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INTERVIEW/463: Klimakrise - Kriegswerkzeuge ganz besonders ...    Ralf Cüppers im Gespräch (SB)


Gespräch am 19. Oktober 2019 in Jagel


Dr. med. Ralf Cüppers ist Facharzt für Psychotherapeutische Medizin in eigener Praxis in Flensburg. Seit vielen Jahren in der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) aktiv, gehört er zu den OrganisatorInnen der Mahnwachen "Zwei vor Zwölf", die einmal im Monat um 11.58 Uhr vor dem Tor zum Drohnen- und Tornadostandort Jagel bei Schleswig abgehalten werden.

Die 43. Mahnwache am 19. Oktober 2019 stand unter dem Thema "Krieg ist gegen die Natur". [1] Dabei kam insbesondere die Bedeutung des deutschen und weltweiten Militarismus als "Klimakiller" zur Sprache, da bei Rüstung, Unterhalt der Streitkräfte und Kriegsführung gewaltige Mengen an Kohlendioxid und anderen schädlichen Stoffen emittiert werden. Bei der Mahnwache beantwortete Cüppers dem Schattenblick einige Fragen.


Stehend im Gespräch - Foto: © 2019 by Schattenblick

Ralf Cüppers
Foto: © 2019 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Im Rahmen der Mahnwachen vor dem Haupttor des Luftwaffenstandorts Jagel wurden bereits in der Vergangenheit die umweltschädlichen Folgen des Militarismus des öfteren zur Sprache gebracht. Das heutige Treffen greift dieses Thema nun gezielt auf, um die Auswirkungen der Kriegsvorbereitung und -führung im allgemeinen und des militärischen Flugbetriebs im besonderen in seiner Relevanz für die Klimakrise zu verdeutlichen. Welche Argumente sind dabei aus deiner Sicht ins Feld zu führen?

Ralf Cüppers (RC): Fangen wir beim Kraftstoffverbrauch an. So ein Tornado, wie wir ihn hier gleich hinter dem Zaun sehen, stößt in einer einzigen Flugstunde ungefähr so viele Tonnen CO2 aus wie ein Mensch in seinem ganzen Leben, wenn er 100 Jahre alt würde. Was ein Mensch in 100 Jahren an CO2 abatmet, das verbrät ein solcher Kampfjet in einer Flugstunde. Das veranschaulicht die Größenordnung, mit der wir es hier zu tun haben. Als weiterer Gesichtspunkt ist anzuführen, daß ein Tornado wie jedes andere militärische Gerät hergestellt werden muß. Er besteht überwiegend aus Metall, und um dieses Metall zu gewinnen und zu verarbeiten, sind große Aufwände erforderlich. Solche Metalle werden in Hüttenwerken mittels einer enorm energieintensiven Verfahrensweise produziert und geformt. Wenn nun berechnet wird, daß die militärische Rüstung der USA allein soviel CO2 verbraucht wie ein ganzes Land Portugal, dann könnte man natürlich argumentieren, daß Portugal kaum zwei Prozent der industriellen Leistung der USA hervorbringt, so daß sich das bei einer solchen Gegenrechnung noch einigermaßen in der Waage hält. Aber in diese Rechnung gehen nur der Energieverbrauch durch den Flugbetrieb und andere laufende Aufwände des militärischen Komplexes ein. Die von mir angesprochenen Produktionskosten der Rüstungsgüter und deren Folgen für die Umwelt kommen als weiterer gravierender Faktor hinzu.

Zum dritten sind die Verwüstungen durch die Kriegsführung zu nennen, unter denen ich zunächst einmal die Zerstörung von Gebäuden und Infrastruktur herausgreifen will, die dann ja wieder aufgebaut werden müssen. Beim Aufbau wird in großen Mengen Beton verbraucht, bei dessen Produktion durch die Umwandlung von Calziumkarbonat zu Calziumoxid etwa halb soviel CO2 freigesetzt wird, wie der Beton wiegt. Damit dieser Prozeß stattfinden kann, muß Energie zugeführt werden, die zusätzlich in die Rechnung eingeht. Bei einer Erhitzung auf etwa 1450 Grad wird Calziumkarbonat zu Calziumoxid, und wenn man diese notwendige Prozeßenergie dazuzählt, kommt man rechnerisch ungefähr auf ein Verhältnis von eins zu eins, was die Menge an produziertem Beton und dabei entstehendem CO2 betrifft.

