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INTERVIEW/034: Kay Sokolowsky, Autor "Feindbild Moslem" (SB)


Interview mit Kay Sokolowsky am 29. November in Berlin-Mitte


Kay Sokolowsky lebt und arbeitet als freier Journalist und Autor in Hamburg. In seinem Buch "Feindbild Moslem" untersucht er das Problem zunehmender Islamophobie in Deutschland. Der Schattenblick hatte Gelegenheit, mit Kay Sokolowsky am Rande einer Veranstaltung im Rahmen des Filmfestivals "One World Berlin" am 29. November in Berlin [siehe POLITIK/REPORT-BERICHT/024] ein Gespräch zu führen.

Kay Sokolowsky
© 2009 by Schattenblick

Schattenblick: Herr Sokolowsky, in der Debatte um die Äußerungen des ehemaligen Berliner Finanzsentators Thilo Sarrazin wurde hervorgehoben, daß er gegen Türken und Araber polemisiert hat. Allerdings fällt bei Lektüre des umstrittenen Interviews seine eugenisch begründete Forderung auf, daß alle Unproduktiven aus Berlin wegziehen sollten. Wie stehen Sie zu der These, daß Sarrazins Äußerungen eigentlich eine sozialrassistische Argumentation zugrundeliegt, die erst im weiteren islamophob entufert?

Kay Sokolowsky: Es gibt auf jeden Fall eine Schnittmenge zwischen beiden und das eine kommt ohne das andere nicht aus. Das Verteufeln der Hartz-IV-Empfänger als Schmarotzer, als Parasiten, als Unproduktive, die man am besten beseitigt, die aber im Gegenteil noch darin gefördert werden, daß sie sich immer mehr vermehren und immer mehr Unproduktive in die Welt setzen, ist natürlich damit verbunden, auch auf deutsche Hartz-IV-Empfänger einzuprügeln, also auf alles, was man für lebensunwert hält.

Es gibt einen Vorlauf zu der Polemik, mit der man sich gegen Hartz-IV-Empfänger bzw. gegen Empfänger von Transferleistungen richtet. Das hat schon Ende der 80er Jahre mit dem Abbau der Sozialsysteme begonnen. Diese Argumentation wird von Antiislamisten bruchlos übernommen, die dann auf die Migrantenbevölkerung im Land zeigen. Sarrazin hat sich vor allem die Türken und Araber in Berlin vorgeknöpft und sie bezichtigt, daß sie uns nur etwas wegnehmen und uns nie dafür etwas einbringen. Stattdessen produzieren sie immer weiter neue Kopftuchmädchen, so Sarrazins lupenrein rechte Propaganda. Ich denke schon, daß das in diesem Bereich alles nicht zu trennen ist. Man wird schwerlich von jemanden, der sich stark macht für die Schwachen im Lande, antiislamische Töne hören. Das Parteiergreifen gegen die Schwachen im Lande führt sehr schnell dazu, antiislamische Ressentiments oder offen rassistische Ressentiments zu verbreiten. Das ist eigentlich untrennbar miteinander verbunden. Von den lautesten Befürwortern des weiteren Abbaus staatlicher Transferleistungen vernimmt man denn auch überdurchschnittlich oft muslimfeindliche Statements.

SB: Glauben Sie, daß die geostrategischen oder bündnisstrategischen Interessen, die die Bundesrepublik in Afghanistan und anderen mehrheitlich islamischen Staaten, in denen der Westen Krieg führt, hat, ein maßgeblicher Faktor sind für die Entstehung des Feindbildes Islam hier in Deutschland?

KS: Das glaube ich eher nicht. Ich denke, daß die Außenpolitik und die Innenpolitik auf diesem Feld ganz hart voneinander getrennt sind. Ich meine schon, daß die Außenpolitik Deutschlands nicht von islamfeindlichen Motiven geleitet wird, sondern andere, in der Tat geostrategische Gründe hat. So bemühen sich die Bundeswehr und die staatlichen Entwicklungshelfer, die nach Afghanistan geschickt werden, sehr darum, niemandem mit islamfeindlichen Bemerkungen auf den Schlips zu treten. Den dorthin entsandten Bundeswehrsoldaten wird vorher genau beigebracht, daß sie um Gottes Willen alles unterlassen sollten, was die religiösen Empfindungen der Afghanen irritieren oder verletzen könnte. Auch innenpolitisch wird nicht unbedingt dazu aufgefordert, sich islamfeindlich zu verhalten.

Es geht eher darum, daß man den Islam handhabbar macht. Deswegen hat Wolfgang Schäuble vor ein paar Jahren die deutsche Islamkonferenz eingeführt. Er wollte Dialogpartner haben, er wollte, daß der Islam sich staatlichen Reglementierungen unterwirft. Gleichzeitig wollte er die Muslime einladen: macht mit bei unserem Projekt Deutschland, und das heißt für uns, fallt nicht weiter auf, benehmt euch so, wie wir das von euch erwarten, dann dürft ihr auch ruhig in eure Moscheen gehen und beten.

Man darf nicht vergessen, daß der Bau der Moschee in Köln- Ehrenfeld von einem CDU-Oberbürgermeister initiiert wurde, der bis zum Schluß hinter dem Projekt stand. Selbst als seine eigene Fraktion nicht mehr mitmachen wollte, war er immer noch für die Bebauung des Geländes und hat sich bis heute nicht davon distanziert. Er ist im Gegenteil stolz drauf, das durchgesetzt zu haben.

Ich sehe in der Politik nicht so starke muslimfeindliche Überzeugungen, wie ich sie in den Medien und in der Öffentlichkeit beobachte. Daher denke ich, daß das Feindbild Moslem, von dem ich in meinen Buch schreibe, nicht von den großen Parteien und der Politik initiiert wurde, sondern von unten gekommen ist. Es hat sich aus Volkes Empfinden entwickelt. Es ist nicht von irgend jemandem oktroyiert worden, sondern die Leute haben es sich selber zurechtgelegt, ohne daß ein Politiker das vormachen mußte.

