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INTERVIEW/192: Obamas Amerika - Ein links, ein rechts, Zivilcourage, Kevin Zeese im Gespräch (SB)


Interview mit Kevin Zeese am 19. August 2013 in den USA



Der 1955 in New York geborene und dort aufgewachsene Kevin Zeese gehört zu den umtriebigsten linken Politaktivisten Amerikas. Seit der Immatrikulation an der Georgetown Universität in Washington D. C. 1980 lebt Zeese in der nahegelegenen Hafenstadt Baltimore im US-Bundesstaat Maryland, wo er als Anwalt arbeitet. Dort hat er sich einen Namen als Friedensaktivist, Bürgerrechtler und Gegner des Antidrogenkrieges gemacht. Bei Ralph Naders Bewerbung als unabhängiger Kandidat um das Amt des Präsidenten im Jahr 2004 stand Zeese dem berühmten Verbraucherschutzanwalt als Pressesprecher zur Seite. 2006 bewarb sich Zeese ohne Erfolg als gemeinsamer Kandidat der Grünen sowie der Libertären und der Populistischen Partei um einen der beiden Senatorensitze Marylands im US-Kongreß. Am Aufkommen der Occupy-Bewegung 2011 war Zeese, der mehrere Bücher geschrieben und dessen Artikel bei Alternet, Common Dreams, Counterpunch, Dissident Voice und Z Magazine erscheinen, maßgeblich beteiligt. Am 19. August sprach der Schattenblick mit Kevin Zeese über die aktuelle Lage in der amerikanischen Linken.

Politisches Plakat mit dem Konterfei von Kevin Zeese aus dem Jahr 2011 - Foto: © 2011 by comehomeamerica.us

Kevin Zeese
Foto: © 2011 by comehomeamerica.us

Schattenblick: Die Entkriminalisierung von Marihuana in mehreren US-Bundesstaaten hat Hoffnungen aufkommen lassen, daß sich der Antidrogenkrieg allmählich seinem Ende nähert. Wie schätzen Sie persönlich die Lage ein?

Kevin Zeese: Als jemand, der sich mit dem Thema Rauschmittelprohibition seit seiner Zeit als Jurastudent Ende der siebziger Jahre befaßt, denke ich schon, daß die Entwicklung in die richtige Richtung läuft. In zwei Bundesstaaten ist bereits der Konsum von Marihuana freigegeben worden. Ich erwarte, daß ein bis vier Bundesstaaten infolge von Volksbefragungen anläßlich der nächsten Kongreßwahlen im November 2014 und 2016 hinzukommen werden. In 20 von 50 Bundesstaaten - also fast der Hälfte - ist der Verkauf von Marihuana für medizinische Zwecke bereits jetzt legal. Vor kurzem ist die übermäßig harte Bestrafung meist schwarzer Crack-Benutzer im Vergleich zu den meist weißen Konsumenten von Kokain in Puderform vom Gericht als nicht verfassungskonform gekippt worden. Die Äußerungen von Präsident Barack Obamas Justizminister Eric Holder letzte Woche bezüglich des rassistischen Charakters der unterschiedlichen juristischen Behandlung von Crack und Kokainpuder und daß er die Bundesstaaten an der Entkriminalisierung von Marihuana nicht mehr bekämpfen will, geben zu erkennen, daß bei den Verantwortlichen in Washington in Sachen Drogen, jedenfalls weicher, ein Umdenken weg von gesetzlichen Verboten und Bestrafungen eingesetzt hat.

Das Problem ist jedoch, daß viele Menschen vom Antidrogenkrieg leben. So halten sie natürlich daran fest und sperren sich gegen jede Art von Drogenfreigabe. Allein im Bundesjustizministerium in Washington gibt es Hunderte von Anwälten, die im Rauschgiftdezernat tätig sind. Über die Hälfte aller Häftlinge in den USA sitzt wegen Drogendelikten ein. Von ihrer Unterbringung lebt eine gigantische private Gefängnisindustrie. Hinzu kommen zehntausende Menschen, die in der gerichtlich verordneten Drogentherapie beschäftigt sind. Doch inzwischen haben die meisten Bürger Amerikas eingesehen, daß die gesellschaftlichen Kosten der Kriminalisierung des Rauschmittelkonsums zu hoch sind, und von daher denke ich schon, daß das Ende der Drogenprohibition sich allmählich abzeichnet. Damit wir das Ziel erreichen, muß der politische Druck seitens der verschiedenen Basisgruppen aufrechterhalten werden.

