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INTERVIEW/011: Christoph R. Hörstel, Journalist und Politikberater (SB)


Aus Gründen eines länger andauernden und unerwarteten Klärungsbedarfs verschiedener Fragen in der Sache veröffentlicht der Schattenblick das von seinen Redakteuren geführte Interview mit Christoph R. Hörstel anläßlich der Vorstellung seines Buches "Brandherd Pakistan" am 5. September 2008 im Lindencorso in Berlin erst zu diesem Zeitpunkt an vertrauter Stelle, da weder das Thema noch die Ausführungen von Herrn Hörstel etwas von ihrer Aktualität eingebüßt haben.

Stelle, den 11. März 2009

Christoph R. Hörstel - © 2009 by Schattenblick
Christoph R. Hörstel
© 2009 by Schattenblick Der Journalist und Politikberater Christoph R. Hörstel setzt sich für eine Überprüfung der deutschen Politik in Afghanistan und Pakistan ein. Der ehemalige Sonderkorrespondent der ARD verfügt über langjährige Erfahrungen aus erster Hand in diesen und anderen Ländern der Region. Aufgrund seiner Kenntnisse der Situation in Afghanistan war er als Coach für ausgewählte Führungskräfte der ISAF-Truppen und als Gastdozent am Institut für Friedensforschung und Sicherheit an der Universität Hamburg tätig. Hörstel, der 2001 die Regierungs- und Unternehmensberatung Hörstel Networks in München gründete, hat einen eigenen Friedensplan für Afghanistan ausgearbeitet und trägt mit seinen Büchern "Sprengsatz Afghanistan" und "Brandherd Pakistan" zur aktuellen Debatte um diese Kriegsschauplätze in der Bundesrepublik bei.

Schattenblick: Zunächst eine Frage zum Attentat an Benazir Bhutto, wozu es verschiedene Theorien gibt. Die CIA behauptet, die Männer Baitullah Mehsuds vom pakistanischen Taliban hätten den Anschlag durchgeführt. Von ihrem Bodyguard existieren Videoaufnahmen, die zeigen, wie er auf der Wahlkampfveranstaltung auf der Tribüne in Rawalpindi unmittelbar vor dem Anschlag verdächtige Zeichen gibt. Er selbst ist vor kurzem einem Anschlag zum Opfer gefallen. Zudem gibt es ein Fernsehinterview, in dem Bhutto kurz vor ihrer Rückkehr nach Pakistan gegenüber David Frost gesagt hat, daß Osama Bin Laden längst tot sei und daß die US-Dienste dies wüßten. Ich hätte gerne Ihre Meinung zu den unterschiedlichen Spekulationen über die Identität der Verantwortlichen für das Attentat.

Christoph Hörstel: Es ist vollkommen undenkbar, daß das Attentat durchgeführt werden könnte ohne Wissen des ISI [Inter-Services Intelligence - Militärgeheimdienst Pakistans]. Es ist vollkommen undenkbar, daß nicht auch eine gewisse Zustimmung der USA zu diesem Attentat vorgelegen hat. Denn es ist jedem Beteiligten vollkommen klar, der sich auch nur ein halbes Jahr in der Region aufhält, daß sich Benazir Bhutto spätestens mit ihrer Erklärung gegen die, wie sie sagte, radikalen islamischen Umtriebe, Feinde gemacht hatte. Sie mußte mit einer hohen Bedrohung rechnen, nicht nur aus Gruppen der islamischen Bewegung, sondern auch aus Teilen des ISI, der durchsetzt ist von islamfreundlichen und anderen Kräften, die sich im Auftrag der CIA oder zumindest mit Duldung und Wissen der CIA an solchen Umtrieben beteiligen und diese organisieren.

Ich habe in meinem Buch "Sprengsatz Pakistan" diesem Thema einen ganzen Kapitel gewidmet und dabei neun Punkte der Verwicklung Musharrafs in den Mord an Benazir Bhutto aufgezeigt. Was den Attentatsort Rawalpindi [Sitz des pakistanischen Generalstabes unweit der Hauptstadt Islamabad] betrifft, ist es nicht denkbar, daß in allernächster Nähe einer der größten Ansammlungen hochrangiger pakistanischer Truppenteile und Verwaltungen ein solches Attentat gelingen kann, ohne daß der ISI hieran beteiligt ist. Die ganze Logistik schließt dies aus. Es gab einen Polizei-Cordon um das Gebiet einschließlich des kleinen Platzes, des Straßenabschnitts, in dem Frau Bhutto ermordet worden ist. Ohne Hilfe kann der Attentäter dort nicht durchgekommen sein. Ich habe bewußt die Parallelität zum Fall der Ermordung Yitzhak Rabins aufgezeigt, bei der hinterher herauskam, daß ein durchaus bekannter und befreundeter Mensch aus Kreisen des Inlandsgeheimdienstes Shin Bet dieses Attentat ausgeführt hatte. Und wir können davon ausgehen, daß es sich auch in diesem Fall so verhält.

Man schiebt das Ganze dann gerne einem ebenfalls am Verwaltungs- und am politischen Draht hängenden Mann wie Baitullah Mehsud zu, weil auch von dort kein wirklicher Widerstand gegen eine solche Erklärung zu erwarten ist. Mehsud hat zwar spontan gesagt, "ich war's nicht", hat davon dann aber auch ganz schnell wieder Abstand genommen, ein sehr interessanter Vorgang, der auch darauf hindeutet, wie diese Dinge funktionieren. Mir ist die Identität des Selbstmörders, der sich dort in die Luft gesprengt hat, nicht bekannt, wobei die offizielle Version lautet, er habe erst geschossen und sich dann umgebracht. Ich glaube kaum, daß ein nordpakistanischer Stammesangehöriger der Mehsud durch diesen Cordon geschlüpft ist, weil solche Menschen für die nachrichtendienstlichen Insider ziemlich auffällig sind. Es muß sich schon um einen Agenten aus dem "Islamabad-Klüngel" gehandelt haben, sonst wäre eine solche Passage durch den Sicherheitscordon höchst riskant.

Der andere Punkt ist das eklatante Fehlen aller Sicherheitsvorkehrungen. Wir haben der Presse entnehmen dürfen, daß Benazir Bhutto zu ihrer ständigen Begleitung vier gepanzerte Geländewagen angefordert hat, die sie bis zum Mordtag nicht bekam. Es ist ausgeschlossen, daß eine solche Unterlassung möglich wäre, wenn die US-Botschaft erklärt hätte: "Unser höchstes Interesse, Herr Musharraf, ist, daß Frau Bhutto alles bekommt, was sie braucht". Ausgeschlossen. Wenn die USA wollen, daß jemand überlebt - wir können das am Fall Hamid Karzais durchaus gut studieren -, dann werden nicht nur vier Geländewagen zur Verfügung gestellt, sondern 24! Das ist der Aufwand, der gefahren wird, wenn man will, daß die betreffende Person am Leben bleibt!

