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INTERVIEW/390: Es geht ums Ganze - Strategie und Taktik ...    Anna Busl im Gespräch (SB)


Gespräch am 7. Oktober 2017 in Düsseldorf


Anna Busl ist Fachanwältin für Strafrecht, Polizei- und Versammlungsrecht sowie Ausländer- und Asylrecht in Bonn. Sie ist im Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein aktiv und vertritt Betroffene bei den G20-Verfahren. Beim bundesweiten Grundrechtekongreß, zu dem die Initiative "Demonstrationsrecht verteidigen!" am 7. Oktober 2017 in die Volkshochschule Düsseldorf eingeladen hatte, berichtete Anna Busl auf dem Podium der Abschlußdiskussion aus der Arbeitsgruppe "Demonstrationsrecht verteidigen". Im Anschluß daran beantwortete sie dem Schattenblick einige Fragen zur Einschätzung der Angriffe auf die Grundrechte, zu Kampfesweisen und Organisationsformen wie auch zur Unterstützung der politischen Gefangenen.


Bei der Diskussion auf dem Podium - Foto: © 2017 by Schattenblick

Anna Busl
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Ich habe beim Abschlußplenum zwei verschiedene Stimmen wahrgenommen. Zum einen die Begeisterung über den Erfolg der Bewegung und die Hoffnung, noch viel mehr Menschen erreichen zu können. Zum anderen deine Warnung, daß man die Staatsgewalt in Hamburg möglicherweise unterschätzt habe. Ist das ein Widerspruch oder sind es zwei Seiten derselben Medaille?

Anna Busl (AB): Ich glaube, es ist fehlende Wissen darüber, wie sich der Staatsapparat in den letzten Jahren aufgebaut hat. Wenn man ihm nicht mit einer genauso stringenten Organisation begegnet, dann wird man schnell zum gefundenen Fressen. Und das, meine ich, ist in Hamburg zum Teil passiert, nämlich indem es keine, bildlich gesprochen, schlagkräftige Demonstrationen wie beispielsweise eingehakte Demonstranten gegeben hat. Es gab hingegen eine große Menge von Vereinzelten, die durch einen gut aufgestellten Polizeiapparat schnell auseinanderzutreiben ist. Dabei sind oftmals einzelne Opfer zu beklagen, wie das tatsächlich auch der Fall war. Wir müssen uns ernsthaft Gedanken darüber machen, ob wir da richtig herangegangen sind.

SB: Es gab viele vor allem jüngere Menschen, die in Gestalt der sogenannten Finger protestiert haben. Würdest du in dieser Vorgehensweise eine organisierte Form in deinem Sinne sehen?

AB: Das kann funktionieren und es hat ja auch in Heiligendamm einmal funktioniert. Ich glaube, man muß sich nur in jeder Situation die Frage stellen, wo es funktionieren kann und wo nicht. Das sind taktische Fragen, die man im Vorfeld erwägen muß. So etwas wie eine Garantie, daß das unter allen Umständen funktioniert, gibt es nicht.

SB: Diese Vorgehensweise hat auch bei den Aktionen des Klimacamps im Rheinischen Braunkohlerevier nach G20 noch funktioniert. Könnte das auch darauf zurückzuführen sein, daß seitens der Polizei ein bestimmter Level der Eskalation nur in Einzelfällen überschritten wurde? Setzt die Bewegung möglicherweise große Hoffnungen in Organisationsformen, gegen die staatlicherseits längst repressivere Strategien bereitgehalten werden?