SB: Sie spielten vor zwei Jahren eine führende Rolle bei der Entstehung der Occupy-Bewegung. Heute hört man in den Medien nicht mehr viel davon. Welche Auswirkungen hat sie gehabt?

Vorderansicht des prunkvollen Rathauses von Baltimore, das durch die TV-Serie 'The Wire' weltbekannt wurde - Foto: 2008 by Marylandstater, freigegeben als public domain via Wikipedia Commons

Das Rathaus von Baltimore
Foto: 2008 by Marylandstater, freigegeben als public domain via Wikipedia Commons

K. Zeese: Protestbewegungen wie Occupy erfolgen in Wellen. Einige, ob nun gegen Umweltzerstörung, die Machenschaften der Finanzindustrie, unser überteuertes Gesundheitssystem oder gegen Korruption im Amt, sind zwar größer als andere, aber alle lassen die politische Landschaft verändert zurück. In Anlehnung an die weltbewegenden Ereignisse auf dem Kairoer Tahrir-Platz hatten wir von Popular Resistance im Frühjahr 2011 eine Occupy-Veranstaltung in Washington für den 6. Oktober, den zehnten Jahrestag des Beginns des Afghanistan-Krieges, geplant und haben das Datum Anfang des Sommers publiziert. Adbusters und die Leute in New York sind uns im September 2011 mit der Mobilisierung von Occupy Wall Street etwas zuvorgekommen. Doch das hat nichts geschadet. Ganz im Gegenteil ist überall im Lande eine riesige Bewegung entstanden, deren Auswirkungen heute noch deutlich zu spüren sind.

Bis dahin waren die ungleiche Verteilung der Ressourcen und die massive Einkommensschere zwischen Arm und Reich usw. in Politik und Medien der USA absolute Tabuthemen. Darüber zu sprechen galt quasi als unamerikanisch, als stellte man den Mythos, jeder könne es in Amerika vom Tellerwäscher zum Millionär schaffen, in Frage. Daran glaubt heute niemand mehr. Statt dessen hat sich angesichts der allgemeinen Wirtschaftskrise und der Verantwortung der Finanzindustrie dafür die Leitidee der Occupy-Bewegung, nämlich daß 99% der Menschen vom 1% geschröpft werden und sich deshalb dagegen verbünden müssen, quasi als unleugbarer Tatsachenbestand etabliert. Auch wenn die großen Medien nicht mehr wie auf dem Höhepunkt der Occupy-Bewegung darüber berichten, sind überall im Lande mehr Aktivisten als je zuvor auf verschiedenen Feldern aktiv und erzielen Erfolge. Das kann man an der aufgekommenen Debatte um den Mindestlohn sowie an der aktuellen Mobilisierung gegen die Unterbezahlung in der Fast-Food-Industrie - McDonalds, Kentucky Fried Chicken etc. - sowie beim US-Supermarktriesen Walmart erkennen. Von daher denke ich schon, daß die Protestwellen, von denen ich vorhin sprach, gerade wieder an Stärke zunehmen. Darüber kann man sich auf unserer Website popularresistance.org informieren.

SB: Sie sind der Justizminister im grünen Schattenkabinett. Wie können die amerikanischen Grünen verhindern, daß sie nicht dasselbe Schicksal wie ihre Schwesterpartei in Deutschland - Verabschiedung von den ursprünglichen Positionen, allen voran vom Nein zum Krieg, Übernahme der Führung durch Politkarrieristen et cetera - erleiden?