Allerdings ist es auch Fakt, daß sich einige Politiker dieser rassistischen Ressentiments bedienen, um Wahlkämpfe zu betreiben. Roland Koch in Hessen ist ein Meister darin. Er hat sich zum ersten Mal dieser Ressentiments bedient, als es um die sogenannte doppelte Staatsbürgerschaft ging. Ich betone gerne, daß es eigentlich eine zweifache Staatsbürgerschaft ist, weil sie ja nicht verdoppelt wird, sondern es darum geht, zwei Staatsbürgerschaften zu haben. Dagegen hat er bei der Wahl im Jahr 1999 eine Unterschriftenkampagne geführt. Im nächsten Wahlkampf wollte er damit auftrumpfen, das Jugendkriminalität vor allen Dingen ein Problem von Migranten sei. Anlaß war der Überfall auf einen Rentner in München. Und im Wahlkampf 2009 wollte er drauf abheben, daß seine Herausforderer Tarek Al-Wazir und Andrea Ypsilanti ausländisch klingende Nachnamen haben. Trotzdem hört man von Roland Koch keine offen islamfeindlichen Sprüche. Er denkt das vielleicht, aber er sagt es nicht unbedingt.

Die Islamfeindschaft, wie ich sie beschreibe, ist kein politisches Programm einer Partei. Es ist eine sehr wirkmächtige Ideologie, die nur drauf wartet, daß jemand kommt, der charismatisch und schlau genug ist, sie auszubeuten. Das hat etwa die SVP in der Schweiz geschafft, wo kürzlich in einem Volksentscheid beschlossen wurde, daß dort keine Minarette gebaut werden dürfen. Ein weiteres Beispiel ist Geert Wilders in den Niederlanden, der mit seiner PVV enorm erfolgreich ist, indem er einerseits ein strikt neoliberales Programm verfolgt, also Abschaffung staatlicher Transferleistungen, sprich Bestrafung der "Schmarotzer", und als Sahnehaube obendrauf fordert, daß muslimische Migranten nicht mehr in die Niederlande einwandern dürfen und diejenigen, die schon im Land sind, mit größtem Druck wieder hinausbefördert werden sollen.

Ich könnte mir vorstellen, daß sich irgendwann eine der großen Parteien in Deutschland, die sich bis jetzt noch nicht so geäußert hat, aus Wahlkampfgründen offensiv islamfeindlicher Argumente bedient. Ich hoffe nicht, daß es dazu kommt und ich damit Recht behalte, aber auszuschließen ist es nicht. Es ist auch nicht auszuschließen, daß sich irgendwann eine Partei gründet, die ähnlich operiert wie die niederländische PVV und auch einen dazu passenden Anführer hat. Geert Wilders ist ein außerordentlich charismatischer und geschickter Politiker, den man mit dem mittlerweile verstorbenen Jörg Haider vergleichen könnte. Sollte so ein verheerendes politisches Talent irgendwann in Deutschland hochkommen, wird es sich ganz sicher dieser islamfeindlichen Ideologie bedienen. Es wird sie nicht eins zu eins umsetzen wollen, das macht auch Wilders nicht, aber es wird sich ihrer bedienen, weil es weiß, daß es Millionen von Menschen in Deutschland gibt, die dieser Ideologie folgen.

SB: Meinen Sie, daß Regierungspolitiker heute überhaupt die politische Forderung nach Ächtung der Islamophobie erheben können?

KS: Sie tun es nicht. Sie könnten es, aber sie tun es nicht. Nach der Ermordung von Marwa El-Sherbini fand in Dresden ein Trauerzug statt, und der einzige Politiker von Bedeutung, der daran teilgenommen hat, war Franz Müntefering von der SPD. Ansonsten waren bis auf einige Lokalpolitiker keine bekannten Vertreter der CDU, der FDP, der Grünen und nicht einmal der Linken zugegen. Es gibt nur wenige Bundestagsabgeordnete, die sich zur Islamophobie in Deutschland geäußert haben, und das waren eher die üblichen Verdächtigen - Sebastian Edathy, Lale Akgün - Leute, von denen man das so erwartet. Aus der CDU war von Barbara John, der ehemaligen Ausländerbeauftragten Berlins, etwas zu vernehmen. Es wirkte fast so, als hätten alle Angst, sich die Finger an dem Thema zu verbrennen.

Ich will den Politikern erst einmal zugutehalten, daß sie Angst haben, mit Äußerungen zum Thema Islamophobie in Deutschland eine bestimmte Klientel zu verschrecken, weil es viele Rassisten unter deutschen Wählern gibt. Damit befreite man sie immerhin von dem Verdacht, daß sie selbst verkappte Antiislamisten sind. Der nächste Schritt bestünde darin, daß sie keine Stellung beziehen, weil sie viel Wahres in dieser Überzeugung erkennen und davon ausgehen, daß es sich um wirkliche Argumente handelte, zu denen man sich allerdings nicht öffentlich bekennen kann, weil das Ausland auf uns schaut.

So gibt es schon seit vielen Jahren eine starke Tendenz in der Politik, Migranten durch die Gesetzgebung zu diskriminieren. Migranten werden durch das neue Staatsangehörigkeitsrecht diskriminiert, das die zweifache Staatsbürgerschaft nicht für Türken zuläßt, sehr wohl aber für Bürger aus der EU. Das geht Hand in Hand damit, daß die CDU vehement zu verhindern versucht, daß die Türkei in die EU eintritt, denn dann müßte sie auch die zweifache Staatsbürgerschaft für diese Gruppe anerkennen. In Niedersachsen werden verdachtsunabhängig Kontrollen von Moscheen durchgeführt, weil man angeblich Haßprediger ausmachen möchte. Dazu ist es bis jetzt noch nicht ein einziges Mal gekommen, aber jeder Moscheebesucher in Niedersachsen muß damit rechnen, erkennungsdienstlich behandelt zu werden. Wenn, wie vor kurzem geschehen, irgendein wirrer Drohbrief durch das Internet geistert, laut dem das Oktoberfest von islamistischen Terroristen zu Schutt und Asche zerbombt werden soll, dann wird das sofort für bare Münze genommen. Daher wurden zwei bosnische Studenten für die Dauer des Oktoberfestes ohne Angabe von Gründen inhaftiert. Erst Wochen später wurden sie wieder freigelassen, weil man nichts gegen sie in der Hand hatte.

