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INTERVIEW/414: Ausgehebelt - vollautomatisierter Betriebsfrieden ...    Norbert Paulsen im Gespräch (SB)


Auf dem 164. Jour Fixe der Hamburger Gewerkschaftslinke fand am 6. Juni im Curio-Haus am Rothenbaumchaussee eine lebhafte Diskussion zum Thema "Hamburger Hafen: Arbeitserleichterung oder Stellenvernichtung" statt. Eingangs hat Norbert Paulsen, Betriebsratsvorsitzenden bei der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA), aus seiner Sicht den umstritten Plan des Senats, in Steinwerder Süd von einem Konsortium aus der Volksrepublik China ein vollautomatisiertes Containerterminal samt Logistikzentrum errichten zu lassen, erläutert. Im Anschluß an der Debatte stellte sich Paulsen dem Schattenblick für ein Interview zur Verfügung.



Norbert Paulsen im Porträt - Foto: © 2018 by Schattenblick

Norbert Paulsen
Foto: © 2018 by Schattenblick

Schattenblick: Herr Paulsen, wie lange sind Sie schon bei Verdi?

Norbert Paulsen: 1979 bin in die IG-Metall eingetreten. Ich bin also fast 40 Jahre Gewerkschafter.

SB: Wie sehen Sie die Rolle der Gewerkschaften im Hamburger Hafen heute? Hat sie sich gewandelt? Erfüllt sie dieselbe Funktion wie damals? Vertritt sie ihre Mitglieder, die Beschäftigten, besser oder vielleicht schlechter?

NP: Ich kann das schwer beurteilen. Dazu muß ich sagen, daß ich erst seit 2009 Betriebsratsvorsitzender im Hamburger Hafen bin und eigentlich nur über die Zeit seitdem wirklich urteilen kann. Vorher war ich eher Außenstehender. Obwohl lange Gewerkschaftsmitglied, war ich nicht besonders aktiv. Mein Eindruck ist es, daß das gewerkschaftliche Engagement bei den Beschäftigten früher stärker war und daß sich das inzwischen reduziert hat. Dennoch erlebe ich immer sehr engagierte Kolleginnen und Kollegen, speziell wenn es um aktuelle Themen geht, wo sie sich einbringen können. Was den Verdi-Apparat selber betrifft, so glaube ich, daß man dort auf das Phänomen der Institutionalisierung trifft. Die Gewerkschaft hat sich zu einer Institution entwickelt, deren Erhalt zum Selbstzweck geworden ist und wo man es mit sehr viel fremden Einflüssen zu tun hat. Ich spreche hier von den politischen Parteien. Vor allem die SPD mischt sich bei der Entscheidungsfindung bei Verdi stark ein.

SB: Der Rückgang des Engagements seitens der einfachen Gewerkschaftsmitglieder - wie stark hängt jene vielfach beklagte Entwicklung mit der Gewerkschaft als Selbstzweck, also mit dem Phänomen, das Sie gerade beschrieben haben, bzw. auch mit gesellschaftlichen Veränderungen insgesamt, Stichwort Individualisierung/Vereinzelung, zusammen?

NP: Ich denke, sie sind nicht voneinander zu trennen. Als ich 1985 im Hafen angefangen habe, da war das so, daß man immer mit jemanden zusammengearbeitet hat und nicht allein. Einfaches Beispiel: Man hat mit anderen Kollegen zusammen Sackgut geworfen. Als ich im Stahlterminal angefangen habe, haben wir dann zu zweit immer die Schiffe beladen und entladen. Heute ist es nicht mehr so. Das hat sich grundlegend geändert. Man ist da jetzt immer allein. Das gemeinsame Arbeitsumfeld von früher gibt es nicht mehr. Damals hat man auch zusammen seine Pausen gemacht, der Kontakt zu den Kolleginnen und Kollegen war viel besser.

SB: Ist die Vereinzelung in der Arbeitswelt allein das Ergebnis technologischer Entwicklung oder stecken vielleicht Strategien seitens der Arbeitgeber dahinter, um die Solidarität unter den Werktätigen zu schwächen?