Bei dem ersten Attentatsversuch [in Karatschi am 18. Otkober 2008, Tag der Rückkehr Bhuttos aus dem Exil] mit 150 Toten immerhin haben die "Jammer", also die elektronischen Geräte, mit denen der Handyverkehr unterdrückt wird, da Bomben sehr oft mit Handys ausgelöst werden, angeblich nicht funktioniert. Das gehört zur Grundvoraussetzung einer Personensicherung, daß solche Dinge funktionieren. Das wird vorher auch getestet. Wer weiß das besser als die CIA. Wir wissen alle, wie die Hauptstädte der Welt buchstäblich auf den Kopf gestellt werden. Zum Beispiel hat der Verkehr auf dem Rhein stillgestanden, als Herr Bush zu Besuch war. All das macht man, wenn Menschen überleben sollen.

SB: Wenn es sich so verhält, wie Sie es schildern, was sagt dieser Vorfall über das Verhältnis USA-Pakistan aus, wird doch behauptet, daß die USA wie Großbritannien viel Aufwand betrieben hätten, um eine politische Zweckehe zwischen Benazir Bhutto und Präsident Musharraf zu arrangieren? Wurde diese von einem zum andern Moment einfach über den Haufen geworfen? Oder hat man Bhutto nach Pakistan zurückgeschickt, um sie umzubringen und um weitere Maßnahmen in der Folge einleiten zu können?

CH: Es ist ganz klar, daß Pakistan von Anbeginn an eine Art Spielball britisch-amerikanischer Interessen ist. So erwähne ich in meinem Buch, daß Benazir Bhutto in ihrer Zeit als Regierungschefin bestimmte Termine mit ihren eigenen Militärs ohne Beisein des US-Botschafters nicht wahrzunehmen wagte. Oder etwa den ISI beobachten lassen durch den IB [Intelligence Bureau - Inlandsgeheimdienst Pakistans] und so weiter. Solche Dinge zeigen, was dort für ein Hauen und Stechen im Gange ist. Bhuttos Ehemann [Asif Ali Zardari, der neue Präsident Pakistans] ist eindeutig an der Ermordung ihres Bruders Mir Murtaza beteiligt gewesen, der ihr Konkurrent zu werden drohte. Ihr anderer Bruder Shahnawaz wurde in Frankreich tot aufgefunden, und kein Mensch hat je herausgefunden, wie und warum er gestorben ist. Solche Verhältnisse herrschen da.

Wenn also tatsächlich geplant war, eine Symbiose zwischen Benazir Bhutto und Musharraf zu arrangieren - wer die Verhältnisse in Pakistan kennt, weiß, daß man genausogut versuchen könnte, eine Symbiose zwischen Feuer und Wasser herzustellen -, dann war das eine ganz schräge Idee. Das Problem ist, wir haben in Pakistan und in Afghanistan eine hochzynische Mischung aus kaltkalkulierter mörderischer Planung und enormer Inkompetenz. Selbst für eingeweihte Beobachter ist es manchmal schwierig, die Dinge auseinanderzuhalten. Mein BND-Freund sagte in diesem Zusammenhang: "In Pakistan passiert eine Revolution, weil eine Sekretärin Schnupfen hatte." Wir haben, so sagte er auch, eine Situation in Pakistan, in der zu einem beliebigem politischen Skandal nur eine Naturkatastrophe hinzuzutreten braucht, um das Staatswesen zu kippen.

Tatsächlich war offiziell zunächst geplant, Benazir Bhutto neben Musharraf zu installieren und ihn damit zu relativieren. Warum? Musharraf hat viele Maßnahmen, welche die USA in Pakistan durchführen wollten, nicht zugelassen! Er hat sich widersetzt! Er war ein Mann, der buchstäblich auf Messers Schneide geritten ist. Das hat er lange sehr erfolgreich getan, aber dann waren die Verhältnisse doch übermächtig. Und ein Teil dieser unübersichtlichen Verhältnisse haben die USA hergestellt. Die weitere Destabilisierung Pakistans und Afghanistans liegt ganz offensichtlich im amerikanischen Interesse, die Beispiele dafür füllen jetzt zwei Bücher.

SB: 2006 erschienen erste Meldungen, wonach die USA eventuell Musharraf absägen wollten ...

CH: Die Drohung fiel ...

SB: ... und im März 2007 kam es zum Krach zwischen Musharraf und Muhammad Iftikhar Chaudhry, dem Chef des Obersten Gerichtshofs. Dieser Streit dauert bis heute an, weil die Gefahr besteht, daß Chaudhry bei der Rückkehr in sein Amt die Korruptionsanklagen gegen Zardari wieder aufnehmen könnte. Ein wesentlicher Aspekt des Streits zwischen Musharraf und Chaudhry aber ist die Frage der Verschleppungen. Da scheint es im erstem Moment einen gewissen Widerspruch zu geben zwischen dem Einsatz Chaudrys für die Opfer der Politik der extraordinary renditions und der Unterstützung, die er in dieser Frage von der Anwaltsopposition, hinter der westliche Interessen vermutet werden, erhalten hat. Wie würden Sie das bewerten?

CH: Schauen Sie, es gibt keine fingierte Politik ohne eine Grundlage in echter Politik. Ich nehme Herrn Chaudhry und den einzelnen Anwälten und Richtern, die sich der Opposition angeschlossen haben, ab, daß sie ein ehrliches, menschliches Interesse an den extraordinary rendered persons, also den letztlich Entführten und Gefolterten, haben, und da gibt es ja auch noch eine andere Klasse von Opfern, das sind die Verschwundenen wie früher in Argentinien.

SB: Wie zum Beispiel Aafia Siddiqui, die vor kurzem von Afghanistan nach New York verschleppt wurde und die das einzige weibliche Mitglied der Al-Kaida-Führungsebene sein soll. Sie soll sechs Jahre in Bagram verbracht haben. Man hat sie den "Geist von Bagram" genannt.

