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INTERVIEW/392: Der Marsch der Kurden - die Welt soll uns sehen ...    Anja Flach im Gespräch (SB)



Gespräch am 4. November 2017 in Düsseldorf

Anja Flach gehört dem kurdischen Frauenrat Rojbin in Hamburg an und ist in der Kampagne Tatort Kurdistan aktiv. Gegen Ende der Demonstration No Pasaran! am 4. November in Düsseldorf bat der Schattenblick sie um eine erste Bilanz der Ereignisse vor dem Hintergrund der besonderen Lage der kurdischen Freiheitsbewegung.

Schattenblick (SB): Anja, was veranlaßt die Menschen dazu, so entschieden für Abdullah Öcalan zu demonstrieren?

Anja Flach (AF): Wir haben seit dem September 2016 keine Information mehr über den Zustand von Abdullah Öcalan. Damals war sein Bruder Mehmet als letzter da. Seine Anwälte können ja schon sehr viel länger nicht mehr zu ihm. Wir haben kein Lebenszeichen von ihm, und es gehen auch seit Anfang Oktober Gerüchte in der türkischen Presse um, daß Öcalan etwas passiert sein soll, daß er tot sein oder ihm es nicht gut gehen soll. Es ist für uns natürlich eine schlimme Situation, nichts zu wissen, denn er ist der Architekt des basisdemokratischen Systems und Frauenbefreiungssystems in Rojava. Ohne ihn würde es wahrscheinlich überhaupt keine Kurden auf der Welt mehr geben. Meiner Meinung nach haben seine Perspektiven uns allen einen Weg aufgezeigt, aus dem Dilemma der kapitalistischen Moderne herauszukommen. Es ist natürlich logisch, daß die westlichen Staaten auch keine Alternative zu diesem System wollen, denn es ist ja ihr System. Insofern tun sie natürlich auch alles, um uns hier einzuschränken, wenn wir für das demonstrieren, wofür er steht, nämlich die Freiheit im Mittleren Osten und vielleicht auch weltweit.

Wir sind heute mit bis zu 25.000 Menschen hergekommen, diese Zahl habe ich zumindest gehört, und man hat uns verboten, daß wir zumindest Fahnen mit dem Abbild Öcalans zeigen können. Inzwischen sind ja auch die Fahnen der YPG und JPG und alle möglichen Fahnen, die irgendwie die kurdische Bewegung symbolisieren, verboten. Außerdem gab es auch Einschränkungen. Wir durften schon bei dem großen Festival in Köln keine Getränke verkaufen, kein Essen verkaufen, keine Fahnen zeigen, und dasselbe Drama hat sich auch hier wiederholt. Aber die Leute haben sich nicht einschüchtern lassen und haben natürlich die Fahnen herausgeholt und gezeigt. Sie sind auf der Straße sehr entschlossen.

Jetzt hat die Polizei hier auf der Breiten Straße eine Sperre aufgebaut. Sie ist sehr massiv aufgefahren und hat eigentlich die ganze Demo eingekesselt. Dann sind Jugendliche nach vorn gegangen und haben versucht, die Sperre zu durchbrechen. Dort wurden Tränengas und Schlagstöcke eingesetzt. Ich habe auch Frauen und Kinder gesehen, die Tränengas ins Gesicht bekommen haben. Nicht nur die Jugendlichen, die nach vorne gelaufen sind, sondern alle haben das abbekommen. Momentan sieht es nicht so aus, als wenn wir zu unserer Abschlußkundgebung auf der anderen Seite des Rheins kommen können. Ich denke, wir werden jetzt hierbleiben, denn wir werden auf keinen Fall unsere Fahnen ausliefern, das wäre für uns eine Schande und geht gar nicht. Insofern werden wir jetzt einfach unsere Abschlußkundgebung hier abhalten. Das ist natürlich sehr bestürzend für uns. Man fühlt sich wirklich so, als würden die Gesetze, die in der Türkei gelten, jetzt auch hierzulande mit grober Gewalt durchgesetzt werden.

SB: Heute ist Außenminister Gabriel in der Türkei mit seinem türkischen Kollegen zu einem, wie berichtet wird, Gespräch in entspannter Atmosphäre zusammengekommen. Was sagst du dazu?

AF: Es ist ganz eindeutig, wo die Bundesregierung steht. Sie wird sich nicht für die demokratischen Rechte der Kurdinnen und Kurden oder der Völker des Mittleren Ostens einsetzen, sondern sie wird halt an dem Pakt mit dem Diktator - und in meinen Augen ist er auch ein Faschist - Erdogan festhalten.

SB: Könnte das tausendfache Zeigen der Flagge nicht auch als Erfolg verstanden werden?

AF: Natürlich. Ich finde, es ist immer ein Erfolg, wenn wir uns nicht einschüchtern lassen. Die Menschen zeigen einfach, daß ihr Vertreter, ihr offizieller Repräsentant Abdullah Öcalan ist und niemand anders. Man läßt sich das insofern auch nicht verbieten. Insofern sehe ich das genau wie du. Es ist in meinen Augen auch ein Erfolg, daß man sich nicht hat einschüchtern lassen trotz dieser Gewaltandrohung.

SB: Anja, vielen Dank für das Gespräch.

8. November 2017


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