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FRAUEN/424: Nicaragua - Kindermütter in der Armutsfalle (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 6. September 2012

Nicaragua: Kindermütter in der Armutsfalle

von José Adán Silva


Schülerinnen in einer ländlichen Einrichtung in Nicaragua - Bild: © Oscar Navarrete/IPS

Schülerinnen in einer ländlichen Einrichtung in Nicaragua
Bild: © Oscar Navarrete/IPS

Managua, 6. September (IPS) - In Nicaraguas staatlichen Krankenhäusern sind in den Jahren 2000 bis 2010 1,3 Millionen Säuglinge entbunden worden. In 13 Prozent der Fälle waren die Mütter keine 14 Jahre alt. Experten zufolge ist es kein Zufall, dass das nach Haiti zweitärmste Land Lateinamerikas die regional höchste Rate von Kinder- und Teenagerschwangerschaften aufweist.

Wie Osmany Altamirano, Berater für sexuelle und reproduktive Rechte bei der Nichtregierungsorganisation 'Plan International' betont, sind Kinderschwangerschaften eine Begleiterscheinung der Armut, die wiederum das Problem der Armut von Kinder- und Teenagermüttern perpetuiert. "Dass biologisch unausgereifte Mädchen schwanger werden, bedeutet, dass sie untergewichtige und mangelernährte Kinder zur Welt bringen."

Altamirano wies ferner darauf hin, dass 47 Prozent der schwangeren Mädchen den Schulbesuch abbrechen und somit häufig keinen Grundschulabschluss vorweisen könnten. "Viele Mädchen sehen sich gezwungen, als ungelernte Hilfskraft für wenig Geld zu arbeiten, andere leben auf der Straße oder werden zu Opfern sexueller Ausbeutung."

Carla war 13, als sie von einem Lehrer vergewaltigt und geschwängert wurde. Seither hat sich ihr Leben grundlegend geändert. Von der Mutter aus der gemeinsamen Wohnung geworfen und von den Freunden im Stich gelassen, lebte der Teenager lange Zeit auf der Straße. Carlas Kind war unmittelbar nach der Geburt gestorben.

"Ich hatte alles, was mir lieb und teuer war, verloren", sagt die inzwischen erwachsene Carla, die ihren Lebensunterhalt als Schönheitspflegerin verdient. Casa Alianza hatte den damals verzweifelten Teeanger von der Straße geholt, ihm ein Dach über den Kopf gegeben und in ein Schulprogramm aufgenommen. Für die Organisation ist Carla heute ehrenamtlich tätig.

Aus Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von 2009 geht hervor, dass weltweit jedes Jahr 16 Millionen Mädchen im Alter von 15 bis 19 Jahren ein Kind gebären. Das entspricht einem Anteil von elf Prozent an den weltweiten Geburten.


Fast zwei Drittel aller Mädchen zu sexuellen Handlungen genötigt

Die Vereinigung 'Quincho Barrilete' hatte im letzten Jahr in der nicaraguanischen Hauptstadt Managua junge Mädchen zu ihren sexuellen Erfahrungen befragt. 60 Prozent gaben an, von Familienangehörigen, Schulkameraden oder Nachbarn zu sexuellen Handlungen genötigt worden zu sein.

Wie die Hilfsorganisation kritisiert, enthält das nicaraguanische Rechtssystem selbst vergewaltigten Frauen das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch vor. Nicaragua gehört zu den wenigen Ländern der Erde, in denen Abtreibungen mit Gefängnisstrafen geahndet werden. Das gilt ebenso in Fällen, in denen die Schwangerschaft aus einer inzestuösen Beziehung hervorgegangen oder das Leben der Mutter gefährdet ist.

"Fehlender Aufklärungsunterricht an den Schulen, sexuelle Übergriffe und Nötigung, sozialer Druck auf Jugendliche innerhalb des Freundeskreises, Armut und die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen begünstigen Kinder- und Teeangerschwangerschaften", ist die Erfahrung von Quincho Barrilete.


"Kindermütter sind Opfer sexueller Gewalt"

Für Lorna Norori von der Bewegung gegen sexuelle Übergriffe (MCAS) sind Kinderschwangerschaften in erster Linie die Folge sexueller Gewalt. Nach nicaraguanischem Recht kommt Sex mit Kindern unter 14 Jahren ausnahmslos einer Vergewaltigung gleich, die mit zwölf- bis 15-jährigen Haftstrafen geahndet wird.

Diesen von der Justiz anerkannten Vergewaltigungsopfern nicht die Chance auf eine Abtreibung zu geben, ist nach Ansicht von Norori ebenso zynisch, wie die Tatsache, dass rund 40 Prozent aller vergewaltigten Frauen der Zugang zur Justiz versperrt sei. (Ende/IPS/kb/2012)


Links:

http://www.mcas.org.ni/Inicio/Index.aspx
http://www.casa-alianza.org.uk/northsouth/CasaWeb.nsf/Street-Children/Nicaragua?OpenDocument
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=101414

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. September 2012