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FRAUEN/285: Erleichterungen für den Ausstieg aus der Prostitution (pro familia)


pro familia magazin 4/2008
Deutsche Gesellschaft für Familienplanung,
Sexualpädagogik + Sexualberatung e.V.

Sich selbst neu kennen lernen
Erleichterungen für den Ausstieg aus der Prostitution

Von Rita Kühn


Das bundesweit einmalige Modellprojekt profrida - "Prostituierte und von Gewalt betroffene Frauen in den Arbeitsmarkt" wurde von 2006 bis 2007 in Nordrhein-Westfalen durchgeführt. Ziel des Projekts war es, Prostituierte und von Gewalt betroffene Frauen, die in einem Frauenhaus Zuflucht gesucht haben, bei der Integration in den Arbeitsmarkt zu unterstützen. Die Geschäftsführerin des pro familia-Landesverbands Nordrhein-Westfalen hat profrida geleitet.


Angesprochen wurden Prostituierte und von Gewalt betroffene Frauen, die ihre berufliche Situation verändern, verbessern oder etwas Neues lernen wollten. Die Projekterfahrungen sollten für die Entwicklung und Fortschreibung arbeitsmarktpolitischer Programme nutzbar gemacht werden. Unterstützt wurde das Projekt durch Mittel des Landes Nordrhein-Westfalen und des Europäischen Sozialfonds. Die Koordination erfolgte durch das Diakonische Werk Westfalen.

Kundenfreundlichkeit, Flexibilität, Verhandlungsgeschick, Konfliktmanagement, eigenverantwortliche Arbeitseinteilung und Menschenkenntnis sind nur einige Beispiele für Schlüsselqualifikationen, die Prostituierte besitzen. Es sind Qualifikationen, die eigentlich einen Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt möglich machen sollten. Die Realität sieht anders aus. Die Fähigkeiten und Fertigkeiten der Frauen werden durch potenzielle Arbeitgeber kaum als Qualifikationen wahrgenommen. Hinzu kommt, dass Prostituierte, die ihre Situation verändern wollen, in der Regel nicht im SGB 11-Bezug sind. Damit werden sie über die üblichen Instrumente der Agenturen für Arbeit kaum erreicht. Nehmen sie an beruflichen Qualifizierungen teil, brechen sie diese zu einem sehr hohen Prozentsatz wieder ab.


Beratung in erreichbarer Nähe

Lücken in der Erwerbsbiographie, fehlende schulische bzw. berufliche Qualifikationen, geringe Verdienstmöglichkeiten in frauentypischen Berufen, all dies sind Faktoren, die Prostituierte benennen, wenn sie für sich keine Möglichkeit sehen, um aus der Prostitution auszusteigen. Nur wenn sie davon wissen und ein Beratungsangebot für Prostituierte in erreichbarer Nähe ist, können sie bei der Klärung der wichtigsten Fragen unterstützt werden.

Aufgrund der sich schnell abzeichnenden hohen Nachfrage wurde statt der geplanten 50 Frauen die Aufnahme von 73 Frauen ermöglicht. Während der Projektdurchführung wurde das Projekt von einem großen öffentlichen Interesse begleitet.

Offizielle Angaben gehen davon aus, dass 200.000 Frauen in Deutschland in der Prostitution arbeiten. Es gibt andere Schätzungen, die diese Zahl doppelt so hoch ansetzen. In NRW arbeiten danach zwischen 43.000 und 86.000 Frauen in der Prostitution.

Prostituierte wollen in der Regel nicht erkannt werden. profrida konnte eine anonymisierte Teilnahme an der Projektarbeit ermöglichen (Geburtsdatum und Fantasiename). Darüber hinaus wurde nicht vorausgesetzt, dass die Frauen ihre bisherige Tätigkeit aufgeben.

Die Akquise der Teilnehmerinnen und das Profiling fand zu Beginn der Projektdurchführung durch die beteiligten Frauenhäuser und die Beratungsstellen für Prostituierte, der Dortmunder Mitternachtsmission e.V. und Madonna e.V., Bochum, statt. Die Frauen wurden gezielt über das Modellprojekt informiert. Dazu wurden intensive Beratungsgespräche, einzeln und in Gruppen geführt.

