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INTERVIEW/336: Der schleichende Krieg - wer A sagt ...    Ralf Cüppers im Gespräch (SB)


Der Feind steht im eigenen Land - Bundeswehr abschaffen!

Interview am 11. Februar 2017 in Jagel


Ralf Cüppers ist seit vielen Jahren in der Antikriegsbewegung aktiv und in der DFG-VK organisiert. Im Anschluß an die jüngste Protestaktion am Fliegerhorst Jagel in Schleswig-Holstein beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen zur Cyberkriegsführung der Bundeswehr und zu unverzichtbaren Positionen der Friedensbewegung.


Im Gespräch - Foto: © 2017 by Schattenblick

Ralf Cüppers
Foto: © 2017 by Schattenblick


Schattenblick (SB): Herr Cüppers, was hat Sie dazu bewegt, sich antimilitaristisch und friedenspolitisch zu engagieren?

Ralf Cüppers (RC): Wie die meisten Jungs auch, habe ich mich bis zur Präpubertät, als ich so zwölf war, durchaus mal mit anderen richtig gehauen. Ein paar Jahre später war ich dann soweit zu sagen, Gewalt ist Mist, so kann man keine Freunde gewinnen. Das war eine ganz unmittelbare Erfahrung. Eines Tages kam ein Werbeoffizier der Bundeswehr in die Schule. Da dachte ich, ich fasse es nicht, daß ein erwachsener Mensch, der so viel älter ist, immer noch auf Gewalt setzt. Das hatte ich doch schon mit vierzehn verstanden, daß das nichts bringt. Tut man jemandem Gewalt an, führt das nicht dazu, daß er dafür dankbar ist und man ihn zum Freund kriegt. Spätestens mit vierzehn muß man es kapiert haben, weil man dann ja strafmündig ist. Daß Erwachsene da nicht weiterkommen und die Bösartigkeit immer den anderen unterstellen, hat mich schon entsetzt.

Heute finde es interessant, daß ausgerechnet in Deutschland, wo wir mit der Tomburg-Kaserne die elektronische Kriegsführung im Computerbereich, also Cyberkrieg, führend betreiben, den Russen unterstellen, mit Fake News und Social Bots zu manipulieren. Das ist eine Haltet-den-Dieb-Geschichte. Als Cyberkrieger werden übrigens nicht nur Soldaten, sondern auch zivile Informatiker beschäftigt, die dann zu Kombattanten werden, wie man das völkerrechtlich sehen kann. Mittels der Cyberkriegsdirektive von Ursula von der Leyen wird massiv Personal aufgebaut. Unterdessen diskutiert man die offensichtliche Falschmeldung über ein vergewaltigtes Russenmädchen, die als eine bösartige Kriegshandlung der Regierung von Herrn Putin hingestellt wird, um unser Land zu diskreditieren. Dann müßte ja im Umkehrschluß jede Falschmeldung der "Bild"-Zeitung direkt im Auftrag unseres Verteidigungsministeriums erfolgen.

Wir haben es hier mit der hybriden Kriegsführung zu tun, welche die frühere Propaganda und psychologische Kriegsführung weiterentwickelt. Die in Mayen stationierte Brigade hat sich bislang darauf beschränkt, einen ideologischen Kampf zu führen. Daß das wirklich als Krieg definiert wird, gibt dann letztlich der Bundeswehr die Legitimation, beispielsweise einen Fernsehsender zu bombardieren. Das hat sie bislang noch nicht gemacht, den Fernsehsender in Belgrad haben damals wohl die Amerikaner bombardiert. Aber so kann es losgehen.

SB: Mit dem Cyberkriegskommando hat die Bundeswehr eine fünfte Truppengattung bekommen, die mit Millionen Euro ausgestattet wird. Was ist Ihrer Ansicht nach deren Bedeutung im Rahmen aktueller und künftiger Kriegsführung?

