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INTERVIEW/218: Zwielicht, Wirtschaft und Motive - Fracking der Errungenschaften, Werner Rügemer im Gespräch (Teil 2) (SB)


Ware Arbeit transatlantisch auf Kapitalinteressen zugerichtet

Interview am 23. Mai 2014 in Köln



Im ersten Teil des Interviews, das der Schattenblick am 23. Mai mit Dr. Werner Rügemer in dessen Kölner Wohnung führte, kamen sein aktueller Prozeß, seine langjährigen Erfahrungen mit derartigen juristischen Angriffen und die Lage der Pressefreiheit in Deutschland zur Sprache. Da Rügemer unter anderem Vorstandsmitglied der aktion./.arbeitsunrecht und Initiator eines Aufrufs gegen das Freihandelsabkommen TTIP aus Arbeitnehmersicht ist [1], bot es sich an, ihm auch einige Fragen zu diesem Themenkomplex zu stellen. So geht er im folgenden zweiten Teil des Gesprächs auf die Gefahren des geplanten Freihandelsabkommens zwischen den USA und der EU, die Situation der arbeitenden und ausgegrenzten Bevölkerungsteile sowie die diesbezügliche Rolle von Gewerkschaften und SPD ein.

In seinem Arbeitszimmer - Foto: © 2014 by Schattenblick

Werner Rügemer
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick: In der deutschen Bevölkerung herrscht nach wie vor große Unkenntnis über die zentralen Aspekte und möglichen Auswirkungen des geplanten Transatlantischen Freihandelsabkommens zwischen den USA und der EU. Wo sehen Sie die wesentlichsten Gefahren dieses Vorhabens, über die es die Öffentlichkeit aufzuklären gilt?

Werner Rügemer: Schon der Begriff Freihandelsabkommen ist eine Täuschung. Es geht dabei im wesentlichen nicht um Freihandel, der ja typischerweise das Ziel hat, Zölle abzubauen. Im Handel zwischen den USA und den europäischen Staaten sind jedoch im Laufe der letzten vier, fünf Jahrzehnte bereits fast alle Zölle abgebaut worden. Darum geht es also im Grunde gar nicht - Freihandel klingt gut, aber das ist eine Täuschung. In Wirklichkeit geht es um die Verbesserung der Investitionsbedingungen für die großen Investoren, für die großen Banken und Konzerne. Die größere Bewegungsfreiheit, die sie im Vergleich zu schwächeren Konkurrenten ohnehin schon haben, soll in Zukunft noch erweitert werden. Das ist der erste wesentliche Gesichtspunkt.

Zum zweiten soll diese Vorteilslage der führenden Investoren und Unternehmen auch international noch viel kräftiger gesetzlich festgeschrieben werden, als das bislang der Fall ist. Bisher müssen Konzerne häufig in einer Grauzone operieren, wobei sie die geltenden Gesetze des jeweiligen Landes nicht selten sehr weit auslegen oder überschreiten. Diese Grauzone soll zugunsten einer weitreichenden Investitionssicherheit beseitigt werden. Prinzipiell ist der Hunger der Investoren nach Freiheit und Abschaffung jeglicher gesetzlicher Schranken oder der Bürokratie unbegrenzt. Deswegen spielt nicht zuletzt diese sogenannte private Schiedsgerichtsbarkeit eine so enorme Rolle, bei der es ausschließlich darum geht, die Interessen der Investoren zu schützen. Hingegen geht es dabei nicht einmal im Ansatz darum, die Rechte von Normalbürgern, Lohnabhängigen, Schülern, Studierenden und Rentnern zu schützen. Darin sehe ich die Hauptgefahr.

SB: Schon seit geraumer Zeit investieren deutsche Unternehmen in den USA und betreiben dort unter anderem große Produktionsstätten. Offenbar werden diese Fabriken vorzugsweise an Standorten angesiedelt, an denen es besonders schlecht um die Arbeitsrechte und Arbeitsbedingungen bestellt ist.