Beim Prozeß gegen Alex W., den Mörder Marwa El-Sherbinis, wurde das Landgericht Dresden in eine Art Hochsicherheitsgefängnis verwandelt, mit Scharfschützen auf dem Dach, Panzerglas, Stacheldraht, weiträumigen Polizeiabsperrungen. Diese Maßnahmen haben sich nicht gegen eventuelle Gesinnungsfreunde von Alex W., sondern gegen Muslime gerichtet. An diesen Details der Arbeit der Behörden erkennt man schon, daß vieles von den muslimfeindlichen Ressentiments, die bei so vielen Menschen in den Köpfen sind, auch in der Exekutive angekommen ist. Diese Vorurteile sind auch in den Köpfen von Polizeipräsidenten und von Bundestagsabgeordneten und von Verfassungsschützern. Trotzdem ist das immer noch keine wirklich durchgeführte offizielle Politik. Es gibt da keine einheitliche Linie.

Es besteht, wie auch Walter van Rossum vorhin in der Diskussion gesagt hat, bestes Einvernehmen mit den schlimmsten islamistischen Terrorregimes in der arabischen Welt. Es gibt Höflichkeitsbesuche noch und noch bei den schlimmsten Potentaten. Er hat Hosni Mubarak nicht ohne Grund genannt. Da wird man nie etwas islam- oder muslimfeindliches hören. Aber im Lande selbst unternimmt man nichts, um Islamophobie zu unterbinden, sondern im Gegenteil, man gibt immer wieder Zeichen dafür, daß man selber die Islamophobie teilt und das man im Grunde genommen als einzigen nicht gefährlichen Muslim denjenigen gelten läßt, der eigentlich gar kein Muslim mehr ist.

SB: Inwiefern?

KS: Der sollte dann am besten öffentlich vom Glauben abfallen. Dann ist er nicht mehr gefährlich. Alle anderen Muslime können tun, was sie wollen, sie werden immer noch ein Ressentiment erleben, und sei es nur, daß sie gefragt werden: "Wenn du so integriert in unser Land bist, warum hört man dann nichts von dir, wenn wieder ein Ehrenmord passiert?" Der Vorwurf gegen Muslime in Deutschland lautet, daß sie sich klammheimlich mit den sogenannten Ehrenmördern oder mit Männern, die ihre Frauen zwangsgeheiratet haben oder ihre Frauen zwingen, Kopftücher zu tragen, identifizieren. Die üblichen Horrorbilder, die man von Muslimen hat. Wenn Muslime dagegen nichts sagen, dann werden sie verdächtigt, daß sie genau so denken, wie auch immer sie sich ansonsten verhalten. Ihr konkretes Verhalten ändert daran nichts. So hat Herr Kesici in der Diskussion erwähnt, daß er sogar von den eigenen Leuten schief angeguckt wird, wenn ihm doch einmal abgekauft wird, daß er ein ganz normaler Deutscher ist, der nur einen anderen Glauben als die meisten Deutschen hat.

Von dieser Grundstimmung können Politik und Verwaltung natürlich nicht unberührt bleiben. Und die Beispiele dafür, wie Diskriminierung im Alltag und in der Politik stattfinden, sind sehr, sehr zahlreich. Nur hören wir davon nicht allzu viel.

SB: Haben Sie bei Ihren Recherchen eine Verschlimmerung der Islamophobie festgestellt? Berichten Muslime von konkreten Diffamierungen?

KS: Ablesen kann man das eher daran, wie sich Muslime in Deutschland fühlen. Es gibt eine ganz aktuelle Umfrage, die, so glaube ich, sehr solide ist. In Deutschland lebende Menschen türkischer Herkunft wurden gefragt, wie sie sich angenommen fühlen, und 42 Prozent von ihnen haben laut dieser Umfrage eigentlich keine Lust mehr, hier zu leben, weil sie sich so sehr abgelehnt fühlen, daß sie meinen, in der Türkei besser aufgehoben zu sein. Das Erschreckende daran ist, daß diejenigen, die sich am stärksten von dieser Ablehnung betroffen fühlen, nicht die Türken der ersten Generation sind. Es sind deren Enkel, die Deutschtürken der dritten Generation, die sich hier nicht angenommen fühlen, die aber auch wissen, daß sie in der Türkei genausowenig zu Hause sind.

Das hat etwas mit dem geistigen Klima in diesem Lande zu tun. Antitürkische Ressentiments gibt es schon lange, so lange, wie es türkische Arbeitsmigranten in Deutschland gibt. Aber jetzt kommt das antimuslimische Ressentiment dazu. Es richtet sich nicht nur gegen den fremden Türken, sondern auch noch gegen den fremden Muslim. So werden Menschen, die hier geboren und aufgewachsen sind, immer noch nicht angenommen. Man unterstellt ihnen, daß sie potentielle Selbstmordattentäter, potentielle Bombenbastler, potentielle Frauenmörder sind, einfach nur wegen ihres Namens, ihres Glaubens, dem sie vielleicht gar nicht mehr folgen, da sich immer mehr Türken säkularisieren. Daran kann man wohl noch am ehesten ablesen, daß die Ablehnung gegenüber Türken und Deutschtürken gewachsen ist.

Man kann auch an den leider nicht so zahlreichen Umfragen, die jedes Jahr meistens nicht von deutschen, sondern amerikanischen Meinungsforschungsinstituten durchgeführt werden, ablesen, daß die Ablehnung von Muslimen in Deutschland zunimmt. Ihnen ist zu entnehmen, daß inzwischen 25 Prozent aller Deutschen eine absolut negative Einstellung gegenüber Muslimen haben. Das betrifft jeden einzelnen Muslim, nicht nur irgendwelche Sauerländer-Möchtegern-Terroristen. Erschwerend hinzu kommt, daß "Muslim" in diesem Falle nicht bedeutet, daß es unbedingt gläubige Muslime sein müssen. Das können Leute sein, die ihr Leben lang nicht an den lieben Gott geglaubt haben. Völlig säkularisierte Agnostiker, die türkische oder arabische Eltern oder Großeltern haben, werden damit schon unter den Generalbegriff "Muslime" subsumiert, und das ist Rassismus in Reinkultur.

