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INTERVIEW/397: Olivenzweig - die einfache Wahrheit verschleiern ...    Mako Qocgiri im Gespräch (SB)


Gespräch am 26. Januar 2018 in der Universität Hamburg


Der Politikwissenschaftler Mako Qocgiri ist seit 2011 Mitarbeiter von Civaka Azad, dem Kurdischen Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit mit Sitz in Berlin. [1] Das Zentrum "Freie Gesellschaft" hat es sich zur Aufgabe gemacht, über die Geschehnisse in Kurdistan zu informieren und damit einen Beitrag zur Eindämmung des Krieges zu leisten und den Weg für eine friedliche Lösung zu ebnen. Dabei geht es insbesondere darum, einen Einblick in das Projekt der Demokratischen Autonomie als freiheitlichen Gesellschaftsentwurf zu gewähren. Zudem betreibt Civaka Azad Informations- und Dokumentationsarbeit über die in Deutschland lebenden Kurdinnen und Kurden und setzt sich für die Belange der hier lebenden kurdischen Migrantinnen und Migranten ein. Gegenöffentlichkeit zu schaffen schließt nicht zuletzt die Zusammenarbeit mit anderen Vereinen, Institutionen und Organisationen ein, die sich ebenfalls für eine Welt ohne Unterdrückung einsetzen.

Zum Thema "Quo vadis, Türkei?" fand am 26. Januar 2018 an der Universität Hamburg auf Einladung des AStA und des Verbands der Studierenden aus Kurdistan (YXK) eine von rund 300 Menschen besuchte Podiumsdiskussion statt. Neben Leyla Imret (Co-Bürgermeisterin der Stadt Cizre im Exil), Cansu Özdemir (Fraktionsvorsitzende der Partei Die Linke in der Hamburger Bürgerschaft) und der Hamburger Anwältin Britta Eder referierte und diskutierte Mako Qocgiri auf dem Podium. Er ging in seinem Beitrag insbesondere auf die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei, die kurdische Öffentlichkeitsarbeit und die Bündnispolitik der kurdischen Freiheitsbewegung in Syrien ein.

Im Anschluß an die Veranstaltung beantwortete Mako Qocgiri dem Schattenblick einige Fragen zur Medienarbeit von Civaka Azad.


Beim Vortrag mit Mikrophon - Foto: © 2018 by Schattenblick

Mako Qocgiri
Foto: © 2018 by Schattenblick


Schattenblick (SB): Mako, du engagierst dich an der Schnittstelle zwischen der kurdischen Bewegung und den deutschen Medien wie auch der hiesigen Öffentlichkeit. Welche Erfahrungen hast du mit deutschen Journalisten gemacht, was ihren Informationsstand, aber auch ihr Interesse an Kurdistan betrifft?

Mako Qocgiri (MQ): Gerade in den bürgerlichen Medien ist es oft so, daß sie nach der Devise vorgehen, only bad news are good news. Das heißt, sie schauen, wo es Kriege und Opfer gibt, und versuchen, skandalisierende Schlagzeilen auf ihre Titelseiten zu bringen. Da merkt man schon, daß das Interesse nicht soweit reicht, sich ernsthaft mit der kurdischen Freiheitsbewegung und deren Inhalten auseinanderzusetzen. Sie wollen lediglich sehen, wer gerade gegen wen Krieg führt, wer unterstützt wen, wie sind die internationalen Mächte dabei verortet und dergleichen mehr. Zumindest teilweise ist das so, wobei ich das aber jetzt nicht verallgemeinern möchte, weil ich glaube, daß es schon auch bis in die bürgerlichen Medien hinein Interesse daran gibt, was beispielsweise in Rojava im Norden Syriens gerade passiert. Viele überraschend positive Artikel, die wir in letzter Zeit von Journalisten gelesen haben, die in ihren Berichten auch auf die Prinzipien von Basisdemokratie und Frauenbefreiung eingegangen sind, kommen von Medien auch jenseits der jungen Welt und des Neuen Deutschland. So hat beispielsweise Deniz Yücel, der nach wie vor in der Türkei im Gefängnis sitzt, für die Welt informative Artikel etwa über Rojava auf die Titelseiten gebracht, und das ist immerhin die Springer-Presse. Das bedeutet ja schon etwas.

