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INTERVIEW/303: Migrationskonferenz Kampnagel - Am eigenen Leib ...    Kokou Theophil Ayena im Gespräch (SB)


Diskriminiert und schikaniert - Flüchtlingsalltag in Deutschland

Interview mit Kokou Theophil Ayena (CISPM-Berlin - Refugee Resistance Berlin) am 26. Februar 2016 auf Kampnagel in Hamburg


Auf der weltweit ersten International Conference of Refugees and Migrants, die vom 26. bis zum 28. Februar 2016 in der Hamburger Kulturfabrik Kampnagel stattfand, stellten die Residenzpflicht und die anderen behördlichen Schwierigkeiten, mit denen sich Flüchtlinge in Deutschland, speziell die in den Aufnahmelagern, konfrontiert sehen, einen der wichtigsten Diskussionspunkte dar. Zu diesem Themenkomplex konnte der Schattenblick auf der Tagung ein Gespräch mit Kokou Theophil Ayena von der Berliner Sektion der europäischen Coalition Internationale der Sans-Papiers Migrant(e)s et Refugiées (CISPM-Berlin) führen.


Ayena sitzt zwischen den anderen Rednern, spricht ins Mikrophon - Foto: © 2016 by Schattenblick

Kokou Theophil Ayena auf der Pressekonferenz
Foto: © 2016 by Schattenblick

Schattenblick: Herr Ayena, wie lange sind Sie bereits in Deutschland, woher kommen Sie ursprünglich und was brachte Sie hierher?

Kokou Theophil Ayena: Ich komme aus Togo und bin seit 2004 in Deutschland. In Togo herrscht seit Jahrzehnten eine Diktatur. Vor dem Ersten Weltkrieg war Togo eine deutsche Kolonie. Danach bis zur formellen Unabhängigkeit des Landes 1960 hatten dort die Franzosen das Sagen. Der erste Präsident Togos, Sylvanus Olympio, wurde 1963 bei einem Militärputsch ermordet. Danach war vier Jahre lang der frühere Bauingenieur Nicolas Grunitzky Staatsoberhaupt. Doch 1967 wurde auch er von den Generälen unter der Führung von Gnassingbé Eyadéma gewaltsam abgesetzt. Eyadéma wurde bis zu seinem Tod 2005 Alleinherrscher. Nach seinem Ableben haben die Militärs entgegen der Verfassung seinem Sohn Faure Essozimna Eyadéma das Amt des Präsidenten übertragen, das er bis heute ausübt. Unter den Eyadémas wurden hin und wieder Präsidentenwahlen durchgeführt, an denen die oppositionelle Union de Forces de Changement (UFC) zuletzt unter der Führung von Jean-Pierre Fabre teilnahmen. Doch völlig unabhängig davon, wie die Abstimmung verlief, erklärten die Militärs jedesmal, daß ihr Mann Eyadéma den Urnengang gewonnen hatte. Kundgebungen oder Protestaktionen der Opposition wurden gewaltsam aufgelöst.

SB: Gehörten sie der UFC an?

KTA: Ja, ich war Mitglied der UFC-Jugendorganisation. Darum habe ich das Land verlassen müssen. Einerseits war ich mit den Wahlmanipulationen und der allgemeinen politischen Repression unzufrieden. Ich war persönlich anwesend, als das Militär die Kästen mit den Stimmzetteln aus dem Wahllokal in meinem Bezirk mitnahmen. Als die Leute dagegen protestierten, wurden sie geschlagen, einige sogar von den Soldaten verschleppt. Andererseits habe ich Drangsalierungen von Regierungsanhängern am eigenen Leib erfahren, was mich sehr nachdenklich gestimmt hat.

Von meinem Eltern war es meine Mutter, die sich wirklich um mich gekümmert hat. Als sie 2003 schwer krank wurde, habe ich die Schule verlassen, um arbeiten zu gehen und das Geld für ihre Medikamente verdienen zu können. Ich habe eine Stelle als Friseur bekommen und dabei auch Kosmetik gelernt. Nach etwa einem Jahr in dem Job kam eine Gruppe Männer in den Friseursalon, die mich töten wollten. Sie ließen sich alle zuerst das Haar schneiden. Doch dann wollten sie plötzlich nicht bezahlen. Sie behaupteten, ich hätte schlecht gearbeitet und fingen an, mich zu beleidigen. Mir war klar, worauf das Ganze hinauslief. Ich habe die ganzen Beschimpfungen auf mich ergehen lassen. Irgendwann zogen die Männer weiter. Die Warnung habe ich jedoch verstanden. Ich habe meinen Heimatort Afanya verlassen und mich in die Hauptstadt Lomé abgesetzt. Dort zu überleben war nicht einfach. Für mich war die politische Lage und meine eigene persönliche Situation untragbar. Also bin ich ins Ausland geflohen.