CH: In Bagram übrigens sitzen jetzt doppelt soviel Häftlinge wie in Guantánamo. In Guantánamo sind wir bei 300, in Bagram bei 600, und die US-Regierung hat 80 Millionen Dollar bewilligt, um dort ein großes Gefängnis zu bauen und es für lange Zeit betreiben zu können. Die grundsätzliche Vorgehensweise ist immer die gleiche: es gibt einen ehrenwerten Politikansatz, den man sich zunutze macht, um einen gegen die Regierung gerichteten Widerstand durchzuführen, der dann ermöglicht, daß auch ein Regime wie das Musharrafs destabilisiert werden kann. Pakistans Machthaber wären normalerweise in der Lage, solche Widerstandsbewegungen zu unterdrücken. Wenn aber die USA sich hinter eine solche Opposition stellen und drohen, "wenn ihr das macht, dann greifen wir zu scharfen Maßnahmen", dann tun sie das nicht. Und so kocht man etwas hoch, und Musharraf, wie man gesehen hat, hatte keine Chance sich dagegen zu wehren. Also mußte er der Erosion seiner Macht hilflos zusehen. Er war sozusagen durch seine Amtsführung unterhöhlt worden.

SB: Soviel wir wissen, hat man ihn mit der Erstürmung der Roten Moschee in Islamabad im Juli 2007 in eine Falle laufen lassen.

CH: Auch das ist ganz sicher ein Punkt. Ich glaube schon, daß Musharraf für diese Aktion nicht gerne grünes Licht gegeben hat, gar keine Frage, denm er mußte wissen, wie schädlich dies für ihn war.

SB: Angeblich kam der Befehl dazu aus Washington.

CH: Washington hat im Vorfeld starken Druck ausgeübt. Zum Beispiel hat Washington auch die neue Regierung von Premierminister Yousuf Raza Gilani unter enormen Druck gesetzt, auf keinen Fall mit den Taliban zu verhandeln und auf keinen Fall friedliche Lösungen herbeizuführen. Alles Ratschläge, die nur einem Ziel dienen können, Pakistan zu destabilisieren. Es ist vollkommen klar, daß es keine Lösung des Problems geben kann, wenn nicht miteinander geredet wird und man keine vernünftige Übereinkunft erreicht. Also muß die Regierung Pakistans im nationalen Interesse einen solchen Verhandlungsweg anstreben. Für mich war vor allem interessant: Wie lang hält sie durch? Und jetzt ist sie bereits am Ende.

SB: Eine Partei in diesem Konflikt, deren Namen noch nicht gefallen ist, ist Indien. Wenn wir die Eskalationsstrategie, von der Sie vorhin geredet haben, in einen größeren Zusammenhang stellen, ist die Information interessant, daß der einflußreiche Berater des pakistanischen Innenministeriums, Rehman Malik, den indischen Auslandsgeheimdienst Research und Analysis Wing (RAW) vor kurzem dazu aufgefordert hat, seine Kontakte zu Baitullah Mehsud abzubrechen. Dies tat er auf der gleichen Pressekonferenz, auf der er einem Bericht der New York Times widersprach, laut dem der Stellvertretende CIA-Direktor Stephen Kappes im Juli nach Islamabad gefahren wäre und die Gilani-Regierung mit Beweisen der US-Geheimdienste für die Zusammenarbeit zwischen dem ISI den Taliban in Afghanistan konfrontiert hätte. Malik warf den Indern vor, mit Mehsud unter einer Decke zu stecken. Des weiteren ist immer wieder von Aktivitäten des RAW in Belutschistan die Rede. Wenn man das in Zusammenhang mit dem Hafenausbau in belutschischen Gwajar durch die Chinesen betrachtet, läuft die Eskalationsstrategie nicht auf die Zerschlagung Pakistans samt Entzugs seiner Nuklearwaffenkapazität und damit der Lösung des vermeintlichen Problems der "islamischen Bombe" hinaus?

CH: Ich fange einmal bei der Bombe an. Die Bombe ist ein Zugeständnis der Carter-Regierung - eigentlich geht es noch weiter zurück - an Pakistan wegen seiner willfährigen Zusammenarbeit gegen das sowjetische Vordringen in Afghanistan - Stichwort Putsch Daoud Khans gegen den afghanischen König Zahir Schah 1973. 1974 beschloß Zulfikhar Ali Bhutto [der Vater von Benazir], Abdul Qadeer Khan einzustellen und die Bombe voranzutreiben. Vorherige Anstrengungen in diese Richtung waren wegen der Unfähigkeit der beteiligten Personen und Institutionen erfolglos geblieben. Dieses Zugeständnis hätten die USA im Interesse Israels gerne zurückgenommen.

SB: Es ist bekannt, daß bereits David Ben Gurion in Pakistan die größte Bedrohung Israels sah.

CH: Das ist der Punkt. Es wird sogar behauptet, daß die deutschen U-Boote, deren Lieferbewilligung Gerhard Schröder noch an seinem letzten Amtstag zugestimmt hat - es dreht sich um nuklear aufrüstbare U-Boote -, im Zusammenhang mit der pakistanischen Bombe stehen. Wenn man das alles betrachtet, dann ist klar, daß die Amerikaner Pakistans Zugriff auf die Atombombe auf jeden Fall unterminieren wollen. Der Besitz der Atombombe ist für Pakistan ein Ausdruck nationaler Souveränität, während die Amerikaner seit mehreren Jahren intensiv versuchen, diese Entwicklung rückgängig zu machen.

SB: Wobei gleichzeitig wesentliche Interessenvertreter in den USA an der Entwicklung der pakistanischen Bombe beteiligt gewesen sind. Stichwort Neocons, Atomschmuggel aus New Jersey, Zeki Bilmen, die Tinner-Familie in der Schweiz und die ganze türkische Schiene.

CH: Vollkommen richtig, Sie haben die Dinge gelesen. Also die USA haben im weitesten Sinne die Einkäufe Pakistans ermöglicht.

SB: Offenbar ist das berühmte Atomschmuggelnetzwerk Khans eine Erfindung. Es gab ein Netzwerk, und er war irgendwo dran beteiligt, aber es ist niemals sein Netzwerk gewesen.

CH: Es ist nicht alles sein Netzwerk gewesen. Der wichtigste Teil des Netzwerks saß in der amerikanischen Verwaltung und hat alles beschützt, was er kaufen wollte. Beschützt heißt: gewarnt, wenn das FBI zuschlagen wollte, Wege geebnet zu amerikanischen Firmen, den amerikanischen Firmen zugesichert: "Ihr könnt in Ruhe an Pakistan exportieren. Es passiert euch nichts." Akten verschwanden. Ein CIA-Agent, Richard Barlow, der das alles aufdecken wollte und der jetzt in einem kleinen Wohnwagen irgendwo in Amerika sitzt, der persönlich ruiniert wurde und dessen Ehe unterminiert wurde, hat versucht, das innerhalb der CIA aufzuklären und dann den Kongreß zu unterrichten, woran man ihn gehindert hat. Ein berühmter Fall. Das alles sind Dinge, die für eine Komplizenschaft der USA sprechen.