WR: Deutsche Konzerne erwirtschaften heute im Ausland häufig einen sehr viel größeren Umsatz und Gewinn als an ihrem ursprünglichen Standort, wo noch nostalgisch ihre Zentrale steht. Beispielsweise macht die Deutsche Bank ihre wesentlichen Geschäfte in New York und London. Gleiches trifft für die Pharmakonzerne zu, die in Nordamerika investieren und auf Märkten wie Südamerika oder Asien, die von den USA aus bevorzugt beliefert werden, wesentlich größere Umsätze als in Deutschland oder Europa erzielen. So haben deutsche Konzerne seit ungefähr 15 Jahren schrittweise, aber in einer stetigen Welle Niederlassungen und Produktionsstätten in den USA eingerichtet und sich dabei jeweils die günstigsten Standorte ausgesucht.

Dabei spielen verschiedene Faktoren eine Rolle. Über die tatsächlichen Verhältnisse in den Vereinigten Staaten weiß man in Deutschland herzlich wenig. So herrscht hierzulande die Auffassung vor, in den USA mische sich der Staat möglichst wenig in die Wirtschaft ein. In Wirklichkeit gibt es keinen Staat, der Unternehmen so viele Subventionen gewährt, wie die USA. Plant ein deutsches Unternehmen wie BMW eine Neuansiedlung, ringen die verschiedenen Bundesstaaten und Städte mit Millionensummen darum, den Konzern anzulocken. Die deutschen Unternehmen grasen die verschiedenen Gouverneure, Oberbürgermeister und anderen maßgeblichen Schnittstellen nach der Höhe gewährter Subventionen und Steuererleichterungen sowie weiteren Standortvorteilen ab. Ein zweites wesentliches Kriterium ist die Frage, wo die Löhne am günstigsten sind und es die wenigsten Gewerkschaften gibt. All das haben deutsche und europäische Konzerne seit etwa 15 Jahren mit Hilfe vieler Berater, die als Spürhunde überall tätig sind und ihre Klienten an den günstigsten Standort lotsen, sehr kundig und erfolgreich praktiziert.

So haben alle großen deutschen Automobilkonzerne - VW, BMW, Daimler - in den gewerkschaftsfreien Südstaaten der USA ihre Niederlassungen und Produktionsstätten gegründet. Dieser Zusammenhang bleibt meist unerwähnt, während die Nähe zu einem wichtigen Absatzmarkt bei der Argumentation in den Vordergrund gerückt wird. Zweifellos sind die USA gerade für deutsche Qualitätsautos ein bedeutender Absatzmarkt, doch produzieren die deutschen Unternehmen dort für einen sehr viel größeren Markt. Sie fertigen in den USA kostengünstiger und höher subventioniert nicht zuletzt für den Export in andere Länder. Insofern teilen amerikanische und deutsche Konzerne das Interesse, in beiden transatlantischen Regionen die jeweils günstigsten Investitionsbedingungen zu finden und sich durch das geplante Freihandelsabkommen auf gleiche Normen zu einigen.

SB: Das würde absehbar zur Folge haben, daß die Arbeitsbedingungen auch in Deutschland noch schlechter werden, als sie es ohnehin schon sind?

WR: Ja, das ist richtig. Deswegen habe ich mit einigen Kollegen Anfang des Jahres 2014 einen Aufruf initiiert: Verteidigt die Arbeitsrechte, stoppt dieses Freihandels- und Investitionsabkommen! Wir haben festgestellt, daß die Gewerkschaften diesem Aspekt, nämlich welche Auswirkungen dieses Abkommen aller Voraussicht nach auf die Arbeitsrechte, Arbeitsbedingungen und Arbeitsplatzentwicklung hätte, bislang nur wenig Aufmerksamkeit gewidmet haben. Die deutschen Gewerkschaften haben sich an die globalisierungskritischen Konsumentenvertreter angeschlossen, vor Genmais und Chlorhühnchen gewarnt. Sie haben Umweltaspekte in den Vordergrund gestellt, aber nicht die Situation der Lohnabhängigen. Deswegen habe ich diesen Aufruf mitinitiiert, der inzwischen auch in den Gewerkschaften greift, in denen, wie wir festgestellt haben, die Arbeitsverhältnisse in den Vereinigten Staaten von Amerika bislang durch eine rosarote Brille betrachtet worden sind.