Andere würden das als Ethnizismus bezeichnen, aber das halte ich für zu schwach. Das ist Rassismus. Man unterstellt einem Menschen nur wegen seiner Herkunft, daß er etwas wäre, nämlich in diesem Fall Muslim. Und man weiß ja, daß Muslime alle potentiell bedrohlich beziehungsweise nicht nur potentiell, sondern real bedrohlich sind. So fallen die- oder derjenige unter den Verdacht, eine Bedrohung zu sein, wie entfernt vom Glauben sie auch sein mögen.

Es geht, und das ist ganz wichtig, Islamhassern im Grunde genommen nicht um die Religion Islam. Die angebliche Religionskritik ist nichts weiter als ein Vorwand, um rassistische Vorurteile zu verbreiten. Das hat dann nichts mehr mit irgendwelchen heiklen Stellen im Koran, die es in der Tat gibt, zu tun. Das hat auch nichts mit islamistischen Terroristen oder mit dem, was in Saudi-Arabien oder in irgendwelchen anderen Gottesstaaten geschieht, zu tun.

Wenn man ein bißchen bohrt, kommen alle rassistischen Vorurteile heraus, die es schon seit so vielen Jahren in Deutschland gibt. Dann geht es nur noch darum, daß die anderen Schmarotzer sind. Dann geht es nur noch darum, daß sie uns im Zweifelsfall alle ermorden werden. Sie nehmen uns unsere Frauen weg. Wenn sie uns nicht unsere Frauen wegnehmen, dann produzieren die so viele Kinder, daß sie uns einfach qua Masse überwältigen werden. Sarrazin hat es nicht nötig gehabt, auch nur einmal von Muslimen zu reden. Er konnte sich drauf verlassen, daß alle sofort wissen, wer gemeint ist. Er hat von Türken und Arabern geredet. Aber wir wissen ja alle, was die glauben.

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Ich recherchiere das jetzt seit anderthalb Jahren. Zu dem Thema bin ich auch für mich ziemlich überraschend gekommen. Aber seit etwa achtzehn Monaten stelle ich fest, daß die Wortführer der Islamfeinschaft in Deutschland immer weniger von dieser Religion reden und sich immer offener zu ihrem rassistischen Vorurteil bekennen. Sie reden dann wirklich nur noch von "den Türken" und von "den Arabern", die alle stinken und schmarotzen und die hier weggeschafft gehören und so weiter und so fort. Was ich mir von vornherein dachte, hat sich bestätigt: die Islamkritik, die hier angeblich stattfindet, ist nichts weiter als ein Vorwand für Rassismus. Mit wirklicher Islamkritik hatte das nie irgendetwas zu tun. Man hat die Kritik, die man am Islam üben kann, sehr dankbar genutzt, um die eigenen rassistischen Vorurteile zu pflegen. Und diese produzieren leider immer mehr Gläubige. Es gibt immer mehr Leute, die auf diese Propaganda und auf diese rassistischen Klischees hereinfallen, weil die Ablehnung, die Türken und Deutschtürken empfinden und durch die eingeborenen Deutschen erfahren, real ist. Sie äußert sich zum Beispiel in der Berichterstattung der Zeitungen. Wenn irgend etwas über Muslime in Deutschland illustriert werden soll, dann wählt man Frauen, die auf Märkten mit Kopftüchern, langen Mänteln oder langen Gewändern zu sehen sind. Wahlweise können es auch Männer mit rauschenden Bärten sein, vielleicht noch mit einer Wickelmütze auf dem Kopf, doch am beliebtesten ist die Frau mit Kopftuch.

SB: Was halten sie von der durchaus mit Zwang operierenden Integrationspolitik, mit der man etwa Einfluß nimmt auf die Überzeugungen der Betroffenen? Ist das ein Übergriff auf ihre Autonomie und Kultur, oder meinen Sie, daß Muslime die ihnen abverlangten Bekenntnisse abliefern müssen?

KS: Das ist Diskriminierung, und das habe ich in dem Buch auch recht deutlich gemacht. Einbürgerungstests und die Art, wie hierzulande Integrationskurse durchgeführt werden, finde ich nicht nur skandalös, sondern auch diskriminierend. Das sind Reglementierungsversuche,mit denen eine Bevölkerungsgruppe per se verdächtigt wird, sich nicht integrieren zu wollen. Also müssen wir sie zu Integrationskursen zwingen. Zumindest für Menschen, die Sozialleistungen vom Staat beziehen, ist dieser Zwang real. Ihnen werden Gelder teilweise oder ganz gestrichen, wenn sie nicht an Integrationskursen teilnehmen. Wenn ein Muslim deutscher Staatsbürger werden will und ihm ein Einbürgerungstest vorgelegt wird, ist das mit Zwang verbunden, da von vornherein davon ausgegangen wird, daß er Islamist ist, daß er Vorurteile gegenüber den westlichen Werten hat, daß er Frauen unterdrückt und Homosexuelle verachtet. Davon gehen Einbürgerungstests aus. Ich denke schon, daß das ein staatlicher Übergriff auf eine bestimmte Bevölkerungsgruppe ist, der schon skandalös ist, der aber als Skandal gar nicht so auffällt, weil das ja mittlerweile europäischer Standard ist.

SB: Nun ist es ja so, daß der Integrationsanspruch durch die materielle Ausgrenzung ganzer Bevölkerungsschichten konterkariert wird. Wenn Muslime sozusagen die Speerspitze des Feindbildes bilden, während gleichzeitig immer größere Teile der Bevölkerung in dem beanspruchten Sinne gar nicht mehr integriert werden sollen, weil sie zu einem Leben ohne jeden Anspruch verurteilt werden, wie, um das noch einmal anzusprechen, würden Sie den Zusammenhang zwischen der sozialen Frage und dem Rassismus verstehen?

