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INTERVIEW/326: Lebens- oder Wirtschaftsrecht - Fairplay ...    Julia Duchrow im Gespräch (SB)


Keine schwarzen Schafe

Interview am 27. September 2016 in Berlin



J. Duchrow in Großaufnahme - Foto: © 2016 by Schattenblick

Julia Duchrow
Foto: © 2016 by Schattenblick

Die Idee, mit einem rechtsverbindlichen UN-Abkommen den Auswüchsen unternehmerischer Tätigkeiten entgegenzuwirken, basierend auf der Vorstellung, zwischen menschenrechtswidrigem und -förderlichem Handeln profitorientierter Akteure tatsächlich unterscheiden zu können, ist keineswegs neu. Bereits Mitte der 1990er Jahre wurde in Berichten über transnationale Unternehmen und Menschenrechte, die von einem Unterorgan der UN-Menschenrechtskommission in Auftrag gegeben worden waren, die Notwendigkeit betont, einen internationalen Rechtsrahmen für diese Unternehmen zu schaffen. Inzwischen hat der UN-Menschenrechtsrat eine Arbeitsgruppe zur Ausarbeitung eines solchen Abkommens, kurz Treaty genannt, eingesetzt, die soeben zum zweiten Mal in Genf tagte.

Die deutsche Bundesregierung hat wie auch die EU und die USA die Einsetzung der Treaty-Arbeitsgruppe zu blockieren versucht. Gegenüber dem Bundesverband der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) bezeichnete sie die Initiative als kontraproduktiv und erklärte, stattdessen den mit der Annahme der UN-Leitlinien für Wirtschaft und Menschenrechte begonnenen Prozeß fortzusetzen und unter Federführung des Auswärtigen Amtes einen Nationalen Aktionsplan (NAP) zur Umsetzung dieser im Juni 2011 vom UN-Menschenrechtsrat verabschiedeten Leitlinien zu erarbeiten. In ihnen wurden völkerrechtliche Verpflichtungen für Staaten, Menschen vor Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen zu schützen, festgelegt, Unternehmen die Verantwortung zugeschrieben, die Menschenrechte zu achten und etwaige Verstöße zu beenden und Betroffenen Zugang zu gerichtlichen und außergerichtlichen Mitteln eröffnet, damit wirtschaftsbezogene Menschenrechtsverstöße auch geahndet werden können.

All dies stößt im Unterschied zum UN-Treaty-Prozeß dem Vernehmen nach auf Zustimmung und Unterstützung der Bundesregierung, wofür seitens der Treaty-Befürworter in erster Linie die Unverbindlichkeit der Leitlinien verantwortlich gemacht wird. Aus denselben Gründen ist allerdings auch Skepsis gegenüber dem Treaty-Prozeß geboten, da die Verbindlichkeit, die für dieses Abkommen proklamiert und eingefordert wird, sich nicht minder an der Macht- und Gewaltfrage brechen läßt. Denn wie auch immer ein solches Instrument gedreht und gewendet wird, könnte es ungeachtet vollmundigster Versprechen in der Anwendungspraxis nichts anderes als ein weiteres Mittel in der Hand derer sein, die ohnehin das globale Feld dominieren und ihre Interessen gegenüber anderen durchsetzen können; wäre dem nicht so, käme es nicht zustande.

Die Bundesregierung ist offenbar seit geraumer Zeit bestrebt, sich im Menschenrechtsdiskurs weltweite Anerkennung zu verschaffen. Das Auswärtige Amt beispielsweise informiert auf seiner Webseite [1] über den Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP), zu dem in den Jahren 2014 und 2015 bereits drei Expertenanhörungen stattfanden. Auf der zweiten Konferenz betonte der stellvertretende Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte, Michael Windfuhr, die Möglichkeit, mit einem "qualitativ hochwertigen deutschen Aktionsplan international positive Impulse zu geben". Man stehe nun vor der Herausforderung, "im Rahmen des NAP den 'smart mix' zwischen freiwilligen und verbindlichen Instrumenten zu finden, das Verständnis der staatlichen Schutzpflicht auszuformulieren und angemessene Unterstützungsleistungen für Unternehmen bei der Erfüllung ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht zu entwickeln." [1]

Wie ist das zu verstehen? Sollen Staat und einfache Steuerzahlende in die Erfüllung der den Unternehmen auferlegten Menschenrechtspflichten eingebunden werden und deren finanzielle Belastungen (mit)tragen? Ist dies eine Idee, die nur im Rahmen des Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte diskutiert wird? Wie ist es beim sogenannten UN-Treaty-Prozeß um Fragen dieser Art bestellt?

An einer Diskussionsveranstaltung zum Thema "Der Treaty-Prozeß bei den Vereinten Nationen - Brauchen wir ein internationales Abkommen für Wirtschaft und Menschenrechte?", die am 27. September in Berlin stattfand [2], nahm mit Julia Duchrow, der Referatsleiterin Menschenrechte und Frieden bei Brot für die Welt, eine engagierte und sachkompetente Expertin teil. Unmittelbar im Anschluß an die Podiumsdiskussion erklärte sie sich bereit, dem Schattenblick einige Fragen zu beantworten.


Schattenblick (SB): Bei den Diskussionen zum Thema Wirtschaft und Menschenrechte gibt es auch die Idee, daß es zu den Aufgaben des Staates gehören sollte, den Unternehmen eine angemessene Unterstützung bei der Erfüllung ihrer menschenrechtlichen Pflichten zu gewähren. Wie kann man sich das vorstellen? Würde sich das Menschenrechtsengagement dann nicht für ein Unternehmen in finanzieller Hinsicht bezahlt machen? Was ist da genau im Gespräch?

Julia Duchrow (JD): Es geht ja jetzt um den Treaty. Ein solcher Vertrag würde beschreiben, was ein Unternehmen tun und welche Prüfungen es machen muß, um sicherzustellen, daß innerhalb der Wertschöpfungskette bei den Produkten, die es einkauft, keine Menschenrechtsverletzungen passieren. In Bangladesh beispielsweise gab es ja dieses große Gebäude, das dann eingebrochen ist. Da haben mir viele Leute, die das kannten, gesagt, daß man gesehen hat, wenn man da vorbeigelaufen ist, daß dieses Gebäude einbrechen muß und daß das für die Näherinnen wahnsinnig gefährlich ist. Die Unternehmen, die davon betroffen waren, waren direkte Zulieferer für KiK, Adidas und andere.

Durch diesen Vertrag würde Deutschland etwas tun können. Man will ja erreichen, daß der Staat, in dem das Unternehmen ansässig ist, gegenüber diesem Unternehmen durchsetzt, daß es keine Menschenrechte verletzt. Das ist so ein bißchen die Idee dahinter. Im Einzelfall können Unternehmen durch so einen Vertrag auch direkt verpflichtet werden. Die Schwierigkeit besteht noch in der Durchsetzung. Wenn ein Unternehmen verpflichtet ist, bestimmte Handlungen vorzunehmen, muß es irgendjemanden geben, der diese Verpflichtung auch durchsetzt, und das können nur Staaten sein.

SB: Sie sind bei Brot für die Welt tätig, kümmern sich also auch um das Problem des Hungers in der Welt. Haben Sie in Ihrer Organisation schon Diskussionen darüber geführt, wo eigentlich die Ursachen zu vermuten sind? Von welchen Analysen und Annahmen gehen Sie da aus, jetzt einmal ganz grundsätzlich gefragt?

JD: (lacht) Das ist wirklich sehr grundsätzlich. Erst einmal gehen wir davon aus, daß man eine Wirtschaft aufbauen muß, die nicht auf Wachstum, Wachstum, Wachstum setzt, was zu viel Armut führt, und außerdem gibt es natürlich planetarische Grenzen. Unsere Ausgangsposition ist, daß wir ein System haben müssen, in dem das Wirtschaften dem Menschen dient und zum Beispiel die Ernährung für alle verbessert. Aber das ist ein sehr weites Feld. Unser Ausgangspunkt ist zu sagen, es müssen gerechte Strukturen da sein, die wirklich von vornherein klarstellen, daß die Wirtschaft dem Leben dient und mehr Gerechtigkeit in der Gesellschaft aufbaut.

SB: Von welchen Interessen gehen Sie dabei aus? Zum Nationalen Aktionsplan hat Außenminister Steinmeier gesagt, es könne nicht angehen, daß Profit zu Lasten anderer erwirtschaftet wird. [3] Da könnte man doch fragen: Ja, wie denn sonst?

JD: Nun, das geht schon, wenn man sozusagen versucht, zumindest den gröbsten Mißständen etwas entgegenzusetzen. Wir wären ja schon glücklich, wenn die schlimmsten Fälle ein bißchen abgemindert werden könnten. Dann würde man weitergehen. Ich bin davon überzeugt, daß das auch möglich wäre, wenigstens bei den dramatischsten Fällen, die passieren. Das müßte man als erstes versuchen.

SB: Wir haben auf der Veranstaltung die These gehört, daß es sehr viele gut wirtschaftende Unternehmen gibt, aber auch einige wenige schwarze Schafe. Besteht nicht die Gefahr, daß man die große Mehrheit im Grunde reinwäscht, wenn man sagt, es sind die schwarzen Schafe, die wir kritisieren und korrigieren müssen?

JD: Nein. Das würde ich auch so nicht sagen. Ich glaube, es betrifft alle Unternehmen. Deswegen würde ich auch fordern, daß solche Verpflichtungen wie die Risikoüberprüfung - dazu haben wir gerade mit Anwälten einen Gesetzesvorschlag entwickelt - auch wirklich für alle gelten, da sollte man kein Unternehmen ausnehmen. Das dürfte auch nicht von der Zahl der Mitarbeitenden abhängig gemacht werden, sondern müßte für kleine Unternehmen genauso gelten wie für große. Die These von den schwarzen Schafen würde ich auch nicht stützen. Es wird oft gesagt, wenn das jetzt alle betrifft, wird das viel zu kompliziert. Ich glaube aber, wir hätten schon viel gewonnen, wenn wir uns wenigstens die eklatanten Fälle anschauen würden. Die sind gar nicht so kompliziert, sondern ziemlich klar.

SB: Sehen Sie in der Initiative der heute hier anwesenden Organisationen für ein UN-Treaty eine Unterstützung des Nationalen Aktionsplans? Es ist ja derselbe Titel: Wirtschaft und Menschenrechte. Verstehen Sie sich als Bestandteil dieser nationalen Agenda?

JD: Nein. Der Nationale Aktionsplan wird ja von der Bundesregierung beschlossen. Wir waren am Konsultationsprozeß beteiligt, aber jetzt sind wir es gar nicht mehr, auch nicht am Schreiben. Wir sind sehr enttäuscht über diese Entwicklung und glauben, das ist nicht der richtige Weg.

SB: Vielen Dank, Frau Duchrow, für das Gespräch.


Fußnoten:

[1] http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Aussenwirtschaft/Wirtschaft-und-Menschenrechte/NAPWiMr_node.html

[2] Siehe die bisherigen Berichte zu dieser Veranstaltung im Schattenblick unter www.schattenblick.de → INFOPOOL → POLITIK → REPORT:
BERICHT/245: Lebens- oder Wirtschaftsrecht - ein Abwasch und los ... (1) (SB)
BERICHT/246: Lebens- oder Wirtschaftsrecht - ein Abwasch und los ... (2) (SB)
BERICHT/250: Lebens- oder Wirtschaftsrecht - haften oder nicht haften ... (1) (SB)

[3] Auf der Webseite des Auswärtigen Amtes wird Frank-Walter Steinmeier folgendermaßen zitiert: "Nicht nur Regierungen, auch Unternehmen stehen in ihrem globalen Handeln in Verantwortung für Menschenrechte. Was für einzelne profitabel ist, das sollte für alle anderen nicht schädlich sein! Mit dem Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte wollen wir dafür einen Rahmen abstecken. Dabei wird es darum gehen, als Bundesregierung gemeinsam mit Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Unternehmen unser aller Handeln zu überprüfen und dort aktiv zu werden, wo wir Lücken feststellen."
http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Aussenwirtschaft/Wirtschaft-und-Menschenrechte/NAPWiMr_node.html


Weitere Beiträge zur Veranstaltung zum UN-Treaty im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → POLITIK → REPORT:

BERICHT/245: Lebens- oder Wirtschaftsrecht - ein Abwasch und los ... (1) (SB)
BERICHT/246: Lebens- oder Wirtschaftsrecht - ein Abwasch und los ... (2) (SB)
BERICHT/250: Lebens- oder Wirtschaftsrecht - haften oder nicht haften ... (1) (SB)
INTERVIEW/324: Lebens- oder Wirtschaftsrecht - Regulation unvermeidlich    ... Jens Martens im Gespräch (SB)

31. Oktober 2016


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