Beispielsweise beträgt der Mindestlohn in den USA zur Zeit 7 Dollar 75, das sind umgerechnet etwa 5 Euro 31. Und dieser Mindestlohn, der bis heute in den USA gilt, läßt Ausnahmen zu, die bis auf 2 Dollar 13 heruntergehen. Das hängt damit zusammen, daß die Arbeitsrechte in den USA sehr niederschwellig sind, weil die Gewerkschaften dort so hart bekämpft wurden, daß sie heute in der Privatwirtschaft nur noch einen Anteil von unter sieben Prozent haben, den in entwickelten Industriestaaten weitaus niedrigsten Organisationsgrad bei den Lohnabhängigen. Da die USA in Verhandlungen mit Europa der mächtigere Partner sind, würde sich das ausgehandelte Vertragswerk mit Sicherheit auf direkte und indirekte Weise negativ auf die Arbeitsrechte, Arbeitsverhältnisse und Arbeitsbedingungen in Europa auswirken.

SB: Könnte diese Gefahr ein wesentlicher Grund sein, warum gerade dieser zentrale Bereich bisher weithin ausgeblendet wurde? Man fragt sich ja, warum die deutschen Gewerkschaften einen derart wichtigen Aspekt, der eigentlich in ihre Kernkompetenz fallen müßte, bislang so wenig beachtet und thematisiert haben.

WR: Ja, das habe ich mich natürlich auch gefragt, nachdem ich mich damit beschäftigt und festgestellt hatte, daß die Gewerkschaften diese Problematik noch gar nicht so richtig auf dem Schirm haben. Dafür lassen sich verschiedene Gründe anführen, die ineinander greifen. Die westdeutschen Gewerkschaften sind nach dem Zweiten Weltkrieg beim Aufbau der Bundesrepublik Deutschland nicht zuletzt ein Ergebnis des Marshallplans. Die Säuberung der neugegründeten deutschen Gewerkschaften des DGB und seiner Einzelgewerkschaften ab 1949/50/51 von Kommunisten oder solchen, die man dafür gehalten hat, entsprach einer Vorgabe des Marshallplans: Wenn ihr eure Gewerkschaften nicht kommunistenfrei macht, kriegt ihr keine Gelder! In diesem Zusammenhang wurde auch ein neuer internationaler Gewerkschaftsdachverband gegründet, den es vorher nicht gab: Der Internationale Bund Freier Gewerkschaften (IBFG), und zwar unter Führung der amerikanischen Dachgewerkschaft. Diese Tradition hat sich verfestigt, und weil diese Neugründung sehr stark von den USA aus gefördert wurde, die sich als Modell präsentierten, anhand dessen man studieren könne, wie Gewerkschaften vollkommen kommunistenfrei arbeiten, bildete sich auf deutscher Seite diese rosarote Brille beim Blick auf die USA heraus.

Ein anderer Grund für die Haltung der Gewerkschaften, wenn man sie einmal ungeachtet ihrer verschiedenen Strömungen pauschal als solche bezeichnet, ist ihre mehr oder minder enge Bindung an die immer mal wieder regierenden Sozialdemokraten, die ja in den Kernfragen ebenfalls große Freunde eines transatlantischen Bündnisses sind. Die SPD hat den Aufbau der NATO und die deutsche Wiederbewaffnung nach anfänglicher Kritik mitgetragen. Insbesondere Bundeskanzler Gerhard Schröder war ein absoluter Fan der transatlantischen Zusammenarbeit und reiste im Vorfeld der Agenda 2010 und der vier Hartz-Gesetze sehr oft in die USA, um sich dort an der Wall Street beraten zu lassen. Darüber wurde hierzulande wenig berichtet. Mit der Bundesregierung aus SPD und Grünen unter Bundeskanzler Schröder ist ab 1998 eine neue Welle der Amerikagläubigkeit, der Amerikaverharmlosung nach Deutschland und Europa herübergeschwappt.

Gerhard Schröder handelte im engen Einverständnis und Bündnis mit Tony Blair, seinem großen Vorbild, der ja in die gleiche Richtung gearbeitet hat. Viele sozialdemokratische Parteien, die zum Teil neu gegründet wurden wie beispielsweise in Spanien oder in den nachsozialistischen Ländern im Gefolge der Aufspaltung Ex-Jugoslawiens, sind zwar dem Namen nach sozialdemokratisch, aber gemessen an ihren politischen Positionen eher mit unseren konservativen Parteien wie der CDU in ihrer absoluten EU-Hörigkeit vergleichbar. Die mehr oder weniger starke, aber traditionsreiche Andockung der großen Gewerkschaften an die SPD hat ebenfalls dazu beigetragen, daß die wirklichen Verhältnisse in den USA, wie insbesondere die Lage der Lohnabhängigen, nicht wirklich hierher durchgedrungen sind. Ich spüre aber, daß da ein Prozeß des Umdenkens im Gange ist und man sich allmählich doch dafür interessiert, wozu dieses geplante Transatlantische Freihandelsabkommen offensichtlich einen Anstoß gibt.