Und dann kommmen wir auf die Frage nach Baitullah Mehsud und der indischen Unterstützung. Indien unterstützt gern alles, was Pakistan in Unruhe bringt. Insofern ist ein Draht zu Baitullah Mehsud absolut denkbar. Das ist das Verrückte. Hier decken sich möglicherweise indische Interessen mit denen anderer Akteure. Eins aber ist ganz klar: Letztlich handelt es sich auch hier um den Versuch, einen Einstieg zu gewinnen in eine Organisation, die immer auch dazu gedient hat, Kaschmir und damit Indien zu destabilisieren. Der Zusammenhang zwischen Pakistan, Kaschmir, Indien und Afghanistan ist eindeutig. Es ist also ein berechtigtes indisches Sicherheitsinteresse, in diese Kreise einzudringen. Aber es reicht ja nicht einmal, um Indien wirklich vor diesen Attentaten, die immer wieder gelingen, zu beschützen. Die Bemühungen Indiens werden nicht nur in Belutschistan, sondern auch in Sindh, in Karatschi erfolgreicher betrieben. An beiden Orten gelingt es dem indischen Geheimdienst immer wieder, Kräfte dafür zu gewinnen, verheerende Bombenattentate durchzuführen, die Pakistan tatsächlich schwer beschädigen. Im allgemeinen kann man nur sagen, auf ein erfolgreiches Bombenattentat pro-pakistanischer, islamisch-bewegter Widerständler oder Personen in Indien kommt ein Gegenattentat entweder in Belutschistan oder in Karatschi seitens der Mohajirin.

SB: Glauben Sie, daß die Eskalationsstrategie darauf hinausläuft, Pakistan am Ende zu zerschlagen?

CH: Ich glaube, daß die Souveränität des Landes auf jeden Fall gefährdet ist. Pakistan soll ein instabiles Gebilde bleiben. Schon seit der Teilung des Subkontinents lag es im indischen Interesse, Pakistan im Prinzip so instabil zu halten, daß es an Indien zurückfallen kann.

SB: Indien hat schon mit Bangladesh einen ganzen Teil Pakistans erfolgreich abgespalten. Laufen diese Pläne nicht darauf hinaus, daß am Ende es gar kein Pakistan mehr gibt?

CH: Also ich kann nicht belegen, daß irgendwo Pläne zur endgültigen Aufhebung der Staatlichkeit Pakistans existieren. Ich kenne solche Pläne nicht. Aber es hat noch keinen Destabilisierungsplan gegeben, der nicht auch mit seinem eigenen Erfolg rechnet. Und wie das aussehen könnte, wissen wir im Prinzip nicht. Die Belutschen könnten dem Iran zugeschlagen werden, die Paschtunen könnten Afghanistan zugeschlagen werden. Und was bleibt dann zum Teufel übrig? Das ist ja nicht sonderlich viel. Solche Dinge sind durchaus möglich, und es ist ein enormer Kreislauf sich deckender und widersprechender Interessen in der Region. Wenn wir vernünftig wären, würden wir doch eher zur Stabilisierung anstatt zur Destabilisierung beitragen. Denn wo soll das alles hinführen?

Wir wissen, Indien hat die Bombe, Pakistan hat die Bombe. Wir müssen davon ausgehen, daß der Iran sie auch hat und auch in der Lage ist, sie inzwischen zu bauen - beides. Das heißt, wir haben es hier mit einem gewaltigen, möglichen Flächenbrand zu tun, und Jürgen Elsässer [zuvor bei der gemeinsamen Buchvorstellung] hat wunderbar dargestellt, wie gemacht sozusagen die Terrorgefahren sind. Das Problem ist, die Terroristen - Leute, die bereit sind, so etwas auszuführen - gibt es real. Das ist nicht gesponnen. Daß sie noch so schwach sind, daß sie noch die Hilfe unserer Geheimdienste brauchen, damit sie überhaupt einreisen können, das ist nur ein Thema unter mehreren. Irgendwann ist diese Schwäche überwunden. Das ist denkbar. Das ist nicht auszuschließen. Und wie kommen wir dazu, unter einem solchen Gewaltrisiko in dieser Region eine dermaßen unverantwortungsvolle Cowboy-Politik zu betreiben? Das ist die Frage, um die es wirklich geht. Daß wegen kurzfristiger Firmengewinne - kurzfristig heißt ja zwei bis drei Jahre - eine solche Politik gefahren wird, die uns schon mittelfristig extreme Schäden bescheren kann. Also das entzieht sich meiner Kenntnis, und ich halte alle Politiker, die da nicht gegensteuern, für Abenteurer, wenn nicht sogar Kriminellen und Verbrecher.

SB: Ein Frage zur Kriegführung in Afghanistan. Nach dem Luftangriff in Herat war es schwierig herauszufinden, wer da eigentlich bombardiert hatte. Eine US-Militärsprecherin hat die relevanten Angaben gemacht, aber man wurde den Eindruck nicht los, daß es sich um eine systematische Strategie der Vernebelung handelt, wenn bei diesen Bombardierungen niemals genau gesagt wird, ob ISAF oder OEF dafür verantwortlich sind. Würden Sie das ähnlich sehen?

Christoph R. Hörstel - © 2009 by Schattenblick
© 2009 by Schattenblick

CH: Die Amerikaner vernebeln bei ihren Bombardements gerne alles. Diese Politik ist sozusagen zweiteilig. Zum einen wird behauptet, wir wollen die Afghanen nicht gegen uns aufbringen. Wiederum ist es einigermaßen eindeutig, daß man es darauf anlegt, sonst würde man anders vorgehen. Donald Rumsfeld - das schreibe ich auch in meinem neuen Buch aufgrund von Recherchen Ahmed Rashids in dessen neuem Buch ["Descent into Chaos: The United States and the Failure of Nation Buildingin Pakistan, Afghanistan and Central Asia] - hat 2004 oder 2005 trotz des gegenteiligen Rats von Experten, daß dies die Bevölkerung nur gegen die NATO aufbringen kann, von Bodentruppen auf Luftwaffeneinsätze umgestellt. Karzai wiederholt inzwischen gebetsmühlenartig einmal pro Woche, das bringt die afghanische Bevölkerung gegen die fremden Truppen auf. Das ist der eine Teil.