RC: Für die Kriege zur Rekolonisierung der unterentwickelten Staaten, die von uns abhängig gemacht werden, ist eine asymmetrische Kriegsführung erforderlich. Der Westen will dieses Ziel mit Hilfe technologischer Überlegenheit erreichen. Aus diesem Grund wurde neben Heer, Luftwaffe, Marine und der Streitkräftebasis, welche die Versorgung und den Sanitätsdienst übernimmt, damit die anderen funktionieren, eine fünfte Teilstreitkraft oder ein viertes Gefechtsfeld konzipiert. Dabei handelt es sich um das elektromagnetische Spektrum, das Internet, den Cyberraum. Auf diesem Gebiet möchte Deutschland die Führungsrolle übernehmen, da man hierzulande in einigen Bereichen deutlich weiter als selbst die USA ist. Auf diese Weise bekommt Deutschland ein größeres Gewicht innerhalb der NATO und kann eigene strategische Interessen verfolgen, nämlich auch dort Kriege zu führen, wo seine wirtschaftlichen Interessen berührt sind. Das kann auch im Rahmen der EU beispielsweise zusammen mit Frankreich geschehen.

SB: Worin bestehen die besonderen deutschen Cyberkriegsfähigkeiten?

RC: Wir haben speziell hier in Schleswig-Holstein in Bramstedtlund die leistungsfähigste Wullenwever-Antennenanlage, eine Kreisgruppen-Antennenanlage, die in der Lage ist, weltweit Signale aufzufangen und auszuwerten. Sie kann nicht nur abhören, sondern aufgrund dieser kreisförmigen Anordnung der Antennen auch den Standort orten. Sie waren stolz darauf zu lokalisieren, von wo aus Gaddhafi seinerzeit ein Mobiltelefongespräch geführt hat, und konnten die Position weitergeben, worauf er dann gezielt ermordet wurde. Die Ortung eines Funkgesprächs ist gleichzeitig die Zielerfassung, die an die jeweilige Einsatzzentrale übermittelt wird. Das ist schon technologisch etwas Besonderes.

Eine Hamburger Firma hat die Möglichkeit entwickelt, durch das Fälschen von GPS-Signalen Positionen vorzugeben, welche die Navigation eines Schiffes auf See in die Irre führen. Wenn man wie ich gelernt hat, mit einem Sextanten ein Gestirn zu peilen und das dann wie in alten Zeiten per Hand auszurechnen, könnte man natürlich erkennen, daß da irgend etwas nicht stimmt. Aber auch in der Berufsschiffahrt verlassen sich die meisten Schiffsführer heute auf die Elektronik, so daß sie mit falschen Daten getäuscht werden können. Wenn beispielsweise die Rede davon ist, Flüchtlingsströme umzuleiten, könnte man sagen, daß diese Firma die technischen Voraussetzungen dafür bereitstellt, den Skippern irgendwelcher Flüchtlingsschiffe falsche Positionen vorzugeben. Sie fahren dann nicht auf dem kürzesten Weg nach Lampedusa, sondern auf dem Mittelmeer in die Irre.

SB: Kann man derartige potentielle Nutzungsmöglichkeiten tatsächlich der betreffenden Firma anlasten?

RC: Das kann man der Firma anlasten, die so etwas erfunden hat, weil es keinen vernünftigen Zweck dafür gibt. Ich kann jedenfalls nicht erkennen, daß dieses Patent einem anderen Zweck als einem gefährlichen Eingriff in den Schiffsverkehr dient. Eine nutzbringende Anwendung fällt mir dazu nicht ein. Hinzu kommt, daß der Verantwortliche für den Erwerb dieses Patents bei diesem Unternehmen zugleich ein Lehrbuch für die strategische Aufklärung geschrieben hat. Das kann meiner Ansicht nach kein Zufall sein.

SB: Die US-Streitkräfte nehmen mit ihrem Konzept der Full Spectrum Dominance von der Weltraumaufklärung bis hinunter auf den Boden eine umfassende Kontrolle für sich in Anspruch. Kann ihnen die deutsche Technologie dennoch - und sei es in Teilbereichen - den Rang ablaufen, so daß es für die US-amerikanischen Streitkräfte von Interesse sein könnte, Zugriff darauf zu bekommen?