2004 bin ich in Deutschland gelandet und habe hier politisches Asyl beantragt. Ich wurde in einem Lager in Rostock in Mecklenburg-Vorpommern untergebracht, wo ich einige Jahre verbracht habe. Aufgrund des Lageraufenthalts sind die Flüchtlinge von der Außenwelt und dem Alltagsleben in Deutschland weitgehend abgeschnitten; viele leiden unter der Isolation. Sie können nicht arbeiten, haben kaum Geld und dürfen sich wegen der Residenzpflicht, die in den verschiedenen Bundesländern unterschiedlich gehandhabt wird, nicht weit vom jeweiligen Lager entfernen. Wegen dieser Bestimmung kann ich zum Beispiel meine Freunde in anderen Teilen Deutschlands nicht besuchen, es sei denn, mir wird eine Sondergenehmigung erteilt, die ich extra beantragen muß. Als Geduldeter kann man in Deutschland weder arbeiten noch studieren - und ist somit quasi zum Nichts-Tun verurteilt.


Interviewsituation bei laufendem Aufnahmegerät - Foto: © 2016 by Schattenblick

SB-Redakteur und Kokou Ayena
Foto: © 2016 by Schattenblick

Wegen dieser Umstände, unter denen ich und viele andere Flüchtlinge leiden, habe ich mich, als ich noch in Mecklenburg-Vorpommern war, bei Karawane, einer Selbsthilfegruppe für Migranten, engagiert. 2012 wurde bei einem Treffen von Karawane-Aktivisten in Hamburg entschieden, einen Umzug durch Deutschland durchzuführen, um die Öffentlichkeit auf das bedauernswerte Schicksal der Flüchtlinge aufmerksam zu machen. Der Umzug endete in Berlin. Im Anschluß daran entstand das Protestlager auf dem Oranienplatz in Kreuzberg. An der Errichtung des Camps war ich als Mitglied von Refugee Resistance Berlin beteiligt. Unsere Forderungen lauteten, erstens ein Ende der Deportationen und die Anerkennung aller Migranten als politische Flüchtlinge, zweitens die Abschaffung der Residenzpflicht sowie drittens die Auflösung der Lager und die Unterbringung der Flüchtlinge in regulären Wohnungen. Nach zwei Jahren hat der Berliner Senat den Oranienplatz von der Polizei räumen lassen.

Bei all diesen Aktionen war die Mobilisierung der Flüchtlinge neben dem Einklagen bestimmter Forderungen ein wichtiges Ziel. Den Flüchtlingen schlagen die Isolierung und das Nichts-Tun in den Lagern schwer auf das Gemüt. Nach so vielen Rückschlägen und Erniedrigungen war die Beteiligung an den verschiedenen Kampagnen für alle, auch für mich, eine positive Erfahrung. Besonders bei Deportationen kommt es vor, daß sich Flüchtlinge aus Angst vor der Abschiebung das Leben nehmen. Mich wollten die Behörden auch nach Togo abschieben. Ich habe aber Einspruch dagegen eingelegt und konnte auf dem rechtlichen Weg meinen Verbleib in Deutschland vorerst erreichen.

SB: Sie halten also die Selbstorganisation und die politische Mobilisierung der Flüchtlinge und der Migranten für wirksame Mittel?

KTA: Auf jeden Fall. Meines Erachtens ist die Lockerung der Residenzpflicht in den letzten Jahren in den meisten Bundesländern ganz klar auf die politischen Proteste der Flüchtlinge und dem öffentlichen Druck, den sie erzeugten, zurückzuführen. Der Widerstand gegen diese ungerechte Maßnahme hat sich gelohnt. Durch die verschiedenen Kampagnen erfahren immer mehr Deutsche von unserer Situation und entwickeln Verständnis für unsere Forderungen. Durch die Begegnung mit den Flüchtlingen und Migranten baut sich auch die Angst vor dem Fremden ab. Wir bekommen immer mehr Unterstützer, bzw. die Menschen nehmen Kontakt mit uns auf und es entsteht ein anderer Umgang.


