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FRAUEN/386: Die Dalit-Frauen in Bangladesch (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 118, 4/11

Die Dalit-Frauen in Bangladesch
Ein täglicher Kampf

Von Franziska Korn


Die einen kennen sie als Unberührbare, die anderen als Kastenlose, und Gandhi sprach einst von Ihnen als "Harijan" (Kinder Gottes). Manch einer kennt sie gar nicht und kann oder will nicht glauben, dass sie im eigenen Land wenige Minuten entfernt in abgeschiedenen Gemeinschaften leben. Dort kämpfen sie tagtäglich ums Überleben. Sie selbst nennen sich Dalits - Menschen, die aufgrund ihrer Abstammung oder Tätigkeit mit zahlreichen Diskriminierungen konfrontiert sind.


Im Gegensatz zum Glauben vieler leben Dalits nicht nur in Indien, sondern auch in anderen südasiatischen Ländern. In Bangladesch schließen sie sich seit einem guten Jahrzehnt zusammen. Dabei wird die Stimme einer ganz bestimmten Gruppe immer lauter. Moni Rani Das, die Präsidentin des Dalit Women Forum, erklärt, warum: "Unter den Dalits leiden Frauen am stärksten. Sie werden in doppelter Hinsicht diskriminiert: Wir sind Frauen, und wir sind Dalits. Etwas Schlimmeres gibt es nicht! Damit sich etwas ändert, müssen wir endlich auf uns aufmerksam machen!" 2006 hat Moni Rani Das mit Hilfe der lokalen NGO Nagorik Uddyog das Forum für Dalit-Frauen (DWF) gegründet. Mittlerweile zählt es 300 Mitglieder, die aus insgesamt zehn der 27 Dalit-Communities in Dhaka stammen. Es war ein schwerer Weg. Moni Rani Das besuchte die verschiedenen Communities, ging von Tür zu Tür, argumentierte, hörte zu und kämpfte. Wer ihr vertraute, wurde Mitglied.


Es fehlt an allem

Für viele Frauen beginnt der Kampf bereits, wenn sie dem DWF beiwohnen wollen. Häufig lassen ihre Ehemänner sie nicht gehen; sie bedrohen sie. Wenn sie sich dennoch wegschleichen, müssen manche mit Schlägen rechnen. "Uns wird nachgesagt, dass wir unanständige Dinge tun. Krampfhaft versuche ich zu verstehen, was schlecht daran ist, sich über Rechte in der Ehe, in der Gesellschaft und über Arbeitsmöglichkeiten zu informieren." Die junge Frau, die zu dem einen Prozent der Dalits zählt, die in Bangladesch höhere Schulbildung genießen, senkt ihren Blick. Sie ist verzweifelt. Die Regierung stelle ihnen zwar Wohnmöglichkeiten zur Verfügung, diese seien aber bei weitem nicht ausreichend. Im Durchschnitt leben acht bis zwölf Dalits auf ca. 15 Quadratmetern. Im schlimmsten Fall seien die wenigen Waschmöglichkeiten nicht richtig nach Geschlechtern getrennt. Was das für Frauen bedeute, brauche sie ja nicht näher zu erklären. Dennoch fügt die 19-jährige Mutter nach einer langen Pause hinzu: "Wir können uns keine Binden leisten. Stattdessen nehmen wir Stofffetzen von alten Saris. Wegen des dreckigen Wassers und der wenigen Rückzugsmöglichkeiten bin ich jedes halbe Jahr schwer krank und habe unerträgliche Schmerzen."

Im Durchschnitt haben die Familien monatlich 2000 bis 3000 Taka, umgerechnet 20 bis 30 Euro, zur Verfügung. So viel verdient die Mehrzahl als öffentlich angestellte Putzkraft. Da das Geld oft nicht reicht, werden die eigenen Kinder eher arbeiten als zur Schule geschickt. Gerne würden sie andere Jobs annehmen. "Wir gelten jedoch als unrein. Wir dürfen nicht im Restaurant bedienen. Niemand: würde kommen." "Wir können putzen, Tiere erlegen oder tote Menschen verbrennen", erklärt eine ältere Frau. Auch ein guter College-Abschluss ändere wenig. Trotz Bildung haben viele der Dalit-Frauen lediglich die Wahl, als Putzfrau zu arbeiten oder als Hausfrau zuhause zu bleiben. "Wie habe ich für das College gekämpft. Nächtelang gelernt, Stunden mit meinen Eltern diskutiert, heimlich geweint. Und jetzt soll ich putzen? Da sitze ich lieber hier!" Viele Dalits verstecken deshalb ihre Identität. Verlassen sie ihre Communities, sprechen sie Bangla und nicht Hindi. Sie machen Umwege, damit KlassenkameradInnen oder ArbeitskollegInnen nicht sehen, dass sie zu dem Eingang mit dem großen, unübersehbaren Schild "Sweeper Colony" ("StraßenkehrerInnen-Siedlung") gehen.