RC: Wenn man sich ansieht, wer über die Patente verfügt, findet man neben der bereits erwähnten Hamburger Firma in Deutschland weitere Unternehmen, die unter anderem in der Drohnentechnologie führend sind. Während US-amerikanische Unternehmen bei den Großdrohnen einen Vorsprung haben, sind die betreffenden deutschen Firmen bei kleineren Drohnen keine Hinterherläufer, sondern ein Stück voraus. Wesentlich ist bei dieser Form der Kriegsführung wie gesagt, daß man mit solchen Mitteln Krieg gegen unterentwickelte Länder führen kann, ohne die eigenen Soldaten zu gefährden. Die Gegenmaßnahme ist dann so etwas Hilfloses wie ein Selbstmordattentäter.

SB: Wie beurteilen Sie die aktuelle Aufregung darüber, die USA könnten die transatlantische Allianz der NATO aufkündigen? Das Verhältnis zwischen Deutschland und den USA ist auch in der Friedensbewegung ein wichtiges Thema. Während die einen der Auffassung sind, die Bundesrepublik werde aufgrund der Besatzung durch die USA an deren Leine geführt, heben andere die Bedeutung des eigenständigen deutschen Imperialismus hervor.

RC: Da wir nun einmal in Deutschland leben, halte ich es mit Karl Liebknecht: Der Feind steht im eigenen Land, und deshalb muß man zuallererst die Kriegsvorbereitungen hierzulande bekämpfen. Die Abschaffung der US-Armee ist Sache der US-amerikanischen Friedensbewegung, ich trete hier für die Abschaffung der Bundeswehr ein. Es gibt in der Tat die bedenkliche Entwicklung, daß hier Leute lediglich die Forderung "Raus aus der NATO!" stellen, aber nicht gleichzeitig sagen, daß sie die Bundeswehr abschaffen wollen. Dabei kommt unter dem Strich heraus, daß sie eine starke Bundeswehr für Deutschland haben wollen, die eigenständige Interessen vertritt. Und da es eine Aufgabe der NATO gewesen ist, den deutschen Imperialismus einzubinden, würde dessen eigenständiges Wirken nicht gerade friedlicher. Natürlich sollten wir die NATO auflösen und sagen, daß sie bislang nichts als Terror in die Welt gebracht hat. Aber die Alternative kann nicht sein, daß man ein nationales Militär Bundeswehr übrigbehält. Deswegen sage ich, daß die Forderung "Bundeswehr abschaffen!" dazugehört. Das ist aus meiner Sicht auch die Trennlinie gegenüber Neonazis, Reichsbürgern und anderen Leuten, die von rechtsaußen versuchen, sich der Friedensbewegung anzubiedern.

SB: Die Friedensbewegung scheint nicht zuletzt deshalb relativ schwach zu sein, weil es offensichtlich erfolgreich gelungen ist, einen Keil hineinzutreiben. Sie steht im Verdacht, durch eine Nähe zu den Montagsmahnwachen unterwandert zu werden. Was muß angesichts solch diffuser Bedingungen geschehen, um eine klare Position durchzutragen, die viele Leute anspricht?