NP: Ich weiß nicht, ob das gezielt gefördert wird. Das kann ich nicht beurteilen. Dennoch stelle ich fest, daß es zu dieser Vereinzelung kommt - nicht nur in der Arbeitswelt, sondern in der Gesellschaft insgesamt. Gefördert wird sie dadurch zum Beispiel, daß sich heute vieles nicht mehr in der realen, sondern der virtuellen Welt abspielt. Das Internet und seine intensive Nutzung hat unter anderem dazu geführt, daß man total einsam im Netz seine Zeit verbringen kann. Die Kommunikation unter den Menschen hat sich in den letzten Jahren komplett verändert, finde ich jedenfalls.

SB: Sie sprachen vorhin von Sackgut werfen. Könnte es sein, daß das Fehlen der körperlichen Komponente ebenfalls die Entfremdung der Menschen in der Arbeitswelt vorantreibt, weil man sich weniger physisch einbringen oder austoben kann?

NP: Es könnte durchaus ein Aspekt dieser Entwicklung sein. Früher war es tatsächlich so, daß man sehr viel körperlich arbeiten mußte.


Entladung eines Taiwanesisches Containerschiffs aus der Vogelperspektive - Foto: © 2013 by Martina Nolte, Lizenz: Creative Commons by-sa-3.0 de

Dauerbetrieb im Hamburger Hafen
Foto: © 2013 by Martina Nolte, Lizenz: Creative Commons by-sa-3.0 de

SB: Kommen wir zum Thema der heutigen Jour-Fixe-Diskussion. Erzählen Sie bitte von dem Großprojekt in Steinwerder Süd. Wie ist die ganze Geschichte ins Laufen gekommen?

NP: Vor zirka einem Jahr wurde der Ausgang eines Ideenwettbewerbs darüber, was aus einer größeren Fläche im Hamburger Hafen werden soll, in den Medien veröffentlicht. Es hieß, ein chinesisches Konsortium plane im Hamburger Hafen die Schaffung eines Containerterminals mit angeschlossenem E-Logistik-Hub. Als Vertreter der Arbeitnehmer am Hafen haben wir natürlich nachgehakt und bei der Wirschaftsbehörde gefragt, was denn dahinter steckt. Man teilte uns lediglich mit, daß das nur ein Ideenwettbewerb sei und darüber hinaus nichts Konkretes bedeute.

SB: Stand zu diesem Zeitpunkt bereits fest, wer den Wettbewerb gewinnen würde?

NP: Das war schon bekannt, denn der Wettbewerb hatte schon stattgefunden. Das Vorspiel hatten wir bei der Gewerkschaft aber nicht mitbekommen. Bereits April 2017 war der Annahmeschluß für Bewerbungen gewesen, und danach wurden sie von einem Expertengremium ausgewertet. Darüber hatte ich auch einige Unterlagen von der Wirtschaftsbehörde bekommen.

SB: Es hört sich an, als hätte die Wirtschaftsbehörde das Ganze auf Sparflamme gehalten.

NP: Es hat sich keiner darum geschert. Die HHLA selber hat zum Beispiel auch mit angeboten, jedoch nur einen 6. Platz gemacht. Offenbar waren die anderen Ideen besser. Ein wesentlicher Punkt bei der Ausschreibung, der auch in der Beurteilung angeführt wurde, war die Wirtschaftlichkeit des Projektes für die Region im allgemeinen und für die Hamburg Port Authority (HPA) im besonderen. Der wichtigste Aspekt der erfolgreichen Bewerbung, der auch ein wesentlicher Unterschied zu den bisherigen Verhältnissen am Hamburger Hafen darstellt, ist, daß das chinesische Konsortium angeboten hat, sowohl die Infrastruktur als auch die Suprastruktur komplett aus der eigenen Tasche zu bezahlen. Das heißt, das Herrichten der Fläche, das Aufbauen von Anlagen auf dem Areal Steinwerder Süd wie zum Beispiel die Kaimauern, sollte nicht mehr von der Stadt finanziert werden - was 70 Jahre lang im Hafen üblich war -, sondern das würde das Konsortium selbst übernehmen. Dafür soll das Konsortium einen Pachtvertrag für mindestens 60 Jahre bekommen mit einer Erweiterungsmöglichkeit auf 99 Jahre. Das läuft auf eine Enteignung von Hamburger Staatseigentum hinaus.