Bildung stärkt

Trotzdem hält das Forum an seinem Ziel fest: Bildung für alle Dalit-Frauen! Nur Bildung mache sie stark und unabhängig. Dabei gehe es nicht nur darum, einen Job zu finden, um finanziell unabhängig zu sein. Genauso seien geistige Stärke und Unabhängigkeit das Ziel. Viele der Dalit-Frauen kennen ihre Rechte nicht. "Wir müssen lernen, unsere Gesellschaft zu hinterfragen und zu kritisieren. Dazu müssen wir verstehen, wie sie funktioniert. Unsere Communities haben keine Ressourcen. Wir Frauen sind deshalb die Ersten, die daran glauben müssen. Wie eine Ressource saugen uns unsere Familien aus! Erst wenn wir das verstehen, können wir glaubhaft argumentieren", erklärt die Präsidentin. Information ist somit ihr oberstes Ziel. Warum sollten Kinder zur Schule und später zur Universität gehen? Welche Gefahren birgt jede Kindesheirat und jede Mitgift? Warum sollte die Geburt einer Tochter genauso Grund zur Freude sein wie die eines Sohnes? Die meisten Frauen erreichen Information aber nur mit Seminaren, die die Hoffnung auf mehr Geld nähren. Neben Nähen und Weben lernen sie dabei, wie man Kerzen herstellt.

Ein weiterer Wunsch des DWF ist es, die Zusammensetzung der Panchayat - der Räte der fünf Ältesten, eine aus Indien stammende Form der lokalen Selbstverwaltung - zu ändern. In fast allen 27 Communities besteht dieser nur aus Männern. Frauen seien deshalb gezwungen, sich mit Problemen wie häuslicher Gewalt an sie zu wenden. So blieben die meisten Frauen stumm und resignieren. Gewalt wird toleriert und totgeschwiegen. Innerhalb Dhakas gibt es circa vier Communities, in denen eine Frau Panchayat-Mitglied ist. "Wenn sie sich treffen, sagen sie mir nicht Bescheid. Ich darf nicht neben ihnen sitzen und mit ihnen diskutieren. Warum bin ich Mitglied, wenn sie mich im besten Fall zuschauen lassen? Sie zwingen mich zur Passivität", erklärt die 26-Jährige deprimiert.

Manchmal verlieren sie die Hoffnung. Angst und Zweifel lähmen sie. Der wesentliche Unterschied zu den Frauen der Mittel- und Oberschicht sei nur der, dass sie mehr Geld haben. Mehr Rechte hätten sie zwangsläufig nicht. Für alle Frauen gilt das aus Bangladesh stammende Sprichwort "Frauen sind nur die Hälfte ihres Ehemannes!" Die Perversion findet ihren Höhepunkt in der Akzeptanz, dass die Frau das Eigentum des Mannes ist. Ihre Aufgabe - neben lebenslanger ehelicher Treue und Folgsamkeit - ist es, mindestens einen Sohn zu gebären und die Machtspiele und -gelüste ihres Ehemannes still zu akzeptieren.


Zusammen stark

In einer solchen Situation stellen sich gerade für die Dalit-Frauen viele Fragen: Wie können sie es schaffen, Traditionen aufzubrechen, die sich durch alle Gesellschaftsschichten ziehen? Tagtäglich berichten die Medien von Mitgiftmorden und angeblichen Selbstmorden von Frauen. Was können diese Frauen tun, damit ihre Ehemänner, Schwiegerväter und Söhne sie nicht unterdrücken? In einem Land, in dem auch die gebildetsten Männer Frauen diskriminieren, appellieren sie an das Bewusstsein der Ungebildeten. Wie können sie mit der Nachbarin umgehen, die aufgrund von Unwissenheit und Neid zum größten Feind wird? Für Bangladesch beschrieb es eine kinderlose Dalit-Witwe so: "Wenn du einen einzigen Mann gegen dich aufbringst, folgen ihm mindestens zehn Frauen. Und dann zerfleischen sie dich."

Trotz dieser und vieler weiterer ungeklärter Fragen geben die Frauen nicht auf. 2010 haben sie die Dalit Women Federation gegründet - einen Zusammenschluss von Organisationen, die sich alle den Rechten von Dalit-Frauen widmen. Über eines sind sie sich nämlich im Klaren: "Wir müssen lernen, dass wir nur zusammen stark sind!"


Zur Autorin:
Franziska Korn ist Masterstudentin der Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören Gender und Entwicklung in Südasien. Ihr Artikel entstand während eines mehrmonatigen Forschungsaufenthaltes in Dhaka und dem ländlichen Umland. Zurzeit untersucht sie das Empowerment-Verständnis aus der Sicht von Dalit-Frauen in Dhaka.


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 118, 4/2011, S. 26-27
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. März 2012