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FRAUEN/337: Kamerun - Brüste mit glühenden Steinen geplättet, viele Mädchen verstümmelt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 7. Oktober 2011

Kamerun: Brüste mit glühenden Steinen geplättet - Viele Mädchen verstümmelt

von Eva Fernández Ortiz


Cardiff, Großbritannien, 7. Oktober (IPS/SNS*) - "Lieber Gott, lass meine Brüste verschwinden", betete Joyce Forghab, als ihre Mutter ihren Körper einen Monat lang täglich mit einem heißen Stein bearbeitete. Viele Frauen in Kamerun versuchen mit dieser barbarischen Methode, bei ihren Töchtern das Brustwachstum zu stoppen. Die Mädchen sollen dadurch für Männer unattraktiv bleiben und vor frühen Schwangerschaften bewahrt werden.

Joyce war erst acht Jahre alt, als ihr Martyrium begann. Ihre Mutter erhitzte einen Stein so lange über dem Feuer, bis er glühte. "Sie schützte ihre eigenen Hände, weil sie wusste, wie heiß das war", sagt die inzwischen 25-jährige Frau. "Dann presste sie den Stein auf meine Brüste und rieb auf ihnen herum. Es tat so weh, dass ich von zu Hause weglief."

Schätzungsweise jedes vierte Mädchen in dem zentralafrikanischen Land wird durch das so genannte 'Brustbügeln' dauerhaft geschädigt. Das Ritual wird üblicherweise von Müttern oder Tanten mit Steinen, Holzstücken, Kokosschalen, Kellen oder Hämmern praktiziert.

"Brustbügeln gibt es in Kamerun seit eh und je", sagt die Gynäkologin Sinou Tchana, die Vizepräsidentin der Kamerunischen Ärztinnen-Vereinigung ist. Als sie und ihre Kolleginnen Anfang der neunziger Jahre erstmals durch alle zehn Regionen des Landes fuhren, waren sie schockiert darüber, dass die Brustverstümmelung in fast allen Teilen Kameruns verbreitet war.


Ritual in verschiedenen afrikanischen Ländern verbreitet

"Die Frauen machten sich nicht bewusst, wie gefährlich das war", meint Tchana. Wie die Frauenorganisation 'Renata' 2006 berichtete, war Brustbügeln vor allem in der Küstenregion und im Nordwesten gang und gäbe. Die Rate lag bei 31 Prozent. Noch verbreiteter war das Ritual im christlichen und animistischen Süden (30 bis 50 Prozent). Im muslimischen Norden betrug die Rate zehn Prozent. Auch in Guinea-Bissau sowie in West- und Zentralafrika einschließlich Tschad, Togo, Benin und Guinea-Conakry wird die Praxis durchgeführt.

In ihrer Klinik trifft Tchana sowohl die Opfer als auch die Täterinnen. Oftmals bereuten die Mütter, was sie ihren Kindern angetan hätten, sagt sie. Das Ritual führt dazu, dass manche Frauen ihr Leben lang flachbrüstig blieben. Bei anderen wird das Gewebe so sehr zerstört, dass die Brust ohne Muskeln wie ein formloser Fettklumpen wirke.

"Meine Brüste sind völlig aus der Form geraten", erzählt Joyce. Mit der Geburt ihres Kindes habe das nichts zu tun. Ohne Büstenhalter könne sie nicht einmal mehr schlafen. Laut Tchana bleiben die Brüste nur dann klein, wenn sie gleichmäßig mit nicht zu heißen Steinen bearbeitet werden. Andernfalls wuchern sie übergroß aus dem verbrannten Gewebe. Operationen zur Wiederherstellung ihres Körpers seien für die meisten Frauen nicht finanzierbar.

Neben starken Schmerzen und psychischen Traumata müssen die Mädchen noch andere gesundheitliche Probleme in Kauf nehmen. Medizinischen Studien zufolge leiden sie häufig an Abszessen, Hautjucken, Infektionen, Zysten und sogar Brustkrebs. Viele Frauen können außerdem nicht stillen. "Ich hatte eine solche Patientin, die mit 24 Jahren an Brustkrebs starb", sagt Tchana. "In solchen Fällen wurde das gesamte Brustgewebe zerstört."


Mütter wollen frühe Schwangerschaften der Töchter verhindern

Dennoch halten viele Frauen in Kamerun weiterhin an dem Ritual fest. "Wenn die Brüste eines jungen Mädchens zu wachsen beginnen, können sich ihr Männer nähern, die Sex wollen", erklärt Ze Jeanne, die acht Kinder hat. "Wir müssen ihre Brüste plätten, damit sie weiter zur Schule gehen kann." Die 57-Jährige, die nahe der Hauptstadt Yaoundé lebt, hat deshalb alle ihre Töchter mit heißen Steinen traktiert.

Die Mütter wollen vermeiden, dass sich die Töchter früh mit Jungen einlassen, vergewaltigt oder ungewollt schwanger werden, abtreiben müssen oder Geschlechtskrankheiten bekommen. Viele Betroffene erklären jedoch, dass sie trotz der schmerzhaften Erfahrungen sexuelle Kontakte hatten. "Auch jemand wie ich kann noch schwanger werden", meint Joyce. "Ich habe ein Kind bekommen, bevor ich verheiratet war."

Ze Jeanne glaubt nach wie vor daran, ihre Töchter vor dem Schlimmsten bewahrt zu haben. Ihre Tochter Clarisse, die mit neun Jahren das Brustbügeln über sich ergehen lassen musste, ist jedoch fest entschlossen, ihren Kindern so etwas nicht anzutun. Die meisten Mädchen haben in dem Alter keine Ahnung davon, warum sie dies alles erdulden müssen. "Mit neun Jahren wissen sie noch nichts über Sex, also habe ich keine Erklärungen abgegeben", sagt Ze Jeanne. "Erst als sie elf waren, habe ich ihnen etwas gesagt."


Männer oft ahnungslos

Viele Männer in Kamerun erfahren von diesen Praktiken nichts. Er sei schockiert gewesen, als er vor einigen Jahren den verstümmelten Oberkörper einer neuen Freundin gesehen habe, sagt der 29-Jährige Joseph Ngondi. Zuerst habe er an eine Krankheit gedacht, bevor sie ihm alles erzählt habe.

Vor allem in den Städten bekommen selbst Verwandte oft nichts von dem Brustbügeln mit. "Die Frauen verbergen es, weil in den Familien nicht über sexuelle Aufklärung gesprochen wird", kritisiert die Geschäftsführerin von 'Renata', Georgette Taku. Wenn ein junges Mädchen schwanger werde, trage die Mutter die gesamte Verantwortung. Der Vater könne dann beide vor die Tür setzen.

In ländlichen Gegenden ist das Brustbügeln dagegen als traditioneller Brauch von allen akzeptiert. "Es gibt nichts zu verstecken, jeder in der Familie sollte dabei sein", meint Ze Jeanne. Wie Joyce hinzufügt, legen manche Männer, vor allem Witwer, sogar selbst Hand an. Tchana kam gerade noch rechtzeitig, bevor ihre eigene Tochter mit elf Jahren in den Ferien auf dem Land von ihrer Schwiegermutter verstümmelt werden konnte. (Ende/IPS/ck/2011)


* IPS veröffentlicht diesen Artikel im Rahmen einer Übereinkunft mit der Agentur 'Street News Service'.

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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Oktober 2011