Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → REDAKTION


NAHOST/1678: Irak - die Lunten sind gelegt ... (SB)


Irak - die Lunten sind gelegt ...


Im Irak wächst die Sorge, das kriegsgeplagte Zweistromland könnte zum Kampfschauplatz zwischen den USA und dem Iran werden. Seit US-Präsident Donald Trump im Mai 2018 den Austritt Washingtons aus dem Atomabkommen mit dem Iran angekündigt hat, steigen die Spannungen rund um den Persischen Golf gefährlich an. Aufgrund der US-Finanzsanktionen ist der Export iranischen Öls drastisch gesunken und die Wirtschaft der Islamischen Republik in eine schwere Krise gestürzt. In den letzten Wochen haben in der Straße von Hormus Unbekannte Bombenanschläge auf mehrere Öltanker verübt und die Iraner eine 140 Millionen Dollar teuere US-Spionagedrohne mit einer Boden-Luft-Rakete vom Himmel geholt. Mit einer leichten Erhöhung sowohl der Menge angereicherten Urans als auch des Anreicherungsgrads versucht Teheran die USA zurück an den Verhandlungstisch zu zwingen. Der verzweifelte Vorstoß könnte jedoch die Trump-Regierung unter Hinweis auf die angebliche Proliferationsgefahr zu einem "Präventivschlag" veranlassen, der eine militärische Kettenreaktion auslösen würde.

Für den Fall eines Waffengangs haben die Iraner längst alle US-Militäreinrichtungen und -Kriegsschiffe am bzw. im Persischen Golf zu potentiellen Zielen erklärt. Gemeint sind vornehmlich Stützpunkte in den Vereinigten Arabischen Emiraten, Saudi-Arabien, Bahrain und Kuwait, die allesamt in Reichweite iranischer Kurz- und Mittelstreckenraketen liegen. Doch im Irak haben die USA rund 5000 Soldaten, die seit 2014 an der Bekämpfung der sunnitischen "Terrormiliz" Islamischer Staat teilnehmen, mehrere größere Luftwaffenbasen sowie eine riesige Botschaft auf dem Gelände der sogenannten Grünen Zone im Herzen Bagdads stehen. Als im vergangenen Sommer eine Panzergranate nahe besagter Botschaft einschlug, wollte Trumps Nationaler Sicherheitsberater John Bolton den Vorfall dem "Mullah-Regime" in Teheran anlasten und als Vorwand für einen Raketenangriff gegen Ziele im Iran nutzen.

Aus den irakischen Parlamentswahlen 2018 ging die "Allianz der Revolutionäre für Reform", auch "Al Sairun" ("Die Marschierer") genannt, ein Bündnis zwischen der Al-Ahrar-Partei des einstigen schiitischen "Radikalpredigers" Muktada Al Sadr und den irakischen Kommunisten, als stärkste Fraktion hervor. An zweiter Stelle landete die Allianz Al Fatah (Eroberer), die von Ex-Kommandeuren jener Volksmobilisierungskräfte gegründet worden war, die 2014 nach dem Aufruf des schiitischen Großajatollahs Ali Sistani zur Verteidigung des Landes gegen die IS-Kalifatsanhänger entstanden waren. Mit den Stimmen von Al Sairun und Al Fatah wurde der parteiunabhängige Technokrat Adil Abdul Mahdi zum Premierminister ernannt. Mit großem Entsetzen haben alle irakische Parteien zur Jahreswende auf den unangemeldeten Truppenbesuch Trumps auf dem irakischen Fliegerhorst Balad an Silvester und die Feststellung des US-Präsidenten, der Militärflughafen dort sei so großartig, daß das Pentagon ihn lange in Betrieb halten sollte, reagiert. Schließlich fordern Al Sairum und Al Fatah seit Monaten den raschen Abzug der US-Streitkräfte aus dem Irak, da der Kampf gegen den IS laut Trump längst "gewonnen" sei.

Um eine Ausweitung etwaiger amerikanisch-iranischer Kampfhandlungen auf irakischem Staatsgebiet zu verhindern, hat Abdul Mahdi die USA vor wenigen Wochen daran erinnert, daß ihre Stützpunkte nahe der Grenze zu Syrien ausschließlich der IS-Bekämpfung dienen. Ob sich die USA im Ernstfall an diese Bedingung halten werden ist ungewiß und höchst fraglich. Am 1. Juli ging Iraks Premierminister noch weiter und verfügte die Auflösung der Volksmobilisierungskräfte. Bis zum 31. Juli sollen sich alle 30 daran beteiligten Milizen, die insgesamt rund 150.000 Mann unter Waffen haben, entweder in die Armee und Polizei integrieren oder sich neu als ausschließlich friedliche politische Partei registrieren lassen, so Abdul Mahdi. Die sogenannten Friedensbrigaden, Nachfolgerorganisation der einstigen Mahdi-Armee Al Sadrs, die vor mehr als zehn Jahren in der Region zwischen Bagdad und Basra den US-Besatzungstruppen schwere und blutige Kämpfe geliefert hatten, sind der Anordnung des Premierministers prompt gefolgt und haben ihre Umbenennung in die Brigaden 313, 314 und 315 der regulären irakischen Armee bekanntgegeben. Ähnliches haben jene Milizen, die der Al Fatah nahestehen, verkündet.

Bei den Milizen, die seit den Tagen Saddam Husseins dem Iran nahestehen, oder Neugründungen wie der Harakat Hisb Allah, die in den letzten Jahren im Kampf gegen den IS eng mit den iranischen Revolutionsgarden zusammengearbeitet haben, sieht es anders aus. Deren Vertreter werfen Abdul Mahdi nun vor, die Auflösung der Volksmobilisierungskräfte "auf Befehl Washingtons" verfügt zu haben. Wie sich diese irakischen Einheiten verhalten werden hängt nicht zuletzt davon ab, ob die Spannungen zwischen den USA und dem Iran weiter zunehmen oder sich durch irgendein Wunder doch noch legen sollten. Daß die Lage im Irak äußerst gespannt ist, zeigt die Erstürmung der Botschaft Bahrains in Bagdad Ende Juni durch Hunderte aufgebrachte Demonstranten, die wegen der Durchführung jenes Nahost-Wirtschaftsgipfels, mit dem Trumps Schwiegersohn Jared Kushner die Aussicht auf einen eigenständigen Staat Palästina für immer begraben wollte, ihren Unmut äußern wollten. Seit Wochen mehren sich zudem Meldungen über auffällige Schießereien in der Nähe amerikanischer Stützpunkte im Irak sowie über konkrete Vorbereitungen, private Militärdienstleister von dort zu evakuieren.

9. Juli 2019


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang