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INTERVIEW/091: Petersberg II - Mairéad Maguire, Friedensnobelpreisträgerin (SB)


Interview mit Mairéad Maguire am 5. Dezember in Bonn


Mairéad Maguire wurde 1976 zusammen mit Betty Williams, mit der sie im selben Jahr in Nordirland die überkonfessionelle Peace People als Protestbewegung gegen den blutigen Krieg der britischen Streitkräfte und der mit ihnen verbündeten protestantischen Paramilitärs gegen die katholisch-nationalistische Irisch-Republikanische Armee (IRA) gegründet hatte, mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Anlaß zur Gründung der Peace People war ein tragisches Unglück. Beim Transport eines Sturmgewehrs durch Belfast wurden zwei IRA-Freiwillige von britischen Soldaten angeschossen. Während der zweite Mann im Wagen lediglich verletzt wurde, war der Fahrer sofort tot. Das fahrerlose Auto kam von der Straße ab und tötete auf dem Bürgersteig Mairéad Maguires achtjährige Nichte und ihren sechs Wochen alten Neffen. Ein zweiter, zwei Jahre alter Neffe erlag am nächsten Tag im Krankenhaus seinen Verletzungen. Maguires Schwester Anne, die mit ihren drei Kindern vom Einkaufen auf dem Heimweg war, hat zwar den Vorfall überlebt, kam jedoch niemals über den Verlust hinweg und beging 1980 Selbstmord.

Seit damals engagiert sich Mairéad Maguire auf der ganzen Welt für den Frieden. Die Radikalpazifistin lehnt jede Art von Gewalt als kontraproduktiv und moralisch unvertretbar ab. In den letzten Jahren hat sie sich als Gegnerin der Kriege im Irak und in Afghanistan, der Unterdrückung der Palästinenser durch die Israelis sowie des Besitzes von Atomwaffen hervorgetan. Sie hat US-Präsident Barack Obama, der 2009 selbst mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, öffentlich als Kriegsverbrecher bezeichnet, weil dieser im Dauerstreit mit dem Iran immer wieder durch die Verwendung der euphemistisch-perfiden Formulierung, wonach "alle Optionen auf dem Tisch" lägen, mit dem Einsatz von Atomwaffen droht. Anläßlich der Afghanistan-Konferenz in Bonn trat Maguire am 4. Dezember im Rheinischen Landesmuseum auf dem vom "Protestbündnis gegen Petersberg II" und Netzwerk "No to War - No to NATO" veranstalteten Gegenkongreß auf und nahm am darauffolgenden Vormittag an der Mahnwache an der Kreuzzung Bonner Kunstmuseum/Friedrich-Ebert-Allee teil, als die diplomatische Elite um Hillary Clinton, Guido Westerwelle und Hamid Karsai in ihren Staatskarossen zum alten Bundestag am Rheinufer fuhr. Am Rande der Protestaktion konnte der Schattenblick ein Gespräch mit der irischen Friedensnobelpreisträgerin führen.

Nahaufnahme von Mairéad Maguire bei der Podiumsdiskussion auf dem Anti-NATO-Kongreß - Foto: © 2011 by Schattenblick

Mairéad Maguire
Foto: © 2011 by Schattenblick
Schattenblick: Frau Maguire, demonstrieren Sie heute hier als Privatperson oder im Namen einer bestimmten Organisation?

Mairéad Maguire: Ich bin als Vertreterin der Peace People hier.

SB: Diese Organisation existiert heute noch?

MM: Ganz klar. Wir haben unser Büro im Belfast. Ich bin sowohl als Gründungsmitglied und Ehrenpräsidentin der Peace People als auch als Vertreterin der Nobel Women's Initiative hier.

SB: Eine Initiative, die Sie mit ins Leben gerufen habe, wenn ich richtig informiert bin.