RC: Es gilt, in aller Klarheit die Position zu beziehen, daß man überhaupt kein Militär haben will und hier bei uns anfängt, statt die Abrüstung von anderen zu fordern. Das heißt konkret, die Bundeswehr abzuschaffen. Damit grenzen wir uns auch gegenüber den gewalttätigen Nationalisten ab. Ich kann mir durchaus vorstellen, daß es Menschen gibt, die sich der Friedensbewegung aus nationalen Überlegungen anschließen: Weil ein Land wie Deutschland militärisch nicht zu verteidigen ist und wenn es hier knallt, die Vernichtung und Unbewohnbarkeit des Landes die Folge wäre. Wenn jemand aufgrund solcher Überlegungen zu dem Ergebnis kommt, militärische Verteidigung sei grundsätzlich sinn- und zwecklos, weshalb die Bundeswehr abgeschafft werden müsse, ist das durchaus folgerichtig. Es müssen ja nicht alles Linke sein, die zugleich politisch für sozialistische Produktionsverhältnisse eintreten. Man kann auch aus anderen Gründen gegen den Krieg sein, etwa weil man das Land bewohnbar erhalten und friedlich leben möchte. Wir müssen uns nur klar davon abgrenzen, national einen eigenständigen Weg militärischer Stärke zu gehen, weil wir andernfalls wieder da landen, wo wir 1939 waren, und andere Länder gefährden und unterdrücken. Die USA sind nicht in allen Bereichen der Vorreiter, dem wir als Vasallen hinterherrennen. Es gibt auch einige Konfliktlinien, wo die Deutschen vorneweg sind und sich die USA relativ zurückhalten. Das schaukelt sich gegenseitig hoch.

SB: Angesichts der Vermutung, Trump könne die NATO schwächen, werden auch Stimmen laut, die eine stärkere Militarisierung der EU und deren eigenständige Aufrüstung unabhängig von der NATO fordern. Wie ist das Ihres Erachtens einzuschätzen?

RC: Das geht so weit, daß einige Leute sagen, wenn wir uns auf die Atomwaffen der USA nicht verlassen können, brauchen wir deutsche Atomwaffen. Ich habe erst kürzlich im Fernsehen von einem CDU-Politiker diese Überlegung gehört. Dann wird aus derselben Sicht gesagt, wenn so jemand wie Trump über Atomwaffen verfügt, ist das gefährlich. Glücklicherweise werden die Atomwaffen in Büchel von deutschen Soldaten transportiert, so daß Deutschland über diese nukleare Teilhabe Einfluß gewinnen könnte. Dieses militärische Denken bei jeglichen Konfliktlösungen hat noch nirgendwo auf der Welt wirklich etwas Positives bewirkt. Denkt man an das klassische Beispiel Napoleons, der die bürgerliche Demokratie mit französischem Militär gewaltsam gegen rückständige Fürsten durchsetzen wollte, so ist er von den preußischen Taliban zurückgeschlagen worden, die damals genauso rückständig waren wie die heutigen in Afghanistan. Nach dieser Erfahrung zu glauben, daß man mit militärischen Mitteln irgendwo die Demokratie herbeiführen könnte, ist doch Irrsinn. Das führt nur zu Tod.

SB: Fragt man nach den Kriegsgründen, stößt man zum einen auf Ressourcenkriege nicht nur um Öl, sondern auch um fruchtbares Land und Nahrungsmittel. Geht es heute in erster Linie um eine solche sehr materiell motivierte Form von Kriegsführung oder spielen abstraktere Fragen wie etwa jene der Bündnisse und deren Einflußnahme eine ebenso wichtige Rolle?

RC: Primär gibt es meines Erachtens stets eine materielle Grundlage. Öl kann ausschlaggebend sein, aber in Mali, Niger und generell in der Sahelzone, an der Frankreich und Deutschland interessiert sind, geht es vor allem um Uran und andere Metallvorkommen. Die Intervention wird ideologisch begründet, indem man etwa das Christentum gegen den Islam stellt. Das ist der Überbau, mit dem man Leute dazu motivieren kann, dabei mitzumachen. Würde man offen aussprechen, daß man in Mali Uranvorkommen ausbeuten möchte, käme das natürlich nicht so gut an, als wenn man sagt, man wolle dort dem islamistischem Terror vorbeugen.

SB: Herr Cüppers, vielen Dank für das Gespräch.


Bisherige Beiträge zur Protestaktion am Stützpunkt Jagel im Schattenblick unter:
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BERICHT/255: Der schleichende Krieg - steter Tropfen ... (SB)
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20. Februar 2017


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