SB: Im Zusammenhang mit dem TTIP ist oft von einer Art Kulturimperialismus die Rede, wofür beispielsweise die drohende Auflösung der Buchpreisbindung angeführt wird. Halten Sie das für eine reale Gefahr oder eher für eine Verschleierung anderer wesentlicherer Aspekte des geplanten Freihandelsabkommens?

WR: Für die Verlags- und Buchhandelsbranche ist das natürlich ein wichtiger Gesichtspunkt, wobei es aber in Deutschland ohnehin schon Bestrebungen gibt, auch ohne das geplante Abkommen die Buchpreisbindung aufzulösen. Große Buchkonzerne wie beispielsweise die Bertelsmann-Gruppe, die ja inzwischen 20 oder mehr Verlage aufgekauft hat, die zum Teil noch unter ihrem alten Namen weiterlaufen, sind dazu übergegangen, im Auftrag Bestseller schreiben zu lassen. Diese Konzerne streben eine Auflösung der Buchpreisbindung an, weil sie dann ihre Marktmacht besser ausspielen können. Was Marktmacht auf dem Buchsektor bedeutet, zeigt Amazon. Dadurch werden viele Buchhändler ausgetrocknet, wobei das nicht nur die Händler als Inhaber, sondern auch die Beschäftigen in den Buchhandlungen betrifft, die natürlich besser bezahlt werden als die Hilfskräfte und Niedriglöhner, die bei Amazon die Buchpakete zusammenstellen. Insofern handelt es sich durchaus um eine reale Gefahr.

Als die Verhandlungen über das Transatlantische Freihandelsabkommen angekündigt wurden, gab es den ersten medial wirksamen Aufschrei aus dem Kulturbereich. So erklärte die französische Regierung, sie befürworte zwar das Abkommen, wolle aber den Kulturbereich davon ausnehmen. Die Kulturszene ist auch in den Medien tätig und kann sich daher leichter zu Wort melden als die stummen Lohnabhängigen, für die es keine Stimme gibt. Vielleicht ist deswegen dieser Protest aus dem Kulturbereich deutlicher gehört worden, was aber nicht bedeutet, daß dies das wichtigste Thema wäre.

Rügemer im Schreibtischsessel vor einem Regal - Foto: © 2014 by Schattenblick

Erpresserischer Konkurrenzdruck lähmt Lohnabhängige und Arbeitslose
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Wo sehen Sie mögliche oder entscheidende Anknüpfungspunkte, um den Arbeitsrechten in Deutschland wieder stärkere Geltung zu verschaffen?

WR: Da sind wir in einer sehr schwierigen Situation, weil die jetzt wieder mitregierende SPD, die sich ja eigentlich auf die Lohnabhängigen und die Gewerkschaften stützt, ihre Gesetze, Maßnahmen und Praktiken aus der Zeit Gerhard Schröders nicht korrigiert. Sie setzt das fort und bildet jetzt mit der CDU und CSU eine noch stärkere konservative Koalition als vorher, so daß auf dem gesetzgeberischen Wege nichts zu erhoffen ist. Deshalb sind wir auf den unendlich viel schwierigeren Weg der Straßenproteste und Basisbewegungen angewiesen, an die sich die Gewerkschaften inzwischen auch angenähert haben. Das ist natürlich kein leichtes Brot, und die Mehrheit der Beschäftigten will diesen schwierigeren Weg, sich nicht mehr auf ihre SPD in der Regierung zu verlassen, sondern selber nachhaltig auf längere Zeit aktiv zu werden, bislang nicht gehen. Die meisten Beschäftigten oder Arbeitslosen sind noch nicht soweit.