Nahaufnahme von Kevin Zeese auf einer politischen Veranstaltung im Freien mit Mikrofon - Foto: © 2012 by Kevin Zeese

Kevin Zeese in Aktion
Foto: © 2012 by Kevin Zeese

K. Zeese: Jede politische Gruppierung muß befürchten, von den etablierten Politik- und Kapitalinteressen vereinnahmt zu werden, sobald sie durch einen Erfolg an der Wahlurne in die Nähe der Macht gelangt. Ich bin zwar Mitglied des grünen Schattenkabinetts, doch das ist von der grünen Partei unabhängig. Ihm gehören mit Jill Stein und Sheri Honkala zwar die grünen Kandidatinnen für das Amt des Präsidenten und des Vizepräsidenten der USA bei der Wahl 2012 an, es besteht jedoch größtenteils aus langjährigen, parteiunabhängigen Politaktivisten. Bruce Gagnon, Gründer des Global Network against Weapons and Nuclear Power in Space, fungiert zum Beispiel als Schattenminister für den Bereich Weltraum. Beim grünen Schattenkabinett (greenshadowcabinett.us) geht es in erster Linie darum, den Leuten zu zeigen, was in den USA durch eine andere Bundesregierung - eine ohne Demokraten und Republikaner, die nicht ausschließlich den Interessen der Großkonzerne dient - alles möglich ist.

In letzter Zeit erobern kleine Parteien und unabhängige Politiker immer mehr Sitze in den Kommunalräten Amerikas. Das müssen wir vorantreiben, damit verstärkt Antworten auf unsere anstehenden Probleme auf der Lokalebene gefunden werden. Als ich 2006 für einen der beiden Sitze des Bundesstaats Maryland im US-Senat kandidierte, wurde ich sowohl von den Grünen als auch von den Libertären und von Ralph Naders Respect Party unterstützt. Mit solchen überparteilichen Bündnissen wird die Macht der Demokraten und Republikaner, die in Washington nach wie vor das politische Geschehen dominieren, langsam, aber sicher ausgehöhlt. Die Strategie von Popular Resistance ist zweigleisig: erstens, stoppt die kapitalistische Verwertungsmaschine; zweitens, schafft eine andere Welt. Das bedeutet Proteste gegen das, was man nicht akzeptiert, und den Aufbau dessen, was für die Menschen gut ist. Zum letzteren gehört die Errichtung von neuen politischen und wirtschaftlichen Strukturen, die in der Lage sind, echte Antworten auf die Probleme der Menschheit zu finden. In Anbetracht des Phänomens der Korrumpierbarkeit ist es den Grünen wichtig, daß die Aktivisten an der Basis das Sagen behalten, damit sich keine Partei-Elite bildet, die dann aus Karrieregründen krumme Geschäfte mit den beiden großen Parteien eingeht.

Reklametafel mit dem Aufruf zur Freilassung von Bradley Manning - Foto: 2013 by Bradley Manning Support Network freigegeben als cc-by 2.0 licence via Wikipedia Commons

Politischer Aktivismus in den USA schließt Plakatwerbung ein
Foto: 2013 by Bradley Manning Support Network freigegeben als cc-by 2.0 licence via Wikipedia Commons

SB: Sie sind Mitglied des Bradley Manning Support Network. Wie beurteilen Sie den Prozeß gegen ihn, der vor einem Militärtribunal auf dem Gelände von Fort Meade, Maryland, gerade zu Ende gegangen ist, und was halten Sie von Mannings etwas entschuldigendem Schlußplädoyer?