SB: Ihre Ablehnung des Vorhabens des chinesischen Konsortiums an Steinwerder Süd beruht hauptsächlich auf diesem Punkt?

NP: Das ist ein Grund. Ein zweiter Grund ist, daß kein zusätzlicher Bedarf an Containerumschlagsmengen im Hamburger Hafen herrscht. Auf den bestehende Anlagen haben wir ausreichende Reserven zum weiteren Ausbau für die nächsten Jahre. Es steht alles im aktuellen Hafenentwicklungplan. Wir haben sowohl bei den HHLA-Unternehmen CTB (Containerterminal Burchardkai) und CTT (Containerterminal Tollerort) ausreichende Ausbaureserven, um noch 50 Prozent mehr Container umschlagen zu können, als wir es heute tun. Und Eurogate hat im Augenblick auch nur eine Auslastung von 60 Prozent. Also auf den bestehenden Anlagen plus einer Ausbaureserve in der Westerweiterung könnte man den Umschlag des Hamburger Hafens um rund 70 Prozent erhöhen.


Norbert Paulsen von der Seite im Interview - Foto: © 2018 by Schattenblick

Foto: © 2018 by Schattenblick

SB: Hängt das Projekt in Steinwerder Süd auch mit dem Vorhaben Elbvertiefung bzw. mit dem sogenannten Sprung über die Elbe zusammen? Hatte der Senat nicht mit der Idee vom Sprung über die Elbe vor, daß der Umschlag etwas mehr in Richtung Elbmündung verlegt wird?

NP: Da liegt ein Mißverständnis vor. Hamburg ist auf sein Stadtgebiet begrenzt und kann sich nur innerhalb dessen entwickeln. Der Hafen hat eine Hafenfläche und eine Hafenerweiterungsfläche. Die Hafenerweiterungsfläche geht bis nach Altenwerder runter und liegt damit relativ weit im Westen. Allerdings gibt es auch ältere Flächen, wo vorher andere Betriebe gearbeitet haben wie zum Beispiel die HHLA-Tochter UCT, das Unikai Containerterminal oder Buss Hansa. Jene Flächen, wo früher konventionelle, kleinere Terminals standen, sollten zu einem großen Containerterminal zusammengelegt werden. Doch die Finanzkrise 2007/2008 und der damit einhergehende Rückgang des weltweiten Warenhandels haben für jene Pläne das Aus bedeutet. Die korrigierten Wachstumsprognosen ließen den Umbau nicht zu.

Was die Elbvertiefung betrifft, so soll diese den Zugang zum Hamburger Hafen für die ganz großen Containerschiffe erleichtern. Der Vorteil von Steinwerder Süd als Areal ist, daß die Schiffe nicht unter der Köhlbrandbrücke durch müssen. Weil es dort zu keiner Begrenzung der Schiffshöhe kommt, ist die Fläche dort ideal.

SB: Als Teil der Anlage in Steinwerder Süd ist auch ein Logistikzentrum von Ali Baba geplant. Das heißt, von Hamburg aus würde das chinesische Versandsunternehmen auf europäischem Boden den Kampf mit dem amerikanischen Branchenprimus Amazon aufnehmen. Sehen wir das richtig?

NP: Es sieht alles danach aus. Da kämpften dann zwei Große um den Kuchen, den es hier in Europa bzw. in Deutschland zu verteilen gibt.

SB: Steht das Vorhaben in Steinwerder Süd auch mit der Neuen Seidenstraße in Verbindung?

NP: Es gehört jedenfalls zu Pekings strategischem Infrastrukturprojekt One Belt, One Road (OBOR) dazu, daß sich chinesische Unternehmen überall Plätze suchen, wo sie logistische Drehscheiben zwecks Warenverteilung errichten können.