MM: Stimmt. Unsere Botschaft lautet, daß Krieg und Militarismus keine Probleme lösen, sondern sie nur verschlimmern. Zwischenstaatliche oder innere Konflikte können nur beigelegt werden, wenn die Beteiligten miteinander in Dialog treten und gemeinsam eine Lösung erarbeiten.

SB: Sind Sie auf eigene Faust an diesem Wochenende nach Bonn gekommen?

MM: Nein, die Organisatoren der Anti-Kriegstagung haben mich eingeladen, dort zu sprechen. Aber natürlich wollte ich auch die Mahnwache heute morgen zum Auftakt der offiziellen Afghanistan-Konferenz im ehemaligen Bundestag unterstützen.

SB: Woher kommt Ihr Interesse am Thema Afghanistan? Sind Sie schon mal dort gewesen?

MM: Das nicht, aber ich habe in den letzten Jahren einige Afghanen kennengelernt und mich darüber informiert, was dort passiert. Der Krieg im Herzen Zentralasiens geht uns letztlich alle an. Deswegen demonstriere ich hier nicht nur gegen den Afghanistankrieg, sondern gegen die Entwicklung der NATO zu einer globalen, undemokratischen Ordnungsmacht, die nichts als militärische Lösungen anzubieten hat. Darüber hinaus bin ich hierhergekommen, um mit den Kriegsgegnern aus Afghanistan zusammenzutreffen, Solidarität mit ihnen zu zeigen und mir ihre Berichte anzuhören. Für mich ist es sehr wichtig, daß wir auf die Stimmen der afghanischen Bürger und Bürgerinnen hören. Meines Erachtens sollten wir diejenigen in Afghanistan unterstützen, die ihre Lage vor Ort ohne Waffengewalt und mittels Dialog zu verbessern versuchen.

SB: In den letzten Jahren haben Sie sich für die Palästinenser und für Fortschritte im Nahost-Friedensprozeß stark gemacht. Gestern erzählten Sie auf der Konferenz, daß gegen Sie in Israel bereits ein Einreiseverbot verhängt wurde. Wie ist es dazu gekommen? Hängt das mit Ihrer Verhaftung im Sommer 2009 zusammen, als Sie mit der ehemaligen US-Kongreßabgeordneten und Präsidentschaftskandidatin der amerikanischen Grünen Cynthia McKinney versucht haben, die Abriegelung des Gazastreifens zur See zu durchbrechen?

MM: So ist es. In den letzten zehn Jahren haben mich das Schicksal der Palästinenser und der Stillstand im Nahost-Friedensprozeß sehr beschäftigt. Beim Konflikt in Nordirland hatten beide Seiten, sowohl die britischen Streitkräfte als auch die IRA, nach dreißig Jahren erkennen müssen, daß eine militärische Lösung nicht zu erreichen war. Keine der beiden Seiten konnte die andere endgültig besiegen. Die Konfliktparteien standen vor der Wahl zwischen der Fortsetzung eines end- und sinnlosen Krieges und deren Beilegung. Mitte der neunziger Jahre haben sie sich für letztere im Rahmen einer Reihe von Kompromissen zwischen den protestantisch-probritischen Unionisten und den katholischen Nationalisten entschieden. Daraus ist das Karfreitagsabkommen vom 1998 entstanden. Das war keine perfekte Lösung, aber sie hat das Töten beendet und eine Annäherung für einen Dialog über den religiös-politischen Graben hinweg geschaffen. Heute regieren Unionisten und Nationalisten Nordirland gemeinsam, was ein großer Fortschritt im Vergleich zu früher ist.