K. Zeese: Als praktizierender Anwalt, der den Prozeß unmittelbar verfolgte und mehrere Tage als Beobachter im Gerichtssaal verbrachte, ist das Verfahren gegen Bradley Manning [1] meiner Meinung nach von Anfang an eine Farce und Schande gewesen. Mannings mehr als zwölfmonatige Isolationshaft kommt der Folter gleich. Die fast dreijährige Haftdauer bis zum Prozeß, zuerst in Kuwait und danach in einem Militärgefängnis in Quantico, Virginia, verstößt in ihrer ungewöhnlichen Länge gegen unsere Verfassung und gegen die allgemeine Strafrechtsordnung. Das sollte ein wichtiges Argument beim Berufungsprozeß sein. Die Obama-Regierung hat es sogar dem Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Menschenrechte, dem argentinischen Anwalt Juan Mendez, nicht erlaubt, sich in Quantico mit Manning zu treffen, um sich ein Bild von den Bedingungen der Inhaftierung zu machen.

Der Umstand, daß Manning zu keinem Zeitpunkt seine Motive für die Datenübergabe an Wikileaks erklären und sich damit auf die Nürnberger Prinzipien berufen konnte, machte einen Schuldspruch von Anfang an unvermeidlich. Hinzu kamen öffentliche Äußerungen von Obama, dem Oberbefehlshaber der Streitkräfte, 2011 und Generalstabschef Martin Dempsey 2012, in denen beide sich von der Schuld Mannings überzeugt gaben. Für mich stellt das ganz klar eine Beeinflussung des Militärgerichts dar. Mit einem fairen Prozeß, wie ihn das Gesetz vorsieht, hatte das Verfahren in Fort Meade nichts zu tun. Der gerade zu Ende gegangene Prozeß ist daher eines der traurigsten Kapitel in der amerikanischen Rechtsprechung.

Manning ist ein Held, der eine sehr mutige Tat begangen hat. Als Produkt einer kaputten Ehe zweier Alkoholiker hat er als Militärgeheimdienstler im Irak versucht, seine Menschlichkeit zu bewahren und sich zudem an das Völkerrecht zu halten. Das brachte ihn in Konflikt mit seinen Vorgesetzten, die es mit der eigenen Verantwortung für den Schutz der irakischen Bevölkerung nicht besonders ernst nahmen. In seiner Erklärung am Anfang des Prozesses hat Manning erläutert, wie er eine Debatte in den USA über den Irakkrieg und dessen Folgen anregen wollte. Dies ist ihm sehr wohl gelungen. Dafür muß er nun einen sehr hohen Preis bezahlen.

Zu seiner Entschuldigung am Ende des Prozesses, die einige seiner Unterstützer konsternierte, haben ihm wahrscheinlich seine Anwälte geraten. Vermutlich hofften sie, die Richterin, Oberst Denise Lind, damit zu einer Strafmilderung zu veranlassen. Ob die Rechnung aufgeht, müssen wir abwarten. Der Kniefall vor der Justiz darf jedoch nicht überbewertet werden. Angesichts des Drucks, unter dem Manning steht, und dessen, was er im Gefängnis erlebt hat und was ihm noch droht -lebenslange Haftstrafe -, muß man für ihn Verständnis haben. Als Exekutivmitglied des Bradley Manning Support Network kann ich auf jeden Fall versichern, daß wir nicht aufhören werden, ihn zu unterstützen und weiterhin Spenden einzutreiben, damit er den bestmöglichen Rechtsbeistand erhält. Wir werden uns für eine Begnadigung stark machen. Schließlich hat Manning keine Straftat begangen, sondern durch die Aufdeckung von Mißständen beim US-Militär im Irak sowie in der US-Diplomatie zum Wohle seiner amerikanischen Mitbürger und der ganzen Menschheit gehandelt.

Zwei mit den typischen Guy-Fawkes-Masken verkleideten Anonymous-Aktivisten halten ein Plakat mit dem Konterfei von Bradley bzw. Chelsea Manning hoch - Foto: 2012 by Bradley Manning Support Network freigegeben als cc-by 2.0 licence via Wikipedia Commons

Gegner des Schnüffelstaates halten an ihrer Anonymität fest
Foto: 2012 by Bradley Manning Support Network freigegeben als cc-by 2.0 licence via Wikipedia Commons

SB: In welchem Ausmaß bekommen politische Dissidenten in den USA - Umweltaktivisten, Tierrechtler, Kapitalismuskritiker usw. - den Überwachungsstaat à la NSA bereits zu spüren?