Der andere Teil besteht natürlich darin, daß man eigenen bedrängten Bodentruppen sozusagen unter die Arme greifen will, indem man ganz schnell ein paar MG-Nester oder ähnliches durch Bombenabwurf aushebt. Das ist eben die Politik. Beides läuft nebeneinander her. Und je weniger drüber bekannt wird, desto besser, denn es ist klar, daß derjenige, der in Afghanistan bombardiert, den Krieg praktisch verloren hat. Das ist ganz logisch, denn die Bevölkerung ist stets betroffen und wird sich rächen. Deswegen wird darüber so wenig wie möglich bekanntgegeben. Die amerikanische Standardformulierung, wenn man nichts sagen will, lautet: "Davon ist uns nichts bekannt." So heißt das. Das wissen alle. Die haben die komplette Meldungslage auf dem Tisch. Sie lügen einfach. Das ist Teil des kriegerischen Geschäfts. Da wird einfach die Tatsache verwischt, daß wir es eindeutig mit einer Mischung aus Verlustminimierung und Eskalationsstrategie zu tun haben. Und 10.000 Mann zusätzlich - da kann ich nur drüber lachen. Das ändert natürlich gar nichts. Das weiß jeder.

SB: Handelt es sich bei den Taliban um einen repräsentativen Begriff für den afghanischen Widerstand oder ist dieser nicht tatsächlich heterogener? Was die Motivation der Kräfte, die gegen die NATO vorgehen, betrifft, würden Sie diese eher als von außen instrumentalisiert beurteilen oder gibt es wirklich so etwas wie eine genuine Widerstandsbewegung, die auch in der Bevölkerung verwurzelt ist?

CH: Selbstverständlich gibt es eine genuine Wiederstandsbewegung, wenn Zivilisten umgebracht werden. Matin Baraki von der Uni Marburg schätzt die Zahl auf 50.000. Die Schätzung ist jetzt anderthalb oder zwei Jahre alt und ist nicht unrealistisch. Die ISAF-Zahlen, die ich aus dem Bundestag bekomme über die wöchentlichen Attacken des afghanischen Widerstandes auf die NATO-Truppen, sind um das zwei- bis dreifache geschönt. Ich kriege jetzt Zahlen von Wochenvorfällen in Höhe von etwa 250. Tatsächlich schätze ich, daß es weit über 500 sein könnten. Und ich habe auch Hinweise aus amerikanischer Quelle dazu. Laut der Webseite der Air Force News gab es am 10. August über 60 Close Air Support-Flüge, das heißt unterstützende Luftwaffeneinsätze für Bodenoperationen in Afghanistan an einem Tag. Wenn man das auf eine Woche hochrechnet, dann sind wir bei 420 Operationen pro Woche. Es wurden aber offiziell in dieser einen Woche etwa 250 Zwischenfälle gemeldet. Schon daraus kann man schließen, daß das nicht stimmen kann. Da nicht für jede Bodenoperation Close Air Support nötig ist, müssen wir davon ausgehen, daß wir in der Woche bei 500 bis 600 tatsächlichen Operationen liegen - ich beschreibe das intensiv in meinem Buch.

Kurz gesagt, aus meiner über zwanzigjährigen Erfahrung, die auch den Widerstand gegen die Sowjetunion betrifft, ist ein solcher Widerstand nicht denkbar und nicht machbar ohne Unterstützung durch die Bevölkerung. Wir dürfen uns keinem Zweifel hingeben, daß die Unterstützung durch die Bevölkerung auch die Todesbereitschaft dieser Bevölkerung voraussetzt. Ganz ernst, wer Taliban unterstützt, kann immer Ziel eines Angriffs werden, und da die afghanischen Familien, Vater, Mutter, Großmutter, Enkel, Cousins, Cousinen und weitere Clananteile auf engem Raum zusammenleben, ist die Familie ausgelöscht, wenn die Amerikaner und andere bomben. Das ist das Risiko - das wissen alle -, und sie gehen es ein. Das sagt etwas über den Ernst dieses Widerstands aus.

Daß er auch von außen instrumentalisiert wird, nimmt seiner Glaubwürdigkeit gar nichts, kann aber gelegentlich die politische Zielrichtung ändern. Die Taliban sind tatsächlich ein glaubwürdiger Begriff. Sie sind die stärkste militärische Gruppe innerhalb des Widerstandes deshalb, weil sie am meisten internationale und nationale - aus Pakistan - Unterstützung bekommen. Waffen liefern die Chinesen und die Russen. Das hat mir ein Talibankommandeur persönlich bestätigt. Für die Chinesen hat sich also gar nichts geändert, wenn wir an die sowjetische Besatzung zurückdenken. Und es ist auch nicht anders möglich, wenn wir bedenken, daß 500 bis 600 Zwischenfälle pro Woche passieren und daß dies eine riesige logistische Frage des Nachschubs ist. Wo soll der denn herkommen? Es kann doch nicht sein, daß man einen Nachschub übersieht, der von der Menge her mehrere hundert Meter lange Güterzüge umfaßt. Da die Eisenbahnlinien fehlen, benutzt man Lastwagen. Ich habe manchmal das Gefühl, die Bundesregierung hält die Journalisten hierzulande alle für vollkommen bescheuert. Das sind sie nicht. Sie stehen nur unter Druck durch ihre Redaktionen.

Also, der Widerstand franst an den Rändern aus. Wir haben aber einen Kern von Taliban, der scharf und klar verwaltet ist durch die Rahbari Shura, dieses 10- oder 11-köpfige Führungsgremium. Und an den Rändern gibt es kleine lokale Gruppen, auch Mörderbanden oder Raubritter und so etwas, die das örtliche Geschäft sozusagen als Franchise-System mitbetreiben. Das gibt es alles, aber der Kern steht hart. Wenn also Mullah Omar entscheidet, daß es da herumgeht, dann geht es da herum, sonst ist die Rübe unten.

SB: Eine andere Frage: In letzter Zeit berichtet die Asia Times Online von Bemühungen der Taliban, die NATO-Nachschublinien über Pakistan zu unterbrechen, und zwar nicht nur oben am Khyber-Paß, sondern auch unten in der Hafenstadt Karatschi. Wenn man dies in Verbindung mit dem Vordringen oder der Einkreisungsstrategie der Taliban um Kabul bringt, wie sehen Sie den weiteren Verlauf des Krieges in Afghanistan zwischen den Taliban und der NATO?