Interviewszene am Kaffeetisch im Freien - Foto: © 2018 by Schattenblick

SB-Redakteur und Norbert Paulsen
Foto: © 2018 by Schattenblick

SB: Dann ist es seitens des Senats sogar sinnvoll, Hamburg an ein solches Zukunftsprojekt anzukoppeln?

SB: Wenn sich dahinter eine Strategie verbirgt, die der Hamburger Senat umsetzen will, könnte man vielleicht drüber diskutieren, aber im Augenblick sieht alles einfach nach einer Kapitulation gegenüber dem internationalen Kapital aus. Das Areal soll für 60 Jahre an einen Investor übergeben werden mit einer Verlängerungsoption auf 99 Jahre. In anderen Häfen ist es bereits üblich, solch eine Fläche wie exterritoriales Gebiet zu behandeln. Menschen, die vorher dort gelebt und gearbeitet haben, dürfen dann nicht mehr hinein. Daß sich eine öffentliche Gebietskörperschaft in Westeuropa darauf einläßt, ist für mich unverantwortlich. Wir rechnen bereits mit dem Verlust von ungefähr 400 Arbeitsplätzen im Bereich Umschlag, sollte die geplante vollautomatisierte Anlage in Betrieb gehen. Statt 500 Menschen wie heute wären an einem solchen Terminal bestenfalls 100 beschäftigt.

SB: Wie stark ist der Widerstand im Hafen gegen dieses Vorhaben?

NP: Der ist erheblich, sowohl seitens der Hafenbetriebe als auch der Arbeitnehmerschaft. Wir brauchen einen runden Tisch, an dem alle mitreden können, auch über die sozialen Gesichtspunkte, die in dem Ideenwettbewerb überhaupt keine Rolle spielten. Wenn solche Kriterien weiter mißachtet werden, dann ist das eine Kampfansage an die Beschäftigten. Dann werden wir auf die Straße gehen und dagegen massiv kämpfen. Wichtig ist uns dabei, daß wir Mitsprache bekommen, wie die Zukunft des Hamburger Hafens aussehen soll, speziell für Steinwerder Süd. Deswegen fordern wir einen runden Tisch, an dem dann sich die beteiligen Betriebsräte im Hamburger Hafen als auch die Vertrauensleute beteiligen können, um hier über die weitere Entwicklung des Hafens mitzubestimmen.

SB: Haben Sie schon Kontakt mit dem Konsortium aufgenommen?

NP: Nein.

SB: Der Konzernbetriebsrat hat am 26. April eine erste Pressekonferenz zum Thema Steinwerder Süd abgehalten. Das Medienecho war nicht unerheblich. Was folgte danach?

NP: Bei der 1. Mai-Demonstration haben wir uns ganz klar gegen einen Ausverkauf von Hamburger Staatseigentum und gegen die Schaffung von Überkapazitäten im Containerbereich ausgesprochen. Überkapazitäten führen stets zu einer Konkurrenzsituation und zu einer Kannibalisierung. Deshalb sehen wir unsere Arbeitsplätze hier in Gefahr. Es geht uns nicht einfach um die Wahrung des Besitzstands. Wir wollen einfach faire, tariflich abgesicherte, gute Arbeitsplätze erhalten. Die Situation am Hafen wird nicht dadurch besser, wenn nachher andere zu Dumpinglöhnen dort arbeiten müssen oder es kaum noch Arbeitsplätze gibt. Das kann nicht die Lösung sein.

SB: Wie hat der Senat auf ihre Forderungen reagiert?

NP: Sie haben sich noch nicht dazu geäußert.

SB: Stehen irgendwelche Termine an?

NP: Wir haben ihnen vor kurzem gesagt, daß wir im Juni eine Antwort erwarten. Wenn sie nicht kommt, dann werden wir weitere Maßnahmen angehen. Das haben wir zumindest den Medien mitgeteilt.

SB: Recht vielen Dank für das Interview, Herr Paulsen.


Vorderansicht des wilhelminischen Kurio-Hauses samt Eingangsportal - Foto: © 2018 by Schattenblick

Das Curio-Haus an der Rothenbaumchaussee
Foto: © 2018 by Schattenblick


15. Juni 2018


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