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NAHOST/1557: Hifters LNA geht in Libyen gegen Schlepperbanden vor (SB)


Hifters LNA geht in Libyen gegen Schlepperbanden vor

Tripolis und Tobruk wollen staatliches Gewaltmonopol wiederherstellen


In Libyen bemühen sich die wichtigsten politischen Akteure, allen voran die Regierung der Nationalen Einheit (Government of National Accord - GNA) um Premierminister Fayiz Al Sarradsch in Tripolis und das rivalisierende Repräsentantenhaus (House of Representatives - HoR) in Tobruk, das unter dem Schutz der Libyschen Nationalarmee (LNA) steht, die wiederum vom einstigen Gaddhafi-Gegner und CIA-Verbindungsmann Khalifah Hifter befehligt wird, um einen Ausweg aus der gesellschaftlichen Krise. Im Rahmen einer "Roadmap", die der neue UN-Sondergesandte für Libyen, der ehemalige libanesische Kulturminister Ghassan Salamé, vor kurzem erarbeitet hat, wollen die beiden Machtzentren sich versöhnen, damit 2018 landesweite Parlamentswahlen stattfinden können. Bekanntlich schweißt nichts mehr zusammen als ein gemeinsamer Feind. Davon haben GNA und HoR mehrere - unter anderem in Form der "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) sowie der marodierenden Banden, die seit dem Sturz Muammar al-Gaddafis 2011 mit Verschleppung und Schutzgelderpressung ihr Unwesen treiben und somit ein geordnetes Leben in Libyen unmöglich machen. Gegen diese soll nun verstärkt vorgegangen werden.

2016 haben im Auftrag der GNA die militärisch starken Milizen aus Misurata mehrere Hunderte IS-Kämpfer aus ihrem Mini-Kalifat in der Stadt Sirte vertrieben, während Hifters LNA 2017 den Spuk der Besetzung Benghazis durch die Ansar Al Scharia beendet hat. Beide Offensiven waren verlustreicher und langwieriger als ursprünglich gedacht. In beiden Fällen erhielten die Misurater und die LNA ausländische Luftunterstützung, erstere von den USA, letztere von den Vereinigten Arabischen Emiraten und Ägypten. Am 1. Oktober wurde der Hafen von Benghazi zum erstenmal seit Jahren wieder für den Schiffshandel für eröffnet erklärt. Dennoch ist die vom IS ausgehende Bedrohung noch lange nicht gebannt. Wenngleich die Gruppe sich ins Landesinnere zurückgezogen hat, stellte sie mit einem koordinierten Anschlag auf das Gerichtsgebäude im Stadtzentrum von Misurata am 4. Oktober ihre anhaltende Gefährlichkeit unter Beweis. Bei dem Vorfall kamen vier Stadtbewohner ums Leben, weitere 39 wurden verletzt. Zwei Selbstmordattentäter starben, als sie ihre Sprengstoffgürtel zündeten; ein dritter IS-Freiwilliger erlangte bei der Schießerei mit den Sicherheitskräften den ersehnten Märtyrertod.

Letztes Jahr hatte Hifter für das HoR einen beachtlichen Erfolg erzielt, als seine Männer in der Gegend um Brega und Ras Lanuf die wichtigsten Ölterminals und -Raffinerien des Landes eroberten und die dortigen Schutztruppen, welche im Streit um mehr Geld die Anlagen lahmgelegt hatten, verjagte. Seitdem steigt die Ausfuhr libyschen Öls kontinuierlich an, was dem staatlichen Haushalt - unabhängig von der anhaltenden Streitfrage der Gelderverteilung - zugute kommt. Hifter hat in den letzten Wochen wiederholt die Abmachung kritisiert, welche die italienische Regierung vor Monaten mit der Dabbaschi-Miliz, die in der 70 Kilometer westlich von Tripolis gelegenen Stadt Sabratha die Fäden bei der Menschenschlepperei zieht, getroffen haben soll. Berichten zufolge hatte Rom Ahmad Dabbaschi, dem Kopf der Bande, fünf Millionen Euro gezahlt, damit seine Männer die "illegale Auswanderung" stoppen. In der Folge war in diesem Sommer die Zahl der Bootsflüchtlinge, die Italien über den Mittelmeer erreichten, drastisch zurückgegangen.

Ende September brachen in Sabratha schwere Kämpfen zwischen der Dabbaschi-Miliz und einer Gruppe namens Operation Room aus. Letztere steht offenbar im Dienst der Al-Sarradsch-Regierung in Tripolis. Die Gefechte dauerten mehr als drei Wochen an. Am 7. Oktober meldete die Nachrichtenagentur Reuters, die Operation Room hätte die vollständige Kontrolle über Sabratha und das westlich gelegene Öl- und Gasterminal Mellitah, welches Dabbaschis Männer seit 2015 im Auftrag der libyschen National Oil Corporation (NOC) und dem italienischen Energiekonzern Eni schützten, übernommen. Nach Angaben von Omar Abduldschalil, Kommandeur der Operation Room, wurden bei den Kämpfen 17 Menschen getötet und weitere 164 verletzt. Gegenüber Journalisten versprach Abduldschalil, seine Gruppe würde energisch gegen den Menschenschmuggel vorgehen.

Interessanterweise wurde die Vertreibung der Al-Dabbaschi-Miliz aus Sabratha sowohl von der GNA als auch von der Hifter-Fraktion begrüßt. Im Reuters-Bericht wurde Milad Al Zawi, Sprecher der Spezialstreitkräfte der LNA, mit der Angabe zitiert, daß rund 40 von Hifters Soldaten Seite an Seite mit den Freiwilligen der Operation Room gekämpft hätten. "Wir hoffen, daß von Sabratha ein gutes Signal für die LNA ausgeht", so Al Zawi. Darauf, daß sich in Libyen allmählich so etwas wie ein staatliches Gewaltmonopol durchzusetzen beginnt, deuten auch die Vorkommnisse vom 6. Oktober bei Abu Kammash, einem Küstenort unweit der Grenze zu Tunesien, hin. Dort hat nach Angaben der Online-Zeitung Libyan Observer ein Tanker namens "Goeast", der unter der komorischen Flagge segelt, illegal versucht per Pipeline libysches Öl zu laden. Als die Besatzung auf die Funkanrufe der libyschen Küstenwache nicht reagierte, hat letztere mit 30mm-Munition das Feuer auf das Schiff eröffnet und sowohl den Motorenraum getroffen als auch ein Loch im Rumpf verursacht. Seitdem ist der Tanker weder seetüchtig noch manövrierfähig. In einer Erklärung der libyschen Marine hieß es: "Die Küstenwache wollte eine klare Botschaft an illegale Handelstreibende ... an Schmuggler und alle, die es wagen, die Ressourcen des libyschen Volkes anzufassen, senden."

9. Oktober 2017


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