CH: Die Taliban werden ganz eindeutig weitere Geländegewinne machen. Sie werden dort, wo bisher Ruhe war, Unruhe stiften. Sie werden jetzt auch in den nächsten Wochen stärker gegen die Deutschen vorgehen. Ich erwarte hier weitere Verluste - ganz klar. Sie werden erfolgreich alle Operationen in Pakistan angreifen - das ist keine Frage. Pakistan wird deutlich weiter destabilisiert werden. Es ist nicht ausgeschlossen, daß das Militär in Pakistan in absehbarer Zeit wieder putscht. Das kann man nicht ausschließen. Es wird nicht immer einfach nur getan, was die Amerikaner sagen, weil einfach klar ist, daß ein Mann, dessen Korruption wirklich jedes denkbare Maß überschreitet, also Asif Ali Zardari, binnen kurzem jeden halbwegs bei Verstand befindlichen Pakistani gegen sich aufbringen wird. Manchmal deckt sich eben auch das Gesicht mit dem Charakter. Bei Asif Ali Zardari ist das der Fall.

SB: Vielleicht hat Zardari tatsächlich seine Gattin Benazir Bhutto beseitigen lassen, um Präsident zu werden.

CH: Man weiß ja nicht, wie es um den Zusammenhalt der Ehe bestellt war, aber man kann nichts Gutes vermuten bei Trennungen, die acht bis 16 Jahre betragen. Im Prinzip ist es ja so, daß Mord und Totschlag in dieser Familie absolut normal sind. Es hat Überfälle von Teilen der Bhutto-Familie auf das Haus von Benazir gegeben. Sie leugnen das übrigens, wenn man sie drauf anspricht. Es ist grotesk: die Bilder von den Einschußlöchern gehen um die Welt, und im Gespräch leugnen sie es. Das ist die Situation. Sie ist verheerend. Keinem Pakistani kann dies gefallen. Als die Wahl anstand, bekam ich aus Pakistan eine E-Mail, dessen Verfasser sich heftig beklagte, daß dem pakistanische Volk jetzt drei Machtträger zur Alternative vorliegen, die alle drei in der amerikanischen Westentasche stecken: Nawaz Sharif, Musharraf und Benazir Bhutto. Das fand er irgendwie unbefriedigend. Ich glaube, ich habe dafür Verständnis. Das ist nicht anders als in Deutschland. Wir gucken uns die SPD-Führungsspitze an; wir gucken uns die Unionsführungsspitze an; und wir betrachten die FDP. Die Grünen sind halb infiltriert. Die meisten sind auch hier streng Washington-freundlich.

SB: Gilt das auch für Nawaz Sharif? Seine Absetzung 1999 wurde zum Beispiel darauf zurückgeführt, daß er Premierminister war, als es zum Einfall in Kargil sowie zum erstmaligen Test der pakistanischen Atombombe kam. In letzter Zeit tritt er gerne als den Westen kritisierender Volkstribun auf. Steht er dennoch unter Kontrolle Washingtons?

CH: Ja. Ich glaube, daß er definitiv keine grundlegende Entscheidung gegen den Westen fällen kann. Ein Politiker wie Nawaz Sharif bleibt Pakistani. Er ist sicher nicht unfähig einzusehen, was das pakistanische Interesse wäre. Man darf auch nicht vergessen, daß er den Saudis einiges verdankt. Das heißt, er wird immer auch dem saudischen Einfluß in Pakistan Vorschub leisten - was amerikanischen Kräften nicht immer gefällt. Wenn er jedoch Schlüsselentscheidungen, wichtige Richtungsentscheidungen eklatant anders fällen sollte als die oberste amerikanische Führungsspitze es für gut hält, dann ist es um ihn geschehen. Davon kann man ausgehen. Das weiß er auch. Jeder pakistanische Politiker steht vor der großen Herausforderung, daß in Pakistan gegen die USA keine Politik zu machen ist, weil das Drohpotential unendlich ist. Das reicht bis zur Ermordung.

SB: Oder zur Bombardierung zurück in die Steinzeit, wie Richard Armitage [damals Stellvertretender US-Außenminister] nach den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 drohte.

CH: Genau. Diese Drohung lag auf dem Tisch. Wir haben sie schriftlich. Erneut verweise ich auf diesen Sieben-Punkte-Zettel der amerikanischen Botschafterin an Musharraf (vom 12.09.2001), der seinen Memoiren ["In the Line of Fire"] entstammt und auf dem stand, was von ihm erwartet wird, und erneut frage ich: Was für einen Zettel hat denn die Bundesregierung bekommen?

SB: Eine Frage zu dem Vorfall in Kundus, bei dem eine Frau und ihre zwei Kinder bei einer Straßensperre erschossen wurden. Was haben deutsche Soldaten - es sollen ja Feldjäger der Bundeswehr gewesen sein - mit Drogenschmuggelkontrollen zu tun? In der Süddeutschen Zeitung wurde behauptet, daß es bei diesem Kontrollpunkt um Drogenfahndung gegangen sei. Haben Sie irgendwelche Informationen darüber?

CH: Es gibt eine ganz klare Politik - Ahmed Rashid beschreibt es auch, nicht nur ich -, daß die westlichen oder ausländischen Truppen in Afghanistan keine Kompetenz haben, Drogentransporte anzuhalten. Ahmed Rashid beschreibt eindeutig, daß die Aktionen gegen den Drogenschmuggel den afghanischen Sicherheitskräften vorbehalten bleiben. Es liegt keine Muß-Bestimmung für US-Truppen, deutsche Truppen und so weiter, vor, dagegen einzuschreiten. Die Soldaten sagen sich natürlich: "Moment mal, wenn mir das nicht vorgeschrieben wird, mache ich das auch nicht, denn ich habe ja genügend damit zu tun, das zu erledigen, was mir vorgeschrieben ist, und sollte mir irgendein Fehler unterlaufen bei dem, was ich dienstlich vorgeschriebenermaßen tun muß, dann würde man immer sagen: 'Ja aber, du machst das, was du nicht machen mußt, aber was du machen mußt, machst du nicht.' Und dann bin ich weg vom Fenster." Also dafür riskiert niemand während einer vier Monaten langen Afghanistan-Stationierung seine Karriere.