KS: Es ist natürlich sehr praktisch, wenn man den Menschen im Land, die nicht qua Religion, sondern einfach dadurch desintegriert werden, daß sie nicht mehr am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können, weil ihnen das Geld dafür fehlt, weil man sie ausgestoßen hat, einen Sündenbock liefern kann. Muslime bilden einen ganz hervorragenden Sündenbock, wie folgendes Beispiel belegt: Ich habe in Rüsselsheim mit einer Sozialarbeiterin gesprochen, deren Klienten vor allen Dingen Hartz-IV-Empfänger sind. Von diesen hört sie immer wieder: Die verdammten Türken, die nehmen uns doch soviel weg, wenn die nicht wären, dann bekämen wir auch höhere Hartz-IV-Leistungen. Sie versucht immer und immer wieder verzweifelt zu erklären, daß das gar nichts brächte. Sie sagt diesen Menschen: "Wären die Türken nicht da, würdet ihr genauso wenig bekommen." Der Regelsatz richtet sich nicht nach der Zahl der Hartz-IV-Empfänger, sondern nach ganz andern Maßstäben. Doch das erreicht ihre Klienten nicht. Die haben ihre Sündenböcke gefunden.

Wenn man dann noch ständig, und zwar nicht nur durch die "Bild"-Zeitung, sondern durch fast alle Medien, mit dem Hinweis auf überdurchschnittlich hohe Arbeitslosigkeit und damit Anspruch auf Transferleistungen bei der türkischen Immigrationsbevölkerung in Deutschland gefüttert wird, dann ist das natürlich ganz hilfreich, dann hat man sie wieder beisammen. Zudem wird behauptet, daß Muslime nicht etwa arbeitslos sind, weil sie nicht können, sondern weil sie nicht wollen. Der Koran schreibe ihnen von vornherein vor, daß sie nicht arbeiten müßten. Ein sehr beliebtes Argument bei Antiislamisten lautet, daß der gläubige Muslim sich den Buckel nicht krumm macht, sondern andere ausbeutet. Das stünde ja so schon im Koran. Dafür gibt es irgendeine ziemlich verschwommene und in der Regel falsch übersetzte Sure, auf die sie sich beziehen.

Man muß schon Fähigkeiten der Auslegung wie ein Nostradamus haben, um aus dem Text zu lesen, daß der Islam zum Nichtstun verführt. Gemeint ist etwas ganz anderes in dem Zusammenhang, mehr eine Aufforderung zur gottgefälligen Muße und zum Innehalten im Alltagsleben, um an Gott zu denken, also etwas, was man in jeder anderen Religion auch finden wird. Aber das ist mittlerweile Standardargument bei Islamhassern: Die Muslime wollen nicht arbeiten, sie wollen uns ausbeuten, weil sie, seit es diese Religion gibt, nichts anderes tun als irgendwo einzufallen, die Leute auszusaugen, zu unterwerfen, zu versklaven und dann weiterzuziehen. Da werden dann auch gerne Heuschreckenvergleiche und dergleichen gezogen.

Das uralte rassistische Argument, daß, wenn die nicht wären, es euch besser ginge, ist zuletzt während der sogenannten Asyldebatte Anfang der 90er Jahre hochgekocht. Als ich angefangen habe, für das Buch zu recherchieren, war ich vollkommen entsetzt zu sehen, was sich da mittlerweile tut. Vor allen Dingen im Internet verbreitet sich offener Rassismus im Tarnkleid der sogenannten Islamkritik mittlerweile explosionsartig. Ich kann nur wiederholen, daß nichts gegen Kritik an einer Religion spricht. Die übe ich selber. Aber das hier ist keine Kritik an der Religion. Es geht nur um die Pflege rassistischer Ressentiments.

SB: Ein wichtiger Einstiegspunkt für Kritik am Islam als dem Juden- und Christentum eng verwandter Monotheismus wäre sein Verhältnis zu animistischen oder polytheistischen Religionen. Das scheint aber gar nicht stattzufinden.

KS: Ja, ich war auch immer wieder irritiert, wenn Wolfgang Huber, der Vorgänger von Margot Käßmann als Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche Deutschlands, sich mit außerordentlich diskriminierenden Äußerungen über Muslime in Deutschland hervortat. Papst Ratzinger hat vor ein paar Jahren in Regensburg einen alten Kaiser aus Byzanz zitiert, um zu sagen, daß der Islam an sich eine gewalttätige Religion ist, was den Christen völlig fremd sei. Zum Christentum bekenne man sich ja aus freier Entscheidung ohne Zwang und aus Vernunft.

SB: Er hat im Grunde genommen das Erbe der Aufklärung für das Christentum beansprucht.

KS: Richtig. Die ganze Aufklärung hätte es laut Ratzinger ohne das Christentum nicht gegeben. Hingegen sei der Islam per se gewalttätig, weil er sonst seine Lehre nicht verbreiten könne. Die drei großen Religionen, die aus dem Nahen Osten kommen, sind untrennbar miteinander verquickt und verknüpft, daher stammt wahrscheinlich auch diese unerbittliche Feindschaft zwischen den Vertretern dieser Religionen, die im Laufe der Jahrtausende genug Opfer gefordert hat. Aber ich ich möchte mich nicht zu sehr in dieses Thema vertiefen, weil es nie mein Anliegen war, das Kritikwürdige am Islam in meinem Buch hervorzuheben. Den Islamhassern geht es, wie gesagt, ja gar nicht um die Religion. Sie wollen, daß man sich auf ihr Niveau einläßt und mit ihnen darüber diskutiert, wie gefährlich "der Muslim" ist. Daran habe ich kein Interesse.

SB: Herr Kesici hat in der Diskussion davon gesprochen, daß man sich im Grunde genommen erst von den anderen distanzieren muß, um anerkannt zu werden. Das hieße, keine offene Sprache mehr sprechen zu können.

KS: Für mich war es daher ganz wichtig, daß ich mich aus diesen Diskussionen über die Religion heraushalte. Ansonsten würde ich einem Islamhasser damit ein Stück weit recht geben. Wenn ich ihm zugestehe, daß man darüber diskutieren kann, gestehe ich ihm alles weitere auch zu. Was man am Ende kritisieren kann, ist auch gar nicht der Islam, sondern das, was aus dem Islam gemacht wird. So kann man an der politischen Ideologie, die aus dem Islam gemacht wird, sehr viel kritisieren. Das finde ich vollkommen legitim und notwendig. Absolut nicht legitim ist, die Kritik am Islam und dem, was man aus ihm macht, zu benutzen, um beispielsweise davon abzulenken, was aus dem Christentum gemacht wird, was aus dem Judentum gemacht wird, was aus dem Buddhismus gemacht wird.

