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FRAUEN/459: Japan - Frauen von Gleichberechtigung noch weit entfernt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 4. Februar 2013

Japan: Frauen von Gleichberechtigung noch weit entfernt

von Daan Bauwens


Bild: © Daan Bauwens/IPS

In Japan haben Männer in der Arbeitswelt eine dominante Stellung
Bild: © Daan Bauwens/IPS

Tokio, 4. Februar (IPS) - Trotz Anti-Diskriminierungsgesetzen und einer stetig wachsenden Zahl berufstätiger Frauen hinkt Japan dem Rest der Welt hinterher, wenn es um die Gleichberechtigung der Geschlechter geht. Frauen werden weiterhin benachteiligt, wenn auch auf subtilere Weise als früher.

Japan, eines der am weitesten entwickelten Industrieländer, ist seinen alten Traditionen treu geblieben. In der drittgrößten Wirtschaftsnation der Welt lassen es die althergebrachten Geschlechterrollen nicht zu, dass Männer und Frauen sich auf Augenhöhe begegnen. Nach Angaben des UN-Entwicklungsprogramms UNDP steht Japan in der Gruppe der reichsten Staaten bei der Gleichbehandlung von Frauen und Männern an letzter Stelle.

Die Kluft verbreitert sich offensichtlich weiter. Das Weltwirtschaftsforum stufte Japan in seinem im vergangenen Oktober veröffentlichten Jahresbericht mit Bezug auf politische und soziale Gleichheit vom 99. auf den 101. Platz herunter. Auch Tadschikistan und Gambia hatten nach Einschätzungen des Forums Rückschritte verzeichnet.

Für Yuko Ogasawara, Soziologieprofessorin an der Nihon-Universität in Tokio, kommt die Herabstufung Japans nicht überraschend. "In diesem Land ist es immer noch unmöglich, Beruf und Familie in Einklang zu bringen", kritisiert sie. "Das ist der hauptsächliche Grund für die Ungleichheit. Von Männern wie von Frauen wird erwartet, dass sie jeden Tag bis zehn Uhr abends arbeiten. Wenn man eine Familie haben will, ist das ganz offensichtlich ein Hindernis."

Vor 15 Jahren hatte Ogasawara das Buch 'Office Ladies and Salaried Men' veröffentlicht. Darin wurde der typische Alltag in japanischen Büros beschrieben, in denen Frauen Schreibarbeiten erledigten und Tee kochten, während die Männer die Karriereleiter erklommen. "Seitdem hat sich zwar vieles geändert", erklärt die Soziologin. "Inzwischen gibt es mehr weibliche Führungskräfte, Frauen haben größere Chancen. Doch ein Problem bleibt bestehen: 70 Prozent der Frauen hören auf zu arbeiten, wenn sie ihr erstes Kind bekommen."

Nach der Familienpause sei es für viele Frauen sehr schwierig, wieder in den Beruf einzusteigen, sagt Kathy Matsui, Wirtschaftsexpertin bei einer der größten Banken des Landes. Sie beschäftigt sich seit 1999 mit der beruflichen Situation von Frauen in Japan.


Lücke im Lebenslauf verhindert beruflichen Wiedereinstieg

"Oft liegt das Problem innerhalb der Organisationen und ihrer Evaluierungssysteme", meint Matsui. "Die meisten Personalabteilungen wollen keine Frauen einstellen, die eine zehnjährige Lücke in ihrem Lebenslauf haben. Sie gehen davon aus, dass sie in der Zeit alles vergessen haben, was sie einmal wussten." Diese Einschätzung sei an sich schon eine Form von Diskriminierung.

"Frauen, die ihre Karriere wieder in Gang bringen wollen, finden nur schlecht bezahlte Teilzeitjobs", berichtet Ogasawara. "Sie kosten sehr wenig im Vergleich zu Vollzeitbeschäftigten. Deshalb wollen viele Firmen gar nichts an diesem System ändern. Es sichert ihnen schließlich billige Arbeitskräfte."

Die Diskriminierung von Frauen hat in den Institutionen des Landes tiefe Wurzeln geschlagen. "In Japan gelten zahlreiche Anti-Diskriminierungsgesetze", sagt Yoshiyuki Takeuchi, Ökonom an der Universität von Osaka. "Die Steuer-, Renten-, Sozialversicherungs- und Gesundheitssysteme basieren aber nach wie vor auf dem Modell einer vierköpfigen Familie, in welcher der Vater arbeitet und die Mutter zu Hause bleibt."

Laut Takeuchi zahlen japanische Unternehmen Männern sogar ein höheres Gehalt, wenn ihre Ehepartnerinnen nicht arbeiten. Und Frauen, die in einen Teilzeit-Job einstiegen, dürften nur einen begrenzten Betrag verdienen, erklärt er. Diese Regelungen stammten noch aus den siebziger Jahren und hätten damals der wirtschaftlichen Realität entsprochen. "Heutzutage werden Frauen dadurch jedoch an einer Rückkehr ins Berufsleben gehindert."


Arbeitskräftemangel in rasch alternder Gesellschaft

Dabei hat sich die ökonomische Lage in Japan rapide geändert. Das Land leidet unter einer wirtschaftlichen Stagnation, die bereits vor 20 Jahren begann. Die Bevölkerung altert rasch, die Geburten gehen zurück. Schätzungen zufolge wird die Einwohnerzahl im Jahr 2055 um etwa 30 Prozent gesunken sein.

"Es gibt immer weniger Arbeitskräfte, und Japan steht dem Thema Einwanderung nicht sehr offen gegenüber", sagt Matsui. Die einzige Lösung bestehe darin, Japanerinnen stärker auf dem Arbeitsmarkt einzusetzen. "Frauen machen die Hälfte der Bevölkerung aus und sind gut ausgebildet. Doch in einem gewissen Alter hören sie auf zu arbeiten", erklärt sie. "Es gibt keine andere Wahl, als Maßnahmen zu ergreifen, um Frauen im Arbeitsleben zu halten."

Die japanische Gesellschaft tut sich allerdings schwer damit, diese Vorstellung zu akzeptieren. Laut einer im Dezember von der Regierung durchgeführten Umfrage sind 51 Prozent der Japaner der Ansicht, dass Frauen zu Hause bleiben und sich um die Familie kümmern sollten, während der Mann arbeitet. Das waren 10,3 Prozent mehr als in einer ähnlichen Umfrage aus dem Jahr 2009. Bemerkbar machte sich der Anstieg vor allem in der Altersgruppe der 20- bis 30-Jährigen.

"Die junge Generation weiß heute, wie es ist, eine berufstätige Mutter zu haben", sagt Suzanne Akieda, eine belgische Archäologin, die seit mehr als 40 Jahren in Japan lebt und als Dozentin arbeit. "In der Vergangenheit haben viele Japanerinnen versucht, ihr Privatleben zurückzustellen, um eine berufliche Karriere zu verfolgen. Inzwischen überlegen viele von ihnen, ob dies der richtige Weg war. Der Trend geht jetzt in die umgekehrte Richtung." (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://www.weforum.org/reports/global-gender-gap-report-2012
http://www.undp.or.jp/english/
http://www.ipsnews.net/2013/01/japan-values-women-less-as-it-needs-them-more/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Februar 2013