AB: Ach, das macht der Staat immer, das sehe ich mit einer gewissen Lockerheit. Das hat er noch nie anders gemacht. Ich gebe einmal ein Beispiel: Als der Schah damals nach Berlin kam, die Studenten und jungen Arbeiter auf die Straße gingen, und dann der Schuß auf Benno Ohnesorg abgegeben wurde und ein Todesopfer zu beklagen war, haben sich die Leute zuallererst zusammengesetzt und gefragt: Wie konnte uns das passieren? Sie beschlossen, in Zukunft - beispielsweise als eine Möglichkeit - wenn so ein Riesenapparat in einer Großstadt aufgefahren wird, wie es nun in Hamburg der Fall war, zu überlegen, ob man dann ausgerechnet dahin gehen sollte. Wo können wir denn ansonsten vielleicht wunde Punkte setzen? Das sind Fragen, die man sich stellen muß, die aber eine Masse vereinzelter Menschen nicht stellen kann. Diese Frage kann nur gestellt werden, wenn untereinander eine Organisation stattfindet. Deshalb sage ich, wir brauchen sie, denn wenn wir das haben, ist ganz schön viel zu erreichen. Und auch das hat die Geschichte schon gezeigt.

SB: Im Abschlußplenum wurde diskutiert, ob als Organisationsweise eher so etwas wie eine zentrale Struktur und Steuerung erforderlich sei, während andere eher auf eine Basisbewegung setzten. Wie würdest du diese Tendenzen und deren Vereinbarkeit einschätzen?

AB: Auch das hat die Geschichte gelehrt. Ich kann das immer nur mit historischen Beispielen umreißen, weil es sonst schwierig darzulegen ist. Natürlich braucht eine Bewegung eine Organisation. Wenn ich das richtig sehe, hat es in der Geschichte nie eine Revolution ohne Organisation gegeben, und auch Errungenschaften wurden immer durch eine Organisation geschaffen. Aber diese Organisation bedeutet ja nicht, daß es keine Aktionseinheit mit Einzelpersonen oder loseren Strukturen gäbe, die sich nicht organisieren wollen. Das ist doch überhaupt kein Problem. Erforderlich ist jedoch eine Einheit in bestimmten Fragen, und über diese Fragen muß man sich Klarheit verschaffen. Wenn diese Punkte klar sind, und man dann gemeinsam den nächsten Schritt geht, ist es eine Form von Organisierung. Dazu braucht nicht jeder ein Parteimitglied zu werden, was ohnehin nie funktionieren würde.

SB: Wir haben heute auch die Unterstützung der politischen Gefangenen thematisiert. Dabei wurde angesprochen, daß fast 80.000 Menschen auf der großen Demonstration in Hamburg waren, aber nur wenige vor die Gefängnisse gehen und sich konkret für die Gefangenen einsetzen. Wie könnte man diesem Mißverhältnis begegnen?

AB: Das ist ein Problem, das muß ich tatsächlich sagen, und das ist auch der Punkt, den ich vorhin angesprochen habe. Wir brauchen uns nicht in die Tasche zu lügen. Natürlich sind Demonstrationen vor den Knästen wichtig für die Einzelnen, die da drin sitzen. Wenn sie das mitbekommen oder wenn sie, wie es einer der Betroffenen berichtet hat, plötzlich ein Lied hören - "Bella Ciao" war das in dem Fall - ist das natürlich für ihn ein ganz wertvoller Moment. Auf der anderen Seite stellt sich jedoch die Frage, wie wir tatsächlich etwas für die politischen Gefangenen erreichen, und da sind ja nicht nur die Gefangenen von G20 zu nennen, sondern deutlich mehr. Das werden wir tatsächlich nur - und davon bin ich überzeugt - von einer Bewegung auf der Straße, und zwar von einer Bewegung, die auch von den Gewerkschaften mitgetragen wird, erreichen.

SB: Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die juristische Arbeit?

AB: Die muß nebenher immer laufen. Wir werden natürlich alle juristischen Mittel ausreizen und auch auf dieser Ebene weiterkämpfen. Aber angesichts der neuen Paragraphen, die gerade geschaffen wurden, sagt sich ein Richter natürlich, die kann ich doch anwenden, das ist ja Gesetz. Die Frage der Anwendung von Gesetzen oder Aufhebung von Gesetzen war immer ein Kampf, der auf der Straße entschieden wurde.

SB: Anna, vielen Dank für das Gespräch.


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