Es wird immer Ideologen geben, die sich einer Religion bedienen, um sie so zurechtzuschnitzen, daß sie damit Machtpolitik betreiben können. Das zu beschreiben und zu kritisieren, finde ich vollkommen legitim. Die Unterstellung hingegen, daß jemand, weil er Angehöriger einer bestimmten Religion ist, schon unter Verdacht steht, zu den Ideologen zu gehören und sich nach den Forderungen dieser Ideologen zu richten, ist gefährlich. Das macht den Islamhaß für den sogenannten inneren Frieden in Deutschland potentiell bedrohlich.

Wie bedrohlich das ist, hat man dann Anfang Juni gemerkt, als in Dresden Marwa El-Sherbini ermordet worden ist. Ich fürchte, das wird nicht der letzte Fall dieser Art gewesen sein. So etwas wird nicht sehr oft vorkommen, hoffe ich jedenfalls, aber inzwischen ist das Gift des Islamhasses in so viele Köpfe eingesickert, es hat mittlerweile so viele Menschen erreicht, daß ich fürchte, über kurz oder lang wird wieder einer kommen, der so viel Wut durch die Ressentiments entwickelt hat, daß er gewalttätig werden wird. Es sind genug Kandidaten dafür da in Deutschland. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß sich wieder jemand ausschließlich auf seinen Haß auf den Islam beruft, wenn er jemanden tötet. Es wird auf jeden Fall bald wieder passieren, wenn nicht maßgebliche Teile der Politik feststellen, daß der Islamhaß in Deutschland ein gesellschaftliches Problem ist und daß sie gegen ihn Stellung beziehen müssen.

Wenn weiter zugelassen wird, daß solche Seiten wie Politically Incorrect, die ich für die gefährlichste Website Deutschlands halte, nur von einem einzigen Bundestagsabgeordneten, nämlich von Sebastian Edathy, als gefährlich erkannt und benannt werden und ansonsten nichts passiert, wenn es weiterhin keine gesellschaftliche Debatte darüber gibt, wie weit verbreitet Islamophobie und Islamhaß sind, wenn es keine gesellschaftliche Debatte darüber gibt, daß es einen ideologischen Zusammenhang gibt zwischen dem, was ein Thilo Sarrazin sagt, und dem, was ein Alex W. in Dresden getan hat, dann wird dieses Problem immer verheerendere Auswirkungen haben.

SB: Können Sie sich tatsächlich vorstellen, daß eine Kanzlerin Angela Merkel, die von der Wertegemeinschaft der NATO spricht, die die politische Ausrichtung der Bundesrepublik auf einen transatlantischen und militaristischen Konsens stellt, der sich in der aktuellen Kriegsführung in islamischen Ländern artikuliert, eine gesellschaftliche Debatte initiiert, wie Sie sie fordern?

KS: Das sehe ich im Augenblick nicht. Offenbar ist es politisch nicht ganz unerwünscht, daß man ein paar Sündenböcke übrig behält. Ich würde allerdings weiterhin sagen, daß die Kriege in Afghanistan und im Irak im Kern keinen islamfeindlichen Hintergrund haben. Ich denke, da spielen andere Dinge mit hinein. Ich unterstelle George W. Bush, daß er nicht den Islam bekämpfen wollte, als die US-Truppen in den Irak einmarschierten. Es gibt eben auch das geostrategische und das ganz vitale Interesse, es sich z.B. nicht mit Saudi-Arabien zu verderben oder mit den Emiraten am Persischen Golf. Das Öl möchte man ja weiterhin bekommen.

SB: Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen Antisemitismus und Antiislamismus?

KS: Ja, unbedingt. Es ist schon bestürzend, wie ähnlich sich die Ressentiments von Islamhassern und Judenhassern sind. Das geht bis in die Wortwahl hinein. Der Muslim und der Jude sind innerhalb dieser Ressentiments absolut austauschbare Schablonen. Das geht soweit, daß mittlerweile auf den Muslimhasser-Websites erregte Diskussionen darüber geführt werden, warum die Muslime schächten dürfen. Das Lebendschlachten von Tieren wird, so wie es die Nazis gern gemacht haben, als besonders widerliches Beispiel für die Verkommenheit und für die Gemeinheit der Muslime angeführt.

Es sind Ressentiments wie die vom angeblich "Parasitären" der Muslime. Gleiches wurde Juden in der antisemitischen Propaganda unterstellt. Die Unterstellung "Die Muslime planen die Unterwerfung der Welt" ist nichts anderes als das, was Juden seit dem 19. Jahrhundert unterstellt wird. Das geht bis hinein in die Karikatur. Bei Politically Incorrect wurde eine Zeitlang auf eine Serie offen muslimhassender Karikaturen verwiesen und verlinkt. In diesen Zeichnungen wurden Muslime haargenau so dargestellt - der Vergleich stimmt in diesem Fall wirklich - wie Juden im "Stürmer". Die gleiche Physiognomie, die die "Stürmer"-Karikaturisten auf Juden anwendeten, wurde hier für Muslime benutzt. Die Art der Witze ist übrigens auch eine ähnliche. Die strukturelle Verwandtschaft ist so groß, daß man sich wundert, warum viele Islamhasser sich überhaupt noch Mühe geben zu behaupten, sie seien große Freunde des Staates Israel. Aber das ist nichts als taktisches politisches Kalkül. Indem man sich bekennt zum Existenzrecht der Juden und zum Existenzrecht des Staates Israel, lenkt man von sich ab.

Es wäre für diese Muslimhasser natürlich ganz fatal, wenn jetzt herauskäme, daß es sich bei ihnen im Kern um Antisemiten handelt. Laut einer Umfrage des Pew Research Institute in Washington sind unter den Islamfeinden in Deutschland sehr viele Antisemiten. Das verträgt sich eben gut miteinander. Was man allerdings nicht vergessen darf: Es gibt natürlich erheblich mehr Muslime in Deutschland, als es Juden gibt. Und die Muslime sind in Deutschland auch erheblich präsenter. Sie sind eher als jemand zu erkennen, der ein bißchen anders ist. Es gibt viele Muslime in Deutschland, die ihren Glauben auch durch ihre Kleidung zeigen. Für Rassisten ist das die reine Provokation. Es ist in Deutschland zum Glück immer noch weitgehend tabu, antisemitische Ressentiments öffentlich zu äußern. Muslime sind hingegen als Ersatz-Haßobjekte mittlerweile glänzend eingeführt.