Erst nach der Entscheidung der Frauen für eine Teilnahme, erfolgte ein Profiling mit jeder einzelnen Frau. Es wurde herausgearbeitet, welche Qualifikationen und Vorkenntnisse bei den Frauen vorliegen, welche Kompetenzen und Wünsche sie bezogen auf ihre zukünftige Tätigkeit haben. Es ging um die Überprüfung von Interessen und von Erfolgsaussichten. Hier knüpfte die individuelle Maßnahmeplanung an.

Die Unterstützerinnengruppen waren während der gesamten 20 Monate der Projektlaufzeit für die Begleitung der Teilnehmerinnen, deren Beratung und Coaching zuständig.



Basis- und Fachliche Qualifizierungen

Von April bis Juli 2006 wurden den beteiligten Frauen Basisqualifizierungen angeboten. Zu den Inhalten gehörten: Deutsch als Fremd- bzw. Fachsprache, Grundrechenarten, EDV-Kenntnisse, Telekommunikation sowie Bausteine der Selbstbehauptung und Selbststärkung.

Von Mitte August bis Mitte Juni 2007 befanden sich 41 Teilnehmerinnen des Modellprojektes in fachlichen Qualifizierungen, deren Curricula vom Netzwerk entwickelt wurden. Die beteiligten Bildungsträger boten die Qualifizierungen in den Bereichen Marketing/Verkauf und im hauswirtschaftlichen/pflegerischen Bereich, sowie die Teilnahme an einem Praktikum in Institutionen und Einrichtungen an.

Frauen, die nicht an den fachlichen Qualifizierungen von profrida teilgenommen haben, wurden ebenfalls begleitet und betreut. Zum Teil nahmen sie an anderen Qualifizierungsmaßnahmen teil oder sie wurden bei der Arbeitsaufnahme, unabhängig von fachlichen Qualifizierungen, unterstützt. Je nach örtlicher Gegebenheit wurde dazu gezielt Kontakt zu den Regionalstellen für Frau und Beruf, den Ämtern für Wirtschaftsförderung oder den AnsprechpartnerInnen bzw. FallmanagerInnen in den Agenturen für Arbeit aufgenommen.


Ausstieg aus der Prostitution

Ein weiterer Baustein war die Umsetzung von Maßnahmen zur Unterstützung von Existenzgründungen. Hierzu wurde allen interessierten Frauen eine Informationsveranstaltung angeboten. In einem nächsten Schritt erstellte jede Frau ein erstes Konzept für eine Gründung und setzte sich damit auseinander, welche Schritte sie für eine Konkretisierung gehen muss.

Die teilnehmenden Prostituierten haben sich vor allem im Zusammenhang mit der Praktikaakquise und - durchführung mit der Frage auseinandergesetzt, inwieweit "oute" ich meinen bisherigen Lebensweg. Nicht alle Frauen haben sich getraut, ihre bisherige Tätigkeit zu benennen. Die Frauen setzten sich während der Teilnahme an profrida - in unterschiedlichem Maße - mit der Frage auseinander, ob und wie wichtig für sie - individuell - der Ausstieg aus der Prostitution ist.


Ergebnisse

Eine häufig gestellte Frage war, was haben Prostituierte und (ehemalige) Frauenhausbewohnerinnen gemeinden Zielgruppen in einem Projekt ausschließlich vor dem Hintergrund eines besonderen Unterstützungsbedarfes - bei der Integration in den Arbeitsmarkt - zu sehen ist.

Die Frauen haben trotz ihrer Mehrfachbelastungen die angebotenen Qualifizierungen und gewählten Wege der Arbeitsmarktintegration durchgehalten. Nur drei Frauen haben ihre Beteiligung an dem Modellprojekt vorzeitig beendet. Im Verlauf der Projektarbeit erkannten und erfuhren die Frauen, dass sie vielfältige Kompetenzen und Fähigkeiten haben, sie entwickelten ihren individuellen Fahrplan für ihre weitere berufliche Zukunft.

Die Qualifizierungsmodule des Netzwerks wurden in Teilzeitform angeboten und es gab unterschiedliche Beginn- und Endzeiten. Es gab Selbstlernphasen unter Anleitung, die entweder vor dem Fachunterricht oder im Anschluss stattgefunden haben. Damit konnten die Frauen selbst entscheiden, ob sie früh oder spät anfangen wollten. Dies korrespondierte mit dem Zugeständnis an die Frauen, dass sie die Möglichkeit hatten, zwecks Sicherung ihres Lebensunterhaltes ihrer bisherigen Tätigkeit weiter nachgehen zu können. Sie erhielten somit die Möglichkeit in einem geschützten Rahmen über ihre berufliche Zukunft zu planen. Sie konnten erfahren, dass es in der Regel eine Frage des Selbstvertrauens und des Durchhaltens ist, wenn sie ihre berufliche Situation verbessern oder verändern wollen.

