teilweise bereits statt. Aber auch die großen Importunternehmen (Walmart, H&M u. a.) haben eine wichtige Funktion. Sie können die Preise für die Produktion erhöhen, damit die ArbeiterInnen höhere Löhne bekommen. Beide Seiten müssen was tun: die FabrikeigentümerInnen und die Importunternehmen.


Petra Pint: Wie gestaltet sich die Gewerkschaftsarbeit? Wie kommt man an die Arbeiterinnen ran?

Lovely Yesmin: Wir gehen von Haus zu Haus. Manchmal erwischen wir Arbeiterinnen in der Früh, bevor sie zur Arbeit gehen, manchmal wenn sie nach Hause kommen. So versuchen wir Kontakt zu den Arbeiterinnen zu bekommen. Wir haben kleine Komitees eingerichtet in unterschiedlichen ArbeiterInnenbezirken. Und an Wochenenden bieten wir Workshops zu ArbeiterInnenrechten an, um den ArbeiterInnen zu sagen, es ist wichtig, dass ihr eure Rechte kennt und dass ihr wisst, ihr könnt zu Gewerkschaften gehen.


Petra Pint: Kalpana Rani, Sie sind seit mehr als 15 Jahren in der Frauenbewegung in Bangladesch und Südostasien aktiv. Im Moment arbeiten Sie auch in einem Projekt, um Textilarbeiterinnen zu empowern. Wie arbeiten Sie?

Kalpana Rani: Wir im SEEMA-Projekt arbeiten in einem kleinen Teil von Dhaka City, wo mehrere Tausend Arbeiterinnen wohnen. Wir versuchen zunächst, den Arbeiterinnen wichtige Informationen zu rechtlichen Belangen zu geben, und wir führen Alphabetisierungstrainings durch. Die Arbeiterinnen sollen wissen, wie sie Hilfe bekommen können. Die Arbeiterinnen bekommen oft keine Lohnzettel, wo draufsteht, wie viel sie arbeiten. Oft wissen sie auch nicht, was sie tun können, wenn sie gekündigt werden. Wir ermutigen sie, sich zusammenzutun innerhalb der Fabriken. Wir mobilisieren sie in kleinen Gruppen. Im Moment haben wir 60 Gruppen zu je 25 bis 30 Arbeiterinnen. Es geht darum, Solidarität unter den Arbeiterinnen zu fördern. Die Frauen treffen sich dann dreimal pro Woche, wo sie Unterricht bekommen, Raum haben, um über ihre Lebenserfahrungen zu reden, und wo ein Bewusstsein für ihre Situation und ihre Rechte geschaffen werden soll.

Darüber hinaus machen wir auch "skill trainings". Das ist ein dreimonatiges Programm, wo die Frauen Fertigkeiten lernen, um beruflich aufsteigen zu können, denn nur wenige haben diese Möglichkeit, da die meisten kaum Schulbildung oder Ausbildung haben. Und dann machen wir noch "leadership trainings", wo es darum geht, die Frauen zu bestärken, auch für ihre eigene Zukunft vorzusorgen, zum Beispiel sich darum zu bemühen, selbstständig über ihr Einkommen zu entscheiden und etwa Land auf ihren Namen damit zu kaufen.

Wir arbeiten auch mit den EigentümerInnen der Fabriken, aber es ist schwierig, an sie heranzukommen. Und wir betreiben Lobbyingarbeit auf Regierungsebene, um die Situation der Arbeiterinnen zu verbessern.


Petra Pint: Wie kommt das bei den
Arbeiterinnen an?

Kalpana Rani: Die Arbeiterinnen akzeptieren uns. Wir bieten ihnen einen Raum, den sie sonst oft nicht haben, wo sie über ihre Probleme reden können, sich austauschen können. Die EigentümerInnen der Fabriken begegnen uns eher mit Skepsis. Und auch auf Regierungsebene, obwohl es viele Frauen in der Regierung gibt - als Regierungschefin, als Arbeitsministerin, Familienministerin, als Außenministerin - bleibt die Arbeit trotzdem schwierig.


Petra Pint: Seit einigen Wochen gibt es Proteste von Seiten der TextilarbeiterInnen, warum?

Lovely Yesmin: Die Preise für Nahrung, fürs Wohnen, für die alltäglichen Dinge sind schnell gestiegen. Ja, die ArbeiterInnen bekommen Mindestlöhne ausbezahlt, aber wenn die Preise rund um sie steigen, dann reichen auch die nicht. Das war der Grund für die Proteste. Die ArbeiterInnen fordern eine Anpassung der Löhne an die Inflation. Es gab Versprechen von Seiten der Regierung, Initiativen zu setzen, um zum Beispiel die Wohnmöglichkeiten der ArbeiterInnen zu verbessern. Das versprochene Geld wurde für andere Zwecke verwendet. Die Regierung darf die Probleme der ArbeiterInnen nicht aus den Augen verlieren. Sie hat versprochen, sich darum zu kümmern. Wenn das nichts wird, werden die Proteste wieder beginnen.


Petra Pint: Wie sieht Ihre zukünftige Arbeit aus? Was sind die Herausforderungen?

Lovely Yesmin: Die Arbeit der Frauen in den Fabriken bringt ihnen Geld, und wer Geld zur Verfügung hat, der kann auch mitreden, auch innerhalb der Familien. Die Textilindustrie ist wichtig für die Frauen, deshalb müssen wir weiter für gute Arbeits- und auch Gesundheitsbedingungen kämpfen. Eine Herausforderung ist, dass immer mehr FabrikeigentümerInnen im Parlament sitzen. Sie machen die Gesetze, und sie brechen diese auch wieder.

Kalpana Rani: Ein Anliegen wäre die Dezentralisierung der Fabriken. Was bedeuten würde, dass die Frauen bei ihren Familien wohnen könnten. Der Mindestlohn würde reichen, wenn die Kosten fürs Wohnen usw. wegfallen. Aber die Probleme Bangladeschs sind eingebettet in einen globalen Weltmarkt. An allem ist nicht Bangladesch allein schuld. Die Arbeit muss an vielen Stellen weitergehen.

Petra Pint: Danke für das Gespräch!


ANMERKUNG:
(1) Kalpana Rani ist die Leiterin des Projekts SEEMA (Solidarity and Empowerment through Education, Motivation and Awareness), einem Projekt von CARE-Bangladesch, welches von der Europäischen Union und der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit finanziert wird.

WEBTIPPS:

wear fair: www.wearfair.at
clean clothes: www.cleanclothes.at
care/seema: expert.care.at/?id= 1259

ZUR AUTORIN:
Petra Pint studiert Politikwissenschaft und Internationale Entwicklung, schreibt an ihrer Masterarbeit und lebt in Wien und im Burgenland.

*

Quelle:
Frauensolidarität Nr. 122, 4/2012, S. 26-27
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
Sensengasse 3, 1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-406
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org
 
Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis: 5,- Euro plus Porto
Jahresabo: Österreich 20,- Euro;
andere Länder 25,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. März 2013