Wir wissen natürlich andererseits, daß die Warlords - die bezahlen wir auch - durch diese kleinteilige Managementstrategie eine wichtige Funktion im Auftrag der fremden Truppen erfüllen, so daß es absurd wäre, wenn wir die Drogen-Konvois unserer Geschäftspartner anhalten würden. Das wäre absolut absprachewidrig und würde das Geschäft bestimmt stören. Und die 30.000 Dollar (für Drogenwarlord Nasir Mohammad in Kunduz von deutscher Seite), die könnten wir denn auf jeden Fall abschreiben, wenn wir hier einschreiten würden. Dieser Aspekt ist übrigens in der Bundeswehr völlig unstrittig. In meinem Unterricht habe ich erklärt: "Kameraden, sollten Sie irgendwen aus der Drogenszene in Ihr Fadenkreuz bekommen, ist es besser, Sie telefonieren kurz vorher mit den amerikanischen Verbündeten, weil es sein kann, daß Sie da auf Freunde unserer Verbündeten schießen." Das war die freundliche Umschreibung dafür, daß das ganze System von uns dort installiert ist. Großbritannien hat die Verantwortung für die Drogenkriegführung übernommen. Und die von Großbritannien verantwortete Provinz Helmand ist alleine der drittgrößte Heroinproduzent der Welt.

SB: Wie bewerten Sie die Bedeutung Afghanistans und Pakistans für die maßgeblich von Washington bestimmte Politik des Westens gegen Rußland und China?

CH: Afghanistan dient der Eindämmung, der Eingrenzung und der Beschneidung des chinesischen Einflusses und soll auch bei der Eindämmung Rußlands helfen, indem man den islamischen Einfluß in den ehemaligen sowjetischen Republiken stärkt. Wir wissen, daß Tschetschenen bei Al Kaida sind, daß hin und her gereist wird und derartige Dinge mehr. Rußland liefert nicht nur aus Spaß Waffen an die früheren Feinde bei der afghanischen Nordallianz, sondern tut dies, um die Reste eines möglichen Einflusses auszudehnen. Übrigens ist die Kabuler Verwaltung mit ehemaligen russischen Bedienten durchsetzt. Viele Afghanen, die während der sowjetischen Besatzung unter Nadschibullah Dienst getan haben, arbeiten heute für die Regierung Karzais. Das ist kein unbekanntes Phänomen.

SB: Putin hat vor wenigen Tagen angeboten, die afghanische Polizei von Rußland ausbilden zu lassen.

CH: Sehr interessant. Da würde er auf viele Bekannte, sozusagen seine Leute, die aus dem alten Apparat kommen, treffen. Für mich ist klar - deswegen habe ich es in meiner Bundeswehrvorlesung erwähnt, und kein General hat widersprochen -, daß der strategische Hintergrund unserer Truppenpräsenz am Hindukusch eindeutig gegen China, gegen Iran und gegen Rußland gerichtet ist. Das ist ganz, ganz klar. Afghanistan ist ein Brückenkopf, und deswegen gibt es keinen Rückzugswillen.

Ich hatte mit General Olshausen gestern kurz drüber debattiert. Er hat mir gegenüber geleugnet - als einziger übrigens von allen meinen militärischen Gesprächspartnern -, daß wir seitens der NATO und USA ein strategisches Interesse haben, mit den Truppen dort zu bleiben. Ich sagte: "Die Amerikaner wollen doch gar nicht weg vom Hindukusch." "Doch", sagt er, "sie wollen." Also ehrlich gesagt, ich weiß nicht, wo er seinen Widerspruch hernimmt. Begründet ist er nicht, und er befindet sich in direktem Widerspruch zu seinen Generalskollegen, die bei mir im Kurs gesessen haben.

SB: Sehen Sie eigentlich eine Chance, Einfluß auf Führungskräfte bei der Bundeswehr oder in der Politik zu nehmen, die die deutsche Afghanistanpolitik verändern könnten? Haben Sie den Eindruck, daß Ihre Bemühungen fruchten?

CH: Nein, ich habe den Eindruck, es fruchtet überhaupt nicht. Ich sehe, daß die Medien unter Druck stehen. Das sieht man bei dieser Pressekonferenz hier; das ist ja ein Witz, ehrlich gesagt. Ich will auf einen Punkt zurückkommen: Jürgen Elsässer hat heute hier Fakten von enormer Tragweite aufgedeckt, die zum Rücktritt von Innenminister Wolfgang Schäuble führen müßten. Und wenn das nicht passiert, müßte der Rücktritt von Bundeskanzlerin Angela Merkel gefordert werden.

Ich habe einen Zeugen aus dem Kanzleramt zitiert, der in meinem Buch auf der Seite 282 sagt: "Jawohl, wir wissen, daß die USA heimlich Al Kaida und die Taliban unterstützen und da zusammenspielen, anders als sie es öffentlich behaupten" - auch das reicht meiner Ansicht nach für den Rücktritt der gesamten Bundesregierung. Jeder Minister trägt nach unserem Recht Verantwortung für die Gesamtpolitik, also auch Familienministerin Ursula von der Leyen müßte für dieses Thema zurücktreten. Ich bin erstaunt, wie gering das Interesse der Medien an diesen Dingen, die absolut gesichert sind, ist. Ich habe das bei n-tv gestern gesagt: "Ich kann keine Reaktion feststellen, nicht einen Anruf von irgendwem, der sagt 'Moment mal ...'"

SB: Und die Bedeutung der Ereignisse ist unbestreitbar?

CH: Unbestreitbar. Das gilt auch für die Auswirkungen auf deutschem Boden. Wenn ich nachweisen kann, daß die IJU [Islamische Dschihad-Union] sozusagen ein kleiner Klüngel von Leuten ist, die sich hier in Szene setzen, während für Winterjacken, Essen und alle Bedürfnisse der beteiligten Usbeken durch die Geheimdienste gesorgt wird - ja, wo sind wir denn? Es wird absolut Zeit, daß diese Regierung durch Untersuchungsausschüsse gejagt wird, bis nichts mehr übrigbleibt. Ich nenne mindestens drei: wir brauchen einen Afghanistan-Untersuchungsausschuß; wir brauchen einen Untersuchungsausschuß für unsere Inlandsgeheimdienstaktivitäten; und wir brauchen mit Sicherheit einen Untersuchungsausschuß für unseren Auslandsgeheimdienst, also für den BND. Wir brauchen also etwas zum Verfassungsschutz, wir brauchen etwas zum BND, wir brauchen etwas zum MAD, wir brauchen etwas zur Afghanistanpolitik und eigentlich zur Pakistanpolitik.