SB: In Deutschland ist eine erhebliche Zahl von Menschen zeitweise oder dauerhaft nicht mehr in Arbeit. Von seiten der Lohnabhängigen und Gewerkschaften ist wenig Bereitschaft zu erkennen, eine Brücke zu den mehr oder minder Ausgegrenzten zu schlagen. Eher versuchen sie angesichts des Konkurrenzdrucks, sich von den sogenannten Verlierern abzusetzen. Sehen Sie Möglichkeiten, wie man den wachsenden Kreis der Menschen mit einbeziehen könnte, die nicht mehr im Arbeitsprozeß stehen?

WR: Die von den Medien genannten Zahlen zur Arbeitslosigkeit in Deutschland, die sich an den amtlichen Statistiken orientieren, geben die tatsächlichen Verhältnisse nicht angemessen wieder. Man hörte von 3,1 Millionen Arbeitslosen, die inzwischen auf 2,9 Millionen abgebaut sein sollen. Dabei wird jedoch unterschlagen, daß die jeweils zu einem Stichtag erhobene Zahl die Situation vernebelt, daß innerhalb eines Jahres viele hunderttausend Beschäftigte zwischen Arbeitslosigkeit und Arbeit hin- und herpendeln. Viele Menschen, die zum Stichtag gerade in Arbeit sind, waren vier, fünf Monate vorher arbeitslos und umgekehrt. Die Betroffenheit von Arbeitslosigkeit reicht also sehr viel weiter in den Kreis der Beschäftigten hinein, als aus der Statistik hervorgeht.

Gleichzeitig stellen natürlich die Arbeitslosen eine permanente Drohung für die noch oder wieder in Arbeit befindlichen Beschäftigten dar, sich wohlzuverhalten, den Chefs keine Widerworte zu geben, sich nicht an Demonstrationen zu beteiligen, sich nicht für Betriebsratswahlen einzusetzen. Wir erleben heute eine ungeheuere Erpressungssituation den Lohnabhängigen gegenüber, die durch Strategien der Europäischen Union noch zusätzlich verstärkt wird, die Migration ausländischer Arbeitskräfte zu erleichtern, die gezielt angeworben werden. Auch die staatliche Agentur für Arbeit mit ihren Jobcentern gehört zu den Hauptlieferanten niedriger bezahlter Leiharbeit und Werkvertragsarbeit. Arbeitslose werden von den Jobcentern unter mehr oder weniger starkem Druck in niedrig bezahlte Arbeitsplätze hineingeschoben. Das alles vollzieht sich im Rahmen dieser Erpressungssituation, die meines Erachtens zu den wichtigsten Gründen gehört, warum der Widerstand so gering ausfällt. Man muß um jeden Brosamen staatlicher Zahlung, um jeden kleinen Arbeitsplatz oder um das Verbleiben in einem vergleichsweise gutbezahlten Arbeitsplatz bangen und dafür so viele Kompromisse machen und stillhalten, daß ein nennenswerter aktiver und nachhaltiger Widerstand zur Zeit nicht zustande kommt.

Der Widerstand wird durchaus in kleineren Kreisen diskutiert, die versuchen, ihn zu organisieren. Teile der Gewerkschaften insbesondere bei der IG Metall und ver.di haben Ansätze gemacht, von der anderen Seite aus in den USA zu lernen. Dort haben die Gewerkschaften aus ihrer tiefen Defensive heraus das Prinzip des Organizing entwickelt, also mit ein paar qualifizierten Leuten gezielt zu bestimmten Betrieben zu gehen, um dort mitzuhelfen, eine Beschäftigtenvertretung aufzubauen und Arbeitskämpfe zu unterstützen. Solche qualifizierten Teams setzt auch die IG Metall unter dem Stichwort Organizing ein. Das sind die Anfänge dessen, was wir als Widerstand bezeichnen können, aber der Übersprung, daß die notwendige kritische Masse mitmacht, wird entweder noch einige Zeit dauern oder ist von unvorhersehbaren Zufällen, die es natürlich auch geben kann, abhängig.

SB: Herr Rügemer, vielen Dank für dieses ausführliche Gespräch.


Fußnote:

[1] http://arbeitsunrecht.de/ttip


Erster Teil des Interviews mit Werner Rügemer im Schattenblick unter
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INTERVIEW/217: Zwielicht, Wirtschaft und Motive - Pressezensur konzertiert, Werner Rügemer im Gespräch (Teil 1) (SB)

1. Juni 2014