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FRAUEN/425: Japan - Frauen in Tohoku gründen Hilfsorganisationen für verlassene ältere Menschen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 10. September 2012

Japan: Die verlassenen älteren Menschen von Tohoku - Frauen gründen Hilfsorganisationen

von Suvendrini Kakuchi



Tokio, 10. September (IPS) - Yumiko Yonekura hat im vergangenen Jahr das heftige Erdbeben und den Tsunami im Nordosten Japans überlebt. Sie hat nun ein Unternehmen gestartet, das schutzbedürftigen älteren Menschen in Tohoku, der am schlimmsten betroffenen Region, Gesundheitsversorgungsleistungen anbietet.

"Als ich in einem Evakuierungszentrum war, kam mir die Idee, etwas Eigenes zu machen, das anderen Fürsorge bietet", erklärt Yonekura. "Die Menschen haben sich gegenseitig geholfen zu überleben. Das hat mich veranlasst, mit 'Hot Care Kesenuma' selbst einen Beitrag für die Gemeinschaft zu leisten."

Die 52-Jährige lebt in Kesenuma, wo nach dem Erdbeben und Tsunami vom 11. März 2011 1.300 Bewohner als tot oder vermisst gemeldet wurden. Bis zu 30 Meter hohe Wellen stürzten auf die malerisch gelegenen Städte und Dörfer in der Präfektur Miyagi, etwa 200 Kilometer nordöstlich von Tokio.

Mit Iwate, Fukushima, Akita, Aomori und Yamagata bildet Miyagi die Region Tohoku, die am schlimmsten von dem Tsunami und der darauf folgenden Kernschmelze in dem Atomkraftwerk Fukushima Daiichi betroffen war.

Bereits vor der Katastrophe war die Wirtschaftslage in Tohoku schlecht. Junge und gut ausgebildete Bewohner der Region wanderten in andere Landesteile ab. Zurück blieben ältere Männer und Frauen, die von der Familienlandwirtschaft und dem Fischfang leben.


Frauen wollen neue Rolle in patriarchalischer Gesellschaft

Yonekuras Projekt ist auch deshalb außergewöhnlich, weil sie es ihr gelungen ist, als Frau in einer patriarchalisch geprägten Region für ihre Arbeit respektiert zu werden. Nach Ansicht von Yuko Kusano von dem Frauen-Hilfsnetzwerk 'Jo-Net', das sich um weibliche Überlebende des Tsunamis kümmert, ist Yonekura der beste Beweis dafür, dass Frauen sehr wohl aus ihren traditionellen Rollen herauswachsen können.

"Der Verlust von Angehörigen, Jobs und Wohnungen hat die Frauen in Tohoku gezwungen, ihre traditionelle Rolle als Frauen und Mütter zu hinterfragen", sagt Kusano, die Yonekura anfangs unter die Arme griff.

Die Frauen, die die Katastrophen überlebt haben, werden dazu ermutigt, sich finanziell unabhängig zu machen. Experten zufolge finden Frauen, die nicht länger Landwirtschaft oder Fischfang betreiben wollen, am ehesten Teilzeitstellen in Wiederaufbauprojekten oder als Büroangestellte in Unternehmen, die Kosten sparen wollen. Jüngere Frauen, die in ihren verwüsteten Heimatstädten keine Beschäftigung finden, sind gezwungen, in Großstädte zu ziehen.

"Langfristige Stabilität kann in einer Gesellschaft nach einer Katastrophe nur durch sorgfältige Planung erreicht werden. Damit Frauen sich an vorderster Front am Wiederaufbau beteiligen können, sind Aus- und Fortbildung sowie ausreichende Freiräume für sie notwendig", meint die Frauenexpertin Hiromi Narita, die Computerkurse und Fortbildungen für alleinerziehende Mütter in Miyagi organisiert. Sie hat eine steigende Nachfrage nach den Angeboten festgestellt. Viele der Frauen seien auf der Suche nach neuen Arbeitsstellen oder wollten ihre derzeitigen Jobs sichern.

Die Arbeitssuche hat für Frauen in der Region zwar Priorität. Sie benötigen aber zugleich auch emotionale Zuwendung, da viele Überlebende an Depressionen und Angstzuständen leiden. Krankenakten in Tohoku belegen, dass Herzkrankheiten, Bluthochdruck und Depressionen zugenommen haben, da sich viele Menschen nicht an das neue Leben in den überfüllten Hilfszentren gewöhnen können.


Lebenserwartung von Frauen nach Tsunami gesunken

Wie das Gesundheitsministerium im April berichtete, ist die durchschnittliche Lebenserwartung für Japanerinnen, die früher bei 85,9 Jahren lag, nach der Katastrophe um 0,04 Jahre gesunken. Die Hälfte der 345.000 Menschen, die durch den Tsunami ihre Häuser verloren haben, sind Frauen.

Laut Rei Yamaha, die als Beraterin für das Frauenzentrum 'Marioka' arbeitet, sind viele Überlebende traumatisiert. Ihr Schicksal werde von den Behörden jedoch ignoriert. "In der konservativen Gesellschaft von Tohoku sprechen Frauen selten über Depressionen oder suchen Hilfe, weil sie nicht als schlechte Ehefrauen und Mütter da stehen wollen. Wer diesen Überlebenden helfen will, muss die kulturellen Barrieren beachten", meint sie.

Yamahas Gruppe veranstaltet Kaffeetrinken für Frauen, die miteinander reden können, ohne Diskriminierungen befürchten zu müssen. Das Zentrum wird durch internationale Zuschüsse finanziert. Die Verantwortlichen werfen den Behörden des eigenen Landes mangelnde Unterstützung für traumatisierte Frauen vor und fordern außerdem Steuererleichterungen und andere Anreize, damit in Tohoku wieder investiert wird. (Ende/IPS/ck/2012)


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http://www.ipsnews.net/2012/09/women-take-up-care-of-tohoku-elders/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. September 2012