SB: Auch als Ersatz für den Antikommunismus?

KS: Ich glaube schon. Irgendein Sündenbock wird ja immer gesucht, beziehungsweise irgendein Feindbild muß es immer geben, wenn man repressive Politik machen will.

SB: Sie haben sich mit Ihrem Buch sehr exponiert.

KS: Das kann man sagen (lacht).

SB: Wie fallen die Reaktionen aus? Erfahren Sie Zustimmung von Menschen, die das ähnlich sehen, erhalten Sie viele feindselige Reaktionen?

KS: Da gibt es nichts Lauwarmes. Entweder bekomme ich volle Zustimmung und sehr freundliche Briefe und E-Mails. Das sind nicht so viele, aber wenn sie kommen, dann freue ich mich sehr. Sie sind sehr ermunternd und motivierend. Ich bekomme aber, wenn ich kritisiert werde, die volle Ladung Haß, Häme und Hetze ab. Die habe ich aber auch erwartet von den Leuten, die ich in dem Buch angreife. Sie lesen das Buch gar nicht erst, sondern allenfalls ein Interview, das ich irgendwo gegeben habe, und selbst das lesen sie nicht richtig. Sie greifen sich da vielleicht nur einen Satz raus und gucken, mit wem ich das Interview geführt habe, um dann ganz genau zu wissen, was ich für einer bin. Sie gucken meine Biographie und mein Autorenfoto an, dann wissen sie schon, was sie von mir zu halten haben. Sie beschimpfen mich anhand des Fotos, anhand meiner Biographie und einfach deswegen, weil ich mir dieses Thema ausgesucht habe. Der beliebteste Vorwurf lautet, daß ich eigentlich ein Nazi bin. Ich soll deswegen ein Nazi sein, weil ich Nazis Nazis nenne. Das klingt jetzt völlig bescheuert, und das ist ja auch bescheuert.

Allerdings kann ich mich als Autor in gewisser Hinsicht auch darüber freuen. Ich habe sie offenbar erwischt. Sie fühlen sich getroffen. Und wenn sie sich getroffen fühlen, dann kommt die ganze Haßmaschine richtig in Gang. Ich habe mittlerweile über mich gelesen, ich sei "schlimmer als Roland Freisler", ich habe über mich lesen dürfen, daß ich ein "linksradikaler Fotzenlecker" bin, worauf andere geantwortet haben, ich wäre ja sogar dafür zu dumm; man macht gerne Wortspiele mit meinem Namen, dann bin ich entweder "Blödolowski" oder "Leckolowski". Es spielt sich alles auf diesem allerniedrigsten Niveau ab. Einem Niveau, wie ich es von diesen Leuten erwarte. Ich erwarte von ihnen, daß sie nicht in der Lage sind, sich inhaltlich mit der an ihnen geübten Kritik auseinanderzusetzen. Das habe ich nie erwartet. Ich habe von vornherein gewußt, daß die Reaktion so ausfallen würde.

Dennoch greift es einen ein wenig an, wenn man bei Politically Incorrect erwähnt wird und innerhalb von 24 Stunden 200 Kommentare zu dieser Erwähnung gepostet werden, von denen 198 reiner Haß sind. Aber es greift micht nicht so sehr an, wie sie es gerne hätten.

Irgendwann wird es dann auch völlig absurd. Man befindet sich in einem absurden Theaterstück, das von lauter Vollidioten aufgeführt wird. Es gibt nicht viele Intellektuelle, die überzeugte Islamhasser sind. Da gibt es sehr viele schlichte Gemüter, sehr ungebildete Menschen, die offensichtlich ein großes Problem haben und defizitär in ihrer Charakterbildung sind. Wenn man sich das klar macht, dann ist es auch nicht mehr so schlimm, diese Ballung aus Haß und Häme zu lesen.

Auf jeden Fall hätte ich deutlicher machen müssen, was ich eigentlich für legitime Islamkritik halte. Das habe ich nicht deutlich genug gesagt, unter anderem deshalb, weil ich nur begrenzten Raum hatte, den ich füllen durfte. Das ist, zugegeben, eine schlechte Ausrede, denn dann muß man sein Buch eben anders einteilen. Das würde ich, sollte es irgendwann eine erweiterte neue Ausgabe geben, nachholen. Ich finde es wichtig, weil ich dezidierte Ansichten zum Islam und daher auch etwas an ihm zu kritisieren habe. In den Kreisen der Islamhasser unterstellt man mir gerne, ich würde den Islam schönreden und vor allem den Islamismus rechtfertigen wollen.

Richtig übel ist die Behauptung, daß ich die Islamkritik verbieten wollte. Dazu kann ich nicht oft genug sagen: Ich möchte die Islamkritik keineswegs verbieten. Was ich aber gesellschaftlich zumindest geächtet sehen möchte, ist die Übertragung von Islamkritik auf rassistische Ressentiments, weil dies am Ende auch eine Delegitimierung der Islamkritik zur Folge hat. Irgendwann können dann Islamisten, mit denen ich nichts am Hut habe, sagen, daß die Leute, die sie kritisieren, allesamt Rassisten sind, daß sie keine Ahnung vom Islam haben und sie nur niedermachen wollen. Dann wird Islamkritik enorm schwierig. Dann kann man nicht einmal mehr das, was am Islam kritikwürdig ist, erwähnen, ohne in den Verdacht zu geraten, zu diesen Leuten zu gehören. Ich möchte nicht zu diesen Leuten gehören, wenn ich jemanden wie Ahmadinejad für das, was er sagt und tut, kritisiere.

SB: In der derzeitigen Strategiedebatte zum Afghanistankrieg wird behauptet, daß man sich nicht zurückziehen dürfe, weil dann dem ganzen Westen Gefahr drohe. Diese Gefahr wird zumindest mittelbar mit dem Islam assoziiert. Halten Sie diese Verschwörungstheorie für relevant?