K. Zeese: Jeder politische Aktivist, der nicht davon ausgeht, daß er staatlicherseits observiert wird, hat beim Geschichtsunterricht in der Schule nicht aufgepaßt. Überwachung, Drangsalierung und Unterwanderung sind das Los von Oppositionsgruppen und deren Mitgliedern in den USA seit langem. Zu diesem Zweck wurde das FBI von J. Edgar Hoover kurz nach dem Ersten Weltkrieg überhaupt gegründet. Neu ist lediglich das Ausmaß der Überwachung aufgrund moderner Digitaltechnologie. Die Occupy-Bewegung hat in ihrer Popularität und Breitenwirkung natürlich die Oberschicht erschreckt. Um so energischer soll nun der staatliche Repressionsapparat die Gegner des Status quo in ihre Schranken weisen. Doch meines Erachtens ist es dafür zu spät. Die Enthüllungen von Edward Snowden und das Bekanntwerden der Überwachung aller elektronischen Kommunikationen durch die National Security Agency (NSA) hat meiner Meinung nach weit mehr Menschen in die Arme der Opposition getrieben als von einem politischen Engagement abgeschreckt. Die große Mehrheit der Amerikaner lehnt einen Schnüffelstaat als unvereinbar sowohl mit ihren eigenen Werten als auch mit der Verfassung des Landes ab.

Luftaufnahme des berühmten, mit einer schwarzen Glasfassade versehenen OPS2A-Gebäudes, das wie ein überdimensionierter Zauberwürfel aussieht - Foto: 2006 freigegeben als public domain via Wikipedia Commons

Hauptquartier der National Security Agency, des größten Arbeitgebers des US-Bundesstaats Maryland, mit Sitz in Fort Meade
Foto: 2006 freigegeben als public domain via Wikipedia Commons

SB: Müssen, um den modernen Schnüffelstaat zurückzudrängen, nicht erst die Ereignisse vom 11. September 2001 neu untersucht und das Paradigma des "globalen Antiterrorkriegs" vollkommen in Frage gestellt werden?

K. Zeese: Zweifelsohne. Die Verletzung der Privatsphäre von Abermillionen einfacher Bürger ist vollkommen inakzeptabel. Das müssen wir den Politikern durch Klagen, Protestaktionen et cetera klar machen. Gleichwohl müssen wir neue Wege denken und ausprobieren, wie die Privatsphäre des Einzelnen vor staatlicher Schnüffelei geschützt werden kann. Da sind technische Lösungen im Bereich der Verschlüsselung und der kleineren Netzwerke vonnöten. Um 9/11 gibt es bis heute zahllose Ungereimtheiten. Das Versagen der US-Geheimdienste muß von einem unabhängigen Expertengremium komplett neu untersucht werden. Bislang geheimgehaltene Dokumente wie zum Beispiel die 28, Saudi Arabien betreffenden Seiten des 9/11-Berichtes der Geheimdienstausschüsse von Repräsentantenhaus und Senat müssen freigegeben werden.

Doch das Problem sitzt tiefer. Der Antiterrorkrieg stellt lediglich die jüngste Verkörperung einer militarisierten und vollkommen fehlgeleiteten Außen- und Sicherheitspolitik der USA dar. Mit jedem neuen Krieg, mit jedem neuen Drohnenangriff erzeugen wir nur mehr Feinde, gegen die wir uns mit einem aufgeblähten Sicherheitsapparat verteidigen müssen. Das dem zugrunde liegende Freund-Feind-Schema ist verquast und überholt. Es gibt viele Probleme auf der Welt; die allermeisten sind militärisch nicht zu lösen. Statt überall Stützpunkte zu unterhalten und Truppen hinzuschicken, könnten wir den Menschen mit zivilen Mitteln - zum Beispiel gegen Krankheiten und Seuchen sowie bei Umweltkatastrophen - helfen. Unsere militarisierte Außen- und Sicherheitspolitik schadet, bis auf die Rüstungsindustrie, der US-Volkswirtschaft und erzeugt mehr Probleme, als sie löst. Wir müssen unsere Truppen nach Hause holen, unsere Militärpräsenz im Ausland stark reduzieren und das eingesparte Geld im eigenen Land investieren, zum Beispiel in den Aufbau einer zukunftweisenden, CO2-neutralen und atomkraftfreien Wirtschaft. Mit solchen Schritten wären die USA weit besser in der Lage, der Menschheit bei den anstehenden Globalproblemen - Nahrungsmittelknappheit, Klimawandel etc. - zu helfen.