Gruppenfoto der Podiumsteilnehmer um Mairéad Maguire - Foto: © 2011 by Schattenblick

Mairéad Maguire und die anderen Podiumsteilnehmer Mamdouh Habashi
aus Ägypten, Iez Thiry aus Belgien, Said Mahmoud Pahiz aus Afghanistan
und Amir Mortasawi aus dem Iran
Foto: © 2011 by Schattenblick

Angesichts dessen bin ich felsenfest davon überzeugt, daß es eine Lösung des Nahost-Konfliktes gibt, die über die Besetzung palästinensischen Territoriums durch die Israelis hinausgeht, und daß beide Seiten ein Arrangement finden könnten, das für alle akzeptabel wäre. Deswegen bin ich stets bemüht, die Vertreter einer friedlichen Lösung des Konfliktes im Nahen Osten, also die Verfechter eines gewaltlosen Widerstandes bei den Palästinensern als auch die israelischen Gegner der Besetzung des Westjordanlandes, zu unterstützen. Von beiden Seiten habe ich in der Vergangenheit Einladungen zum Besuch erhalten und angenommen.

Meines Erachtens haben die Gegner der Abriegelung des Gazastreifens in den letzten Jahren Großartiges geleistet. 2008 nahm ich am ersten Versuch, die Blockade zur See zu durchbrechen, teil. Damals haben wir es mit dem Schiff Dignity bis nach Gaza-Stadt geschafft. Was ich dort gesehen habe, das Leiden und die Armut vieler Menschen, hat mich bedrückt und nicht wieder losgelassen. Es hat mich aber auch darin bestärkt, mich für eine Beendigung der Blockade des Gazastreifens und der Besetzung des Westjordanlandes stark zu machen.

Beim zweiten Versuch 2009, die Seeblockade zu überwinden, wurde unser Schiff, die Spirit of Humanity, in internationalen Gewässern, nicht lange nachdem wir von Zypern aus in See gestochen waren, von einem Kommando der israelischen Marine gekapert und gegen unseren Willen nach Aschdod verschleppt. Anschließend verbrachte ich eine Woche im Gefängnis in Tel Aviv, bis sie mich abschoben.

SB: Vor Gericht haben Sie sich damals geweigert, eine Erklärung zu unterzeichnen, wonach Sie illegal nach Israel eingereist waren, nicht wahr?

MM: So ist es. Ich habe vor Gericht Einspruch gegen die Abschiebung erhoben und später erfahren, daß ich wieder nach Israel einreisen durfte. Letztes Jahr habe ich an der Aktion der Free-Gaza-Flottille, die vor der Küste des Libanons bekanntlich ihren blutigen Höhepunkt fand, teilgenommen.

SB: Ihr Schiff, die Rachel Corrie, war aus Irland gestartet, aber bei diesem Vorfall nicht dabei, denn Sie hatten es wegen Motorschadens nicht bis zum Sammelpunkt vor der griechischen Küste geschafft, wenn ich es richtig in Erinnerung habe.

MM: Leider war es so. Als es zum Überfall auf die türkische Fähre Mavi Marvara und den anderen Booten kam, näherten wir uns gerade der Küste Ägyptens vom Westen her. Zur Erinnerung, die Fahrt der Rachel Corrie war eine gemeinsame irisch-malaysische Hilfsaktion. Das Schiff war mit humanitären Gütern vollbeladen. Möglicherweise wegen der weltweiten Empörung um die Todesfälle auf der türkischen Fähre Mavi Marvara lief alles friedlich ab, als wir mit der Rachel Corrie ein paar Tage später vor der Küste Gazas auftauchten und von der israelischen Marine in Empfang genommen wurden.

Nach der Verhaftung wollten uns die Israelis diesmal ganz schnell loswerden. Gleich am Tag danach brachten sie uns zum Tel Aviver Flughafen, um uns abzuschieben. Ich habe mich aber geweigert, das Flugzeug zu besteigen, und erklärt, ich wäre gegen meinen Willen nach Israel entführt worden und sähe nicht ein, warum ich abgeschoben werden sollte, wo ich doch gegen keine Gesetze verstoßen hätte. Der Auftritt vor Gericht hat mir eine Woche in Isolationshaft eingebracht.

SB: Nun können Sie von sich sagen, daß Sie auch einmal gesessen haben.