KS: Wenn eine Verschwörungstheorie richtig funktionieren soll, dann muß sie irgendeinen kleinen, wahren Kern besitzen. Tatsächlich gibt es verschwörerische Gruppen innerhalb des radikalen Islam. Es gibt Terrorzellen, die konspirativ arbeiten, und es ist keine komplette Erfindung, daß es islamistische Netzwerke gibt, die konspirieren, um etwas zu erreichen. Völliger Unsinn ist natürlich, daß die Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) eine Verschwörung ausgeheckt hat, um überall Kalifate einzurichten und die ganze Welt zu erobern.

Es gibt Terrororganisationen im Irak und in Pakistan, die konspirativ arbeiten. Es gibt die konspirative Muslimbruderschaft, und auch die Hamas und die PLO haben konspieriert, als sie noch im Untergrund waren. Daraus allerdings abzuleiten, daß eine islamische Weltverschwörung stattfindet, ist vollkommener Schwachsinn. Tatsächlich sind die die islamischen Staaten weitgehend machtlos. Die einzige Macht, die sie haben, besteht aus Rohstoffen, und die gehen langsam zur Neige. Nicht einmal aus dieser Macht haben sie besonders viel machen können. Seit 2001 werden sie noch und noch gedemütigt. Zuerst mit der Invasion in Afghanistan, dann mit der Invasion im Irak und mit allem, was daraus folgt. Sie werden gedemütigt, indem ihnen vom UN-Sicherheitsrat immer wieder etwas vor die Nase gegeben wird, wenn sie irgendwelche Forderungen erheben. Ob das jetzt zu Recht oder zu Unrecht erfolgt - die islamischen Staaten erleben ihre Machtlosigkeit täglich. Von einem Masterplan innerhalb der ziemlich zerstrittenen OIC zu sprechen ist völliger Unfug.

Man muß sich natürlich fragen, wie man mit jemandem umgeht, der muslimfeindliche Vorurteile hegt. Der alles über Muslime zu wissen glaubt, nämlich daß sie Ehrenmörder, potentielle Selbstmordattentäter, Zwangsverheirater, Schmarotzer, Verächter der westlichen Werte seien. Ganz wichtig ist es, die Muslimfeinde stets zu fragen, woher sie das wissen, wo ihre Belege dafür sind. Ich fand es schon ziemlich schwach, daß der Interviewer von Lettre International Thilo Sarrazin nicht danach gefragt hat, woher er sein Wissen bezieht und über welche Belege er verfügt. Auch hinterher hat so gut wie keiner danach gefragt, was eigentlich hinter Sarrazins Aussagen steckt und ob sie überhaupt stimmen.

Wer dies gefragt hätte, hätte feststellen können: Nichts davon stimmte. Weder die Geschichte mit den Geburtenraten noch die Geschichte von den völlig unproduktiven Gemüsehändlern in Berlin, noch stimmte der Anteil von Transferleistungsempfängern unter Türken und Arabern in Berlin. Nichts davon stimmte. Fast keiner hat sich darum gekümmert. Die wenigen, die es getan haben, drangen in der Presse nicht durch. Aber dahin müssen wir kommen. Hinterfrage das, was sie erzählen! Wenn einer behauptet, die Islamisten heckten eine Weltverschwörung aus, dann frage man ihn nach ihrem Erfolg und stelle fest, daß es ihn nirgendwo gibt, daß sie überall verlieren. Das letzte, was im Sinne einer Verschwörungstheorie erfolgreich war, waren die Anschläge vom 11. September. Das war in der Tat etwas, bei dem die ganze Welt den Atem anhalten konnte, wo die Islamisten Furcht und Schrecken verbreiteten und eine Macht vorspiegeln konnten, die sie gar nicht hatte. Die Machtlosigkeit der islamischen Welt könnte nicht evidenter sein.

Die größte Bedrohung, die vom islamistischen Terrorismus ausgeht, erleben nicht Christen, sondern Muslime. Die meisten Opfer des islamistischen Terrors sind Muslime. Darauf hinzuweisen ist sehr hilfreich. Das nimmt den meisten, die antiislamische Ressentiments im Kopf haben, den Wind aus den Segeln. Weil sie dann erst verstehen, daß diejenigen, die sie so fürchten, von ihren eigenen Leuten noch viel mehr und zu Recht gefürchtet werden. Wenn ich im Irak oder in Afghanistan, in Pakistan oder in Algerien oder Somalia lebe, muß ich in der Tat vor gewissen Muslimen Angst haben. Dort gibt es kaum eine Familie, die kein Terroropfer zu beklagen hat. Aber hier doch nicht. Wovor sollen wir denn Angst haben? Vor der Scharia in der Rechtsprechung? Ja, wo ist sie denn?

Man muß die Leute immer fragen "Woher weißt du das?". Ich habe erlebt, daß das hilft. Wenngleich nicht bei allen, denn die echten Rassisten erreicht man natürlich nie. Die sind in ihrem Weltbild eingemauert. Niemals wird man einen Antisemiten bekehren. Das geht nicht. Und einen Antiislamisten genauso wenig. Doch es gibt Leute, die ein bißchen kippeln. Die haben Ressentiments im Kopf, die sie angelesen haben, die sie im Fernsehen aufgesaugt haben, wo sie immer nur Kopftuch-Frauen sehen, wenn es um Muslime geht. Wenn man mit denen ein bißchen länger redet, dann kommen sie ins Grübeln. Das habe ich inzwischen schon erfahren. Am meisten freut es mich, wenn mir jemand sagt: Ihr Buch hat mir über meine eigenen Vorurteile die Augen geöffnet. Wenn ich solche Reaktionen noch öfter bekäme, dann wäre ich richtig froh, dieses Buch geschrieben zu haben.

SB: Ein schönes Schlußwort. Herr Sokolowsky, vielen Dank für dieses Gespräch.

Essay des Autors über die Medien und den Mordfall Marwa El- Sherbini: http://www.migration-boell.de/web/diversity/48_2318.asp

Leseprobe aus "Feindbild Moslem": http://www.rotbuch.de/images/medien/9783867890830-Leseprobe.pdf

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19. Dezember 2009