Wenn wir uns in diesem Zusammenhang beispielsweise die Zerstörungen in der syrischen Stadt Aleppo mit ihren etwa zweieinhalb Millionen Einwohnern ansehen wollen, findet man dazu relativ viel im Internet, weil es ja die Russen waren, die dort bombardiert haben. Über Al-Mansura, das die NATO bombardiert hat, findet man interessanterweise nicht so viel im Netz. Von den zweieinhalb Millionen Einwohnern Aleppos haben ungefähr eine Million ihr Obdach verloren. Nach offiziellen Angaben der Stadtverwaltung oder der Regierung wurde jedes dritte Gebäude zerstört. Die Islamisten sagen, daß jedes zweite Gebäude zerstört worden sei. Schaut man sich hingegen ein Drohnenvideo an, findet man kein einziges heiles Gebäude. Also wird das Ausmaß der Zerstörungen irgendwo dazwischen liegen. Zieht man als Vergleichsmaßstab heran, daß ich beim Anbau einer Veranda von 22 Quadratmetern für Fundament und Bodenfläche ungefähr vier Kubikmeter Beton gebraucht habe, das sind zwei Paletten Zement oder ungefähr drei Tonnen, kann man ausrechnen, wie viele Millionen Tonnen dann für den Wiederaufbau Aleppos nach den Kriegszerstörungen erforderlich sein werden und was das wiederum für die Emission des klimaschädlichen CO2 bedeutet.

SB: Das Ausmaß des Verbrauchs und der dabei freigesetzten klimarelevanten Gase muß demnach sehr viel höher angesetzt werden, wenn man die Produktionsketten einbezieht und den Gesamtzusammenhang des Militarismus berücksichtigt?

RC: Richtig, und besonders interessant ist dabei, daß der militärische Bereich im Klimaschutzabkommen gar nicht für sich genommen auftaucht. Dort wird die Rüstungsproduktion unter Industrie gezählt und der Verbrauch eines militärischen Fahrzeuges dem Verkehr zugeschlagen. Das hat zur Folge, daß man sich den Gesamtverbrauch des Militärs durch eine mühsame Recherche erschließen muß. Und dabei handelt es sich um einen Sektor, der absolut entbehrlich ist. Es gibt andere Dinge, auf die wir nicht ohne weiteres verzichten können. Hier muß man im Winter heizen, weil die Leute sonst krank werden und schneller sterben. Militär ist hingegen sowas von überflüssig, das brauchen wir überhaupt nicht. Führt man sich die Größenordnung dessen vor Augen, was da sinnlos verbraucht wird, sollte man die Bundeswehr allein schon aus umweltpolitischen Gründen abschaffen.

Nehmen wir als einen weiteren Gesichtspunkt die Schadensfolgen von Unfällen. Ein Fehlschuß der Bundeswehr hat bekanntlich im Emsland einen Moorbrand ausgelöst, das ging ja durch die Presse. Dabei wurden aus Dummheit Fehler gemacht, als die Bundeswehr glaubte, sie könne das Feuer allein löschen. Erst als das nicht gelang, wurden viel zu spät die zivilen und freiwilligen Feuerwehren dazugeholt. Dieser Moorbrand hat rechnerisch mehr CO2 freigesetzt als die steuerfinanzierten Klimaschutzmaßnahmen eines ganzen Jahres eingespart haben. Und dabei handelte es sich nur um einen einzigen Fehlschuß. Jetzt kann man überlegen, wie es sich mit dem normalen Übungsbetrieb verhält. Der militärische Sprengstoff TNT setzt etwa soviel CO2 frei wie er selber wiegt. Von den sieben Kohlenstoffatomen im TNT werden fünf zu CO2, eines wird zu Methan, was ja auch klimaschädlich ist, und eines zu Zyanwasserstoff. Methan ist ungefähr 20mal so klimarelevant wie Kohlendioxid. Stellt man sich vor, was da alles explodiert und gesprengt wird, erahnt man zumindest die enormen Mengen der dabei freigesetzten klimaschädlichen Gase.

Jedes Jahr zu Silvester wird die Rechnung aufgemacht, daß die Knallerei ungefähr soviel CO2 wie sechs Wochen Autofahren in der ganzen Bundesrepublik in die Luft bläst. Würde man auf die Silvesterknallerei verzichten, könnte dies gut ein Zehntel dessen einsparen, was der Kraftfahrzeugverkehr jährlich freisetzt. Nun ist das Silvesterfeuerwerk ja eine Bagatelle gegenüber der militärischen Ballerei. Wenn man überlegt, wie groß so eine Mörsergranate im Verhältnis zu einem Silvesterböller ist, kann man sich ausmalen, welche Mengen es dabei zu berücksichtigen gilt: Wie viele Mörsergranaten werden pro Jahr allein im Übungsbetrieb verschossen im Vergleich zu einer Silvesternacht.

