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INTERVIEW/442: Manifest für Gegenkultur - Dauerthemen im Blick ...    Ekinsu Devrim Danis im Gespräch (SB)


Ekinsu Devrim Danis ist Redakteurin der türkischen Zeitung Yeni E. Auf der Künstlerkonferenz der Kulturzeitschrift Melodie & Rhythmus, die am 8. Juni im Heimathafen Berlin-Neukölln [1] stattfand, war sie an einem Panel über die gesellschaftliche Rolle von Medien beteiligt. Im Anschluß beantwortete sie dem Schattenblick einige Fragen zum Stand linker Kämpfe in der Türkei und ihrer medialen Repräsentation.



Mit Mikro auf der Bühne des Heimathafens Neukölln - Foto: © 2019 by Schattenblick

Ekinsu Devrim Danis
Foto: © 2019 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Frau Danis, könnten Sie etwas zur Situation der Medien in der Türkei und dem Ausmaß an Repression sagen, der sie ausgesetzt sind?

Ekinsu Devrim Danis (EDD): In der Türkei gibt es zwei große Linien in den Mainstreammedien. Die eine vertritt die politischen Positionen säkularer bürgerlicher Kreise und Parteien, die andere reflektiert kurdische Interessen und ist daher meist stärker von staatlicher Repression betroffen. Das gilt allerdings für alle herrschaftskritischen Medien. Soweit ich weiß, ist die Türkei das Land, in dem sich am meisten JournalistInnen im Gefängnis befinden.

SB: Die durch den Kampf um den Gezi-Park 2013 ausgelösten Proteste hatten anfangs den Erhalt der dort stehenden Bäume zum Gegenstand. Inwiefern spielen ökologische Probleme heute eine Rolle in der Linken der Türkei?

EDD: Zunächst ging es wirklich um die Rodung der Bäume, aber dann hat sich der Protest gewandelt, hat sich gegen die Unterdrückung der Meinungsfreiheit und auch gegen die Einmischung der Regierenden in die Lebensweise der Menschen gerichtet. Es war eine Protestbewegung, an der auch Sozialdemokraten, Linke und Linksnationale teilgenommen haben. Das hat dazu geführt, daß die Menschen die Informationen, die sie bis dahin bekommen haben, hinterfragten. Sie haben sich gefragt, wie die Medien, wenn sie die Gezi-Proteste totschweigen, dann wohl über die Entwicklung in den kurdischen Regionen berichten. Wenn das wirklich unsere einzige Nachrichtenquelle war, sind wir dann nicht die ganze Zeit betrogen worden?

Das hat dazu geführt, daß die Menschen mehr Sympathie für die kurdische Bewegung entwickelt haben. An den Gezi-Park-Protesten haben sich zu Beginn eher türkische Kräfte beteiligt, aber die kurdischen Kräfte sind dann dazugestoßen und es ist diese Atmosphäre entstanden, in der die Frage der Brüderlichkeit oder Schwesterlichkeit der Völker eine gewichtigere Rolle gespielt hat.

SB: In der Linken der Bundesrepublik findet eine Auseinandersetzung um das Verhältnis von Klassen- und Identitätspolitik statt. Welche Rolle spielen die Kämpfe feministischer oder queerer Bewegungen in der türkischen Linken?

EDD: Seit Gezi werden die Entwicklungen in der kurdischen Bewegung wie auch der LGBT-Bewegung mit mehr Sensibilität verfolgt. In Europa werden die Kämpfe zum Beispiel der feministischen Bewegung etwas intensiver geführt, und man hat in der Türkei aus den Erfahrungen dieser Bewegungen gelernt. Vielleicht kann man sagen, daß die kurdische Bewegung den anderen einen Schritt voraus war, wenn es darum ging, die feministische Bewegung oder Identitätsbewegungen wie LGBT und andere zu unterstützen, weil sie diese Erfahrung am eigenen Leibe gemacht hat. Wir denken, ob jetzt Umweltbewegung, LGBT-Bewegung oder feministische Bewegung, all das kann nicht getrennt betrachtet werden von der Arbeiterbewegung. All das findet schließlich auf der Ebene der kapitalistischen Machtverhältnisse statt. Deswegen muß man auch diese Kämpfe dagegen in Stellung bringen und die Klassenfrage stellen, also alle Kämpfe unter diesem Gesichtspunkt führen.

SB: Die Linke in der Türkei war lange Zeit sehr radikal und auch stark, zumindest aus der Wahrnehmung hier in der Bundesrepublik. Halten Sie es für möglich, daß die Linke in der Türkei im Kampf gegen das AKP-Regime einen Neubeginn wagt und wieder stärker wird?

EDD: Insbesondere nach dem Gezi-Widerstand hat sich die Auffassung vom politischen Kampf in den linken Kreisen der Türkei etwas geändert. Viele sind dazu übergegangen, daß man eine postmoderne linke Kampflinie vorzieht, das heißt, viele sagen, die Arbeiterbewegung oder die Arbeiterklasse gehört der Vergangenheit an, von der Arbeiterklasse angeführte Kämpfe brauchen wir heute nicht mehr, wir brauchen heute die Kämpfe der Minderheiten, die wir zusammenführen sollen, ob das jetzt Umweltbewegung, feministische Bewegung oder LGBT-Bewegung ist.

Das ist nicht unsere Auffassung des Kampfes. So hält zum Beispiel die Partei der Arbeit ( EMEP) in der Türkei an der "klassischen" Linie des Kampfes, an der Orientierung an der Arbeiterklasse fest. In der postmarxistischen Entwicklung wurde die Arbeiterklasse aufgegeben, man hat sich nicht mehr an ihr orientiert, sondern eher an gesellschaftlichen Kämpfen oder Bewegungen wie zum Beispiel der Gezi-Bewegung in der Türkei, dem arabischen Frühling in Tunesien oder der Bewegung der Gelbwesten in Frankreich. Die postmarxistische Linke ist der Ansicht, daß dies Formen des Kampfes sind, die wir heute brauchen oder die heute angesagt sind.

SB: Versuchen migrantische Gruppen wie etwa die türkische und kurdische Linke in der Bundesrepublik, die politische Entwicklung in der Türkei auch von außen zu beeinflussen?

EDD: Ich denke, daß es in den Ländern außerhalb der Türkei auch soziale Probleme und andere Fragestellungen gibt. Die Menschen, die dort leben, sind Teil der Arbeiterklasse der jeweiligen Länder. Meiner Ansicht nach sollten sie sich weniger um die Probleme in der Türkei kümmern, denn ihre erste Aufgabe sollte darin bestehen, sich am Klassenkampf in den Ländern zu beteiligen, in denen sie leben, und dafür zu sorgen, so viele Menschen wie möglich zu erreichen, also auch türkeistämmige Menschen, und sie dafür zu gewinnen, daß sie als Teil der Klasse am Klassenkampf teilnehmen.

SB: Frau Danis, vielen Dank für das Gespräch.


Ekinsu Devrim Danis und Dolmetscher mit anderen DiskussionsteilnehmerInnen - Foto: © 2019 by Schattenblick

Medienkritik auf der Künstlerkonferenz
Foto: © 2019 by Schattenblick


Fußnote:


[1] BERICHT/338: Manifest für Gegenkultur - Gefahren und Chancen ... (SB)
http://schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0338.html


16. Juli 2019


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