SB: Eine kleine Frage zum Schluß, um das Ganze abzurunden. Bei den jüngsten Ereignissen in der Bajaur-Agency soll es sich um die größte gemeinsame militärische Operation der USA und der pakistanischen Streitkräfte seit dem Einmarsch der Amerikaner im Afghanistan 2001 handeln. Vor kurzem hat die New York Times bekanntgegeben, daß es zu einem Spitzentreffen auf einem US-Kriegsschiff im Arabischen Meer zwischen den Führungsmitgliedern der US-amerikanischen und der pakistanischen Streitkräfte gekommen ist, bei dem über das gemeinsame Vorgehen beraten wurde. Wenige Tage danach hat Pakistan die Operation angeblich wegen des Ramadans abgebrochen. In der Asia Times Online hieß es vor zwei Tagen, das Ziel der Offensive in Bajaur sei gewesen, Osama Bin Laden und Aiman Al Zawahiri rechtzeitig zum Parteikongreß der Republikaner bzw. zur US-Präsidentenwahl in November zu ergreifen, um John McCain vor Barack Obama über die Ziellinie zu bringen. Wie würden Sie das kommentieren?

CH: Wir rechnen praktisch immer, wenn in den USA seit 2001 Präsidenten-oder Zwischenwahlen anstehen, also schon 2004, 2006, mit der rechtzeitigen Ergreifung eines hohen Al-Kaida- oder Taliban-Mitgliedes, um die konservative Seite zu stützen. Bisher ist das ausgeblieben. Offenbar erfüllen diese Personen immer noch einen außenpolitisch wichtigen Zweck für die USA, sonst hätte man sie längst ergriffen. Ich zitiere meinen Ausbildungsleiter im Zentrum Innere Führung der Bundeswehr. Er fragte mich bei meinem Probevortrag, noch bevor ich Guten Tag gesagt hatte: "Herr Hörstel, warum nehmen eigentlich die USA Osama nicht fest, wo sie doch wissen, wo der ist?" Offizielle Frage durch einen Befehlshaber bei der Bundeswehr. Ich glaube, daß man solche Aktionen immer wieder unternimmt, damit man international den Eindruck erweckt, als ob man etwas täte.

SB: Aber in diesem Zusammenhang reden wir nicht von einer Geheimoperation mit 300 Spezialstreitkräften, sondern es handelt sich um eine riesige Militäroffensive mit mehreren tausend Soldaten und möglicherweise bis zu einer halben Million Flüchtlinge.

CH: Vollkommen richtig. Die Bajaur Agency ist absolut bedroht. Sie war schon einmal de facto unter Kontrolle der Taliban, dann ist der Kampf hin- und hergegangen. Das ist ein ähnlicher Verlauf wie im Distrikt Swat. Aber im Prinzip geht es immer um das gleiche Spiel: ein Spiel mit dem Feuer seitens der Verantwortlichen in den USA, die ihre Partner in Pakistan benutzen, welche wiederum versuchen, ihr Land zu retten, während sie diese Operationen durchführen. Zudem versuchen sie, ihre Klientel bei den Taliban zu retten. Sehr häufig erscheinen in der New York Times usw. Meldungen, daß vor einer solchen Operation - das ist jetzt gerade in der Nähe von Peschawar passiert, als dort der Befreiungsschlag kommen sollte -, ganz plötzlich alle Taliban verschwunden sind. Rechtzeitig, und zwar locker, also nicht fünf Stunden vorher oder fünfzehn Stunden vorher, sondern ich würde sagen 48 Stunden vorher sind sie weg. Die Bude ist sozusagen gefegt, wenn die einmarschieren. So sieht das aus.

Ich nehme nicht an, offengestanden, daß das jetzt anders läuft. Warum sollten die USA empfindliche Schläge gegen diese mühsam in Jahren aufgebaute Struktur zu einem solchen Zeitpunkt durchführen? Sie würden bestenfalls ein höherrangiges Mitglied mitnehmen, aber sie würden nicht die Führungsspitze kappen wollen. Wobei die Führungsspitze, ehrlich gesagt - das muß man ganz realistisch sehen -, völlig uninteressant ist. Die Mitglieder der islamischen Bewegung haben längst erkannt, in welch schmutzigem Spiel sie stecken. Natürlich schießen sie deswegen nicht ihre Brüder ab, aber sie werden auch nicht fürchterlich weinen. Jedenfalls die Leute, die Bescheid wissen. Menschen, die der islamischen Bewegung angehören und mich informieren, würden Osama keine Träne nachweinen. Sie sagen allerdings auch: "Wir stehen fest, egal, wie viele von den Leuten umgemäht werden". Das ist die Philosophie dahinter. Das heißt: Wohin würden solche Schläge führen, selbst dann, wenn sie erfolgreich wären? Selbst wenn Osama und Mullah Omar und der ganze Klüngel auf einen Schlag tot oder festgenommen wäre, würde das nichts ändern.

SB: Aber wenn es McCain zum Wahlsieg reicht, dann wäre der Zweck erfüllt?

CH: Der wäre natürlich erfüllt. Und jetzt versucht man wahrscheinlich, denn so denkt man - das habe ich anhand der neusten Studie der RAND Corporation nachgewiesen -, die Kosten dieses ganzen Terrormanagements zu minimieren. Das bedeutet, man würde versuchen, so wenig wie möglich von dieser gewachsenen Struktur zu opfern und trotzdem McCain an die Spitze zu hieven. Gleichzeitig sind Anstrengungen im Gange, Obama so unter Druck zu setzen, daß man ihn, sollte er dennoch gewinnen, in ausreichendem Maße in der Hand hätte, um sicher zu gehen, daß sich nichts Einschneidendes ändert. Im übrigen hat Kerry 70 Prozent seiner Wahlkampfgelder von den gleichen Personen- und Firmenkreisen wie Bush bezogen. Das Ganze läuft auf ein Schattenspiel auf allen beteiligten Rängen hinaus.

Wer ein konstruktives Interesse verfolgt, müßte mit absoluten Minderheitspositionen beginnen, und die sind hier in diesem Land wie woanders vollkommen machtlos. Daher ändert eine Bajaur-Operation in der Sache nichts. Sie kann dazu geeignet sein, McCain zu helfen. Mit Sicherheit wissen die Beteiligten das nicht. Sie wissen lediglich: Wir schieben es ein wenig in diese Richtung, das kann helfen, das kann sogar schiefgehen, das kann sogar schädlich sein. Auch damit müssen sie rechnen. Deswegen probieren sie es von allen Seiten. Am Ende bleibt für die Menschen in der Region und für uns als politische Beobachter nur übrig: Es ist vollkommen klar, daß eine Veränderung der strategischen Brückenkopfpolitik mit zunehmenden Truppenansammlungen westlicher Art, also NATO- und befreundete Staaten, am Hindukusch nicht in Aussicht steht.

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SB-Redakteure im Interview
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11. März 2009