SB: Fracking und die verstärkte Gewinnung von Erdgas in den USA zur Deckung des eigenen nationalen Energiebedarfs sowie für den Export scheint von den wirtschaftlichen Argumenten her die amerikanische Umweltbewegung etwas in die Defensive gebracht zu haben. Wie sehen Sie als langjähriger Umweltschützer die Chancen, den großen Erdöl- und Erdgasunternehmen Amerikas die politische Initiative wieder zu nehmen und der regenerativen Energiegewinnung in den USA zum Sieg zu verhelfen?

K. Zeese: Es mag sein, daß sich derzeit die Fracking-Industrie und die Befürworter der hemmungslosen Rohstoffgewinnung im Aufwind sehen. Doch trotz all ihrer politischen Verbindungen können auch sie nicht die Entwicklung hin zu einer Nationalökonomie aufhalten, die klimafreundlich ist und ohne Atomenergie und die Verbrennung von Fossilenergieträgern auskommt. Wenn ich sehe, wie zum Beispiel viele Menschen sich gegen die Keystone XL Pipeline, gegen die Gewinnung von Ölsand in Alberta und Utah und gegen Fracking organisieren, dann macht mich das zuversichtlich. Eine Gruppe Aktivisten in Nebraska hat an der geplanten Trasse der Keystone XL Pipeline bereits ein kleines Kraftwerk gebaut, das Wind- und Sonnenenergie für die örtliche Gemeinde erzeugt. Sollte die Pipeline dort durchgezogen und das Kraftwerk beseitigt werden, wird das zu einer PR-Katastrophe führen und einen weiteren Sargnagel für die herkömmliche Energieindustrie bedeuten. Schließlich gehört die Pipeline einem ausländischen Konzern und droht durch eventuelle Lecks das Grundwasser der Kornkammer Amerikas zu verschmutzen. Meines Erachtens dauert es nur noch 20 bis 30 Jahre, bis die Menschen eine Energiegewinnung betreiben, die nicht mit Raubbau an der Natur, mit der Erzeugung von radioaktivem Müll und klimafeindlichen Abgasen einhergeht. Wer mehr über derlei Bemühungen in den USA erfahren möchte, ist herzlich eingeladen, sich die Beiträge bei ClearingtheFOGRadio.org, die ich und Margaret Flowers dazu regelmäßig präsentieren, live anzuhören oder als Podcast herunterzuladen. Übrigens, beim FOG, das hier beseitigt werden soll, handelt es sich um die Forces of Greed (Kräfte der Gier - Anm. d. SB-Red.).  

SB: Recht vielen Dank für das Interview, Herr Zeese.

Wolkenkratzer und ein historisches Segelschulchiff am Binnenhafen von Baltimore - Foto: 2007 freigegeben als cc-by-sa-3.0-migrated via Wikipedia Common

Die Hafenstadt Baltimore
Foto: 2007 freigegeben als cc-by-sa-3.0-migrated via Wikipedia Commons


Fußnote:

[1] Das vorliegende Interview mit Kevin Zeese wurde am 19. August 2013 geführt. Erst drei Tage später, am 22. August, ließ Bradley Manning über seinen Anwalt verlautbaren, daß er sich seit seiner Kindheit als Frau fühle und fortan Chelsea Elizabeth Manning genannt werden wolle. Deshalb wird im Interview der alte Vorname Bradley statt des neuen Chelsea benutzt.


22. September 2013