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NAHOST/1517: Riad und Washington richten den Jemen zugrunde (SB)


Riad und Washington richten den Jemen zugrunde

Saudis und Amerikaner bereiten Angriff auf die Hafenstadt Hudeida vor


Während sich der Blick der Konzernmedien auf die Vorgänge in Syrien und den gefährlichen Streit zwischen den USA und Rußland um einen vermeintlichen Giftgasangriff der Syrischen Arabischen Armee (SAA) auf islamistische Rebellen in der Provinz Idlib richtet, geht von der Weltöffentlichkeit fast unbemerkt das Blutvergießen im Jemen unvermindert weiter. Dort herrscht inzwischen ein schwerer Mangel an Lebensmitteln und Medikamenten aufgrund des Krieges, mittels dessen die Streitkräfte Saudi-Arabiens und dessen Verbündeten seit zwei Jahren vergeblich versuchen, den gestürzten Interimspräsidenten Abd Rabbu Mansur Hadi gegen den Willen schiitischer Huthi-Rebellen und der Streitkräfte des mächtigen Ex-Präsidenten Ali Abdullah Saleh wieder zur Macht zu verhelfen. Ungeachtet aller Friedensbemühungen des mauretanischen UN-Sondervermittlers Ismail Ould Cheikh Ahmed wollen die Saudis mit Hilfe der USA den Widerstand der Huthi-Saleh-Allianz, die nach wie vor die Nordhälfte des Jemens einschließlich der Hauptstadt Sanaa unter ihrer Kontrolle hält, endlich brechen. Die Anzeichen der bevorstehenden Eskalation sind bereits zu erkennen.

Nach der Amtseinführung des Immobilien-Moguls Donald Trump als US-Präsident Ende Januar haben die amerikanischen Streitkräfte im Februar mehr Drohnenangriffe auf Ziele im Jemen durchgeführt als im ganzen Jahr 2016 unter Trumps Vorgänger Barack Obama. Der Republikaner Trump hat sich seiner im Wahlkampf an die Adresse der demokratischen Kandidatin, Ex-Außenministerin Hillary Clinton, häufig geäußerten Kritik an sinnlosen Kriegen im Ausland inzwischen als Geschwätz von gestern entledigt. Während er vom Weißen Haus aus Säbelrasseln gegenüber der Volksrepublik China und dem Iran betreibt, sind es die einfachen Jemeniten, die als erste unter Trumps Versuch, die Rolle als Oberkommandierender der US-Streitkräfte auszufüllen, leiden mußten. Noch Ende Januar sind bei einem von Trump genehmigten Überfall amerikanischer Spezialstreitkräfte auf ein Dorf im zentraljemenitischen Gouvernement Al Baida mehrere Dutzend Zivilisten, darunter zahlreiche Frauen und Kinder, ums Leben gekommen. Die Operation der legendären U. S. Navy SEALs galt mehreren mutmaßlichen Anführern von Al Kaida auf der Arabischen Halbinsel (Al Qaeda in the Arabian Peninsula - AQAP), die offenbar nicht unter den Getöteten waren.

Ungeachtet oder gerade wegen dieses grandiosen Mißerfolgs will Trumps Verteidigungsminister, General a. D. James "Mad Dog" Mattis, den "Antiterrorkampf" im Jemen intensivieren. Allein am ersten März-Wochenende haben Kriegsschiffe, Drohnen und bemannte Flugzeuge der USA 20 Raketenangriffe auf mutmaßliche AQAP-Ziele durchgeführt. Derzeit liegt Trump ein Plan des Pentagons vor, der eine deutliche Erhöhung des US-Militäreinsatzes im Jemen vorsieht. Gegen den Plan, der die Handschrift von Mattis trägt, regt sich im Kongreß Widerstand. Dort befürchtet man, daß die USA durch die Entsendung von Bodentruppen die ohnehin katastrophale Situation im Armenhaus Arabiens nur noch verschlimmern könnten. Eine Gruppe demokratischer und republikanischer Kongreßabgeordneter hat einen Brief an Trump geschrieben, in dem sie unter Verweis auf die Verfassung verlangt, daß die Entscheidung für und wider eine Beteiligung der USA am Jemenkrieg allein vom Repräsentantenhaus und Senat getroffen wird. Man kann davon ausgehen, daß Trump die Bedenken der Gruppe um Justin Amash und Walter Jones schlicht ignorieren wird.