Das Thema: "Wie gehe ich mit meiner bisherigen Biographie um?", ist ebenfalls relevant. Aus Sicht der Projektdurchführenden kann diese Thematik nur über die Stärkung der Persönlichkeit gelöst werden. Die Auseinandersetzung mit den Lebensgeschichten der Anderen, mit ihren Problemlösungsstrategien, mit ihren Konfliktlösungsmustern brachte neue Verhaltensmöglichkeiten und Sicherheit im Vorgehen für die Frauen mit.

Aus dem Bereich der Prostitution kamen 44 Projektteilnehmerinnen. Davon hatten 15 Frauen einen Pass aus ihrem Herkunftsland und 29 Frauen, davon eine (Spät-)Aussiedlerin, einen deutschen Pass. 25 Frauen konnten keinen Berufsabschluss und 14 Frauen keinen Schulabschluss vor weisen. Erwerbstätig waren zum Maßnahmebeginn nur drei Frauen.


Mehr Unterstützung notwendig

Fazit: Nur das "Mehr" an Unterstützung durch profrida führte dazu, dass die Frauen die angebotenen Maßnahmen durchhalten und erfolgreich abschließen konnten. Das "Mehr" speist sich aus der kontinuierlichen Beratung, der Begleitung und des Coachings der Teilnehmerinnen durch die Unterstützerinnengruppen. Diese wiederum kennen die Arbeit mit den Zielgruppen sehr genau, dieses Erfahrungswissen wurde gleichzeitig für die Entwicklung der Module der fachlichen Qualifizierungen genutzt. Hier ergibt sich im Zusammenspiel mir den Bildungsträgern das "Gewusst wie".

Das Netzwerk hat die Anforderungen an berufsunterstützende Maßnahmen für Prostituierte und (ehemalige) Frauenhausbewohnerinnen, ausgehend von den Projekterfahrungen beschrieben.

Andrea: Die Möglichkeit, an dem Projekt profrida teilnehmen zu können, hat uns sehr viel gebracht, wir haben sehr viel über unser privates wie auch weiteres berufliches Leben dazu gelernt. profrida gab uns die Möglichkeit, uns selbst neu kennen zu lernen. Die Atmosphäre und das Miteinander waren sehr ausgeglichen und harmonisch. Neue Sichtweisen, neuer Mut und neue Freunde sind das, was uns profrida mit auf den Weg gegeben hat. Wir haben viele Kenntnisse in den Unterrichtsfächern EDV, Deutsch, Englisch, kaufmännisches Rechnen sowie in dem immer spaßigen Gruppencoaching kennen gelernt. Unsere Dozentinnen waren immer sehr geduldig mit uns. Obwohl das sicherlich nicht immer ganz einfach war, haben sie uns all das Wissen angeboten, was für uns in vier Monaten möglich war.

Gaby: Ich habe die Fachqualifizierung zur Hauswirtschafts- und Pflegehilfskraft erfolgreich abgeschlossen und bin für diese Maßnahme sehr dankbar. Ich schreibe auch im Namen anderer Kolleginnen, die es für gut befanden, die Schule zusätzlich zur ausgeübten Tätigkeit zu besuchen, um somit den Weg über Hartz IV und das Arbeitsamt zu umgehen. Dieses bezüglich der Diskussion, in der eine Mitarbeiterin des Arbeitsamtes uns nahe gelegt hat, wir sollen Schulungen und Ausbildungen über das Arbeitsamt machen.

Wir hoffen trotzdem, dass viele andere Kolleginnen die Möglichkeit auf ein weiteres Modellprojekt bekommen. Der Ausstieg wird somit um ein Vielfaches erleichtert.


Rita Kühn war als Fachreferentin für Frauenprojekte im Diakonischen Werk Westfalen für die Projektentwicklung und -leitung von profrida zuständig.
Seit März 2008 ist sie Geschäftsführerin des pro familia Landesverbandes NRW.


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Quelle:
pro familia magazin Nr. 04/2007, Seite 18 - 20
Herausgeber und Redaktion:
pro familia Deutsche Gesellschaft für Familienplanung,
Sexualpädagogik und Sexualberatung e.V., Bundesverband
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. April 2009