SB: In der Bundeswehr und den Streitkräften weltweit wird die Verwendung von Biokraftstoffen in Betracht gezogen und teils in geringem Umfang bereits praktiziert. Ließe sich durch eine Beimischung zum Kerosin im Flugbetrieb zumindest eine etwas günstigere Klimabilanz erzielen?

RC: Eine Beimischung von Biokraftstoff zum Kerosin hat immerhin den Vorteil, daß bei der Produktion von Biodiesel der Atmosphäre CO2 entnommen wird. Aber dieser Kraftstoff wird ja trotzdem verbrannt. Mischt man dem Kerosin Biokraftstoff in Form von Bioethanol oder in der Fraktion, die dem Kerosin entspricht, bei, dann wird er im Flieger verbrannt. Und da es gewissermaßen um den letzten Liter geht, der aus der Erde geholt wird, ist es im Endeffekt nur eine Umverteilung. Wenn man nun sagen würde, man fördert überhaupt nichts mehr aus der Erde, sondern produziert alles aus der Landwirtschaft, dann muß man eine Flugstunde mit 100 Jahren Menschenleben verrechnen. Dafür, daß der Tornado eine Stunde fliegen darf, müßten entsprechend weniger Menschen auf der Erde leben. Dann käme es vielleicht hin. Aber das kann ja keine ernsthafte Überlegung sein, daß die Bundeswehr eine entsprechende Anzahl Menschen tötet, damit sie klimaneutral weiterfliegen kann.

SB: In der jungen Klimabewegung wie Fridays for Future oder Extinction Rebellion, die jetzt in der Öffentlichkeit am deutlichsten wahrgenommen werden, taucht die Frage von Militarismus und Krieg bislang allenfalls am Rande auf. Siehst du Möglichkeiten, einen Übertrag der Antikriegsbewegung in die Bewegung gegen die Klimakrise zu bewerkstelligen?

RC: Natürlich, wir müssen das entsprechend auch in diese Gruppen hineintragen. Wir waren mit dem Transparent "Klimakiller" bei den Freitagsaktionen dabei, am Klimastreiktag habe ich meine Arztpraxis geschlossen, um an solchen Aktionen teilzunehmen. Man muß halt dabei mit den Leuten ins Gespräch kommen. Für die Schüler und Jugendlichen war das unmittelbar einleuchtend und eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Das Problem ist jedoch, was die Medien davon auswählen. Der Schattenblick ist da anders, aber so ein militärfrommes Flensburger Tageblatt wird natürlich solche Dinge gar nicht oder nur am Rande erwähnen. Das eine ist, was die Klimabewegung auf der Straße macht, aber das andere, was die Medien über die Klimabewegung veröffentlichen. Und da ist natürlich eine CO2-Steuer, die dem Staat Geld bringt, mehr im Sinne der Herrschenden als die Abschaffung der Bundeswehr.

SB: Die Bundeswehr ist neben ihrer spezifischen Aufgabe einer möglichen Kriegsführung grundsätzlich ein Instrument zur Sicherung der bestehenden Verhältnisse und der herrschenden Wirtschaftsweise. Müßte die Forderung nach Abschaffung der Bundeswehr zwangsläufig auch auf die Bündnisstruktur der NATO erweitert werden?

RC: Nicht zwangsläufig, man kann die Bundeswehr abschaffen und die NATO-Strukturen belassen, indem man den Anspruch ernst nimmt, daß es sich um ein Friedensbündnis handle. Beispielsweise ist Island ein Land ohne Armee, aber trotzdem Mitglied der NATO. Als die Regierung damals erklärt hat, daß sie Keflavik, den NATO-Stützpunkt der USA, nicht mehr zur Verfügung stellt, ist nichts weiter passiert. Weder die Russen noch die Chinesen oder sonst jemand hat Island besetzt. Es ist doch viel einfacher, den Isländern ihren Fisch abzukaufen als das Land militärisch zu besetzen, um den Fisch zu stehlen. Krieg ist ja nirgendwo etwas, das sich wirklich ökonomisch lohnt. Von daher kann man Armeen auch abschaffen, bevor man den Kapitalismus abschafft. Wenn wir keinen Kapitalismus hätten, wäre natürlich den arbeitenden Menschen am wenigsten daran gelegen, weiter Rüstung zu produzieren. Die zwei Prozent, die sie dann weniger arbeiten müßten, kämen ihrer Freizeit oder kulturellen und anderen Bedürfnisse zugute.

SB: Ralf, vielen Dank für dieses Gespräch.


Fußnote:


[1] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0352.html


Bericht und Interviews zur Mahnwache vor dem Drohnen- und Tornadostandort Jagel im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → INFOPOOL → POLITIK → REPORT

BERICHT/352: Klimakrise - Militär nicht im Visier ... (SB)


23. Oktober 2019


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