Zum Mattis-Plan gehören angeblich Begleitmaßnahmen des US-Militärs für eine Großoffensive der Streitkräfte Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate zur Einnahme der Hafenstadt Hudaida. Hudaida ist Hauptstadt der gleichnamigen Provinz und mit 400.000 Einwohnern der wichtigste Hafen des Jemens am Roten Meer. Konnten die Saudis und die Emirate mit Hilfe Hadi-treuer Truppen, südlicher Separatisten und AQAP-naher Milizen im ersten Jahr des Krieges den Süden des Jemens "befreien", liegt die westliche Küste des Landes am Roten Meer nach wie vor weitgehend in den Händen der Ansarrulah-Bewegung der schiitischen Huthis und des mächtigen Saleh-Klans. Über Hudaida läuft nicht nur der Nachschub für die Huthis, sondern auch der Import jener Lebensmittel, auf die die Bevölkerung im Norden des Landes zum Überleben angewiesen ist. Deshalb hat Ende März UN-Sonderbotschafter Cheikh Ahmed dringend von der geplanten Offensive Riads und Washingtons zur Einnahme von Hudaida abgeraten. Auch das 1933 von Albert Einstein gegründete International Rescue Committee (IRC) hat vor den "katastrophalen Folgen auf die Bevölkerung des Jemens", die ein Angriff auf Hudaida mit sich brächte, gewarnt.

Sozusagen als Vorgeschmack auf das kommende Gemetzel wurde in den frühen Morgenstunden des 17. März im Süden des Roten Meers eine Fähre, mit der mehr als 100 Kriegsflüchtlinge aus Somalia nach Jemen, genauer gesagt nach Hudaida, unterwegs waren, von einem Kampfhubschrauber angegriffen. Im Kugelhagel der Bordkanonen kamen 42 Somalier ums Leben. Auf den Bildern, die nach der Landung des Schiffs in Hudaida gemacht wurden, ist zu sehen, daß viele der Leichen zerfetzt sind. Die großkalibrigen Kugeln haben ihnen Arme und Beine abgerissen. Bis heute hat sich niemand zu der Aktion bekannt. Weil in der Region keine andere Streitmacht über derlei Waffensysteme verfügt, gehen alle Beobachter davon aus, daß es saudische Militärs waren, die in dem Kampfhubschrauber saßen. Die Anti-Huthi-Koalition, deren Operationen von Riad aus koordiniert werden, weist jede Verantwortung für das Blutbad von sich.

Währenddessen laufen die Vorbereitungen für die nächste Eskalationsstufe des Jemenkrieges auf Hochtouren. Angeblich verhandeln die Saudis mit Islamabad über die Entsendung von 2000 bis 3000 pakistanischen Soldaten, welche an der Grenze die südwestlichen Provinzen Saudi-Arabiens vor einem möglichen Einmarsch der Huthis sichern sollen. Am 5. April empfing König Salman die britische Premierministerin Theresa May in Riad, die angesichts des bevorstehenden Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union (EU) bestrebt ist, den Handel ihres Landes mit anderen befreundeten Staaten anzukurbeln. Saudi-Arabien gilt als wichtigster Kunde der britischen Rüstungsindustrie. Britische Verbindungsoffiziere in Saudi-Arabien sind indirekt - genau wie ihre amerikanische Kollegen - am Jemen-Krieg beteiligt. Kampfjets Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate werden zum Beispiel bei Einsätzen im Jemen von amerikanischen Tankflugzeugen in der Luft mit Treibstoff versorgt.

Am 3. April meldete die Nachrichtenagentur Reuters, saudische Piloten, die am Jemenkrieg beteiligt sind, bekämen demnächst eine Erhöhung ihres Solds um 60 Prozent. Um eine Gefahrenzulage kann es sich dabei kaum handeln. Die saudischen Piloten, denen angelastet wird, seit März 2015 zahlreiche zivile Ziele im Jemen wie Schulen und landwirtschaftliche Betriebe bombardiert zu haben, stoßen im jemenitischen Luftraum auf keine feindlichen Maschinen. Sie fliegen auch so hoch, daß sie stets außerhalb der Reichweite von Boden-Luft-Raketen bleiben. Von daher kann man davon ausgehen, daß die ungewöhnlich hohe finanzielle Entschädigung dazu gedacht ist, daß sich die saudischen Luftstreitkräfte über alle Gewissensbisse hinwegsetzen und in noch größeren Umfang als bisher ihr Zerstörungswerk in Hudaida und anderen umkämpften Teilen des Jemens verrichten.

8. April 2017


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