Kokou Theophil Ayena im Porträt - Foto: © 2016 by Schattenblick

Foto: © 2016 by Schattenblick

SB: Es gibt die These, die Ostdeutschen hätten größere Schwierigkeiten in Umgang mit Ausländern, besonders wenn diese aus Afrika oder den Ländern der islamischen Welt kommen, als die Westdeutschen. Sie haben vor ihrem Umzug nach Berlin jahrelang in Rostock gelebt. Bestätigen Ihre Erfahrungen diese These?

KTA: Das ist eine schwierige Frage. Menschen wie ich, die vor Diktatur, Krieg und Repression geflohen sind und in Europa Asyl suchen, hoffen eine Umgebung vorzufinden, in der Frieden herrscht und ihnen nicht Feindseligkeit entgegenschlägt. Leider mußte ich während meiner Zeit in Mecklenburg-Vorpommern immer wieder Diskriminierungen bis hin zu offenem Rassismus erleben. Man geht in einem Laden einkaufen und die Menschen dort schauen einen als Sonderling, als Bedrohung an. Geht man in eine Kneipe, fühlen sich einige der Gäste aufgerufen, einen zu provozieren und zu beleidigen. Dasselbe kann einem im Zug passieren. Bahnhöfe sind für Afrikaner wie mich gefährliche Orte. Da kann man von einem Moment zum nächsten von einer Gruppe Schlägertypen überfallen werden und es geht niemand dazwischen oder kommt einem zu Hilfe.

Die Behandlung durch das Lagerpersonal in Rostock empfand ich als alles andere als zufriedenstellend. Die Mitarbeiter dort pflegen keinen besonders freundlichen Umgang mit den Lagerinsassen. Manchmal wenn jemand krank ist und ins Spital muß, versäumen sie es oder lassen sich Zeit damit, einen Krankenwagen zu rufen. Wenn man versucht, den Beamten die Gründe für die eigene Flucht zu erklären, hat man stets das Gefühl, daß sie einem nicht glauben, sondern einen für einen Schmarotzer halten, der nur nach Deutschland gekommen ist, um Sozialgeld zu kassieren und sich auf die faule Haut zu legen.

Im Lager kommt es zu allen möglichen Schikanen. Findet ein Flüchtling beispielsweise etwas wertvolles im Sperrmüll, wird ihm im Lager häufig verweigert, das Objekt - sagen wir mal eine Stereoanlage, die er reparieren kann - zu behalten mit dem fadenscheinigen Argument, es könnten sich Kakerlaken darin befinden. Bekommt jemand, der wenig Deutsch kann, einen Brief von den Behörden, kann es passieren, daß sich die Mitarbeiter im Lager weigern, ihn für einen zu übersetzen. Manchmal tun sie es; manchmal aber auch nicht. Oder man will einen Teppich draußen reinigen und sie rufen deshalb die Polizei an. Solche Dinge passieren am laufenden Band.

Die Menschen in Berlin finde ich freundlicher und offener als die in Rostock. Für die Flüchtlinge und Migranten gibt es in der Großstadt Berlin viel mehr Unterstützung als in Mecklenburg-Vorpommern. Natürlich gibt es auch in Berlin Chaoten. Mitten im Winter waren immer wieder Zelte im Protestlager am Oranienplatz von Unbekannten angezündet worden. Auch das Klo-Häuschen dort wurde einmal in Brand gesteckt. Es hat auch die eine oder andere Neonazi-Demonstration gegen unsere Anwesenheit am Oranienplatz gegeben. Es gibt auch in Berlin Diskriminierungen, allerdings tritt sie dort weniger offen zutage. Die Berliner haben weniger Probleme mit hellhäutigen Ausländern als mit Schwarzafrikanern. Auf den Märkten hat man als Schwarzafrikaner das Gefühl, daß dich alle für einen Kriminellen halten. Ein Flüchtling aus Zentralasien könnte etwas von den Ständen stehlen und alle würden vermuten, daß der Schwarzafrikaner der Dieb sei. Auch bei den Integrationskursen werden die Asylanten mit hellerer Hautfarbe bevorzugt - das ist jedenfalls mein Eindruck.

SB: Recht vielen Dank für diese Ausführungen, Herr Ayena.


Ayena spricht stehend auf der Bühne, umgeben von mehreren anderen Flüchtlinge, die ebenfalls eine Erklärung abgegeben wollen - Foto: © 2016 by Schattenblick

'Get up, stand up! Stand up for your rights!'
Foto: © 2016 by Schattenblick


Bisherige Beiträge zur Hamburger Flüchtlingskonferenz im Schattenblick unter
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12. März 2016


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