SB: Wie gehen die deutschen Medien aus deiner Sicht mit der Schizophrenie um, einerseits Erdogan in bestimmten Fällen als Despoten und Machthaber einzustufen, weil er Deutsche inhaftiert, andererseits jedoch die Repression gegen die kurdische Bevölkerung auszublenden?

MQ: Es gibt auf jeden Fall den Typ des Journalisten in Deutschland, der nach der Pfeife der politischen Macht tanzt, sich sehr stark daran orientiert, wie die Interessen des deutschen Staates sortiert sind, und der der Bundesregierung nach dem Mund redet. Das Gefühl haben wir schon. Als Peter Steudtner aus türkischer Haft entlassen wurde, gab es beispielsweise in der Süddeutschen Zeitung Stimmen, die gefordert haben, jetzt müsse die Bundesregierung auch auf die Türkei zugehen, die doch einen positiven Schritt vorgelegt habe. Daß parallel dazu kurdische Aktivisten in der Türkei festgenommen werden, darüber wird dann nicht berichtet. Diesen Typ des Journalisten gibt es. Ich würde nicht sagen, daß es nur ihn gibt, aber das ist auch eine Realität des deutschen Journalismus.

SB: In welchem Maße sind für dich langfristige Strategien der Informationsverbreitung wichtig im Verhältnis zu kurzfristigen Wellenschlägen wie jetzt angesichts des Angriffs auf Afrin, wo die Frage der deutschen Panzer plötzlich bei Leuten hochkocht, die sich vorher kaum für die kurdische Frage interessiert haben?

MQ: Es gibt diese windows of opportunity, wie ich es nennen würde, kurze Zeitabschnitte, in denen wir gewisse Inhalte gut in die Medien reinbringen können, jetzt die Rüstungsexporte beispielsweise, und da versuchen, Druck aufzubauen. Natürlich ist aber unser Interesse, nicht nur über den Krieg zu berichten, sondern langfristig die Inhalte dieses Gesellschaftsmodells vorzustellen und zu verbreiten, das es in Rojava im Norden Syriens und anderswo in Kurdistan gibt. Wir wollen darüber berichten, daß es eine demokratische Perspektive für den Mittleren Osten gibt, und das in die Medien tragen. Das ist natürlich gerade in der bürgerlichen Presse schwieriger, als über Kriege zu berichten. Wenngleich diese natürlich eine Realität sind, legen wir doch unseren Fokus insbesondere darauf, das Gesellschaftsmodell hierzulande bekannt zu machen.

SB: Derzeit finden zahlreiche Demonstrationen, Kundgebungen und Veranstaltungen in verschiedenen Städten statt, mit denen ein Zeichen gegen den Angriff der türkischen Streitkräfte auf den Kanton Afrin gesetzt werden soll. Welche Erfahrungen hast du dabei bislang gemacht? Gibt es Resonanz in der deutschen Öffentlichkeit?

MQ: Es gibt Resonanz, gerade was die morgen stattfindende Demonstration in Köln betrifft, an der großes Medieninteresse besteht. Wir sehen aber auch sehr deutlich, daß die Presse über Demonstrationen gerne so berichtet, ob es Vorfälle gibt, ob es zu Ausschreitungen kommt. Bleiben diese aus, schreiben sie dann vor allem, daß die Demo friedlich verlaufen ist. Es geht weniger um die Inhalte und die Forderungen der Demonstration, als darum, ob die deutsche Straßenverkehrsordnung eingehalten worden ist und ob man sich nach deutschen Gesetzen richtig verhalten hat oder nicht. Bei dieser Herangehensweise steht die Sicherheitsperspektive im Vordergrund. Das ist nicht unser Wunsch, aber vielfach begegnen wir auch einer solchen Berichterstattung.

SB: Mako, vielen Dank für das Gespräch.


Fußnote:

[1] http://www.civaka-azad.org


Berichte und Interviews zur Podiumsdiskussion "Quo vadis, Türkei?" im Schattenblick unter:
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