MM: In der Tat. Die drei Richter haben leider entschieden, daß ich illegal nach Israel eingereist war, und mir empfohlen, meinen Einspruch gegen das Urteil auf juristischem Weg zu verfolgen. Im Anschluß darauf wurde ich zum Flughafen gefahren, in die Maschine gesetzt und nach Dublin abgeschoben. Später habe ich eine israelische Anwaltskanzlei damit beauftragt, für mich in die Berufung zu gehen. Schließlich möchte ich irgendwann einmal wieder nach Israel reisen, um dort die Friedensaktivisten auf israelischer und palästinensischer Seite bei ihrer großartigen Arbeit zu unterstützen. Mein Fall ist jedoch nicht so wichtig, wenn man sich die sieben Millionen palästinensischen Flüchtlinge, die überall auf der Welt verstreut sind und nicht in ihr Heimatland zurückkehren dürfen, in Gedächtnis ruft.

Interviewszene auf dem Bürgersteig vor dem Bonner Kunstmuseum - Foto: © 2011 by Schattenblick

Schattenblick-Redakteur und Mairéad Maguire
Foto: © 2011 by Schattenblick

SB: Als Sie die Peace People gründeten, gab es viel Hoffnung, daß die große öffentliche Resonanz, welche sie auslöste, ein baldiges Ende des Konfliktes in Nordirland herbeiführen würde. Statt dessen dauerten die sogenannten Troubles weitere zwanzig Jahre an. Erst als die militärische Führung auf beiden Seiten die Pattsituation als solche erkannte, schwiegen die Waffen. Ist es als Friedensaktivistin nicht ernüchternd, zu erkennen, daß Sie heute weiterhin in Nordirland auf der Straße demonstrieren müßten - eventuell vergeblich -, wenn die Spitzenvertreter bei der IRA und der Regierung in London nicht zu der Einsicht gelangt wären, daß ihnen eine Fortsetzung des Konfliktes nichts einbrächte?

MM: Sie haben Recht. Für eine Friedensaktivistin wie mich ist es ganz schön frustrierend, daß die Militärs erst einsehen müssen, daß Waffengewalt und kriegerische Auseinandersetzungen die Probleme, die häufig kompliziert sind und tiefe Wurzeln haben, nur verschärfen, statt zu ihrer Lösung beizutragen. Gleichwohl werden sie zu dieser Einsicht erst gelangen, wenn die einfachen Menschen auf die Straße gehen, auf die Verfehltheit des Ansatzes aufmerksam machen und von den Militärs verlangen, daß sie das Problem den Zivilisten überlassen. Auch wenn es der Peace People Movement nicht gelungen ist, eine rasche Beendigung des Konfliktes im Norden Irlands herbeizuführen, so waren wir immerhin die ersten, die Protestanten und Katholiken an einen Tisch zum Dialog und Meinungsaustausch zusammenbrachten. Somit können wir mit Recht behaupten, daß es unser Ansatz war, der sich letztlich auf der kommunal- und regionalpolitischen Ebene im Rahmen der vom Karfreitagsabkommen geschaffenen Institutionen am Ende durchgesetzt hat.

Man muß den Raum schaffen für Gespräche ohne Vorbedingungen und Angst vor Vergeltung - in Afghanistan heute wie damals in Nordirland. Man kann doch von den NATO-Gegnern in Afghanistan nicht verlangen, daß sie sich an Friedensverhandlungen beteiligen, während über ihren Siedlungsgebieten die ganze Zeit schwerbewaffnete Drohnen schwirren.

SB: Vielen Dank, Frau Maguire, für das Interview.

Gesamtaufnahme des Auditoriums im Rheinischen Landesmuseum - Foto: © 2011 by Schattenblick

Gut besuchter Sitzungssaal auf dem Antikriegskongreß
Foto: © 2011 by Schattenblick

17. Dezember 2011